OGH 13Os156/96

OGH13Os156/969.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Juli 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Ebner, Dr.Rouschal und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Miljevic als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ibrahim A***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 5.August 1996, GZ 11 Vr 497/93-65, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ibrahim A***** - im dritten Rechtsgang abermals - des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 (Punkt 1 des Urteilssatzes) und - idealkonkurrierend - des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt, weil er am 13.Oktober 1993 in Steyr dadurch, daß er seine siebenjährige Enkeltochter Edina A***** entkleidete, auf eine Matratze legte und im Genitalbereich betastete, während er seinen eigenen Geschlechtsteil entblößt hatte,

1) eine unmündige Person auf eine andere Weise als durch Beischlaf und

2) hiedurch eine seiner Aufsicht unterstehende minderjährige Person unter Ausnützung dieser Stellung

zur Unzucht mißbraucht hat.

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf die Gründe der Z 4, 5 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der indes keine Berechtigung zukommt.

Als Verfahrensmangel (Z 4) rügt der Beschwerdeführer, damit der Sache nach auch den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO relevierend, die gegen seinen Widerspruch durch Senatsbeschluß angeordnete Verlesung der in Berichtsform aufgenommenen Angaben des Tatopfers vor der Polizei (S 17 f und S 45).

Die Verfahrensrüge versagt.

Rechtliche Beurteilung

Durch die Verlesung der bezeichneten Schriftstücke wurden Grundsätze des Verfahrens schon deshalb nicht hintangesetzt oder unrichtig angewendet, weil die Verlesung der Vorschrift des § 252 Abs 1 Z 2 a StPO entsprach und somit gesetzeskonform erfolgte. Verweigert nämlich ein Zeuge, wie hier Edina A*****, in der Hauptverhandlung berechtigt die Aussage, können gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle und Schriftstücke über die in einem früheren Verfahrensstadium erfolgte Vernehmung nach der genannten Gesetzesstelle dann verlesen werden, wenn die Parteien Gelegenheit hatten, sich an einer gerichtlichen Vernehmung zu beteiligen. Eine solcherart kontradiktorisch durchgeführte Vernehmung berechtigt aber nicht nur zur Verlesung des darüber aufgenommenen Protokolls, sondern auch aller dieser Vernehmung vorausgegangenen Niederschriften und sonstiger eine Aussage enthaltenden Protokolle, sofern deren Inhalt anläßlich der kontradiktorischen Vernehmung den Parteien bekannt war oder sie davon Kenntnis haben konnten.

Vorliegend wurde Edina A***** in der Hauptverhandlung vom 20.April 1995 (im zweiten Rechtsgang) als Zeugin vernommen, nachdem sie nach Belehrung über ihr Entschlagungsrecht als Enkelin des Angeklagten (§ 152 Abs 1 Z 2 StPO) erklärt hatte, aussagen zu wollen (S 227).

Nun trifft es zwar zu, daß Edina A***** nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls zum unmittelbaren Tathergang nicht befragt worden ist und dazu mit Ausnahme der Behauptung, die erhebenden Polizeibeamten aus Angst angelogen zu haben, keine weiteren Angaben machte (S 227-233), doch ändert dies nichts daran, daß es den Verfahrensparteien, und damit auch der Verteidigung, möglich gewesen wäre, entsprechende Fragen zu stellen. Damit waren jene formellen Voraussetzungen geschaffen worden, die gemäß § 252 Abs 1 Z 2 a StPO in der Hauptverhandlung vom 5.August 1996 die Verlesung der Angaben der Zeugin vor der Polizei bzw der darüber errichteten amtlichen Schriftstücke auch gegen den insoweit unbeachtlichen Widerspruch des Beschwerdeführers ermöglichte.

Die in der Nichtigkeitsbeschwerde erhobene Behauptung, daß Edina A***** nur unter der Bedingung auf ihr Entschlagungsrecht verzichtet habe, zum Sachverhalt selbst keine Aussagen machen zu müssen, weshalb der Verteidigung eine Fragemöglichkeit tatsächlich nicht eingeräumt worden sei und eine kontradiktorische Vernehmung somit in Wahrheit nicht stattgefunden habe, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen.

Die begehrte Ergänzung bzw Berichtigung des Protokolls scheitert schon daran, daß dieses Verhandlungsprotokoll bereits Gegenstand der Rechtsmittelentscheidung des Obersten Gerichtshofes im zweiten Rechtsgang war (ON 57), ohne daß es vom Beschwerdeführer bemängelt worden wäre. Im übrigen ergibt sich die Unrichtigkeit des diesbezüglichen Beschwerdeeinwandes unmittelbar aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 20.April 1995 (ON 44). Darnach war die Zeugenvernehmung bereits beendet, als nach der daran anschließenden Erstattung des Sachverständigengutachtens die Mutter der Edina A*****, aus Anlaß des vom Verteidiger erhobenen Widerspruchs gegen die Verlesung der Seiten 45/47 der Anzeige befragt, ob sie dabei bleibe, ob man das Mädchen auch bezüglich des Vorfalls befragen könne, zunächst bestätigte, daß ihre Tochter von ihrem Entschlagungsrecht nicht Gebrauch gemacht habe, sodann aber erklärte, ihre Zustimmung zur Befragung ihrer Tochter zum Tathergang selbst nunmehr zurückzuziehen (S 253), wobei dieser Erklärung nach den Prozeßrechten keinerlei Bedeutung zukommen konnte.

