OGH 12Os67/14s

OGH12Os67/14s28.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Moritz als Schriftführer in der Strafsache gegen Nemat R***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 31. März 2014, GZ 29 Hv 26/14w‑89, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0120OS00067.14S.0828.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Nemat R***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 6. August 2013 in I***** seine Ehegattin Fatemeh K***** vorsätzlich getötet, indem er ihr einen Faustschlag ins Gesicht versetzte und mit einem cirka 20 cm langen Messer zumindest 14‑mal auf ihren Rumpf, die oberen Extremitäten, den Hals und ihr linkes Auge einstach, wodurch sie tödliche Verletzungen, unter anderem einen Durchstoß des Zwerchfells und Verletzungen der Leber, einen Lungen‑ und Herzbeutelstich sowie eine Perforation der Aorta mit folgender (todesursächlicher) Herzbeuteltamponade, erlitt.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB gestellte Hauptfrage stimmeneinhellig bejaht. Eventualfragen nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1, 86 StGB waren demgemäß unbeantwortet geblieben.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die ihr Ziel verfehlt.

Die Fragenrüge reklamiert die Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB, lässt jedoch die gebotene Ausrichtung am Verfahrensrecht vermissen. Prozessförmige Darstellung des Nichtigkeitsgrundes verlangt nämlich einen Hinweis auf ein Verfahrensergebnis der Hauptverhandlung, das auf einen allgemein begreiflichen tiefgreifenden Affekt zur Tatzeit und auch auf einen währenddessen entstandenen vorsätzlichen Tötungsentschluss des Angeklagten hingewiesen hätte (vgl Ratz , WK‑StPO § 345 Rz 23, 43).

Der Angeklagte verweist auf die Antwort des psychologischen Sachverständigen Mag. G***** auf Frage des Verteidigers, ob er den Angeklagten als gefährlich einschätze oder ob man ihm grundsätzlich „ein rechtstreues Verhalten zubilligen muss“, wonach „seine Situation fast zwangsweise dazu geführt hat, dass diese Tat passiert ist, zumal er selbst häufig Gewalt erlebt hat und sich im gegenständlichen Zeitpunkt durch das Verhalten seiner Frau in seiner Rolle als Mann und in seiner Ehre angegriffen gefühlt hat“, ... „sich alles in ihm aufgestaut hat und sich diese Gewalttat angebahnt hat, obwohl er diesen Druck zwischendurch immer wieder entladen hat“, und auf die Frage, ob „solche Erlebnisse wie vom Angeklagten geschildert, auch dazu führen können, dass man so heftig und massiv reagiert bzw ob diese Tat auch Ausdruck einer solchen Entladung des aufgestauten Drucks sein kann“, dass dies so sein könne (ON 87 S 42 f). Damit wird aber ‑ obwohl zur prozessförmigen Darstellung des Nichtigkeitsgrundes geboten ‑ nicht auf ein in Richtung einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung deutendes Verfahrensergebnis im Sinn des § 76 StGB hingewiesen.

Das gilt auch für die weitere Bezugnahme auf die Verantwortung des Angeklagten, wonach er beobachtet habe, dass seine Ehefrau den Zeugen Wolfgang Ku***** geküsst habe, woraufhin er wütend bzw zornig geworden sei (ON 87 S 5 ff).

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, die allgemeine Begreiflichkeit einer zur Tat führenden Gemütsbewegung unter der gebotenen Abwägung eines objektiv‑normativen Maßstabs aus der Sicht eines durchschnittlich rechtstreuen Menschen mit vergleichbaren sozio-physischen Eigenschaften zu beurteilen ist. § 76 StGB erfasst nur solche Gemütsbewegungen, die im Verhältnis zu ihrem Anlass allgemein, das heißt für einen Durchschnittsmenschen ‑ als objektiver Maßstab ‑ in dem Sinn verständlich sind, dass sich dieser vorstellen kann, auch er geriete unter den gegebenen besonderen Umständen in eine solche Gemütsverfassung. Die Maßfigur ist ein rechtstreuer Mensch von der geistigen und körperlichen Beschaffenheit des Täters in der spezifischen Tatsituation. Diese Maßfigur muss sich dem individuellen Täter möglichst annähern, ihm also hinsichtlich sozialer Stellung, Lebenskreis, Alltag, Gesundheit, Beruf, Bildung, Herkunft usw gleich gedacht werden (RIS-Justiz RS0092360).

