OGH 13Os4/13g

OGH13Os4/13g16.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Mai 2013 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wancata als Schriftführer in der Strafsache gegen Branko A***** wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 18. Oktober 2012, GZ 12 Hv 94/11v‑125, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Brenner, des Angeklagten Branko A***** und seines Verteidigers Dr. Rifaat zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Branko A***** wird gemäß § 259 Z 3 StPO von der Anklage freigesprochen, er habe „in der Zeit vom 4. 12. 2010 auf 5. 12. 2010 in Serbien und Ungarn gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit den abgesondert verfolgten Mittätern Skender S*****, Mladen G***** und unbekannt gebliebenen Tätern ('X*****' ua) in Serbien die rechtswidrige Einreise und Durchreise von Fremden in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich aus Serbien über Ungarn nach Österreich mit dem Vorsatz gefördert, sich und Dritte durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er zwei Kosovaren mit seinem PKW von Serbien nach Ungarn brachte, wobei Ziel der Fahrt Österreich und Skender S***** war und diese Schlepperei infolge einer Polizeikontrolle scheiterte“.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Branko A***** wegen des zuvor wiedergegebenen Vorwurfs mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, deren Rechtsrüge (Z 9 lit a) zutreffend das Fehlen inländischer Gerichtsbarkeit einwendet.

Nach den in diesem Zusammenhang wesentlichen Feststellungen sollte der Angeklagte zwei Kosovaren in der Nähe der serbisch-ungarischen Grenze abholen und mit dem Pkw nach Wien bringen, wo sie vereinbarungsgemäß von Skender S***** erwartet wurden. Nachdem die beiden Kosovaren illegal zu Fuß von Serbien nach Ungarn eingereist waren, stiegen sie in den Pkw des Angeklagten ein. Unmittelbar nach der Abfahrt geriet dieser in eine Polizeikontrolle, der er sich durch Flucht entzog. Er ließ die beiden Geschleppten noch in Ungarn aussteigen und wurde nach einer Fahndung bei der versuchten Ausreise von Ungarn nach Serbien festgenommen (US 5 f).

Rechtlich ging das Erstgericht vom Vorliegen „der österreichischen Strafgerichtsbarkeit“ aus, „weil der Erfolg gem § 67 Abs 2 StGB in Österreich hätte eintreten sollen, zumal die Kosovaren über Ungarn nach Österreich und von dort weiter nach Westeuropa geschleppt werden sollten“ (US 14).

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Nach § 62 StGB gelten die österreichischen Strafgesetze für alle Taten, die im Inland begangen worden sind. Tatort ist gemäß § 67 Abs 2 StGB (neben dem Ort der Handlung) auch jeder Ort, an dem ein dem Tatbild entsprechender Erfolg ganz oder zum Teil eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen. Aus dem Gesetzeswortlaut und der ‑ mit Blick auf § 64 Abs 1 Z 4 StGB (der auf die Verletzung österreichischer Interessen abstellt) ‑ systematischen Auslegung ergibt sich, dass § 67 Abs 2 zweiter Fall StGB nur an die Verwirklichung eines (Zwischen-)Erfolgs im Sinn des äußeren Tatbestands (zum Begriff Tatbild Fuchs, AT I8 10/48; 13 Os 42/07m) anknüpft, nicht hingegen an die von der Strafnorm sanktionierte materielle Rechtsgutbeeinträchtigung (sofern diese nicht ohnehin einem tatbildmäßigen Erfolg entspricht) oder an den Bezugspunkt eines im Tatbestand formulierten (erweiterten) Vorsatzes (RIS-Justiz RS0092073, RS0092090; EBRV 30 BlgNR 13. GP 180; vgl Schwaighofer, SbgK § 62 Rz 16 f; Triffterer, SbgK § 67 Rz 16).

