Spruch:
Der am 22. Jänner 2013 in der Hauptverhandlung in Urteilsform ergangene Ausspruch, wonach das Bezirksgericht Innsbruck in der vorliegenden Strafsache sachlich unzuständig sei, verletzt das Gesetz in §§ 261 Abs 1 und 263 Abs 2 StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO.
Dieses Urteil wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Innsbruck aufgetragen, sich im Umfang der mit Strafantrag vom 19. November 2012 angeklagten Taten der Verhandlung und Urteilsfällung zu unterziehen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck legte Bayram S*****, Enes S***** und Alexander W***** mit Strafantrag vom 19. November 2012 ein jeweils am 3. September 2012 in Innsbruck durch das Versetzen von Schlägen begangenes, von ihr rechtlich als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten, Alexander W***** zudem auch ein als Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB subsumiertes Tatgeschehen zur Last (ON 3).
In der gegen die drei Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung vom 22. Jänner 2013 dehnte der öffentliche Ankläger den Strafantrag gegen Bayram S***** auf zwei weitere, vom Strafantrag bisher nicht umfasste Taten aus, die von ihm rechtlich als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und als Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB eingestuft wurden.
Danach habe Bayram S***** am 3. September 2012 in Innsbruck den Alexander W***** mit einem Stanley-Messer in Furcht und Unruhe versetzt und am gleichen Tag und Ort durch Verstellen des Gehsteigs mit seinem PKW am Weitergehen gehindert (ON 6 S 6).
Daraufhin sprach der Bezirksrichter die „sachliche Unzuständigkeit des Bezirksgerichts Innsbruck in der vorliegenden Strafsache“ aus, wobei er auf die Vorgänge im Verfahren und darauf verwies, dass die Jurisdiktion hinsichtlich der Vergehen der Nötigung und der gefährlichen Drohung nach §§ 105, 107 Abs 1 StGB nicht dem Bezirksgericht obliege (ON 6 S 18).
Über die gegen das Urteil (ON 7) erhobenen (als „Einspruch“ bezeichneten) Berufungen der Angeklagten Bayram S***** und Enes S***** (ON 8) wurde bislang noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht die Vorgangsweise des Bezirksgerichts Innsbruck mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß §§ 447, 458 zweiter Satz StPO gelangen die Bestimmungen der §§ 261, 263 StPO auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht zur Anwendung.
Bezugspunkt der Prüfung von sachlicher Zuständigkeit oder Unzuständigkeit bildet nach § 261 Abs 1 StPO die unter Anklage gestellte Tat (im prozessualen Sinn) samt Modifikationen des Anklagesachverhalts ohne Änderung des Prozessgegenstands (RIS‑Justiz RS0119355; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 493; Lewisch, WK‑StPO § 261 Rz 7).
Wird der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer anderen, von der angeklagten verschiedenen, nicht in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallenden Tat beschuldigt, hat das Bezirksgericht das Urteil gemäß § 263 Abs 2 StPO auf den Gegenstand der Anklage zu beschränken und dem Ankläger ‑ auf sein Verlangen ‑ die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen Tat vorzubehalten.
Da nach den bisherigen Verfahrensergebnissen die den Gegenstand der Anklageausdehnung bildenden Verhaltensvorwürfe nicht in Tateinheit mit dem Verletzungssachverhalt begangen wurden und keine bloßen Modifikationen des Anklagesachverhalts darstellen (vgl zur Frage der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum auch Fabrizy, StPO11 § 262 Rz 2; Lewisch, WK‑StPO § 262 Rz 32 ff und 55 mwN), hätte der Bezirksrichter das Urteil gemäß § 263 Abs 2 StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO auf den Gegenstand der Anklage beschränken und (aufgrund des durch die Anklageausdehnung bereits unmissverständlich erklärten Verfolgungswillens, vgl Lewisch, WK‑StPO § 263 Rz 71 mwN) dem Ankläger die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen Taten vorbehalten müssen.
Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung geeignet ist, zum Nachteil der Angeklagten zu wirken, war deren Feststellung in Ausübung des dem Obersten Gerichtshof gemäß § 292 letzter Satz StPO zustehenden Ermessens mit der aus dem Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verknüpfen.
Soweit die Generalprokuratur aber darüber hinaus hinsichtlich der von der Ausdehnung umfassten Taten die Rechtsauffassung vertritt, dass mangels einer seitens der Staatsanwaltschaft nach § 281 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO erfolgten Anfechtung des Unzuständigkeitsurteils, das nicht als Verfolgungsvorbehalt verstanden werden könne, gemäß § 263 Abs 2 letzter Halbsatz StPO ein Verlust des Verfolgungsrechts eingetreten sei, kann ihr schon deshalb nicht gefolgt werden, weil § 281 Abs 1 Z 7 iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO auf Endurteile abstellt und eine Unzuständigkeitsentscheidung, der ‑ wie hier ‑ ein anderer Prozessgegenstand als jener der ursprünglichen Anklage zugrunde liegt, nicht umfasst (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 494, 547). Das (hier gemäß § 281 Abs 1 Z 6 iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO nichtige) nicht die Anklage erledigende Unzuständigkeitsurteil stellt keine endgültige Beendigung des Hauptverfahrens, sondern eine bloße Zwischenerledigung im noch laufenden Verfahren dar. Es löst als Formalurteil weder das Verbot nochmaliger Anklage noch ein Verbot der Entscheidung in derselben Sache aus (vgl Lewisch, WK‑StPO Vorbem §§ 352 bis 363 Rz 99; § 261 Rz 7; RIS‑Justiz RS0125315). Ebenso wenig zieht es den Verlust des Verfolgungsrechts bezüglich der in der Hauptverhandlung ausgedehnten Taten nach sich.
Im weiteren Verfahren wird von der Staatsanwaltschaft aber zu beachten sein, dass die neue Hauptverhandlung von der vorangegangenen gänzlich verschieden ist (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 293 Rz 3).
Überdies sei angemerkt, dass die Fällung eines Unzuständigkeitsurteils von der folgenden Sachentscheidung ausschließt (12 Os 96/10z und 12 Os 40/10i sowie die darin zitierten Kommentarmeinungen zu § 43 Abs 2 StPO).
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