OGH 13Os95/23d

OGH13Os95/23d15.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. De Rijk in der Finanzstrafsache gegen Mag. * G* und einen weiteren Angeklagten wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Juli 2022, GZ 12 Hv 25/21p-857, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00095.23D.1115.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Finanzstrafsachen

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden Mag. * G* und Dr. * H* vom Vorwurf freigesprochen, es hätten

I) Mag. * G* im Bereich des ehemaligen Finanzamts Wien 3/11 Schwechat Gerasdorf als Einzelunternehmer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt, indem er bei seinen Einkünften Einnahmen in der Höhe von 4.380.624 Euro für Vertriebsleistungen an die M* Ltd. in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 nicht anführte, wodurch die bescheidmäßig festzusetzende Einkommensteuer um 2.161.301 Euro zu gering festgesetzt wurde, und

II) Dr. * H* zu der unter I) angeführten Abgabenhinterziehung des Mag. * G* dadurch beigetragen, dass er die auf die Hinterziehung und deren Verschleierung ausgerichteten Ideen der Abwicklung der Vertriebsprovision über die auf den Britischen Jungferninseln ansässige S*, der Bündelung sämtlicher Zahlungen auf dem Konto dieser Gesellschaft und der Schaffung zweier nicht nachzuverfolgender Vertragsrechtskreise entwickelte und Mag. * G* in diesem Sinne beriet „bzw.“ dass er das Muster eines Vertriebsprovisionsvertrags beschaffte und dieses mehrfach zwecks Hinterziehung der Vertriebsprovision adaptierte und Mag. * G* am 10. August 2007 die Daten der angeführten Gesellschaft zukommen ließ.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 7, 9 (richtig) lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Finanzstrafbehörde.

[3] Die Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) an der Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses ist unbeachtlich (RIS-Justiz RS0116749).

[4] Die Ablehnung der „Ausdehnung der Anklage“ durch die Staatsanwaltschaft kann nicht aus Z 4 releviert werden, weil der herangezogene Nichtigkeitsgrund eine gerichtliche Entscheidung oder die Verletzung einer gerichtlichen Entscheidungspflicht voraussetzt.

[5] Sämtliche in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge, wonach geklärt werden solle, „ob“ in den Anträgen bezeichnete Umstände vorgelegen seien, waren schon nach dem Antragsvorbringen – im Hauptverfahren unzulässig – auf Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS‑Justiz RS0099353 und RS0118123; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f) und verfielen somit schon deshalb zu Recht der Abweisung (ON 856 S 129).

[6] Die Mängelrüge (Z 5) stellt keinen Bezug zu den Feststellungen über eine entscheidende Tatsache her, was aber prozessuale Voraussetzung des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes ist.

[7] Die Nichterledigung der Anklage (Z 7) behauptende Kritik nimmt nicht am angeklagten Lebenssachverhalt Maß. Solcherart bringt sie den Nichtigkeitsgrund nicht prozessförmig zur Darstellung.

[8] Hinzugefügt sei, dass die Beschwerdeführerin insoweit den prozessualen mit dem finanzstrafrechtlichen Tatbegriff vermengt. Der Nichtigkeitsgrund der Nichterledigung der Anklage bezieht sich auf Ersteren, also die Identität von angeklagtem und urteilsmäßig erledigtem Handlungssubstrat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502). Die Summe der einem Angeklagten in der Anklage zur Last gelegten Taten im materiellen Sinn muss der Summe der im Urteil durch Schuld- (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) oder Freispruch (hier § 214 FinStrG) erledigten entsprechen (RIS-Justiz RS0121607). Hier wurde das eingangs angeführte unter Anklage gestellte historische Geschehen zur Gänze durch Freispruch erledigt.

[9] Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung zur Voraussetzung, dass das Erstgericht bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist (RIS-Justiz RS0099810), welchen Anforderungen die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht entspricht.

[10] Z 11 des § 281 Abs 1 StPO sanktioniert Gesetzwidrigkeiten im Sanktionenbereich des Urteils. Das freisprechende Urteil enthält keinen Strafausspruch, womit die Sanktionsrüge (Z 11) bereits im Ansatz fehlgeht.

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