OGH 13Os3/22y

OGH13Os3/22y16.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Socher in der Strafsache gegen * Z* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 62 Hv 111/21b des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Verteidigers erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00003.22Y.0316.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 62 Hv 111/21b des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt die Durchführung der Hauptverhandlung am 3. November 2021 in Abwesenheit des Verteidigers § 61 Abs 1 Z 5 StPO.

Das Urteil dieses Gerichts vom 3. November 2021 (ON 14) wird aufgehoben und es wird eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Strafantrag vom 23. September 2021 (ON 6) legte die Staatsanwaltschaft Wien * Z*ein dem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I) sowie den Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II) subsumierbares Verhalten zur Last.

[2] Im darüber geführten Verfahren AZ 62 Hv 111/21b des Landesgerichts für Strafsachen Wien erschien der dem Angeklagten gemäß § 61 Abs 3 zweiter Fall StPO iVm § 61 Abs 1 Z 5 StPO beigegebene Verteidiger (ON 8 und ON 10) zur Hauptverhandlung am 3. November 2021 nicht (ON 13 S 1 und ON 17).

[3] Ungeachtet dessen wurde die Hauptverhandlung (ohne Verteidiger) durchgeführt, * Z* anklagekonform schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 28a Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt (ON 12 und ON 13).

[4] Das Urteil blieb unbekämpft.

[5] In der Urteilsausfertigung findet sich – in Abweichung vom Ausspruch gemäß § 260 Abs 1 Z 2 StPO (US 3, vgl auch ON 13 S 8) und bei gleichzeitiger Verneinung einer Finanzierung des eigenen Suchtgiftkonsums durch den Suchtgiftverkauf (US 4 f) – die Erwägung, bei „der Strafzumessung […] gemäß dem ersten Strafsatz des § 28a Abs 3 SMG von einem Strafrahmen bis zu drei Jahren auszugehen“ (US 6, vgl aber RIS‑Justiz RS0131857).

Rechtliche Beurteilung

 

[6] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Verteidigers mit dem Gesetz nicht in Einklang.

[7] Gemäß § 61 Abs 1 Z 5 StPO besteht in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Einzelrichter (abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen) notwendige Verteidigung, wenn für die – nach den Urteilsfeststellungen begangene (13 Os 71/14m, RIS‑Justiz RS0098131 [T2]; 14 Os 173/10p, SSt 2011/14; Ratz, WK‑StPO § 468 Rz 31; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 61 Rz 3) – Straftat eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist.

[8] Mit Blick auf die den Schuldspruch wegen des – mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedrohten – Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG (I) tragenden Urteilsfeststellungen (US 4 f) hätte der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 3. November 2021 durch einen Verteidiger vertreten sein müssen (erneut RIS‑Justiz RS0098131 [T2]). Daran vermag auch die (mit Blick auf die Feststellungen nicht erfolgter Refinanzierung des eigenen Suchtmittelkonsums [US 5] verfehlte) Bezugnahme auf die privilegierende Strafsatzbestimmung des § 28a Abs 3 erster Fall SMG (US 6) nichts zu ändern.

[9] Da eine dem Verurteilten nachteilige Wirkung der aufgezeigten Gesetzesverletzung nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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