Daraus folgt, daß die Verfahrensparteien sehr wohl die Gelegenheit hatten, das Tatopfer anläßlich seiner Vernehmung zur Sache zu befragen. Aus welchem Grund der Verteidiger davon abgesehen hat, nimmt der Vernehmung nichts von ihrem kontradiktorischen Charakter. Damit war aber die Verlesung der Polizeiberichte in der Hauptverhandlung vom 5.August 1996 zulässig.

Der Beschwerde (Z 4) zuwider wurde der Angeklagte auch durch die Abweisung seines Antrages auf "Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Gebiet der Geriatrie und Psychiatrie zum Beweis dafür, daß eine geschlechtliche Erregbarkeit beim Angeklagten seit Jahren nicht mehr besteht und seine Handlungen nicht sexuell motiviert gewesen sind" (S 363 iVm S 255) nicht in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt. Für die verfahrensaktuelle erste Alternative des Tatbestandes des § 207 StGB ist die sexuelle Erregung und damit die Erektionsfähigkeit des Täters ohne Relevanz, ist doch der objektive Tatbestand bereits dann erfüllt, wenn zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige, somit den männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige und sexual sinnbezogene Berührung gebracht werden (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 207 RN 5). Mit dem Vorsatz auf Mißbrauch einer Unmündigen zur Unzucht kann aber auch ein nicht erektionsfähiger Täter handeln.

Der der Ablehnung verfallene Beweisantrag betrifft daher keine für die Lösung der Rechtsfrage entscheidende Tatsachen.

Damit haftet aber auch der Feststellung, wonach sich der Angeklagte seiner Enkeltochter sexuell zu nähern begann, um sie geschlechtlich zu mißbrauchen (US 4), der zugleich behauptete Begründungsmangel nicht an.

Der im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) erhobene Beschwerdeeinwand, daß eine "Erfahrung des Gerichtes aus anderen Strafverfahren" über sach- und kindgerechte Einvernahmemethoden der Polizeibeamten Sch***** und G***** (vgl US 11) nur den beiden Berufsrichtern des Schöffensenates zukommen konnte, mag zutreffen. Der kritisierte Umstand wurde indes vom Gericht, das sich mit dem Inhalt der Aussagen der beiden Beamten ausführlich auseinandersetzte (US 12, 13), ersichtlich nur als zusätzliche Begründung für deren Glaubwürdigkeit angenommen.

Auch die Tatsachenrüge (Z 5 a) geht letztlich fehl:

Das Schöffengericht hat gemäß der Rechtsmittelentscheidung des Obersten Gerichtshofes im ersten Rechtsgang (13 Os 39/94-6) im erneuerten Verfahren ein jugendpsychologisches Sachverständigengutachten eingeholt. Daß die Tatrichter diesem Gutachten (S 364 ff iVm ON 31) nicht uneingeschränkt gefolgt sind und die Ansicht der Sachverständigen, wonach eher davon auszugehen sei, daß die Unmündige aus Angst vor den erhebenden Polizeibeamten ihren Großvater belastete und zugleich verschwieg, daß das vom Zeugen W***** beobachtete äußere Tatgeschehen auf ein von ihr nicht zugestandenes Einkoten zurückzuführen gewesen sei (vgl US 17 bis 21), nicht teilten, verpflichtete sie nicht zur amtswegigen Einholung eines weiteren Gutachtens, zumal auch die Beurteilung eines Sachverständigengutachtens der freien Beweiswürdigung unterliegt und der Sachverständigen weitgehend die absolute Sicherheit für ihre Annahmen fehlte (§ 258 Abs 1 StPO). Daß die Begründung des Schöffensenates wenig zu überzeugen vermag, ersetzt demnach nicht den für eine erfolgreiche Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes erforderlichen, vom Beschwerdeführer jedoch unterlassenen Hinweis auf aktenkundige Umstände (welche sich nicht in einer bloßen Beweiswürdigungsrüge erschöpfen dürfen), aus denen sich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen ergeben.

Mit den übrigen Ausführungen der Tatsachenrüge wird ebenfalls nur unzulässig die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes bekämpft, das den Schuldspruch darauf stützen konnte, daß die für seine Entscheidung herangezogenen Angaben des Tatopfers vor der Polizei (vgl insbesondere S 17) mit den Beobachtungen des unbeteiligten Zeugen W***** in Ansehung der wesentlichen Tatumstände übereinstimmen (US 22).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Linz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285 i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

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