Schlepperei nach § 114 Abs 1 FPG stellt nach jüngerer Rechtsprechung kein Erfolgsdelikt, sondern ein schlichtes Tätigkeitsdelikt dar. Zur Tatbestandsverwirklichung kommt es auf die rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden (in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs) nicht an. Vielmehr sind, gleich ob eine solche Ein‑ oder Durchreise dann stattfindet, auch Verhaltensweisen (weit) im Vorfeld einer ‑ wenn auch bloß (seit Inkrafttreten der Vorgängerbestimmung des § 104 Abs 1 FrG idF BGBl I 2000/34 zudem nicht einmal notwendigerweise mit Bezug auf das österreichische Staatsgebiet) angestrebten ‑ rechtswidrigen Migration erfasst (11 Os 119/11a, EvBl-LS 2012/131 zum inhaltlich identen [vgl EBRV 330 BlgNR 24. GP, 35 f] § 114 Abs 2 FPG idF vor BGBl I 2009/122 mit eingehender Erörterung von unionsrechtlichen Vorgaben, Gesetzesentwicklung und -materialien; aA ohne nähere Begründung Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 4 f; ders JBl 2012, 606).

Bei schlichten Tätigkeitsdelikten (bei denen eine von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbare Wirkung in der Außenwelt gerade nicht eintritt; Kienapfel/Höpfel/Kert AT14 Z 9 Rz 6 und 14; Fuchs AT I8 10/39) scheidet ein „Erfolgs“eintritt im Inland im Sinn des § 67 Abs 2 zweiter Fall StGB schon begrifflich aus (vgl 14 Os 160/09z, EvBl 2010/83, 563 zu § 278 StGB und Lässig in WK2 VG § 3h Rz 3 zur medialen Begehungsweise dieses Tatbestands).

Gegen die Anwendbarkeit des § 67 Abs 2 zweiter Fall StGB spricht im Übrigen auch der Umstand, dass der Tatbestand der ausbeuterischen Schlepperei nach § 104a StGB idF vor BGBl I 2000/34 bis zu seinem Außerkrafttreten im Katalog des § 64 Abs 1 Z 4 StGB enthalten war und dies als Voraussetzung der Geltung österreichischer Strafgesetze gesehen wurde, wenn (wie hier) „Personen von einem Staat in einen anderen mit Österreich als Zielland geschleppt werden“ (EBRV 33 BlgNR 20. GP, 44; in diesem Sinn noch Tipold, Das Verbot der Schlepperei im österreichischen Recht, in StPdG 1998, 163 f, ohne eine Erfolgsanknüpfung nach § 67 Abs 2 StGB in Betracht zu ziehen; ders hingegen nunmehr in WK2 FPG § 114 Rz 4; zur vergleichbaren Konstellation einer geplanten Einfuhr von Suchtgift nach Österreich RIS-Justiz RS0092207, RS0108961; 12 Os 135/92). Anlässlich der „Zusammenführung aller Delikte“ betreffend die „Strafbarkeit der Schlepperei“ (vgl EBRV 110 BlgNR 21. GP, 4 f) mit 1. Juli 2000 (BGBl I 2000/34) wurde § 104a StGB ersatzlos aus dem Katalog des § 64 Abs 1 Z 4 StGB gestrichen (ohne die im Wesentlichen an seine Stelle tretenden §§ 104 f FrG aufzunehmen). Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist zu akzeptieren (vgl 12 Os 111/06z).

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass eine in 11 Os 119/11a angesprochene Klassifizierung der Schlepperei (auch) als abstraktes Gefährdungsdelikt an diesem Ergebnis nichts ändert. Die abstrakte Gefahr (oder deren Realisierung) ist kein Erfolg im Sinn des § 67 Abs 2 StGB. Ein an diesen anknüpfender Tatort kann sich nur aus dem (geplanten) Eintritt einer im Tatbild formulierten ‑ hier gerade nicht vorausgesetzten ‑ Wirkung in der Außenwelt (nicht jedoch aus der damit verbundenen abstrakten Gefährdung) ergeben (vgl Fuchs AT I8 10/47).

Mangels Geltung der österreichischen Strafgesetze ist der Schuldspruch mit materieller Nichtigkeit (Z 9 lit a) behaftet (RIS-Justiz RS0092267 [T1]) und war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ aufzuheben. Auf Basis der vom Schöffengericht getroffenen Feststellungen war gemäß § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO sogleich in der Sache selbst mit Freispruch zu entscheiden.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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