OGH 11Os18/98

OGH11Os18/9823.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.März 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Ebner, Dr.Schmucker und Dr.Habl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Poech als Schriftführerin in dem beim Landesgericht Innsbruck zum AZ 34 Vr 1143/97 anhängigen Verfahren zur Unterbringung des Martin Engelbert M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 (iVm §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1, 125, 126 Abs 1 Z 7) StGB über dessen Antrag auf Feststellung eines Ersatzanspruches gemäß § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Für die von Martin Engelbert M***** in der Zeit vom 30.April 1997, 8,45 Uhr, bis zum 25.August 1997, 12,00 Uhr, erlittene strafgerichtliche Anhaltung im Verfahren zum AZ 34 Vr 1143/97 des Landesgerichtes Innsbruck liegen die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches nach § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG nicht vor.

Text

Gründe:

Gegen Martin Engelbert M***** war beim Landesgericht Innsbruck die Voruntersuchung wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB sowie der Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (unter Bedachtnahme auf das Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB) anhängig.

Er wurde - nachdem vorerst mit Beschluß vom 22.April 1997 über ihn die Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO verhängt worden war - seit 30.April 1997 gemäß § 429 Abs 4 StPO aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO im psychiatrischen Krankenhaus Hall angehalten, weil er im Verdacht stand, unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit aus- schließenden, auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand (§ 11 StGB) am 21.April 1997 in Reutte als PKW-Lenker durch vorsätzliches (absichtliches) Losfahren mit hoher Geschwindigkeit auf zwei andere besetzte Fahrzeuge in einem Fall einen Zusammenstoß mit schwerem Sachschaden und schwerer Verletzung von Lenker und Beifahrer, im anderen die Erzwingung des Auslenkens über eine Böschung in ein Feld mit konkreter Gefährdung der Fahrzeuginsassen und gleichfalls erheblicher Beschädigung des Fahrzeugs dolos herbeigeführt zu haben.

Seiner gegen die am 23.Juli 1997 verfügten Fortsetzung dieser Sicherungsmaßnahme (ON 35) erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 5.August 1997, AZ 6 Bs 358/97, nicht Folge und sprach gemäß § 181 Abs 1 und Abs 2 StPO aus, daß dieser Beschluß bis längstens 6.Oktober 1997 wirksam sei (ON 45). Wenngleich § 181 Abs 1 StPO iVm §§ 182 Abs 4 und 429 Abs 5 StPO in einem solchen Fall von "Fortsetzung" der Untersuchungshaft oder der vorläufigen Anhaltung spricht, hat die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl 12 Os 15/95, 13 Os 12/95, 13 Os 110/95, 15 Ns 4/94) den Standpunkt vertreten, daß dadurch der Gerichtshof zweiter Instanz die Untersuchungshaft oder vorläufige Anhaltung iSd § 6 Abs 1 StEG "verlängert" hat.

Das Oberlandesgericht gründete das Vorliegen des - vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen - dringenden Tatverdachtes auf die bisherigen Ergebnisse der Voruntersuchung, wobei es auf Grund des (ergänzten) gerichtspsychiatrischen Gutachtens des Univ.Prof. Dr.P***** (ON 23 und 27) davon ausging, daß sich der Betroffene zur Tatzeit in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand (§ 11 StGB) infolge einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades befunden hat, die Gefährlichkeitsprognose aber ungeachtet seiner seit der Tatzeit eingetretenen Verbesserung des psychischen Zustandsbildes jedenfalls auch noch zum Zeitpunkt bei Erstellung des Ergänzungsgutachtens am 16.Juni 1997 - in dem insbesondere darauf eingegangen wurde, daß es bei M***** auch zu schizophrenen Wahnbildungen gekommen ist, die noch immer nicht gänzlich abgeklungen sind (ON 27) - eindeutig zu bejahen sei und eine weitere Beobachtung durch zwei bis drei Monate durchgeführt werden müsse, um dann beurteilen zu können, ob künftig eine ambulante Betreuung ausreichend sein könnte. Eine Substituierbarkeit der Maßnahme sei - nach Ansicht des Oberlandesgerichtes - bei der gegebenen Fallkonstellation nicht möglich.

