OGH 13Os120/23f

OGH13Os120/23f22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Mai 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Loibl LL.M. (WU) in der Finanzstrafsache gegen Dr. * M* wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2015/163 und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 9. August 2023, GZ 9 Hv 8/22f‑35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00120.23F.0522.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Finanzstrafsachen

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (I B 1 und 2) und der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2015/163 (II 1 bis 3) sowie in der Subsumtion der vom Schuldspruch I A umfassten Tat auch nach § 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2015/163, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Insoweit wird der Angeklagte mit seinen Rechtsmitteln auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. * M* jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2015/163 (I A und II 1 bis 3) und der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (I B 1 und 2) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er „im Zuständigkeitsbereich des vormaligen Finanzamtes Graz-Stadt (§§ 20, 21 AVOG; nunmehr Finanzamt Österreich, Dienststelle Graz-Stadt) vorsätzlich unter Verletzung von abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten, Verkürzungen nachstehender Abgaben bewirkt, wobei er die dargestellten Abgabenhinterziehungen unter Punkt I. A) sowie II. 1. ‑ 3. in der Absicht ausführte, sich durch die wiederkehrende Begehung einen nicht bloß geringfügigen fortlaufenden abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen, und er bereits zwei solche Taten begangen hatte, und zwar

I. als * Einzelunternehmer

A) durch Nichtoffenlegung der Nutzungsänderung von betrieblicher auf private Nutzung der in seinem Alleineigentum stehenden Wohnung in * G*, ab dem Jahr 2016 bzw. Unterlassen der entsprechenden Vorsteuerberichtigung für die genannte Wohnung, eine Verkürzung an Umsatzsteuer

am 15. März 2017 für das Jahr 2016 in Höhe von EUR 78.749,63,

B) durch Nichterklärung von Erlösen aus dem Verkauf des Buches 'DCP' (*) betreffend die Jahre 2017 und 2018, Verkürzungen an eigener Einkommensteuer, und zwar

1. am 26. September 2019 für das Jahr 2017 EUR 3.150,00

2. am 26. September 2019 für das Jahr 2018 EUR 27.137,00

sohin gesamt EUR 30.287,00

sowie

II. als steuerlicher Verantwortlicher der * (seit 31. Dezember 2019 gelöschten) 'M* OG' durch die Geltendmachung ungerechtfertigter Sonderbetriebsausgaben in den Jahren 2015 bis 2017, eine Verkürzung an eigener Einkommensteuer, und zwar

1. am 27. November 2017 für das Jahr 2015 EUR 27.000,00

2. am 6. April 2018 für das Jahr 2016 EUR 27.000,00

3. am 1. April 2019 für das Jahr 2017 EUR 27.000,00

sohin gesamt EUR 81.000,00“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – im Schuldspruch I B 1 und 2 sowie im Schuldspruch II 1 bis 3 nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet, die dem Angeklagten zum Nachteil gereicht (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG):

[5] Der Vorgang der Subsumtion besteht im Herstellen einer Verknüpfung zwischen der Tat und einer strafbaren oder (sofern in Sonderfällen nicht alle Voraussetzungen der Strafbarkeit verlangt werden) mit Strafe bedrohten Handlung. Dabei wird der festgestellte Lebenssachverhalt (Tat) dahin beurteilt, ob er unter die gesetzliche Kategorie einer strafbaren Handlung, also eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, das auch allfälligen zusätzlichen Voraussetzungen für die Strafbarkeit genügt, fällt. Im einfachsten Fall wird durch eine Tat im materiellen Sinn eine strafbare Handlung begangen (Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 1 f; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 517).

[6] Im Finanzstrafrecht ist diesbezüglich allerdings zu beachten, dass das FinStrG den Begriff „Finanzvergehen“ doppeldeutig verwendet, indem es damit teils den Lebenssachverhalt (Tat), teils die normative Kategorie (strafbare Handlung) bezeichnet (Lässig in WK2 FinStrG § 1 Rz 1).

[7] Dabei wird hinsichtlich zu veranlagender Abgaben nach ständiger Judikatur (RIS‑Justiz RS0086590 und RS0124712) – bezogen auf ein Steuersubjekt – mit Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet. Solcherart bildet insoweit die Jahressteuererklärung – allenfalls als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte – das kleinste (nicht mehr teilbare) Element des Sachverhalts, also eine selbständige Tat im materiellen Sinn (13 Os 142/08v, JBl 2010, 318; RIS‑Justiz RS0086590 [T2] und RS0124712; Lässig in WK2 FinStrG Vor FinStrG Rz 9).

[8] Entsprechendes gilt für das Unterlassen der Abgabe einer Jahressteuererklärung: Selbständige Tat ist die Nichtabgabe bis zum gesetzlich vorgesehenen Endzeitpunkt (13 Os 58/13y, SSt 2013/48; RIS‑Justiz RS0086590 [T4] und RS0124712 [T6]; siehe auch § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG; Lässig in WK2 FinStrG Vor FinStrG Rz 9).

[9] Nach Maßgabe dessen ist weder den Entscheidungsgründen zum Schuldspruch I B 1 und 2 noch jenen zum Schuldspruch II 1 bis 3 zu entnehmen, wann (RIS‑Justiz RS0130140) der Angeklagte durch welche Handlungen Verkürzungen an Einkommensteuer bewirkt haben soll (US 6 ff).

[10] Solcherart schuf das Gericht keine hinreichende Sachverhaltsgrundlage für die vorgenommene Subsumtion.

