European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120NS00048.23I.0828.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Hofrat des Obersten Gerichtshofs * ist von der Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * M* gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 17. April 2023, GZ 12 Hv 49/22b‑129, ausgeschlossen.
An seine Stelle tritt Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
[1] Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 17. April 2023, GZ 12 Hv 49/22b‑129, wurden * L* und * M* je eines Verbrechens der betrügerischen Krida nach §§ 156 Abs 1, 161 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen verurteilt. Der Oberste Gerichtshof hat zu AZ 11 Os 74/23a über die im Spruch genannten Rechtsmittel zu entscheiden. Der Angeklagte L* hat gegen das Urteil keine Rechtsmittel erhoben.
[2] Hofrat des Obersten Gerichtshofs * ist Mitglied des Senats 11. Er zeigte seine Ausgeschlossenheit mit der Begründung an, er habe in diesem Verfahren als Richter des Oberlandesgerichts Graz mitgewirkt, das zu AZ 8 Bs 194/22y über den Anklageeinspruch des Angeklagten L* insofern entschieden habe, als dieser abgewiesen und die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift festgestellt worden sei. Der Schuldspruch des M* sei (nahezu) deckungsgleich mit dem gegen den Genannten erhobenen Anklagevorwurf, der Gegenstand „impliziter Prüfung“ im Rahmen der Entscheidung über den Anklageeinspruch gewesen sei.
[3] Ein Richter, der an der Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklage mitgewirkt hat, ist in analoger Anwendung des § 43 Abs 3 zweiter Fall StPO auch von der Entscheidung über die Rechtsmittel gegen das Urteil ausgeschlossen, soweit er über die zur Anklageerhebung notwendige (selbe) Verdachtslage entschieden hat (vgl RIS‑Justiz RS0097408 [T1]; Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 30).
[4] Die Bestimmungen über die Ausschließung knüpfen – soweit hier von Interesse – an ein Tätigwerden „in derselben Sache“ an. Die Beurteilung der Ausgeschlossenheit aufgrund von Vorbefasstheit erfolgt unter Heranziehung einer inhaltlichen Betrachtungsweise. Für die Frage der analogen Anwendung des § 43 Abs 3 StPO ist der Entscheidungsgegenstand der jeweiligen Verfahrensabschnitte maßgeblich (siehe 12 Ns 36/23z Rz 14 f mwN).
[5] EineBeteiligung an derselben Tat wird den Angeklagten hier nicht zur Last gelegt (vgl dazu 12 Ns 4/20i). Ferner hielt das Oberlandesgericht fest, dass kein Fall des beneficium cohaesionis vorliegt (BS 6 Rz 10). Nur bei Zutreffen einer der in § 212 StPO angeführten Einspruchsgründe auch auf eine Person, die keinen Einspruch erhoben hat, hat das Oberlandesgericht anlässlich des Anklageeinspruchs eines Angeklagten so vorzugehen, als ob ein solcher vorläge. Solcherart hat im Fall einer Entscheidung nach § 215 Abs 2 bis 4 StPO (nicht jedoch wie hier nach Abs 6 leg cit) das Einspruchsgericht nicht nur den beim Einspruchswerber bekannt gewordenen Unzulässigkeitsgrund aufzugreifen, sondern zu prüfen, ob dieser auch bei einem Mitangeklagten vorliegt. Eine darüber hinausgehende amtswegige Prüfpflicht sieht das Gesetz (§ 214 Abs 2 StPO) nicht vor (Birklbauer, WK‑StPO § 214 Rz 5 f; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 8.33; Rami in Kier/Wess, HB Strafverteidigung2 Kap 12 Rz 12.31).
[6] * hat solcherart im Rahmen der Beschlussfassung über den Anklageeinspruch des L* über die Verdachtslage in Ansehung des Beschwerdeführers M* nicht entschieden.
[7] § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO normiert ein amtswegiges Vorgehen bei Wahrnehmung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes auch in Bezug auf einen Angeklagten, hinsichtlich dessen von keiner Seite Nichtigkeitsbeschwerde erhoben wurde (RIS‑Justiz RS0100335 [T4]; Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 9).
[8] Damit schlägt die in Rede stehende Ausgeschlossenheit hier auf beide Angeklagten gleichermaßen durch, weil* aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des M* amtswegig materiell-rechtliche Nichtigkeitsgründe in Bezug auf den mit dem Anklagevorwurf nahezu deckungsgleichen Schuldspruch des L* zu prüfen hat. Hinsichtlich dieses Angeklagten hat er über die zur Anklageerhebung notwendige Verdachtslage bereits im Rahmen der Beschlussfassung über dessen Anklageeinspruch entschieden.
[9] Hofrat des Obersten Gerichtshofs * ist daher gemäß § 43 Abs 3 zweiter Fall StPO analog vom Rechtsmittelverfahren ausgeschlossen.
[10] An seine Stelle tritt aufgrund der laufenden Vertretungsregelung der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann (§ 45 Abs 2 StPO).
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