OGH 13Os121/02

OGH13Os121/024.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Dezember 2002 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weiser als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mario E***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 21. Mai 2002, GZ 14 Hv 87/02y-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mario E***** wurde des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 1. Februar 2002 in Niklasdorf Marion S***** mit Gewalt, indem er ihr seine Hand auf den Mund drückte, ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, ihr die Oberschenkel auseinanderdrückte und ihre Strumpfhose zerriss, durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er die Beifahrertür seines Fahrzeuges, in dem sich Marion S***** befand, verriegelte und diese dadurch am Verlassen des Fahrzeuges hinderte, sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, indem er ankündigte, er werde sie umbringen, wenn sie nicht zu schreien aufhöre, zur Duldung des Beischlafes genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 2, 3, 4, 5 sowie 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die jedoch nicht berechtigt ist.

Die undifferenziert nach Z 2 und 3 ausgeführte Beschwerde scheitert schon an einer prozessualen Voraussetzung, nämlich an einer Verwahrung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung gegen die Verlesung eines angeblich nach dem Gesetz nichtigen Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsaktes.

Die Verfahrensrüge (ersichtlich) nach Z 3 moniert die Verlesung des Beweistagsatzungsprotokolls ON 15 über die Vernehmung der Zeugin Marion S*****. Die Vernehmung hätte nämlich um 10.20 Uhr geendet, der Verteidiger sich jedoch bereits um 9.50 Uhr und somit vor Beginn seiner Fragemöglichkeit entfernt, damit nicht mehr auf die letzten Schilderungen der Zeugin eingehen und deren Antworten hinterfragen, die Beweisergebnisse der letzten halben Stunde der Vernehmung daher der Zeugin nicht mehr entgegenhalten können. Es liege somit dem Wesen nach keine kontradiktorische Vernehmung vor, sodass der Zeugenaussage das Beweisverwertungsverbot nach § 252 Abs 1 StPO (gemeint: der Verlesung das Verlesungs- bzw Vorführungsverbot) entgegenstehe. Dem Vorbringen genügt es zu entgegnen, dass der Verteidiger, als er dem Untersuchungsrichter die schriftliche Abfassung von fünf von diesem an die Zeugin zu stellende Fragen überreichte und anschließend den Vernehmungsort verließ, auf die persönliche Wahrnehmung der Antworten auf diese Fragen und weitere Fragestellungen verzichtet hat; dass ihm eine längere Anwesenheit (samt Fragestellung) nicht möglich gewesen bzw der Verteidigung eine (ergänzende) Fragemöglichkeit tatsächlich nicht eingeräumt worden sei, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen, und wird von der Beschwerde auch gar nicht vorgebracht.

Dadurch, dass sich der Verteidiger - aus welchen Gründen immer - entfernte, wurde der Vernehmung somit die Eigenschaft einer kontradiktorischen Befragung (an der im Übrigen der Beschwerdeführer mit laut Protokoll uneingeschränktem Fragerecht weiter teilnahm) nicht genommen (13 Os 156/96).

Damit geht aber auch das Beschwerdevorbringen ins Leere, die Niederschrift über die Vernehmung der Zeugin vor der Gendarmerie Seiten 91 bis 101 hätten mangels Beteiligung eines Verteidigers und, da die Vorführung auch nicht einem Vorhalt bei abweichender Aussage dient, in der Hauptverhandlung nicht verlesen werden dürfen, weil die Zeugin sich der Aussage entschlagen hätte, ins Leere. Hatten die Parteien nämlich - wie hier - Gelegenheit, sich an irgendeiner gerichtlichen Vernehmung zu beteiligen, dürfen sämtliche amtliche Schriftstücke über davor abgelegte Aussagen eines Zeugen verlesen werden, sofern deren Inhalt anlässlich der kontradiktorischen Vernehmung den Parteien bekannt war oder sie davon Kenntnis haben konnten (was die Beschwerde nicht bestreitet; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 232; 13 Os 156/96). Dazu kommt noch, dass sich die Zeugin anlässlich ihrer Befragung ON 15 ausdrücklich auf die den Seiten 91 ff identen Seiten 35 ff bezog, wodurch deren Inhalt Teil des Protokolles über die kontradiktorische Vernehmung wurden. Soweit noch gerügt wird, dass über die Vernehmung ON 15 keine Videoaufzeichnung angefertigt worden sei, genügt der Hinweis, dass die Veranlassung der Ton- oder Bildaufnahme eine mangels Zitierung im § 281 Abs 1 Z 3 StPO nicht mit Nichtigkeit bedrohte Vorschrift darstellt (§ 162a Abs 1 letzter Satz StPO).