[11] Dieser Rechtsfehler (Z 9 lit a) zog die Aufhebung des Urteils im Schuldspruch I B 1 und 2 sowie II 1 bis 3 und – weil (solcherart) mangels festgestellter vorangegangener Begehung zweier „solche[r] Taten“ diesbezüglich nach dem Urteilssachverhalt auch keines der alternativen Kriterien des § 38 Abs 2 Z 1 bis 3 FinStrG idF BGBl I 2015/163 erfüllt ist – in der Subsumtion der vom Schuldspruch I A umfassten Tat nach § 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2015/163 nach sich (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG iVm § 285e StPO). Logische Folge davon war die Kassation des Strafausspruchs.

[12] Hinzugefügt sei, dass dem (von der Aufhebung umfassten) Schuldspruch I B 1 und II weitere Rechtsfehler anhaften:

[13] In Bezug auf den Veranlagungszeitraum 2017 und die Verkürzung von Einkommensteuer splittete das Erstgericht Einzelaspekte (zur Besteuerung von Einkommen einer Personengesellschaft, welche in ertragsteuerlicher Hinsicht nicht Steuersubjekt ist, siehe auch RIS-Justiz RS0131593 [T3]) verfehlt auf, indem es diese – unzulässig – mehreren Finanzvergehen (I B 1 sowie II 3) subsumierte (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO).

[14] Nach § 38 Abs 2 FinStrG idF BGBl I 2015/163 muss die Absicht des Täters darauf gerichtet sein, sich durch die wiederkehrende Begehung des in Rede stehenden Finanzvergehens einen nicht bloß geringfügigen abgabenrechtlichen Vorteil zu verschaffen. Zudem muss der Täter unter Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mittel gehandelt haben, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen (Z 1), oder zwei weitere solche Taten schon im Einzelnen geplant haben (Z 2) oder bereits zwei solche Taten begangen haben oder einmal wegen einer solchen Tat bestraft worden sein (Z 3). Das unter § 38 Abs 2 Z 3 FinStrG angeführte Erfordernis, „bereits zwei solche Taten begangen haben“, kann erst ab der dritten Tat erfüllt sein.

[15] Hievon ausgehend wird in Ansehung des Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Verkürzung von Einkommensteuer für die Jahre 2015 und 2016 (II 1 und 2) in den Entscheidungsgründen schon von vornherein keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit geschaffen (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO).

[16] Die im Urteil angestellten Günstigkeitserwägungen (US 18) orientieren sich nicht am jeweiligen (als Tatzeitpunkt in Frage kommenden) Zeitpunkt des Ablaufs der in § 134 BAO normierten Einreichfrist, obwohl dafür keine Sachverhaltsbasis (zur Möglichkeit der Fristverlängerung vgl § 134 Abs 2 BAO) geschaffen wurde.

[17] Zur Erfüllung der Tatbestände der Abgabenhinterziehung (hier § 33 Abs 1 FinStrG) muss eine Abgabenverkürzung bewirkt werden und solcherart ein – von der Tathandlung trennbarer – Erfolg eintreten (Lässig in WK2 FinStrG § 31 Rz 4). Nach § 33 Abs 3 lit a erster Fall FinStrG ist die Abgabenverkürzung mit der Bekanntgabe des Bescheids oder Erkenntnisses, mit dem bescheidmäßig festzusetzende Abgaben (hier Einkommensteuer und Umsatzsteuer) zu niedrig festgesetzt wurden, bewirkt (eingehend Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 31 und 33 f). Die Beurteilung als vollendet zulassende Feststellungen wurden nur hinsichtlich der vom Schuldspruch I A umfassten Tat (dazu US 19) getroffen, sonst bleibt jeweils offen, ob Steuerbescheide ergangen sind (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO). Die (allfällige) Erwähnung im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) vermag die Feststellung entscheidender Tatsachen im Übrigen nur zu verdeutlichen, nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0114639 [T1]).

[18] Durch die von Amts wegen ergriffene Maßnahme erübrigt sich ein Eingehen auf das gegen den Schuldspruch I B, den Schuldspruch II 1 bis 3 sowie die Gewerbsmäßigkeitsqualifikation gerichtete Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde.

[19] Im Übrigen kommt der gegen den Schuldspruch I A gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde keine Berechtigung zu:

[20] Die leugnende Verantwortung des Angeklagten haben die Tatrichter nicht übergangen (Z 5 zweiter Fall), sondern mit eingehender Begründung als unglaubwürdig beurteilt (US 10 f). Zu einer Erörterung sämtlicher Details seiner Aussage waren sie entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS-Justiz RS0098778 und RS0106295).

[21] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ihre Argumentation nicht auf der Basis der Feststellungen zur vorsätzlichen Verkürzung von Umsatzsteuer (US 4) durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2016 (US 1 f, 4 ff, 11 und 15) entwickelt, sondern vorbringt, der Angeklagte habe den Umstand der Aufgabe der Vermietungsabsicht dem Finanzamt offengelegt, indem er in der UVA für das erste Quartal des Jahres 2019 keine Umsätze aus Einnahmen aus Vermietung angegeben habe, verfehlt sie den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[22] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[23] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

[24] Die Kostenentscheidung, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

 

[25] Für den zweiten Rechtsgang sei hinzugefügt, dass die Teilrechtskraft des nicht von der Urteilsaufhebung erfassten Schuldspruchs I A nur für den Fall besteht, dass im zweiten Rechtsgang ein gerichtliche Zuständigkeit begründender strafbestimmender Wertbetrag erreicht wird (hier § 53 Abs 1 FinStrG). Sie ist solcherart auflösend bedingt (RIS‑Justiz RS0121978; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 8).

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