OGH 12Os101/22b

OGH12Os101/22b7.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen * J* und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 und 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * R* sowie die Berufung der Privatbeteiligten S* S* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 21. April 2022, GZ 19 Hv 90/21m‑90, sowie die Beschwerde des genannten Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe, GZ 19 Hv 90/21m‑91, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00101.22B.1107.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten * R* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit gegenständlich von Bedeutung – * R* im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 12 Os 73/21h) des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und 2 StGB (1./) sowie mehrerer Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach (richtig) § 88 Abs 3 erster und zweiter Fall (2./a./) und der grob fahrlässigen Tötung nach „§ 81 Abs 1 und 2 StGB“ (2./b./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

1./ am 16. Jänner 2020 in V* im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit * J* und * Sc*dem * L* mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Päckchen mit maximal fünf Gramm Cannabiskraut, mit Gewalt abgenötigt, indem sie ihn, nachdem * J* * L* aufgefordert hatte auszusteigen und sein Internetmodem aus dem PKW herausgerissen und weggeworfen hatte, aus dessen PKW zerrten, ihn festhielten und anschrien, ihnen das Cannabiskraut zu geben, wobei die Tathandlung ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Werts begangen wurde und nur unbedeutende Folgen nach sich zog,

2./ am 1. August 2021 in G* als Lenker eines PKW grob fahrlässig (§ 6 Abs 3 StGB)

a./ durch gröbliches Außerachtlassen der im Straßenverkehr erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt und Aufmerksamkeit, nachdem er auf regennasser Fahrbahn und in Dunkelheit sowie unter Mitnahme von fünf Insassen in seinem lediglich für vier Insassen zugelassenen Fahrzeug auf der Flucht vor der Polizei teils mit einer Geschwindigkeit von zumindest 150 km/h (US 11) von der Fahrbahn abkam und am rechten Fahrbahnrand gegen eine Böschung fuhr, sodass sich das Fahrzeug überschlug, wodurch die nicht angegurteten Insassen I* S* und * W* aus dem Fahrzeug geschleudert wurden, andere am Körper verletzt, wobei * I* eine Schulterprellung rechts und Hautabschürfungen im Gesicht, * A* eine kleine Rissquetschwunde an der Stirn mit zahlreichen Glasfremdkörpern und * W* mehrere Rissquetschwunden im Gesicht, eine große Rissquetschwunde am Rücken und eine Prellung an der Schulter und am Arm links erlitten, und

b./ den Tod eines anderen herbeigeführt, indem der nicht angegurtete, im Fahrzeug befindliche I* S* bei der unter 2./a./ geschilderten Tat aus dem Fahrzeug geschleudert wurde und am 5. August 2021 an den Folgen des Unfalls verstarb,

nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand von 0,81 Promille rund zwei Stunden nach der Tat versetzt hatte, obwohl er vorhergesehen hat oder hätte können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Der dagegen aus Z 5, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * R* kommt keine Berechtigung zu.

[4] Die Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruch 1./ wendet sich mit der Behauptung eines Widerspruchs (Z 5 dritter Fall) und offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) gegen die Feststellungen zum Bereicherungsvorsatz (US 10).

[5] Sie beschränkt sich jedoch darauf, die diesbezüglich eingehende, den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen nicht widersprechende (RIS‑Justiz RS0118317) tatrichterliche Beweiswürdigung (US 16 f) unter Anstellung eigener Erwägungen zu kritisieren. Dass die Begründung des Erstgerichts den Beschwerdeführer nicht überzeugt, vermag keine Nichtigkeit herzustellen (RIS‑Justiz RS0118317 [T9], RS0116732 [T6]).

[6] Die Subsumtionsrüge (Z 10) strebt die rechtliche Beurteilung der Feststellungen zum Schuldspruch 1./ als Vergehen der „Nötigung allenfalls in Tateinheit mit dem Tatbestand der dauernden Sachentziehung im Sinne des § 135 StGB“ an. Indem sie moniert, die Konstatierungen zum „Zueignungs‑ oder Bereicherungsvorsatz“ stützten sich bloß auf die „verba legalia“, lässt sie offen, warum es den in dieser Hinsicht getroffenen Feststellungen (US 10) am gebotenen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (RIS‑Justiz RS0119090    [T3]).

[7] Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11) verstößt die aggravierende Wertung der Tatbegehung während anhängigen Verfahrens (US 23) nicht gegen die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK.

[8] Diese (§ 8 StPO, Art 6 Abs 2 MRK) ist nämlich nur verletzt, wenn das Gericht bei der Strafbemessung auf die Begehung einer Straftat als tatsächlichen Anknüpfungspunkt abstellt, die nicht Gegenstand des im angefochtenen Urteil gefällten oder eines sonstigen, rechtskräftigen Schuldspruchs ist (vgl RIS‑Justiz RS0132357, RS0074684 [insbesondere T7, T11], RS0119271, RS0091048; siehe auch Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 713 und 725; Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 36).

[9] Davon ausgehend ist die erschwerende Wertung der Begehung der dem Schuldspruch 2./ zugrundeliegenden Tat während anhängigen (Rechtsmittel‑)Verfahrens – wenngleich verfehlt als eigener (besonderer) Erschwerungsgrund im Sinn des § 33 Abs 1 Z 2 StGB und nicht als Strafzumessungsaspekt nach § 32 Abs 2 StGB (RIS‑Justiz RS0090984 [T1]) – nicht zu beanstanden. Ist doch der Schuldspruch des Beschwerdeführers wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB bereits seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 16. September 2021, AZ 12 Os 73/21h, rechtskräftig und erfolgte mit dem angefochtenen Urteil zudem der Schuldspruch 1./.

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[11] Die Entscheidung über die Berufungen und die implizite Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 vierter Satz StPO).

[12] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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