OGH 12Os31/14x

OGH12Os31/14x3.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sascha J***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 12 U 248/11d des Bezirksgerichts Baden, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Beschwerdegericht vom 4. Juni 2013, AZ 14 Bl 20/13i (ON 24), sowie Vorgänge im genannten Verfahren des Bezirksgerichts Baden erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0120OS00031.14X.0403.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache gegen Sascha J***** wegen § 83 Abs 1 StGB, AZ 12 U 248/11d des Bezirksgerichts Baden, verletzen das Gesetz:

1./ das in der Mitteilung gemäß § 200 Abs 4 StPO iVm § 199 StPO vom 20. August 2012 (ON 15) enthaltene Anbot der Verfahrenseinstellung für den Fall der ‑ neben Schadensgutmachung zu erfolgenden ‑ Bezahlung bloß eines Pauschalkostenbeitrags in § 200 Abs 2 StPO iVm § 199 StPO;

2./ die gleichzeitige Zustellung des gemäß § 200 Abs 5 StPO iVm § 199 StPO gefassten Beschlusses vom 22. Jänner 2013 auf Einstellung des Verfahrens (ON 21) an den Angeklagten und die Staatsanwaltschaft in § 209 Abs 2 letzter Satz StPO;

3./ der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Beschwerdegericht vom 4. Juni 2013, AZ 14 Bl 20/13i (ON 24), in § 89 Abs 2 erster Fall StPO.

Dieser Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 20. Februar 2013 (ON 22) zurückgewiesen.

 

Gründe:

Im Verfahren AZ 12 U 248/11d des Bezirksgerichts Baden legte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Sascha J***** mit Strafantrag vom 28. November 2011, AZ 61 BAZ 540/11h, ein als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB qualifiziertes Verhalten zur Last (ON 8).

Danach habe er am 22. Jänner 2011 in B***** im Zuge einer Auseinandersetzung Burkhard R***** durch Versetzen eines Schlages sowie andere Angriffshandlungen vorsätzlich leichte Verletzungen zugefügt.

Die Hauptverhandlung vom 14. August 2012 wurde zur diversionellen Erledigung auf unbestimmte Zeit vertagt (ON 13). Am 20. August 2012 verfasste das Bezirksgericht Baden eine Mitteilung gemäß § 200 Abs 4 StPO iVm § 199 StPO von einer möglichen Verfahrenseinstellung nach Zahlung eines Geldbetrags, wonach die Fortsetzung des Verfahrens unterbleiben könnte, würde der Angeklagte „einen Geldbetrag in der Höhe von 100 Euro (Pauschalkostenbeitrag) sowie 180 Euro Schadensgutmachung an Burkhard R***** bezahlen und dies dem Gericht binnen 14 Tagen nachweisen“ (ON 15).

Diese Mitteilung wurde vorerst ‑ unter Aktenanschluss ‑ nur an die Staatsanwaltschaft abgefertigt, bei der sie am 23. August 2012 einlangte (ON 15 S 2). Am selben Tag gab der Bezirksanwalt die Erklärung ab, einem diversionellen Vorgehen gemäß § 200 StPO werde „prinzipiell“ nicht entgegengetreten, jedoch sei ein Betrag von 900 Euro (40 Tagessätze à 20 Euro, Kosten 100 Euro) vorzuschreiben (ON 1 S 5).

Nach Rücklangen des Akts verfügte die Bezirksrichterin die Zustellung der Mitteilung ON 15 an den Angeklagten (ON 1 S 5), ohne die aufgrund der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft gebotene Aufklärung darüber, dass der mit der gewählten Vorgangsweise nicht einverstandenen Staatsanwaltschaft gegen die Verfahrenseinstellung gemäß § 209 Abs 2 StPO ein Rechtsmittel offensteht (vgl Schroll,WK‑StPO § 200 Rz 11).

Offenbar mangels Zahlungsnachweises beraumte die Bezirksrichterin für den 19. Oktober 2012 eine Hauptverhandlung an, bei der der Angeklagte die Schadensgutmachung nachwies und den Erlag von 100 Euro am Ende des Monats in Aussicht stellte, worauf auch diese Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt wurde (ON 17).

Nach Einzahlung von 100 Euro (ON 19) erging am 22. Jänner 2013 der Beschluss: „Das Verfahren gegen Sascha J***** wegen § 83 Abs 1 StGB wird nach Zahlung von 180 € an den Geschädigten Burkhard R***** und Zahlung von 100 € PK gemäß § 200 Abs 5 StPO eingestellt“ (ON 21).

Das Bezirksgericht verfügte ‑ entgegen der ausdrücklichen Anordnung des § 209 Abs 2 letzter Satz StPO ‑ die gleichzeitige Zustellung dieses Beschlusses an den Bezirksanwalt und an den Angeklagten (ON 21 S 1), dem er am 8. Februar 2013 ausgehändigt wurde (Zustellnachweis in ON 21).

Bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt langte eine Ausfertigung dieses Beschlusses ‑ offenbar ohne Akt ‑ am 30. Jänner 2013 ein, die in der Folge (erst) am 11. Februar 2013 zum Bezirksanwalt gelangte.

