Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht wies die auf eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß vom Stichtag (1.3.1988) an gerichtete Klage ab. Es stellte fest, daß der am 19.3.1947 geborene Kläger während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend im erlernten Metzgerberuf tätig war, beschrieb im einzelnen die chirurgisch-orthopädischen und neurologischen Befunde und die Leistungsfähigkeit dahin, daß der Kläger sämtliche leichten und mittelschweren Arbeiten ohne Einschränkungen verrichten kann. Bezüglich der (Fuß-)Wege von und zur Arbeitsstätte bestehen ebenfalls keine Einschränkungen; private und öffentliche Verkehrsmittel können benützt werden. Nach Beschreibung der von einem Fleischer auszuübenden Tätigkeiten stellte es weiters fest, daß dieser in kleineren Betrieben zum Teil auch schwere Arbeiten verrichten müsse. In einschlägigen Industriebetrieben, aber auch in Frischfleischabteilungen von Handelsketten und größeren Supermärkten gibt es eine arbeitsteilige Spezialisierung auf bestimmte Arbeitsgänge und Teiltätigkeiten. In den Bereichen Selcherei, Wurstwaren- und Konservenerzeugung bestehen Einsatzmöglichkeiten als Selchdritter, Salzer, Schmelzer, Ausrührer, Ausbeinler, Stockbursch, Feinwurster und qualifizierter Tafelgehilfe. Solche Arbeitsplätze, an denen nur bis mittelschwere Arbeiten zu leisten sind, gibt es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl. Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes ist der Kläger nicht invalid im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG, weil er in den genannten Arbeitsbereichen weiterhin im erlernten Beruf als Fleischer tätig sein könne.
In der Berufung führte der Kläger unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung aus, er dürfe nicht auf die genannten Teiltätigkeiten verwiesen werden, weil diese keine Lehrausbildung erforderten und kurzfristig angelernt werden könnten, so daß mit der Verweisung ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden wäre. Weiters behauptete er, er habe mit Schriftsatz vom 22.11.1988 in der Klage noch nicht angeführte Leidenszustände behauptet und (dazu) ein Gutachten für Innere Medizin beantragt. Die Unterlassung dieser Beweisaufnahme und diesbezüglicher Feststellungen stelle einen wesentlichen Verfahrens- und Feststellungsmangel dar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.
Die Rechtsrüge sei nicht berechtigt, weil es nicht ungewöhnlich sei, daß Facharbeiter infolge der üblichen spezialisierten Arbeitsteilung nur in Teilbereichen ihres erlernten Berufes verwendet würden, in denen sie nicht alle für den Lehrberuf erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen müßten. Durch eine solche Verwendung in Teilbereichen des Lehrberufes gehe der Berufsschutz nicht verloren. Dazu komme, daß die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt häufig vorkommende Tätigkeit eines Stockburschen durchwegs von gelernten Fleischern ausgeübt werde und auch dem allgemeinen Verständnis vom Beruf des Fleischers entspreche, so daß kein unzumutbarer beruflicher oder sozialer Abstieg vorliege. Zur Mängelrüge führte das Berufungsgericht aus, im Akt finde sich kein Schriftsatz vom 22.11.1988. Dessen behaupteter Inhalt sei auch in keiner Tagsatzung vorgebracht worden. Vielmehr sei bei der Tagsatzung vom 6.7.1989 ausdrücklich erklärt worden, daß keine weiteren Anträge mehr gestellt würden. Deshalb sei kein Antrag des Klägers unberücksichtigt geblieben, weshalb der behauptete Mangel nicht vorliege.
