Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach dem § 94 Abs. 1 StGB. und demgemäß auch im Ausspruch gemäß § 13 Abs. 1 JGG. aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt:
Manfred A wird von der (weiteren) Anklage, er habe es am 6.November 1979 in Mortantsch unterlassen, Rosa B, deren Verletzung am Körper er fahrlässig verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten, und habe hiedurch das Vergehen des Imstichlassens eines Verletzten nach dem § 94 Abs. 1 StGB. begangen, gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.
Für den aufrecht bleibenden Schuldspruch wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 StGB. (Urteilsfaktum 1.) wird der Ausspruch und die Vollstreckung der zu verhängenden Freiheitsstrafe für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben (§ 13 Abs. 1 JGG.). Gemäß dem § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 26.September 1964 geborene Schüler Manfred A der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB. und des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB.
schuldig erkannt.
Ihm liegt zur Last, am 6.November 1979 in Mortantsch, Bezirk Weiz, als Lenker eines Fahrrads 1. infolge Einhaltens einer für die vereiste Fahrbahn überhöhten Fahrgeschwindigkeit gegen die Fußgängerin Rosa B gestoßen zu sein und die Genannte fahrlässig am Körper verletzt zu haben;
2. es unterlassen zu haben, Rosa B, deren Verletzung am Körper er durch die zuvor angeführte Tathandlung verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten.
Mit ihrer zugunsten des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch wegen Imstichlassens eines Verletzten (Punkt 2. des Urteilssatzes). In der auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, das Erstgericht habe hinsichtlich der subjektiven Tatseite keine relevanten Feststellungen getroffen und sich insbesondere nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte vorsätzlich die erforderliche Hilfeleistung unterlassen oder nur fahrlässig die Überzeugungspflicht mißachtet und eine weitere Hilfeleistung unterlassen hat.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Staatsanwaltschaft gerügte Feststellungsmangel ist gegeben.
Des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB. macht sich schuldig, wer es unterläßt, einem anderen, dessen Verletzung am Körper (§ 83 StGB.) er, wenn auch nicht widerrechtlich, verursacht hat, die erforderliche Hilfe zu leisten. In subjektiver Hinsicht verlangt das Gesetz zumindest bedingten Vorsatz.
Dieser Vorsatz muß nicht nur das Wissen des Täters umfassen, daß er jemanden verletzt hat und das Opfer zufolge der von ihm verursachten Verletzung hilfebedürftig ist, sondern der Täter muß auch die erforderliche und ihm zumutbare (§ 94 Abs. 3 StGB.) Hilfe unterlassen wollen. Zum Unterschied von § 337 lit. c StG. 1945 genügt Fahrlässigkeit nicht (siehe Leukauf-Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch2 S. 641; LSK. 1978/333, 334; SSt. 47/17; zuletzt 11 Os 14/80).
In den Gründen des angefochtenen Urteils wird festgestellt, B habe infolge ihres durch den Angeklagten verursachten Sturzes eine Kopfprellung, eine Rißquetschwunde ober dem linken Auge und eine Schulterprellung erlitten, welche Verletzungen in der Folge einen sieben Tage dauernden Aufenthalt im Landeskrankenhaus Weiz notwendig machten. Der Angeklagte hielt sich nach dem Unfall einige Minuten an der Unfallstelle auf und gab B auf deren Bitte ein Papiertaschentuch, um die Blutung aus der Wunde oberhalb des linken Auges zu stillen, entfernte sich dann jedoch, ohne sich mit entsprechender Sorgfalt davon überzeugt zu haben, ob Hilfe erforderlich war. Eine solche Hilfeleistung wäre aber nach der Art der Verletzungen notwendig und dem Angeklagten auch zumutbar gewesen. Ein vorsatzausschließender Tatirrtum komme dem Angeklagten nach Auffassung des Erstgerichts nicht zustatten, weil er sich von der Art der Verletzungen und von der Hilfebedürftigkeit der Rosa B nicht überzeugte. Beim Irrtum über die Hilfeleistungspflicht handle es sich um einen Rechtsirrtum, welcher dem Angeklagten (zufolge § 9 Abs. 2 und 3 StGB.) vorzuwerfen sei.
Den Entscheidungsgründen ist jedoch nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte vorsätzlich, d.h. eine Hilfebedürftigkeit der Verletzten zumindest für möglich haltend und sich damit abfindend, der ihm (zunächst) obliegenden Überzeugungspflicht (Leukauf-Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch2 S. 639) und der - gemäß den Urteilsfeststellungen objektiv bestehenden - Verpflichtung zu weiterer Hilfeleistung nicht nachgekommen ist.
Einer solchen - entsprechend zu begründenden - Feststellung hätte es nach Lage des Falls umsomehr bedurft, als der Angeklagte nach dem Unfall einige Minuten an der Unfallstelle blieb und sich damit verantwortete, der Meinung gewesen zu sein, die Frau brauche seine Hilfe nicht (S. 22 und 32). Auch die Zeugin B gab an, nicht das Gefühl gehabt zu haben, der Angeklagte wollte 'davonfahren' (S. 24). Da sich auf Grund der Verfahrensergebnisse eine verläßliche Feststellung des Inhalts, daß der Angeklagte das Erfordernis einer (weiteren) Hilfeleistung erkannt oder doch zumindest für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, gar nicht treffen ließe, erübrigt sich diesbezüglich eine Rückverweisung der Sache an die erste Instanz.
Es war vielmehr in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde das im übrigen unberührt bleibende erstgerichtliche Urteil im Punkt 2 des Schuldspruchs und demgemäß in der den Ausspruch über die Strafe ersetzenden Entscheidung gemäß dem § 13 Abs. 1 JGG. aufzuheben und mit einem Freispruch gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. vom Anklagevorwurf nach dem § 94 Abs. 1 StGB. vorzugehen.
Bei der sohin notwendig gewordenen neuerlichen Entscheidung in der Straffrage erachtete der Oberste Gerichtshof keinen Umstand als erschwerend, hingegen den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und das Geständnis als mildernd (§ 34 Z. 2 bzw. 17 StGB.). Auf der Grundlage dieser Strafzumessungsgründe und in Beachtung des Verschlimmerungsverbots hielt es der Oberste Gerichtshof gleich dem Erstgericht für angemessen, den Ausspruch und die Vollstreckung einer Strafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit vorläufig aufzuschieben (§ 13 Abs. 1 JGG.).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Urteilsspruch zitierte Gesetzesstelle.
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