OGH 13Os120/12i

OGH13Os120/12i24.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kogler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gabriel-Florin B***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Gabriel-Florin B***** und Viorel-Silviu B***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 2. Juli 2012, GZ 7 Hv 41/12g-71, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Viorel-Silviu B***** und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II und demgemäß auch im diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch sowie im Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Viorel-Silviu B***** im Übrigen und jene des Gabriel-Florin B***** werden zurückgewiesen.

Der Angeklagte Viorel-Silviu B***** wird mit seiner Berufung auf die Aufhebung des ihn betreffenden Strafausspruchs verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Gabriel-Florin B***** werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Gabriel-Florin B***** und Viorel-Silviu B***** jeweils des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (I) und Viorel-Silviu B***** zudem des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach haben am 10. März 2012 in Bad Ischl

(I) Gabriel-Florin B***** und Viorel-Silviu B***** gemeinsam Denis D***** durch Gewalt und gefährliche Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Geldbörse mit zumindest 1.700 Euro und zumindest 300 rumänische Leu (umgerechnet etwa 10 Euro) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz unter Verwendung einer Waffe abgenötigt, indem Gabriel-Florin B***** den in einem Kleinbus sitzenden Denis D***** von hinten erfasste und festhielt, während Viorel-Silviu B***** ihm einen 25 cm langen Schraubendreher vor die Brust hielt und an dessen Rippen ansetzte;

(II) Viorel-Silviu B***** ein Gut, das ihm anvertraut worden war, nämlich ein Mobiltelefon des Eduard-Viorel U*****, das dieser Denis D***** anvertraut hatte, der es seinerseits dem Viorel-Silviu B***** zur Durchführung eines Telefongesprächs anvertraut hatte, mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von Gabriel-Florin B***** aus Z 4, 5, 5a und 9 lit c des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl. Die von Viorel-Silviu B***** auf Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise berechtigt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Gabriel-Florin B*****:

Die Verfahrensrüge kritisiert (Z 4) die Verlesung eines von Kriminalbeamten über eine Vernehmung des Beschwerdeführers als Beschuldigten aufgenommenen Protokolls. Damit nimmt sie (was insoweit unabdingbare Voraussetzung für erfolgversprechende Urteilsanfechtung ist; vgl RIS-Justiz RS0108863, RS0099112, RS0099250, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302) nicht auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag (oder einen nach Art von Anträgen substanziierten Widerspruch) oder ein gegen einen Antrag (oder Widerspruch) gefälltes Zwischenerkenntnis oder die Nichterledigung eines Antrags Bezug.

Das Verlesungsverbot des § 252 Abs 1 StPO umfasst im Übrigen Protokolle über die Vernehmung von Mitbeschuldigten oder Zeugen (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 9 f), nicht aber frühere Angaben des Angeklagten (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 245 Rz 58), sodass auch Nichtigkeit aus Z 3 des § 281 Abs 1 StPO nicht angesprochen wird.

Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter widersprüchliche Angaben des Denis D***** zum Ansetzen des Schraubendrehers am Hals oder an den Rippen berücksichtigt (US 9). Mit dem Einwand, diese Erwägungen seien nicht nachvollziehbar, wird nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen Schuld die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft.

Die Behauptung, Denis D***** habe „ein weiteres späteres Mal“ die Seiten verwechselt und „einmal von links und einmal von rechts“ gesprochen, bezeichnet keine Fundstelle im Akt (vgl RIS-Justiz RS0124172).

„Dass die Täter nach der Tat 'spazieren' gingen, einander dabei fotografierten und filmten und keine besonderen Anstrengungen unternahmen, um unerkannt aus dem Bereich des Tatorts 'zu verschwinden'“, haben die Tatrichter entgegen dem weiteren Einwand von Unvollständigkeit in ihre Überlegungen einbezogen (US 10).

Der Nichtigkeitsgrund der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO greift seinem Wesen nach erst, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen (vgl RIS-Justiz RS0119583).

Die Tatsachenrüge des Beschwerdeführers erschöpft sich hingegen in der Wiederholung der Argumente der Mängelrüge, ohne mit diesem Vorbringen sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen.

Weshalb sich der Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes - wie der Beschwerdeführer nominell aus Z 9 lit c des § 281 Abs 1 StPO unsubstanziiert vorbringt - „nicht mit der vorhandenen Anklage“ decken sollte bleibt unklar (siehe im Übrigen die Anklageschrift ON 38).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Viorel-Silviu B*****:

Zutreffend behauptet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch II einen Rechtsfehler mangels Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer an dem ihm für ein Telefonat von Denis D***** übergebenen Mobiltelefon Alleingewahrsam erlangt und sich diesen Gegenstand danach zugeeignet hätte. Nach den Konstatierungen der Tatrichter hatte Denis D***** vielmehr weiterhin Mitgewahrsam am - später nicht mehr auffindbaren (US 6) - Mobiltelefon und weigerte sich der Beschwerdeführer bloß, dieses nach der dem Zweck der Überlassung entsprechenden Verwendung dem Denis D***** zurückzugeben (US 5 f). Diese Feststellungen reichen für die Annahme einer Zueignung nicht aus (vgl Bertel in WK2 StGB § 133 Rz 2, 24; Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 133 Rz 57, 80).

