OGH 11Os124/10k

OGH11Os124/10k28.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. September 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Vitalijs B***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 18. August 2010, GZ 9 Hv 26/10s-34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Vitalijs B***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A) und des Verbrechens des versuchten Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B) schuldig erkannt.

Danach hat er am 20. Februar 2010 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, und zwar 3.029,9 Gramm Heroin, darin enthalten 133 +/- 7,6 Gramm Heroin Base und 4,1 +/- 0,41 Gramm Monoacetylmorphin Base

A) aus den Niederlanden aus-, nach Deutschland ein-, aus Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt, indem er es als Passagier im internationalen Reisebus der Linie „Eurolines“ von Brüssel nach Wien-Erdberg in zwei in einem Trolley verborgenen Paketen bei sich führte;

B) in Graz an die abgesondert verfolgten Omar C***** und Daniela P***** zu überlassen versucht, indem er mit ihnen zusammentraf, den Trolley samt dem darin befindlichen Suchtgift in den Kofferraum des von P***** gelenkten Fahrzeugs packte und gemeinsam mit C***** und P***** zum Hotel „M*****“ fuhr, um dort die Suchtgiftübergabe durchzuführen, wobei C***** während der Fahrt die Observation durch Polizeikräfte bemerkte, sodass er B***** samt Trolley vor dem Hotel aussteigen ließ, wo dieser ein Zimmer bezog, in welchem er im Besitz des Suchtgifts betreten wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO.

Der Beschwerdeführer hatte beantragt (ON 33 S 3), ihm eine schriftliche Übersetzung des Hv-Protokolls vom 14. Juli 2010 (= ON 24) zur Verfügung zu stellen. Ihm seien die Angaben der Zeugen C***** und des „Polizisten“ (= Zeuge S*****) nicht übersetzt worden.

Durch die erstgerichtliche Abweisung dieses Antrags (ON 33 S 4) wurden der Beschwerde entgegen Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Weder aus der Strafprozessordnung noch der Menschenrechtskonvention ergibt sich nämlich ein unbeschränkter Anspruch eines Angeklagten auf Übersetzung aller Aktenstücke in allen Einzelheiten; insoweit besteht auch keine Nichtigkeitssanktion. Art 6 Abs 3 lit e MRK geht nicht soweit, eine schriftliche Übersetzung des gesamten schriftlichen Beweismaterials oder amtlicher Schriftstücke des Verfahrens in allen Einzelheiten zu verlangen. Es genügt, dass es dem Angeklagten durch den Übersetzungsbeistand ermöglicht wird, den ihm zur Last gelegten Vorwurf zu kennen und sich dagegen zu verteidigen, insbesondere seine Version der Ereignisse dem Gericht vorzutragen (RIS-Justiz RS0109920; RS0075094, zuletzt EGMR U 18. 10. 2006, Hermi gg Italien Nr 18114/02, NL 2006, 248; Grabenwarter, EMRK4 § 24 RZ 99; Kühne in IntKommEMRK Art 6 Rz 617, 621).

Aus der Begründung des abweislichen Beschlusses des Schöffengerichts geht hervor, dass dem Angeklagten die Ergebnisse der Hauptverhandlung am 14. Juli 2010 - und somit auch die Angaben der Zeugen C***** und S***** - gar wohl übersetzt wurden.

Da über die Sachverhaltsgrundlage einer prozessualen Verfügung das dafür zuständige richterliche Organ in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) entscheidet und dies nur nach den Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0118977; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 40 ff), versagt das lediglich auf die Behauptung des durchgehend von einem Verteidiger vertretenen Angeklagten gestützte Vorbringen mangelnder Übersetzung der Zeugenaussagen, zumal der Zeitpunkt der Entlassung der Englischdolmetscherin für den Zeugen C***** keinen Einfluss auf die Frage einer Übersetzung durch den Lettischdolmetsch für den Angeklagten hat und überdies der Verteidiger den Zeugen S***** ausführlich befragen konnte (ON 24 S 27 ff).

Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen Artonjus B***** zum Beweis dafür, „dass die Angaben, die der Angeklagte gemacht hat, wie dies abgelaufen ist, richtig sind“ (ON 33 S 3), verfiel ebenfalls ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten der Ablehnung (ON 33 S 4). Ihm fehlte nämlich jegliches Vorbringen und war auch aus dem Zusammenhang in keiner Weise einsichtig, aus welchem Grund der bei der Übergabe des Koffers mit dem darin versteckten Heroin nach Angaben des Nichtigkeitswerbers anwesende Sohn des Angeklagten Auskunft über den Wissensstand seines Vaters zum Inhalt des Gepäckstücks hätte geben können, was um so mehr gilt, sollte das Suchtgift erst nachher in den Koffer eingenäht worden sein (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO; RIS-Justiz RS0099453, RS0099189).

Die Ergänzung des Beweisthemas in der Nichtigkeitsbeschwerde ist unzulässig (RIS-Justiz RS0099117, RS0099618; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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