OGH 11Os99/16t

OGH11Os99/16t11.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Oktober 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen J***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 5. Juli 2016, GZ 38 Hv 50/16v‑79, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00099.16T.1011.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Gründe:

Mit dem angefochtenen – auch einen rechtskräftigen Freispruch des Angeklagten von einer weiteren Tat (vgl I./1./b./ und II./ iVm I./1./b./ der Anklageschrift ON 73) enthaltenden – Urteil wurde J***** (im Schuldspruch unbekämpft) jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1./ und I./2./), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./1./ bis II./4./) und nach § 207 Abs 2 StGB (II./5./ bis II./13./), „eines“ Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III./), mehrerer „Verbrechen nach § 207a Abs 2 erster Fall StGB“ (IV./) sowie jeweils mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 2 StGB (V./), nach § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB idF BGBl I 2004/15 (VI./1./), „nach § 207a Abs 3 erster Satz StGB idF BGBl I 2004/15“ (VI./2./) und nach § 207a Abs 3a StGB (VII./1./ und VII./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz –

I./ mit Unmündigen dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen, indem er

1./ in L***** an dem am 2. Juli 2000 geborenen M***** zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten zwischen Anfang 2006 und 8. Juli 2007 den Oralverkehr vollzog:

2./ in Deutschland, *****, zwischen Frühling 2006 und 16. Juli 2006 zumindest einmal die am 18. Mai 1999 geborene M***** an der Vagina leckte und zugleich seinen linken Finger in ihre Vagina einführte.

Vom „weiters wider ihn erhobenen Tatvorwurf“, er habe die oben beschriebenen Taten (siehe I./1./a./ und I./2./ sowie II./ iVm I./1./a./ und I./2./ der Anklageschrift) durch Nötigung der dort genannten Unmündigen zur Duldung der dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen mit Gewalt begangen, indem er sie mit einer unbekannten Substanz, vermutlich dem Medikament „B*****“ betäubte, „sohin zum Anklagevorwurf der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/16“ wurde der Genannte (ebenfalls) „gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen“ (zur Unzulässigkeit eines „Subsumtionsfreispruchs“ bei Tateinheit [Idealkonkurrenz] vgl RIS-Justiz RS0115553, RS0091051, RS0120128; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1; Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 563).

Rechtliche Beurteilung

Ausschließlich gegen den zuletzt dargestellten „Freispruch“ (betreffend Punkt I./1./a./ und I./2./ der Anklageschrift) richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB anstrebt.

Die Beschwerde kritisiert aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO bloß die Begründung der Negativfeststellungen zur Frage der Verabreichung einer betäubenden Substanz an die Opfer bei Begehung der zu I./1./ und I./2./ des Schuldspruchs inkriminierten Taten (US 10 f, 18 f), spricht damit allein letztlich aber keine für die angestrebte Subsumtion des Tatgeschehens auch unter § 201 Abs 1 StGB entscheidenden Tatsachen an, weil sie das Fehlen von (positiven) Feststellungen zur entsprechenden subjektiven Tatseite und zum hievon umfassten Ursachenzusammenhang der Betäubung mit den dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen (Philipp in WK² StGB § 201 Rz 17, 35) unbekämpft lässt. Damit erweist sie sich von vornherein als offenbar unbegründet (vgl RIS-Justiz RS0130509; EvBl‑LS 2016/79), weshalb sich eine inhaltliche Prüfung der einzelnen Argumente der Mängelrüge erübrigt.

Bleibt jedoch mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) anzumerken:

Das Erstgericht unterstellte den dem Schuldspruch IV./ zu Grunde liegenden Sachverhalt rechtsirrig dem § 207a Abs 2 erster Fall StGB (idgF). Die im Tatzeitraum (von Anfang 2006 bis 8. Juli 2007) in Geltung stehende Bestimmung des § 207a idF BGBl I 2004/15 ist für den Angeklagten demgegenüber (im Gesamten gesehen) – worauf die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend hinweist – günstiger, weil zwar die (bloße) Herstellung pornographischer Darstellungen Minderjähriger – ebenso wie in der geltenden Fassung – mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht war (§ 207a Abs 1 Z 1 StGB), eine solche mit erweitertem Vorsatz zur Verbreitung begangene Tathandlung (§ 207a Abs 2 erster Fall StGB idgF) damals aber (noch) nicht qualifizierend wirkte.

Zu VI./2./ des Schuldspruchs wiederum sah die im Tatzeitraum (1. Mai 2004 bis 21. Oktober 2015) geltende Fassung des § 207a Abs 3 erster Satz StGB für den Besitz von pornographischen Darstellungen mündiger Minderjähriger eine Strafdrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe vor. Demgegenüber sieht die seit 1. Jänner 2016 und damit im Zeitpunkt der Urteilsfällung erster Instanz geltende Fassung des Abs 3 erster Satz leg cit eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder (alternativ) eine Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen vor. Somit wäre vom Erstgericht zu VI./2./ die geltende Fassung anzuwenden gewesen, weil eine alternativ angedrohte Geldstrafe günstiger ist als eine erst durch Strafumwandlung (§ 37 StGB) mögliche (vgl RIS-Justiz RS0088989; 10 Os 153/79).

Da jedoch die – für den für die Strafbemessung zur Verfügung stehenden Strafrahmen (§ 28 Abs 1 StGB; zur Einordnung einer alternativen Strafdrohung beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen vgl Ratz in WK2 StGB § 28 Rz 6) irrelevante – unrichtige Subsumtion (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO benachteiligt (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 22 ff) und das Oberlandesgericht auf Grund dieses Hinweises die verfehlte rechtliche Unterstellung bei der Entscheidung über die vom Angeklagten gegen den Sanktionsausspruch erhobene Berufung zu berücksichtigen hat (RIS‑Justiz RS0118870 [insbesondere T8 und T9]), besteht zu einer amtswegigen Wahrnehmung der darin gelegenen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) kein Anlass.

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten folgt (§ 285i StPO).

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