Nach Aktenbeischaffung fertigte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt am 21. Februar 2013 eine Beschwerde gegen den zuletzt bezeichneten Beschluss an das Bezirksgericht Baden ab (ON 1 S 10), wo das Rechtsmittel am 26. Februar 2013 einlangte (ON 22). Beschwerdeziel war die Vorschreibung eines vorgeschlagenen, nach dem Tagessatzsystem zu bemessenden Geldbetrags zusätzlich zu den bereits auferlegten Pauschalkosten gemäß § 200 Abs 2 StPO iVm § 199 StPO.

In Stattgebung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Landesgericht Wiener Neustadt als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 4. Juni 2013, AZ 14 Bl 20/13i (ON 24), den angefochtenen Beschluss auf und verwies die Sache zur Fortsetzung der Hauptverhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Zufolge der Begründung habe die Staatsanwaltschaft rechtzeitig Beschwerde erhoben, weil aufgrund des Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung die Zustellung der Beschlussausfertigung den Lauf der Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt habe. Dem Rechtsmittel komme insbesondere deshalb Berechtigung zu, weil der Staatsanwaltschaft vor dem beabsichtigten diversionellen Vorgehen gemäß § 200 StPO iVm § 199 StPO keine Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden sei (vgl aber ON 1 S 5), der angefochtene Beschluss unklar formuliert sei und keine Begründung enthalte.

Die sodann anberaumte Hauptverhandlung vom 5. September 2013 wurde zur Durchführung der „zuvor geschilderten“ Diversion und nach diesbezüglicher Anhörung der Staatsanwaltschaft auf unbestimmte Zeit erstreckt (ON 26).

Am 17. September 2013 erging die ‑ mit der Gewährung von Ratenzahlung verbundene ‑ Mitteilung gemäß § 200 Abs 4 StPO iVm § 199 StPO von einer möglichen Einstellung des Verfahrens nach Zahlung eines Geldbetrags, wonach das weitere Strafverfahren bei Zahlung eines (weiteren) Geldbetrags von 200 Euro (inklusive Pauschalkostenbeitrag von 70 Euro) unterbleiben würde (ON 28). Mittlerweile wurden vom Angeklagten Teilzahlungen geleistet (ON 29).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die Mitteilung des Bezirksgerichts Baden vom 20. August 2012 (ON 15), die Zustellverfügung betreffend den Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 22. Jänner 2013 (ON 21) und der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 4. Juni 2013 (ON 24) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Mit Mitteilung vom 20. August 2012 stellte das Bezirksgericht Baden gemäß § 200 Abs 4 StPO iVm § 199 StPO dem Angeklagten die Verfahrenseinstellung für den Fall der Bezahlung eines Pauschalkostenbeitrags von 100 Euro und nachweislicher Schadensgutmachung in Aussicht (ON 15). Ein über den Pauschalkostenbeitrag hinausgehender Geldbetrag wurde dem Angeklagten nicht zur Auflage gemacht.

Diversionelle Verfahrensbeendigung nach Zahlung eines Geldbetrags (§ 198 Abs 1 Z 1 StPO) setzt gemäß § 200 Abs 1 StPO die Entrichtung eines Geldbetrags zu Gunsten des Bundes voraus. Dieser Geldbetrag darf gemäß § 200 Abs 2 StPO den Betrag nicht übersteigen, der einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zuzüglich der im Fall einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens (§§ 389 Abs 2 und Abs 3, 391 Abs 1 StPO) entspricht.

Eine Aufgliederung des Geldbetrags in Tagessätze und Kostenteil ist zwar nicht vorzunehmen (Schroll,WK‑StPO § 200 Rz 2; Lendl,WK‑StPO § 388 Rz 1 zweiter Absatz), doch ist Berechnungsgrundlage das Tagessatzsystem, wobei dem so ermittelten Betrag der Kostenteil zugeschlagen wird (Pleischl in Miklau/Schroll,Diversion 100; E. Leitner in Schmölzer/Mühlbacher,StPO1 § 200 Rz 3).

Im Übrigen ist ein Hinweis auf die im Geldbetrag enthaltenen Verfahrenskosten in bestimmter Höhe aber nicht nur zulässig, sondern sogar empfehlenswert, um in Fällen, in denen Verfahrenskosten durch eine Versicherung gedeckt sind, einerseits Ansprüche der betroffenen Personen nicht zu behindern und andererseits administrativ belastende Rückfragen zu vermeiden (Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 26. Juni 2002, Z 417.001/20‑II.3/2002, JABl Nr 27/2002).

Die Geldbuße gemäß § 200 Abs 2 StPO hat demnach den nach dem Tagessatzsystem zu bemessenden Geldbetrag zuzüglich der sonst im Strafverfahren im Falle einer Verurteilung zu ersetzenden Kosten (E. Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1 § 200 Rz 2) und nicht nur Pauschalkosten zu enthalten. Das Anbot, das Verfahren für den Fall der Schadensgutmachung und der Bezahlung (bloß) von Pauschalkosten einzustellen, entspricht somit nicht dem Gesetz.