Nach den in weiterer Folge eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten des Prim. Univ.Doz. Dr.Reinhard H***** vom

22. und 26.August 1997 (ON 50 und 53) war die (davor notwendige - siehe oben) weitere Unterbringung des Betroffenen zufolge Gefährlichkeitsabbaus nicht mehr erforderlich, sodaß Martin Engelbert M***** am 25.August 1997 12,00 Uhr aus der Maßnahme entlassen wurde. Am 11.September 1997 wurde über Antrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck das Verfahren durch Beschluß des Untersuchungsrichters gemäß § 109 Abs 1 StPO eingestellt.

Nachdem M***** im Rechtshilfeweg zu einer Einvernahme gemäß § 6 Abs 3 StEG geladen worden war, gab er vorerst durch seinen Verteidiger schriftlich bekannt, auf Ansprüche nach dem StEG "nicht verzichten zu können" (ON 61) und brachte in einer ergänzenden Stellungnahme, in der er auch vermeinte, die Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck sei zur Entscheidung über seinen Anspruch auf Entschädigung nach dem StEG zuständig, vor, daß "die für die Feststellung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 2 Abs 1 lit a erforderlichen Beweise sich bereits aus dem Akteninhalt ergäben", wobei er auf eine Anhörung gemäß § 6 Abs 3 StEG verzichtete (ON 64 und 65).

Die Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck sprach mit Beschluß vom 19. November 1997, GZ 34 Vr 1143/97-67, aus, daß Martin Engelbert M***** für die Anhaltung vom 20.April 1997, 20,05 Uhr, bis 25.August 1997, 12,00 Uhr, ein Ersatzanspruch für allfällig erlittene vermögensrechtliche Nachteile laut § 2 Abs 1 lit b StEG gegen den Bund nicht zustehe, weil der Ausschlußgrund des § 3 lit c StEG vorliege.

In der dagegen erhobenen Beschwerde beantragte M***** festzustellen, daß ihm ein Ersatzanspruch nach § 2 Abs 1 lit a StEG für die in der vorläufigen Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO verbrachten Zeit vom 30. April 1997, 8,45 Uhr, bis 25.August 1997, 12,00 Uhr, zustehe, wobei die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 6 Abs 1 StEG unter Hinweis auf die Entscheidung EvBl 1983/147 dem Obersten Gerichtshof obliege (ON 68/II).

In Stattgebung des Rechtsmittels kassierte das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 23.Dezember 1997, AZ 6 Bs 584/97, die Entscheidung der Ratskammer und trug dem Erstgericht die Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 lit a StEG auf.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 2 Abs 1 lit a StEG besteht (ua) ein Entschädigungsanspruch, wenn die Anhaltung des Geschädigten von einem inländischen Gericht gesetzwidrig angeordnet oder verlängert worden ist. Gemäß § 6 Abs 1 erster Satz StEG hat der Gerichtshof, der dem Gericht, das die Anhaltung angeordnet oder verlängert ... hat ..., übergeordnet ist, auf Antrag des Angehaltenen (oder des Staatsanwaltes) durch Beschluß festzustellen, ob die in § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 leg. cit bezeichneten Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind.

Wie oben dargelegt wurde mit dem Beschluß des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 5.August 1997 (ON 45) die strafgerichtliche Anhaltung im Sinn des § 2 Abs 1 lit a StEG "verlängert". Daraus ergibt sich die Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofes iSd § 6 Abs 1 StEG, zumal das in der Beschwerde enthaltene Vorbringen auch die Behauptung der Gesetzwidrigkeit der Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz enthält.

