Spruch:
In der Strafsache gegen Thomas H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB, AZ 9 U 768/90 des Bezirksgerichtes Hernals, verletzen das Gesetz:
1. der in der Strafverfügung vom 23.Oktober 1991 (ON 17) enthaltene Ausspruch, daß (unter Absehen vom Widerruf) die mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 14. März 1988, GZ U 712/87-7, bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert wird, in dem sich aus der Bestimmung des § 494 a Abs. 1 Z 2 (iVm Abs. 7) StPO ergebenden Verbot, nach (wenn auch noch nicht rechtskräftiger) Beschlußfassung über die Endgültigkeit der Strafnachsicht (außerhalb eines diesen Beschluß betreffenden Verfahrens) in der Sache nochmals zu entscheiden;
2. durch die diesem Ausspruch vorausgegangene Unterlassung der Einsicht in den Vorstrafakt AZ U 712/87 des Bezirksgerichtes Klosterneuburg in der Bestimmung des § 494 a Abs. 3 StPO. Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird der bezeichnete Ausspruch aufgehoben und der Antrag des Bezirksanwaltes vom 27. November 1990 auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit (mit 5.Mai 1988) rechtskräftig gewordener Strafverfügung des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 14.März 1988, GZ U 712/87-7, wurde über den am 30.April 1962 geborenen Thomas H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 100 S (15 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt, die gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Mit Beschluß vom 22.Mai 1991 (ON 10) wurde auf Antrag des Bezirksanwaltes die Strafe endgültig nachgesehen. Dabei wurde allerdings die Zustellung dieses Beschlusses an den öffentlichen Ankläger nicht angeordnet.
Mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Hernals vom 23.Oktober 1991, GZ 9 U 768/90-17, wurde über Thomas H***** neuerlich wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB (Tatzeit: 8. September 1990) eine (unbedingte) Geldstrafe verhängt und unter einem in Erledigung des Widerrufsantrages des Bezirksanwaltes vom 27. November 1990 zu der vom Bezirksgericht Klosterneuburg ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht gemäß § 53 Abs. 2 StGB die Probezeit auf fünf Jahre verlängert, ohne daß zuvor der bezügliche Vorstrafakt eingesehen worden wäre.
Rechtliche Beurteilung
Dabei unterliefen dem Bezirksgericht Hernals folgende Gesetzesverstöße:
Voraussetzung für den Widerruf der bedingten Strafnachsicht (§ 53 Abs. 1 StGB) wie auch für das Absehen von einer derartigen Maßnahme unter Verlängerung der Probezeit (§ 53 Abs. 2 StGB iVm Abs. 1 leg. cit.) ist ua auch, daß die Strafe noch nicht endgültig nachgesehen wurde. Mit der endgültigen Nachsicht der Strafe (§ 43 Abs. 2 StGB; § 497 StPO) ist nämlich weder deren Widerruf noch eine Verlängerung der bestimmten Probezeit, die auf eine zeitliche Erweiterung der Widerrufsmöglichkeit hinausläuft, rechtslogisch vereinbar. Dem - materieller Rechtskraft fähigen - Ausspruch der endgültigen Strafnachsicht kommt schon vor dem Eintritt seiner formellen Rechtskraft eine den Widerruf oder die Verlängerung der Probezeit vorläufig hindernde Sperrwirkung zu. Nach Beschlußfassung über die Endgültigkeit einer bedingten Strafnachsicht ist eine Abänderung dieser Entscheidung nur mehr im Rechtsmittelweg zulässig (ua 12 Os 91, 92/89). Erweist sich daher - wie hier - die Sperrwirkung des Ausspruchs über die endgültige Strafnachsicht als aktuell, so liegen schon deshalb die Voraussetzungen für ein Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht (§ 494 a Abs. 1 Z 2 StPO) unter Verlängerung der Probezeit (§ 494 a Abs. 7 StPO) nicht (mehr) vor. Die im konkreten Fall dennoch ergangene (grundsätzlich gemäß § 494 a Abs. 6 StPO mit einer Strafverfügung verbindbare) Entscheidung des Bezirksgerichtes Hernals verletzt daher das Gesetz in den angeführten Bestimmungen (ua 13 Os 84/91; 15 Os 120/91).
Zur Vermeidung gerade derartiger Gesetzesverstöße ordnet § 494 a Abs. 3 erster Satz StPO die Einsichtnahme des erkennenden Gerichtes in die Akten über die frühere Verurteilung an. Bei Fallkonstellationen, die schon im Hinblick auf das Datum der Rechtskraft der Vorverurteilung die Annahme einer zwischenzeitig ergangenen endgültigen Strafnachsicht nahelegen, kann die gesetzlich geforderte Akteneinsicht auch nicht durch bloße Einsichtnahme in eine Abschrift des Vorurteils ersetzt werden, weil sich die in diesem Zusammenhang wesentlichen Entscheidungsgrundlagen daraus allein nicht in der gebotenen Weise ableiten lassen. Mit der Unterlassung der hier solcherart unvermeidbaren Akteneinsicht verstieß das Bezirksgericht Hernals (erneut zum Nachteil des Verurteilten) auch gegen die Bestimmung des § 494 a Abs. 3 StPO).
In Stattgebung der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde waren daher die Gesetzesverletzungen festzustellen, der gesetzwidrige Beschluß aufzuheben und der die Sperrwirkung der endgültigen Strafnachsicht vernachlässigende Widerrufsantrag des öffentlichen Anklägers abzuweisen.
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