OGH 12Os136/12k

OGH12Os136/12k31.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Sol und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pausa als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gabriel D***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Jerry I***** und die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieses Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 16. Mai 2012, GZ 7 Hv 109/11w-57, sowie über die Beschwerde des Angeklagten Jerry I***** gegen den Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten I***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuld- und Freisprüche sowie zu Unrecht nicht gesondert ausgefertigte (vgl Schroll in WK2 § 50 Rz 16; Danek, WK-StPO § 270 Rz 50), auch den Mitangeklagten Gabriel D***** betreffende Beschlüsse gemäß §§ 50 Abs 1, 52 StGB enthaltenden Urteil wurde Jerry I***** - zu A./1./ und A./3./ abweichend von der wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB erhobenen Anklage - der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (A./1./), der Amtsanmaßung nach § 314 erster Fall StGB (A./2./), der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (A./3./) und des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB (A./4./b./) sowie des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz - in G*****

A./ am 9. Juli 2011

1./ Jakob H*****, Jakob S*****, Philipp Sch***** und Philipp K***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Gabriel D***** „durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, nämlich durch das drohende, zum Schlag ansetzende Hochhalten einer leeren Bierflasche, verbunden mit der Äußerung 'Macht keinen Schaß!' durch Gabriel D*****, wobei Jerry I***** - jederzeit eingreifbereit - unmittelbar daneben stand und Gabriel D***** bei der Bewachung der vier Burschen unterstützte, und mit Gewalt“, indem er sodann „dem nach einiger Zeit davonlaufenden Jakob H***** einen Beinfeger versetzte, wodurch dieser zu Sturz kam, zu einer Unterlassung, nämlich nicht zu flüchten, genötigt“;

...

3./ Jakob H***** durch den zu Punkt A./1./ dargestellten Beinfeger, wodurch dieser zu Sturz kam, am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt (blutig geschlagenes Knie, rechter Ellbogen und Schulter, Prellung des rechten Beins);

...

B./ am 26. Jänner 2012 Mwilu ***** L***** einen Laptop der Marke Sony in unbekanntem, 3.000 Euro nicht übersteigenden Wert, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er auf frischer Tat betreten, Gewalt gegen eine Person anwendete, um sich die weggenommene Sache zu erhalten, indem er dem ihn zur Rede stellenden Mwilu ***** L***** einen Stoß sowie Schläge mit der Hand versetzte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Schuldspruchpunkte A./3./ und B./ richtet sich die auf Z 8 und 9 lit a und lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Jerry I*****, der keine Berechtigung zukommt.

Der Beschwerdeführer behauptet zunächst eine den Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB zum Nachteil des Jakob H***** betreffende Überschreitung der Anklage (Z 8), weil das ihm zugrunde gelegte Verhalten bzw der entsprechende Sachverhalt weder von der ursprünglichen Anklage umfasst gewesen noch die Anklage in diese Richtung ausgedehnt worden sei. Damit orientiert er sich aber nicht an den Kriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes, der sich auf die Identität von angeklagtem und urteilsmäßig erledigtem Handlungssubstrat, also darauf bezieht, ob Anklage und Urteil denselben Lebenssachverhalt (im Sinn eines prozessualen Tatbegriffs; vgl RIS-Justiz RS0113142) meinen (RIS-Justiz RS0121607; Ratz in WK-StPO § 281 Rz 502). Dabei bilden Anklagetenor (§ 211 Abs 2 Z 2 StPO) und Begründung der Anklageschrift (§ 211 Abs 2 StPO), die gerade der Konkretisierung der näheren Tatumstände, maW der genaueren Abgrenzung des Prozessgegenstands dient, eine Einheit (RIS-Justiz RS0097672; vgl auch Fabrizy, StPO11 § 262 Rz 1).

In diesem Sinn umfasst die Begründung der Anklage zu der zu Punkt I./1./ inkriminierten Raubtat über deren Spruch hinaus ein anschließendes gewaltsames Vorgehen des Nichtigkeitswerbers gegen den flüchtenden Jakob H*****, unter anderem dadurch, dass er ihm, nachdem er ihn eingeholt hatte, einen sogenannten „Beinfeger“ versetzte, sodass er im vollen Lauf zu Sturz kam (ON 22 S 6). Darin findet dessen vom Schuldspruchpunkt A./3./ umfasste Misshandlung, aus der eine fahrlässig zugefügte Körperverletzung resultierte, aber jedenfalls Deckung.

Ob die Staatsanwaltschaft den Tatvorwurf des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB erhoben und im Rahmen des Raubvorwurfs auch die Anwendung von Gewalt (im Sinn rechtlicher Kategorien) dargestellt hat, ist demgegenüber unter dem Aspekt der behaupteten Nichtigkeit ohne Bedeutung, zumal das Gericht bei der Urteilsfällung nur an den vom Ankläger individualisierten Sachverhalt, nicht aber an dessen rechtliche Beurteilung der Tat gebunden ist (RIS-Justiz RS0097725).

Als Feststellungsmangel (Z 9 lit a und lit b, dSn teils Z 5 zweiter Fall, teils Z 10) rügt der Beschwerdeführer zu Schuldspruch B./, dass das Erstgericht weder auf die Aussage des Zeugen Ahmed M*****, der die Äußerung des Angeklagten bestätigt habe, Mwilu ***** L***** den Laptop zurückzugeben, wenn N***** ihm sein Geld gebe (ON 56 S 29), noch auf die Verantwortung des Nichtigkeitswerbers eingegangen sei, er habe entsprechend der in seiner Heimat gebräuchlichen Sitten angenommen, einfach aus der Wohnung des Schuldners etwas - gemeint als Pfand - mitnehmen zu können (vgl ON 49 S 23), und strebt - mangels Bereicherungsvorsatzes in Ansehung der Sachwegnahme - eine Unterstellung des Tatgeschehens allein unter den Tatbestand der Körperverletzung an.

Zum Ersten lässt er jedoch die Konstatierung des Schöffengerichts außer Acht, wonach ihm bewusst gewesen sei, dass der Laptop im Eigentum des Mwilu ***** L***** stand und er ihn dennoch mit Bereicherungsvorsatz an sich nahm (US 14). Ob er vorhatte, das Gerät für den Fall der Begleichung der Schuld durch N***** zurückzuerstatten, betrifft demgegenüber keine entscheidende Tatsache.

Zum Zweiten behauptet der bereits seit vier Jahren in Österreich aufhältige Angeklagte (vgl US 4), einem Verbotsirrtum unterlegen zu sein, stellt jedoch nicht dar, weshalb das Unrecht seiner Tat - ungeachtet seiner Verantwortung - für ihn wie für jedermann nicht leicht erkennbar gewesen sei oder er sonst nach den Umständen nicht verpflichtet gewesen sein sollte, sich mit den einschlägigen Vorschriften bekannt zu machen (§ 9 Abs 2 StGB; vgl RIS-Justiz RS0089776, RS0089741).

Die pauschale Behauptung, das Erstgericht habe in Ansehung des Bereicherungsvorsatzes nichts festgestellt, sondern diesen alleine unter Verwendung von verba legalia in seinen Feststellungen als gegeben angenommen, unterlässt den gebotenen Hinweis, welcher weiterer Konstatierungen es aus Beschwerdesicht bedurft hätte (RIS-Justiz RS0099620, RS0095939) und weshalb den - keineswegs den bloßen Gesetzestext wiedergebenden - Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite (US 14 f) der erforderliche Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8) fehlen sollte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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