Martin Engelbert M***** war, wie er in seinem Vorbringen selbst zugesteht, zur Zeit seiner Festnahme, der Verhängung der Untersuchungshaft sowie der Anordnung und "Verlängerung" der vorläufigen Anhaltung nach § 429 Abs 4 StPO einer bestimmten Straftat (im Sinn des § 177 Abs 1 StPO) hinreichend und (im Sinn des § 180 Abs 1 StPO) dringend verdächtig; ebenso lag auf Grund bestimmter Tatsachen auch der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr vor (siehe dazu die Erwägungen im Erkenntnis über die Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen vom 8.September 1997, AZ 11 Os 131/97 (ON 62 des Vr-Aktes).

Aus welchen Gründen schon die Anordnung der vorläufigen Anhaltung gesetzwidrig gewesen sein soll, ist weder dem Vorbringen des Antragstellers, noch dem Akteninhalt zu entnehmen. M***** bringt weiters vor, durch die - seiner Meinung nach auf Grund des positiven Heilungsverlaufs gebotene, aber unterlassene - Beiziehung zumindest eines psychiatrischen Sachverständigen bereits zur Haftverhandlung vom 16.Juli 1997 (richtig: 23.Juli 1997 - ON 34/I), wäre es zu einer Verkürzung der Anhaltung gekommen.

Dabei verkennt er, daß eine Gesetzwidrigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 lit a StEG nur dann gegeben ist, wenn die damals entscheidenden Gerichte von einer erkennbar unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen sind oder wenn die Annahme des höheren Grades an Wahrscheinlichkeit der Begehung einer strafbaren Handlung ebensowenig nachvollziehbar wäre wie die Annahme von Haftgründen.

Bei Prüfung der Frage, ob die Haft gesetzwidrig angeordnet oder verlängert wurde, ist auf den Erhebungsstand im Zeitpunkt der Beschlußfassung (über die Anordnung oder Verlängerung) abzustellen;

nachträglich hervorgekommene, gegen einen (hinreichenden bzw dringenden) Tatverdacht oder die Annahme von Haftgründen sprechende Umstände müssen bei dieser Prüfung außer Betracht bleiben (SSt 58/24;

NRsp 1988/11; EvBl 1994/50; 13 Os 178/93; 13 Os 118/93; 13 Ns 10/93;

12 Ns 3/92; 15 Ns 4/94 uam).

Abgesehen davon, daß der gerichtliche Sachverständige Dr.P***** im Ergänzungsgutachten vom 16.Juni 1997 zwar eine positive Entwicklung des Betroffenen zu den Grundlagen der Befundaufnahme vom 29.April 1997 bejaht (ON 27/I), jedoch die Notwendigkeit einer weiteren stationären psychiatrischen Behandlung sowie die Unterbringung durch einen Folgezeitraum von zwei bis drei Monaten schlüssig dargelegt hat und der psychiatrische Sachverständige Prof.Dr.H***** erst am 22. August 1997 zum Ergebnis gelangte, daß eine weitere Anhaltung unter den in diesem Gutachten angeregten Auflagen entbehrlich sei, kann von einer Gesetzwidrigkeit der Beschlüsse vom 23.Juli 1997 und vom 5.August 1997 im vorhin aufgezeigten Sinn nicht schon deshalb gesprochen werden, wenn bloß - wie hier - eine vermeintlich gebotene Beweisaufnahme schon früher hätte stattfinden können. Im übrigen ist nicht einmal dem Gutachten des Sachverständigen Prof.Dr.H***** zu entnehmen, daß die Anhaltung des Martin Engelbert M***** am 23.Juli 1997 und am 5.August 1997 nicht mehr erforderlich gewesen wäre.

Aus all dem folgt, daß die Anhaltung des Genannten weder gesetzwidrig angeordnet noch verlängert wurde, sodaß festzustellen war, daß die Voraussetzung eines Ersatzanspruches gemäß § 2 Abs 1 lit a und Abs 3 StEG nicht vorliegen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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