OGH 11Os97/14w

OGH11Os97/14w25.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mohamad S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 17. Juli 2014, GZ 25 Hv 158/13x‑26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten und dessen Verteidigers Mag. Demetri zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0110OS00097.14W.1125.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I./2./ und II./ wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (ersatzlos), demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Mohamad S***** wird für das durch die zu I./1./, I./2./ und II./ beschriebenen Tathandlungen begangene Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Strafteil von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mohamad S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./1./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (I./2./) und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 22. September 2013 in T***** Julia K***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er sie für einen Zeitraum von 42 Minuten in einer Toilettenkabine festhielt, dabei mehrfach seine Faust in ihren Mund schob sowie diesen mit seiner flachen Hand verschloss, sie gegen die Wand stieß und auf den Toilettensitz hinabdrückte,

I./ zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung teils genötigt, teils dies versucht, und zwar

1./ zur Einführung eines Fingers in ihre Scheide und

2./ zur Durchführung des Oralverkehrs, indem er ihren Kopf zu seinem erigierten Glied führte, wobei die Tatvollendung unterblieb, weil das Opfer seinen Mund nicht öffnete und sein Gesicht von ihm abwandte;

II./ zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an ihm genötigt, indem er seinen Penis in ihre Hand legte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und b, 10 und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Mit dem Vorwurf der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall), der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) und der offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) wendet sich der Beschwerdeführer gegen die zu I./1./ getroffene Feststellung, wonach der Angeklagte den „Intimbereich“ der tatbetroffenen Frau berührte und ‑ wenn auch nur kurz ‑ mit einem Finger in ihre Scheide eindrang (US 3 dritter Absatz). Dem dazu erstatteten Vorbringen der Mängelrüge (inhaltlich nur Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Erstgericht jedoch die Abweichungen zwischen den Angaben dieser Zeugin in der polizeilichen und in der kontradiktorischen Vernehmung (US 5 f), der leugnenden Verantwortung des Angeklagten (US 5 erster Absatz) und der Aussage der Zeugin Cornelia D*****, das Opfer habe erzählt, dass der Angeklagte lediglich „probiert“ hätte, ihm „in die Hose zu greifen“ (US 7 erster Absatz), gar wohl erwogen. Dass diese Verfahrensergebnisse auch andere Schlüsse zuließen als die - mit denkrichtiger Begründung (Z 5 vierter Fall) - vom Erstgericht gezogenen, stellt keinen formalen Begründungsmangel im Sinne der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO dar (RIS-Justiz RS0098471, RS0099455, RS0098400, RS0098362).

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen bat die Zeugin den Angeklagten, er solle sie gehen lassen, und brachte mit den Worten „lass mich raus“ und „let me out“ zum Ausdruck, dass sie mit geschlechtlichen Handlungen durch ihn nicht einverstanden war (US 3 dritter Absatz). Ferner versuchte sie mehrmals, aufzustehen und die Toilettenkabine zu verlassen, was der Angeklagte - von seinem Vorsatz erfasst (US 4 vierter Absatz) - stets verhinderte, indem er sie an den Hüften packte, sie wieder auf den Toilettensitz drückte (US 3 dritter Absatz) und sie mit Gewalt daran hinderte, zu schreien (US 3 vierter Absatz).

Indem die gegen den Schuldspruch I./1./ erhobene Rechtsrüge (nominell Z 9 lit a und b, der Sache nach nur Z 9 lit a) mit der Behauptung, das Erstgericht habe keine Feststellungen zum Fehlen der Einwilligung des Opfers (als implizitem Tatbestandsmerkmal des § 201 Abs 1 StGB [vgl RIS-Justiz RS0095071; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 38 ff]) getroffen, diese Urteilsannahmen übergeht, bringt sie den geltend gemachten (materiellen) Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584).

Gleiches gilt für die - eine rechtliche Unterstellung des vom Schuldspruch I./1./ erfassten Verhaltens unter den Tatbestand des § 202 Abs 1 StGB reklamierende - Subsumtionsrüge (Z 10), soweit sie vermeint, das - nur kurzzeitige (US 3) - Einführen eines Fingers in die Scheide des Opfers könne das Tatbild des § 201 Abs 1 StGB nicht erfüllen, und dabei die Feststellung des (just) auf dessen Verwirklichung gerichteten Vorsatzes (US 4) vernachlässigt.

