OGH 11Os99/05a

OGH11Os99/05a15.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eck als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz W***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Linz vom 24. Mai 2005, GZ 34 Hv 12/05a-100, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz W***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB (1) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 erster und elfter Fall StGB (5) sowie der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 (zu ergänzen: vierter Fall) StGB (2), der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1, Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB (3) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB (4) schuldig erkannt. Danach hat er am 1. August 2004 in Auberg Arnreit und anderen Orten im Bezirk Rohrbach

1) Sonja G***** dadurch fahrlässig am Körper verletzt, dass er die in gleiche Richtung (Haslach) fahrende Radfahrerin mit seinem Pkw anfuhr, sie nach rechts von der Fahrbahn abdrängte, dadurch zu Sturz brachte und anschließend durch Rückwärtsfahren den Kopf der am Boden Liegenden überrollte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung verbunden mit einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung, nämlich einen Bruch des siebten Halswirbelkörpers mit Läsion der Bodenplatte des sechsten Wirbels, einen Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers, eine Gehirnerschütterung mit Bewusstseinsverlust sowie Prellungen und Hautläsionen im Schulter-, im Knie- und im Bereich der rechten Elle zur Folge hatte;

2) im Anschluss daran die Bewusstlose unter Ausnützung dieses Zustands einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, derentwegen Sonja G***** unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, dadurch missbraucht, dass er ihr einen Finger in die Scheide einführte, sohin an ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornahm;

3) Sonja G***** nach Erlangen des Bewusstseins widerrechtlich gefangen gehalten oder ihr „auf andere Weise" die persönliche Freiheit entzogen, indem er die Schwerverletzte im Anschluss an die unter 2) geschilderte Tathandlung über viele Stunden in seiner Gewalt hielt, zeitweise auch an den Handgelenken fesselte, zum Teil in den Kofferraum seines Pkws in Kauerstellung sperrte, sodass sie Todesangst litt, ihr durch rücksichtslose Fahrweise zusätzlich Schmerzen bereitete und sie über einen gesamten Tag der Hitze aussetzte, ohne sie mit Getränken oder Nahrung zu versorgen bzw ihr ärztliche Hilfe zukommen zu lassen und ihr gegenüber das Anlegen von Fesseln mit den Worten, dass er auch anders könne, wenn sie keine Ruhe gebe, rechtfertigte, wodurch er die Freiheitsentziehung auf solche Weise beging, dass sie der Festgehaltenen besondere Qualen bereitete, und unter solchen Umständen, dass sie für die Festgehaltene mit besonders schweren Nachteilen verbunden war;

4) Sonja G***** mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er, verbunden mit der Ankündigung, er könne sie erneut fesseln, damit sie nicht um sich schlage, ihren linken Arm mit einem Strick an der Anhängevorrichtung oder der Stoßstange seines Pkws festband und ihr einen Finger in die Scheide einführte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) in Form einer schwerwiegenden posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10) zur Folge hatte;

5) Sonja G***** durch die Äußerungen, er sei bei der Mafia, es sei nicht leicht, „wenn man jemandem gegenüber stehe und jemanden erschieße; wieviel sei ein Menschenleben schon wert; er könne sie nicht gehen lassen, das gehe nicht; er rufe einen Mafiafreund an", wiederholt mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, wodurch er sie längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzte.

Die Geschworenen hatten die anklagekonforme Hauptfrage 1 nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und die hiezu gestellte Eventualfrage 2 nach dem Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB verneint. Die weiters gestellte Eventualfrage 3 nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB hatten sie ebenso bejaht wie die Hauptfrage 4 nach dem Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB, die Hauptfrage 5 nach dem Verbrechen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1, Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB, die Hauptfrage 6 nach dem Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB sowie die Hauptfrage 7 nach den Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 erster und elfter Fall StGB. Weitere Fragen waren nicht gestellt worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Sache nach nur den Schuldspruch wegen § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB (4) bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs 1 Z 5, 6, 8, 9, 10 und 10a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch - wie der Generalprokurator zutreffend ausführte - Berechtigung nicht zukommt.

Soweit die Rüge inhaltlich des (eventualiter) auf gänzliche Urteilsaufhebung abzielenden Rechtsmittelantrages der Sache nach auch die Schuldsprüche 1 bis 3 und 5 erfasst, ist sie mangels Substantiierung nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt und damit keiner sachbezogenen Erwiderung zugänglich (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2, 344 StPO).

Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider wurden durch die Nichtzulassung der an den Sachverständigen aus dem Bereich der forensischen Neuropsychiatrie gerichteten Frage, ob es „in den Lehren ein bekanntes Phänomen" sei, dass bei einem „Menschen, der ein schweres Trauma hat und sich nicht mehr genau erinnern kann, was mit ihm [Schlimmes] passiert ist", die vorhaltende Schilderung eines Sachverhaltes „zu Schwierigkeiten" führe bei der „Unterscheidung, was wirklich passiert ist und was stelle ich mir vor, was passiert ist, was befürchte ich und was glaube ich" (S 319 f/IV), Verteidigungsrechte (Art 6 EMRK) nicht verletzt, fehlte doch jegliche konkrete Darlegung, inwiefern die nur allgemeine Erfahrungswerte ansprechende Fragestellung an den Sachverständigen Dr. Ernst Gr*****, der den Angeklagten untersucht hatte und zur Beurteilung von dessen Diskretions- und Dispositionsfähigkeit beigezogen worden war (siehe dagegen unter konkretem Fallbezug das Gutachten der psychologischen Sachverständigen Dr. Sieglinde O*****, die das Opfer Sonja G***** untersucht hatte, S 341/IV), für die Entscheidung über die Schuld oder das anzuwendende Strafgesetz hätte von Bedeutung sein sollen. Das weitere diesbezügliche Vorbringen, dem im Schockzustand befindlichen Tatopfer sei im Rahmen der Erstbefragung durch Gendarmeriebeamte die Verantwortung des Angeklagten vorgehalten worden, wodurch sich die hohe Wahrscheinlichkeit ergebe, dass das Opfer zwischen vorgehaltenem Sachverhalt und persönlich Erlebtem nicht klar unterscheiden habe können und dass aus diesem Missverständnis heraus ein zweimaliger Vorfall sich ins Gedächtnis gebrannt habe, obwohl nur ein einziger Vorfall stattgefunden habe", ist aktenwidrig, weil nach dem als Aktenvermerk bezeichneten Protokoll über die Befragung Sonja G*****s diese den Tathergang ohne vorausgehenden Vorhalt der Einlassung des Angeklagten selbständig schilderte (S 23 ff/I).

Im Übrigen kann die Sachverhaltsgrundlage einer vom zuständigen richterlichen Organ in freier Beweiswürdigung zu treffenden prozessualen Verfügung nur nach den Kriterien der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO überprüft werden (11 Os 20/05h ua mwN, jüngst 12 Os 81/05m). Demzuwider setzt sich der Beschwerdeführer mit der Begründung des Schwurgerichtshofes für die Ablehnung der oben erwähnten Frage (die Zeugin sei dem nur den Angeklagten begutachtenden Experten völlig unbekannt, S 321/IV) überhaupt nicht auseinander.

Die im Rahmen der Verfahrensrüge erhobene Kritik der Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage nach § 205 Abs 1 StGB zur Hauptfrage 6 übersieht, dass Verletzungen von Vorschriften über die Fragestellung (§§ 312 bis 317 StPO) auch dann bloß nach § 345 Abs 1 Z 6 geltend zu machen sind, wenn - wie vorliegend - ein die Fragestellung betreffender Parteiantrag mit Zwischenerkenntnis des Schwurgerichtshofes (S 359/IV) abgelehnt wurde (Mayerhofer StPO5 § 345 Z 5 E 5 zweiter Rechtssatz).

Die Fragenrüge (Z 6) lässt indes ebenfalls eine gesetzmäßige Darstellung vermissen, bezieht sie sich doch (inhaltlich auch unter Z 8) - zur Hauptfrage 6 die Stellung einer Eventualfrage nach § 205 Abs 1 StGB anstrebend - prozessordnungswidrig (§ 314 Abs 1 StPO) nicht auf Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung. Während der Angeklagte nämlich die die Hauptfrage 4 betreffende, vom Erstgericht nach § 205 Abs 1 StGB qualifizierte (erste) Missbrauchshandlung zugestand, bestritt er, den der Hauptfrage 6 zu Grunde liegenden (zweiten) sexuellen Übergriff überhaupt begangen zu haben, und berichtigte ausdrücklich seine vor Beamten des Landesgendarmeriekommandos getätigten anderslautenden Angaben (S 229 ff, 239 ff und 267 f/IV). Deshalb und mangels Aufzeigens anderer entsprechender Ergebnisse der Hauptverhandlung (vgl vielmehr die Zeugenvernehmung G***** ON 44; S 333, 501/IV) war die Stellung einer Eventualfrage nicht indiziert und unterblieb daher zu Recht (vgl Mayerhofer StPO5 § 345 Z 6 E 14a bis 14c). Der leugnenden Verantwortung des Angeklagten hätten die Geschworenen durch Verneinung der Hauptfrage 6 Rechnung tragen können. Der Vollständigkeit halber (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 344 StPO) sei erwähnt, dass Gewalt als Tatbildmerkmal des § 201 StGB keinen besonders ausgeprägten oder gar effizienten Widerstand dagegen erfordert (Schick in WK² § 201 Rz 25; Jerabek in WK² § 74 Rz 35) und daher nur bei - schon vor dem Gewalteinsatz gegebener - (völliger) Wehrlosigkeit (= Widerstandsunfähigkeit, vgl Fabrizy StGB8 ErgH § 205 Rz 1), nicht jedoch bei bloßer Einschränkung derselben ausscheidet (vgl Schick aaO § 205 Rz 9).