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Rechtliche Beurteilung
Das nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Absatzes 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Rechtsmittel ist nicht berechtigt. Aus der mit der Revision - zulässigerweise (§ 506 Abs 1 Z 3 ZPO) - vorgelegten, mit dem Eingangsvermerk der Vereinigten Einlaufstelle des Landes- und (des) Bezirksgerichtes Innsbruck vom 22.11.1988 versehenen Rubrik ergibt sich, daß der Kläger am genannten Tag beim Erstgericht in dieser Sozialrechtssache einen mit 22.11.1988 datierten Schriftsatz einbrachte. Darin behauptete er, auch an Atembeschwerden zu leiden. Zum Beweis berief er sich auf Sachverständige aus dem Ärztefach, insbesondere aus dem Fachgebiet für Innere Medizin.
Dem Berufungsgericht ist zuzugestehen, daß sich in dem ihm vorgelegten, scheinbar lückenlos journalisierten Akt kein Schriftsatz vom 22.11.1988 befand. Aus den damals lose im Akt liegenden, nunmehr bei ON 4, AS 9 angehefteten zwei GeoForm 30a wäre jedoch zu erkennen gewesen, daß der beklagten Partei am 25.11.1988 die "GS" (Gleichschrift eines) "SS" (Schriftsatzes) "v. 22.11."
zugestellt wurde, und daß dem vom Erstgericht mit der Erstattung eines neurologischen und zusammenfassenden Gutachtens beauftragten Sachverständigen Dr.Rigbert P***, dem der Akt mit am 14.10.1988 abgefertigter Verfügung übermittelt worden war, und von dem er am 24.11.1988 wieder einlangte, am 25.11.1988 eine erstgerichtliche "Vfg" (Verfügung) "v. 23.11." zugestellt wurde. Dabei dürfte es sich um eine auf die für den Gerichtsakt bestimmte, dem genannten Sachverständigen vermutlich im Nachhang zum Begutachtungsauftrag übermittelte, aber nicht mehr zurückgestellte Gleichschrift des Schriftsatzes vom 22.11.1988 gesetzte Verfügung gehandelt haben. Bei der Untersuchung durch den genannten Sachverständigen am 28.10.1988 erwähnte der Kläger ua immer ärger werdende, gehäuft auftretende Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule, die seitenwechselnd oder auch gleichzeitig zu den Schultern hin, manchmal auch bis vorne zur Brust ausstrahlten. In diesem Fall habe er dann auch Schwierigkeiten beim Atmen, weil er nicht so tief atmen könne (S 2/3 des neurologischen und zusammenfassenden Gutachtens ON 5, AS 13/14).
Im Gutachten des Sachverständigen für Chirurgie Dr.Kurt W*** ON 6, der den Kläger am 9.11.1988 untersuchte, werden Atembeschwerden nicht erwähnt.
In der Tagsatzung vom 7.3.1989 brachte vor und beantragte der seit der Klage qualifiziert vertretene Kläger zunächst wie in der Klage, in der er keine Atembeschwerden behauptet und auch nicht ausdrücklich einen Sachverständigen der Inneren Medizin beantragt hatte. Dann behauptete er unter Vorlage eines Röntegenbefundberichtes vom 20.1.1989 (./ A) und eines Berichtes der Neurochirurgischen Ambulanz der Universitätsklinik Innsbruck vom 8.2.1989 (./ B), in denen Atembeschwerden nicht erwähnt werden, daß sich sein körperlicher Zustand seit der letzten Untersuchung verschlechtert habe. Daraufhin wurde die Tagsatzung zur Einholung eines ergänzenden neurologischen und orthopädischen Gutachtens und eines berufskundlichen Gutachtens erstreckt.
Bei der neuerlichen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr.P*** am 22.3.1989 behauptete der Kläger ua, er könne nicht einmal seine Tochter aufheben, das heiße, beim Heben selbst habe er zwar keine besonderen Schmerzen, aber nach etwa 30 Minuten würden Schmerzen im Brustbereich links auftreten und er könne nicht mehr tief durchatmen. Diese Schmerzen könnten bis zu ein bis zwei Tagen anhalten. Ähnliche Beschwerden habe er auch in seinem Beruf nach dem Heben, zB der schweren Schüsseln beim Wurstzubereiten verspürt (S 2 des Neurologischen Gutachtens ON 12, AS 45).