Bleibt anzumerken, dass - bei entsprechendem Vorsatz - nicht Veruntreuung, sondern Diebstahl in Rede stünde wenn der Beschwerdeführer den Mitgewahrsam des Denis D***** am Mobiltelefon etwa durch Flucht gebrochen hätte (vgl Bertel in WK2 StGB § 127 Rz 20; Bertel/Schwaighofer, BT I12 § 127 Rz 14; Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 127 Rz 84, 210, § 133 Rz 26 f, 117).

Zufolge der damit erforderlichen Aufhebung des Schuldspruchs II erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren diesen Urteilspunkt betreffenden Ausführungen.

Im Übrigen geht die Nichtigkeitsbeschwerde fehl.

Der - wenngleich zutreffende (vgl US 4 und 5) - Einwand (Z 5 dritter Fall) widersprüchlicher Feststellungen zur Höhe des von Denis D***** unmittelbar vor der Tat mitgeführten Geldbetrags bezieht sich nicht auf eine entscheidende Tatsache (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409, 443).

Ebenso wenig entscheidend sind die Urteilsannahmen, wonach Viorel-Silviu B***** nach Deutschland gekommen sei, um ein Auto zu erwerben, wohingegen nicht festgestellt werden könne, ob er bei der Einreise nach Deutschland Geld bei sich hatte (US 4).

Ohne die erforderliche Angabe von Fundstellen im Akt (vgl RIS-Justiz RS0124172) bezieht sich die Rüge auf einen Grundbuchsauszug und eine vom Angeklagten unterfertigte Bestätigung über den Erhalt von 2.000 Euro als Anzahlung für einen Grundstücksverkauf. Im Übrigen erklärt sie nicht, inwiefern durch diese Unterlagen der Nachweis hätte erbracht werden können, dass Viorel-Silviu B***** bei seiner Einreise nach Deutschland Bargeld bei sich hatte und weshalb dies erheblich sein sollte.

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467). Ein solches Fehlzitat behauptet die Rüge nicht. Im Übrigen ist es wie bereits angeführt unerheblich, ob Denis D***** gemäß seinen Angaben 1.700 Euro (ON 55 S 59) oder 2.000 Euro (ON 55 S 55 iVm ON 2 S 43) bei sich hatte.

Ein auf den Nichtigkeitsgrund der Z 5a gestütztes Vorbringen ist nur dann erfolgreich, wenn Feststellungen als Folge einer qualifiziert naheliegenden Fehlentscheidung einer Beweiswürdigung erheblichen Bedenken ausgesetzt sind (vgl RIS-Justiz RS0119583 [T6]). Die diesem Nichtigkeitsgrund immanente Erheblichkeitsschwelle wird mit den Behauptungen, der Beschwerdeführer habe Bargeld aus einem Grundstücksverkauf bei sich gehabt und das Opfer habe sich zum Einsatz des als Waffe verwendeten Schraubendrehers und auch sonst in (vom Erstgericht im Übrigen gewürdigte; vgl US 9) Widersprüche verwickelt und sei nach seiner Vernehmung durch die Polizei „plötzlich verschwunden“, sowie mit Hinweisen auf das „eigenartige“ Fluchtverhalten der Angeklagten, die unterbliebene Sicherstellung der Tatwaffe und die vorgeblich fehlende Berücksichtigung des Milieus, „in dem sich die Tat abspielte“, nicht angesprochen.

Die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz zeigt Nichtigkeit aus Z 5 oder 5a nicht auf (vgl RIS-Justiz RS0117445).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit seiner Berufung war der Beschwerdeführer auf die Aufhebung des ihn betreffenden Strafausspruchs zu verweisen.

Zur amtswegigen Maßnahme:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von nicht geltend gemachter Nichtigkeit hinsichtlich des die beiden Angeklagten betreffenden Verfallserkenntnisses (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO), weil dem Urteil keinerlei Entscheidungsgrundlagen zu dieser vermögensrechtlichen Anordnung zu entnehmen sind.

Diese Nichtigkeit (vgl RIS-Justiz RS0114233) war vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 9). Da sich auch die Berufung des Angeklagten Gabriel-Florin B***** bloß gegen den Strafausspruch richtet, ist dem Oberlandesgericht zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung der die vermögensrechtliche Anordnung betreffenden Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO zugunsten der Angeklagten verwehrt (RIS-Justiz RS0119220 [T9]; Ratz, WK-StPO § 294 Rz 10 und § 295 Rz 7 und 14).

Im neuen Verfahren wird zu beachten sein, dass der Verfall ausgeschlossen ist, wenn und soweit ein Täter durch das Strafurteil im Rahmen des Adhäsionsverfahrens zu Schadenersatz verurteilt wird (vgl Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20a Rz 23).

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Gabriel-Florin B***** waren die Akten vorerst dem Oberlandesgericht zuzuleiten.

Die Kostenentscheidung, die die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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