Mit dem bloßen Verweis des Beschwerdeführers, auf seine Herkunft aus Afghanistan und die in ihm tief verwurzelten Wertvorstellungen des Islam wird der angesprochene Nichtigkeitsgrund ebensowenig prozessförmig zur Darstellung gebracht. Es mangels nämlich an jeglicher Fundierung der ‑ solcherart substratlosen ‑ Rechtsbehauptung allgemeiner Begreiflichkeit (RIS‑Justiz RS0100677 [T4 und T5]). Im Übrigen vernachlässigt der Nichtigkeitswerber, dass Totschlag nur in Betracht kommt, wenn eine in anderen Sittenvorstellungen wurzelnde Affektanfälligkeit von Ausländern für Inländer trotz aller Fremdheit noch als sittlich verständlich beurteilt werden kann. Bei der Prüfung der allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung ist nämlich unter Anlegung eines individualisierenden objektiv‑normativen Maßstabs vom Verhalten eines rechtstreuen Durchschnittsmenschen auszugehen, der mit den durch die inländische Rechtsordnung geschützten Werten innerlich verbunden ist (RIS-Justiz RS0092072; Moos in WK² StGB § 76 Rz 36; JMZ 120014L/1/II1/10 = JABl Nr 9/2010).

Insbesondere vernachlässigt der Nichtigkeitswerber mit seinem Hinweis auf die Beobachtung seiner Frau mit einem anderen Mann, der sie an einem öffentlichen Platz küsste, dass er zu diesem Zeitpunkt mit dem Opfer nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt lebte, sondern diese sich vielmehr bereits seit einigen Monaten in einem Frauenhaus aufhielt (vgl ON 87 S 12, ON 49 S 183 f). Entgegen der ‑ neuerlich substratlosen ‑ Rechtsbehauptung des Angeklagten ist auch eine durch die Ankündigung einer Scheidung hervorgerufene heftige Gemütsbewegung des Täters, unabhängig von seiner Herkunft, für sich genommen nicht allgemein begreiflich.

Der Angeklagte lässt weiters seine Verantwortung in der Hauptverhandlung unberücksichtigt, wonach er seine Ehefrau schon zuvor damit bedroht habe, er werde sie töten, falls sie „fremdgehe“ (ON 87 S 8; vgl RIS‑Justiz RS0092328 [T1]) und wonach, hätte sich „das Ganze so in Afghanistan zugetragen“, er das Opfer als Ehebrecherin hätte steinigen lassen (ON 87 S 16). Im Zusammenhang mit der Vergeltung für Ehrverletzungen durch Tötung kann man von einem strafrechtlichen ordre public sprechen, der die Toleranzgrenzen der multikulturellen Gesellschaft markiert ( Moos in WK² StGB § 76 Rz 36).

Inwiefern die Verantwortung des Angeklagten, wonach er vom Islam zum Christentum konvertiert sei und deshalb von seinem Vater abgelehnt werde, eine Fragestellung in Richtung § 76 StGB indizieren sollte, bleibt völlig offen.

Das gilt auch für den Hinweis auf seine Verantwortung, wonach seine Frau und sein Kind die einzigen Bezugspersonen in Österreich wären.

Auch durch den Hinweis auf die Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. Kr*****, wonach man davon ausgehen könne, dass die Situation, (vermeintlich) von der Ehefrau betrogen zu werden, eine große narzisstische Kränkung für den Angeklagten dargestellt und sein tief verwurzeltes Glaubens‑ und Wertsystem diesen Gemütszustand mitverursacht habe (ON 87 S 43 iVm ON 70 S 71), wird nach dem bisher Ausgeführten kein Vorbringen aufgezeigt, welches Anlass zu einer Fragestellung in Richtung § 76 StGB gegeben hätte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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