Der Vollständigkeit halber sei dazu ergänzt, dass als dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung im Sinne des § 201 Abs 1 StGB - wie der Rechtsmittelwerber freilich zutreffend ausführt - (nur) eine solche (vaginale, orale oder anale) Penetration (mit Finger, Zunge oder Gegenständen) anzusehen ist, die - nach Maßgabe der Intensität und Schwere des Eingriffs und der Demütigung und Erniedrigung des Opfers - in der Summe ihrer Auswirkungen dem Beischlaf vergleichbar ist (RIS-Justiz RS0095004, RS0094905, RS0115232). Der Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB verlangt aber nach gefestigter Rechtsprechung (in objektiver Hinsicht) nicht den „Vollzug“ des Beischlafs oder einer diesem gleichzusetzenden Handlung; es genügt vielmehr, dass der Täter anfängt, eine solche Handlung vorzunehmen, und das Tatopfer beginnt, diese zu erdulden (RIS-Justiz RS0115581, RS0090720; vgl Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 43 ff). Das Delikt ist daher schon dann vollendet, wenn es noch zu gar keinem Eindringen (hier:) eines Fingers in die Vagina des Opfers, wohl aber bereits zu einer Berührung dessen äußeren Geschlechtsteils gekommen ist (RIS-Justiz RS0115581 [T2, t3]), sofern der Täter dabei - wie hier (US 4) - mit dem Vorsatz handelte, das Tatopfer mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafs oder einer diesem gleichzusetzenden Handlung zu nötigen.

Insoweit war daher ‑ wie bereits die Generalprokuratur zutreffend geltend machte ‑ die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Hingegen wendet die weitere Subsumtionsrüge (Z 10) zutreffend ein, dass die zu I./1./, I./2./ und II./ festgestellten Angriffe des Angeklagten nach dem Tatsachensubstrat des Ersturteils eine von einheitlichem Vorsatz getragene tatbestandliche Handlungseinheit bilden (zu dieser Rechtsfigur 13 Os 1/07g [verst Senat]; RIS-Justiz RS0122006; Ratz in WK² StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 89). Die über den Schuldspruch I./1./ hinausgehende, zusätzliche Annahme eines (weiteren) Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (I./2./) ist daher ebenso verfehlt, wie die gesonderte rechtliche Unterstellung der gewaltsamen Nötigung des Vergewaltigungsopfers zum Ergreifen des Penis des Angeklagten (II./) als Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (RIS-Justiz RS0120233, RS0117038; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 49).

Als Konsequenz daraus waren - neuerlich in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Schuldspruch I./2./ nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und der Schuldspruch II./ nach § 202 Abs 1 StGB (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO - vgl hiezu Lendl, WK-StPO § 260 Rz 27) ersatzlos zu beseitigen, was auch zur Kassation des Strafausspruchs führt.

Das weitere, die Schuldsprüche I./2./ und II./ betreffende Beschwerdevorbringen sowie die Sanktionsrüge (Z 11) können damit auf sich beruhen.

Bei der erforderlichen Neubemessung der Strafe war kein Umstand erschwerend, mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel des Angeklagten. Im Rahmen der Bewertung der Strafzumessungsschuld war ferner die - auch bei rechtsrichtiger Subsumtion der (mehreren) Tathandlungen anzunehmende - erhöhte Tatintensität ebenso zu berücksichtigen (§ 32 Abs 3 StGB) wie der Umstand, dass der Angeklagte sein Opfer fast eine dreiviertel Stunde lang in seiner Gewalt hielt. Ausgehend von diesen Erwägungen war nach § 201 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten auszumessen, wovon - mit Rücksicht auf § 295 Abs 2 erster Satz StPO und den eingeschränkten Umfang der Anfechtung durch die Staatsanwaltschaft (vgl Ratz, WK-StPO § 295 Rz 8 f) - gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Strafteil von 16 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachzusehen war.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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