Der Einwand der Instruktionsrüge (Z 8), wonach der „Begriff der Wehrunfähigkeit nicht ausreichend klar dargestellt sei", lässt nicht deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2, 344 StPO) erkennen, aus welchem Grund die diesbezüglichen Darlegungen der den Geschworenen zuteil gewordenen juristischen Information (S 412 f/IV, auch S 419/IV) den hier an §§ 201, 205 StGB orientierten Erfordernissen des § 321 Abs 1 StPO nicht entsprechen sollten. Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vermissten „entsprechenden plastischen und mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Einklang stehenden Praxisbeispiele" sind nicht Gegenstand der schriftlichen Rechtsbelehrung (vgl Mayerhofer StPO5 § 345 Z 8 E 14).

Die weitere Behauptung, in der Rechtsbelehrung würde „bei der Wehrlosigkeit nur der psychische Effekt genannt" und würden „lediglich § 11 und vergleichbare angeführte geistige Defekte wie Geisteskrankheit, Schwachsinn, tiefgreifende Bewusstseinsstörung erklärt", ist schlicht aktenwidrig, negiert sie doch den tatsächlichen Inhalt der Rechtsbelehrung, wonach „sich eine Person in einem Zustand der Wehrlosigkeit befindet, wenn sie in extremer Lage der Hilflosigkeit ist, in der sie aus psychischen oder physischen Gründen nicht fähig ist, sich zur Wehr zu setzen" (S 412 f/IV). Der Einwand, es werde „in keinster Art und Weise erklärt, dass im Gegensatz zur Gesetzeslage und tatsächlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch körperliche Defekte in Kombination mit Bewusstseinsstörungen diesen Zustand herbeiführen können", ist mangels Konkretisierung einer sachbezogenen Replik nicht zugänglich. Mit der bloßen Kritik, die Rechtsbelehrung zur Hauptfrage 6 würde „in keiner Art und Weise auf die Unterscheidung zu § 205 StGB eingehen" und auch „bezüglich der Gewalteinwirkung viel zu wenig die Qualifikation der schweren Folgen erklären", unterlässt die Rüge die konkrete Darstellung eines unter dem Gesichtspunkt irreführender Unvollständigkeit fehlenden Belehrungsinhaltes und entzieht sich somit neuerlich meritorischer Erwiderung (vgl Ratz in WK-StPO § 345 Rz 65).

Mit lediglich auf die Niederschrift der Geschworenen gestützten Argumenten bringt der Beschwerdeführer den von ihm herangezogenen, ausschließlich aus dem Wahrspruch selbst ableitbaren (vgl Mayerhofer aaO § 345 Z 9 E 7; § 331 E 10 ff) Nichtigkeitsgrund der Z 9 nicht zur gesetzmäßigen - und sachlich erwiderungsfähigen - Darstellung. Die Moniturrüge (Z 10 zweiter Fall) versagt, weil sie die Voraussetzungen des § 332 Abs 2 erster Fall StPO (hinsichtlich der Hauptfrage 6) nicht einmal behauptet (vgl 15 Os 135/00). Indem die Tatsachenrüge (Z 10 a) bloß unter Wiederholung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten und mit spekulativen Ausführungen zu einer allenfalls eingeschränkten Erinnerungsfähigkeit des Tatopfers und „ungeschickten Verhörmethoden" der Polizei die der Hauptfrage 6 zu Grunde liegende Tat bestreitet, vermag sie aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen nicht zu erwecken.

Das substratlose Vorbringen schließlich, wonach „hier ganz glasklar ein moralisch und ethisch beeinflusstes Urteil ergangen und dies insofern rechtswidrig" ist, „als dass auch ein Eid abgelegt worden ist unvoreingenommen und nur das Für und das Wider beachtend zu einem Schuldspruch bzw. zu einer Strafe zu kommen", ist einer sachbezogenen Entgegnung nicht zugänglich.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

Über die Berufung wird somit das Oberlandesgericht Linz zu entscheiden haben (§§ 280, 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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