Auch die Verfahrensrüge nach Z 4 ist unbegründet.

Die in der Hauptverhandlung beantragte, jedoch mit Zwischenerkenntnis des Schöffengerichtes abgelehnte Durchführung eines Ortsaugenscheines (dessen Themen - für den Obersten Gerichtshof offenkundig - vorgetragen, indes nicht protokolliert wurden, vgl ON 25 iVm der im Urteil nachgetragenen Begründung des abweislichen Beschlusses) unterblieb zu Recht.

Die erfolgreiche Geltendmachung einer Verfahrensrüge verlangt nämlich, dass die Anträge erhebliche (vgl § 254 Abs 1 StPO) Tatsachen betreffen, somit solche, die unmittelbar oder mittelbar (ohne dabei auf - unzulässige - Erkundungsbeweise abzuzielen) der Feststellung entscheidender (vgl Z 5 und Z 5a) Tatsachen dienen; unter letzteren sind jene zu verstehen, die die Unterstellung unter ein Strafgesetz (Lösung der Schuldfrage) oder einen bestimmten Strafsatz betreffen. Weiters ist erforderlich, dass Beweismittel und -thema überhaupt geeignet sein müssen, das angestrebte - obigen Voraussetzungen entsprechende - Ergebnis zu erreichen.

Vorliegend zielt der Beweisantrag auf die (vom Erstgericht treffend dargelegt: teils gar nicht mehr mögliche) Klärung bloß unerheblicher Details ab, teils übergeht er die Ergebnisse eines ohnedies unter Beiziehung des Sachverständigen durchgeführten Ortsaugenscheins hinsichtlich des Täter-PKWs, indem er einem solchen hypothetisch andere Ergebnisse entgegenstellt, ohne jedoch diese Erwartung zu begründen. Vor allem aber übersieht der vorwiegend spekulative Beweisantrag die aktenkundige, im Zwischenerkenntnis auch berücksichtigte (berechtigte) Weigerung des Tatopfers, an einer weiteren Beweisaufnahme teilzunehmen, was die Unmöglichkeit der begehrten Beweisaufnahme - soweit sie in der Hauptverhandlung nicht ohnedies durchgeführt wurde - nach sich zieht.

Die Mängelrüge (Z 5) moniert fehlende Feststellungen zur psychischen Verfassung des Tatopfers vor dem Vorfall zwecks Abklärung deren Motivs für ihre Darstellung, bekämpft damit jedoch - ohne eine entscheidende Tatsache zu berühren - die der Zeugin S***** von den Tatrichtern zugestandene Glaubwürdigkeit und im Ergebnis (in weiterer Folge des Rechtsmittels auch ausdrücklich) nach Art einer Schuldberufung, somit unzulässig, deren Beweiswürdigung; dies trifft auch für den behaupteten Widerspruch hinsichtlich der zudem keine entscheidende Tatsache betreffende Feststellung des Motivs der Zeugin S***** für das beabsichtigte Verlassen des Fahrzeuges des Angeklagten und die Begründung dieser Konstatierung zu.

Die Beschwerde meint weiters, dass für die Feststellungen zum Tatort weder im Vorverfahren noch in der Hauptverhandlung Grundlagen existieren würden.

Ungeachtet dessen, dass solche Umstände fallbezogen keine entscheidenden Tatsachen betreffen, reicht der Hinweis u. a. auf die eigenen Angaben des Angeklagten, wonach das Tatopfer zu Sturz gekommen und mit beiden Knien (am Schotter) aufgeschlagen sei (S 83), was die Beschwerde übersieht.

Abgesehen davon, dass sich der Einwand gegen die Konstatierung (als "insbesondere aktenwidrig", inhaltlich jedoch als unzureichend begründet), der Angeklagte sei mit seinem Penis in die Scheide der Marion S***** eingedrungen (vielmehr - so die Beschwerde - sei die Penetration mit der Hand erfolgt), sich nach Art und Inhalt des Vorbringens als prozessual verfehlte Schuldberufung darstellt, betrifft sie - zufolge der rechtlichen Gleichwertigkeit eines erzwungenen Beischlafes mit der von der Beschwerde ins Treffen geführten Nötigung zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung - ebenfalls keine entscheidende Tatsache. Auch die Tatsachenrüge (Z 5a) ist nach Art einer Schuldberufung ausgeführt ohne jedoch, wie es für die Darstellung dieses Nichtigkeitsgrundes erforderlich ist, sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachenfeststellungen aufzuzeigen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO), sodass zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten das Oberlandesgericht Graz zuständig ist (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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