2./ Das Bezirksgericht Baden verfügte anlässlich der Beschlussfassung vom 22. Jänner 2013 über die Verfahrenseinstellung gemäß § 200 Abs 5 StPO (zu ergänzen: iVm § 199 StPO) die gleichzeitige Zustellung von Beschlussausfertigungen an den Bezirksanwalt und an den Angeklagten (ON 21 S 1).

Dieser Vorgang entspricht nicht dem Gesetz, weil ein solcher Beschluss gemäß § 209 Abs 2 letzter Satz StPO dem Angeklagten erst dann zuzustellen ist, wenn er der Staatsanwaltschaft gegenüber in Rechtskraft erwachsen ist (Schroll, WK‑StPO § 200 Rz 11, § 209 Rz 5; Fabrizy, StPO11 § 209 Rz 5).

3./ Gemäß § 81 Abs 1 StPO werden Erledigungen der Gerichte unter anderem durch Zustellung einer Ausfertigung (§ 79 GOG) bekanntgemacht, und zwar auch gegenüber der Staatsanwaltschaft, der allerdings gemäß § 81 Abs 3 StPO auch die Akten zur Einsichtnahme in die Erledigung übermittelt werden können.

Die Rechtsmittelfrist für die Staatsanwaltschaft wird bereits durch gerichtlich verfügte Zustellung einer Beschlussausfertigung und nicht erst durch Einlangen des Aktes ausgelöst (vgl schon Fabrizy, StPO9 § 78 aF Rz 1; Mayerhofer/Salzmann StPO6 § 81 E 21, 22).

Gemäß § 4 Abs 1 StAG obliegt der Staatsanwaltschaft am Sitz des in Strafsachen tätigen Landesgerichts auch die Vertretung der Anklage vor den Bezirksgerichten im Sprengel dieses Landesgerichts, wobei diese Aufgabe auch von Bezirksanwälten ausgeübt werden kann, die unter Aufsicht und Leitung von Staatsanwälten stehen. Fallaktuell wurden die Aufgaben des öffentlichen Anklägers (auch) von der von einem Bezirksanwalt geleiteten Geschäftsabteilung 61 der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wahrgenommen (vgl schon ON 1 S 1).

Verfügt eine Behörde über eine Einlaufstelle, so hat die Zustellung dort zu erfolgen (vgl Mayerhofer Nebenstrafrecht5 ZustG § 2 Anm 5).

Demgemäß begann mit dem am 30. Jänner 2013 bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt erfolgten Einlangen einer Ausfertigung des Beschlusses des Bezirksgerichts Baden vom 22. Jänner 2013 (ON 21), die entsprechend der richterlichen Zustellverfügung abgefertigt worden war (ON 21 S 1), für die Anklagebehörde die gemäß § 88 Abs 1 zweiter Satz StPO 14‑tägige Beschwerdefrist zu laufen. Die am 21. Februar 2013 abgefertigte und am 26. Februar 2013 bei Gericht eingelangte Beschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich daher als verspätet erhoben.

Der in Rede stehende Beschluss, gegen den gemäß § 209 Abs 2 letzter Satz StPO nur der Staatsanwaltschaft Beschwerde zusteht, enthält keine Rechtsmittelbelehrung. Es trifft zwar zu, dass eine Rechtsmittelbelehrung integrierender Bestandteil jedes Beschlusses ist (§ 86 Abs 1 StPO) und ein Beschluss grundsätzlich nur dann die Beschwerdefrist auslösend bekanntgemacht wird, wenn er eine solche enthält (RIS‑Justiz RS0123942). Dies gilt jedoch nicht gegenüber der Staatsanwaltschaft, die als hoheitlich auftretende Behörde der für andere Verfahrensbeteiligte vorgesehenen besonderen Fürsorge nicht bedarf (RIS‑Justiz RS0128397, RS0123942 [T2]; 11 Os 114/12t).

Demgemäß hätte das Rechtsmittelgericht die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gemäß § 89 Abs 2 erster Fall StPO zurückweisen müssen. Eine allfällige amtswegige Wahrnehmung aus Anlass der verspäteten Beschwerde wäre im Übrigen nur zum Vorteil für den Angeklagten in Betracht gekommen (§ 89 Abs 2b dritter Satz zweiter Fall StPO; vgl Tipold, WK‑StPO § 89 Rz 16).

Da die Aufhebung des verfahrensbeendenden Beschlusses durch das Beschwerdegericht dem Angeklagten zum Nachteil gereicht, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, den Beschluss des Rechtsmittelgerichts gemäß § 292 letzter Satz StPO aufzuheben und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

Damit erübrigt sich eine Kassation der hievon rechtslogisch abhängigen, mit einer Gewährung von Ratenzahlungen verknüpften Mitteilung des Bezirksgerichts Baden vom 17. September 2013 gemäß § 200 Abs 4 StPO iVm § 199 StPO, ON 28 (RIS‑Justiz RS0100444).

Das Bezirksgericht Baden wird die Rückzahlung der aufgrund der Mitteilung vom 17. September 2013 geleisteten Ratenzahlungen (vgl ON 29) zu veranlassen haben.

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