Im nach neuerlicher Untersuchung des Klägers am 7.4.1989 erstatteten Ergänzungsgutachten Dr.W***s ON 13 scheinen Atembeschwerden nicht auf.
Nachdem der Sachverständige Dr.P*** im erwähnten Ergänzungsgutachten die mit Schriftsatz des Klägers vom 20.3.1989 ON 11 beantragte "CT" (Computertomographie)-Untersuchung als nicht zielführend erklärt hatte, nahm der Kläger diesen Antrag mit Schriftsatz vom 26.4.1989 ON 15 ausdrücklich zurück. In der Tagsatzung vom 4.7.1989, in der die Verhandlung wegen geänderter Senatszusammensetzung neu durchgeführt wurde, trugen die Parteien vor und beantragten wie bisher. Nach Verlesung der ärztlichen Gutachten, des Pensionsaktes und der erwähnten Beilagen A und B wurde die Tagsatzung zur Einholung eines berufskundlichen Gutachtens erstreckt.
Auch in der Tagsatzung vom 6.9.1989, in der die Verhandlung wieder wegen geänderter Senatszusammensetzung neu durchgeführt wurde, trugen die Parteien vor und beantragten wie bisher. Nach Verlesung der ärztlichen und des berufskundlichen Gutachtens, des Pensionsaktes und der erwähnten Beilagen sagte der als Partei vernommene Kläger zu seinem Gesundheitszustand nur aus, er habe den Sachverständigen, die ihn in diesem Verfahren untersucht hatten, seine Leidenszustände, soweit sie ihm bekannt seien, mitgeteilt. Dann erklärten die Parteienvertreter, weitere Anträge nicht zu stellen. Nach dem Beschluß, keine weiteren Beweise aufzunehmen, wurde die Verhandlung geschlossen.
Aus dem dargestellten Verfahrensablauf ergibt sich, daß die geltend gemachte Aktenwidrigkeit (§ 503 ZPO) nicht vorliege. Eine Aktenwidrigkeit liegt nur vor bei Tatsachenfeststellungen, die wesentlich sind, also Bestandteil des rechtserzeugenden Sachverhalts oder zumindest von unmittelbarem Einfluß auf die Richtigkeit des Urteils (hier konkrete Kausalität) sein müssen, wenn die Aktenwidrigkeit dem Urteil anhaftet und ein Widerspruch zwischen Prozeßakten und Tatsachenfeststellungen im Urteil vorliegt (Fasching, aaO Rz 1771).
Diese Voraussetzungen liegen im Zusammenhang mit dem in den Urteilen der Vorinstanzen übergangenen Schriftsatz des Klägers vom 22.11.1988 nicht vor.
Bei diesem Schriftsatz handelt es sich um einen vor dem Beginn der Streitverhandlung zu deren Vorbereitung bestimmten besonderen vorbereitenden Schriftsatz im Sinne der §§ 78 und 258 ZPO, in dem der Kläger ankündigte, er wolle in der Streitverhandlung die in der Klage noch nicht ausdrücklich enthaltene Behauptung aufstellen, daß er auch an Atembeschwerden leide, und zum Beweis - wie schon in der Klage - Sachverständige aus dem Ärztefach beantragen, diesmal allerdings insbesondere aus der Inneren Medizin. Eine Gleichschrift dieses vorbereitenden Schriftsatzes wurde vom Vorsitzenden richtigerweise der beklagten Partei zugestellt. Die für den Gerichtsakt bestimmte Gleichschrift dürfte dem Sachverständigen für Neurologie übermittelt worden sein. Weil die Parteien vor dem erkennenden Gericht über den Rechtsstreit mündlich verhandeln (§ 176 ZPO), wäre dieser Schriftsatz in der mündlichen Verhandlung zwar nicht vorzulesen, darauf aber im Vortrag des Klägers wenigstens Bezug zu nehmen gewesen (§ 177 ZPO).
Die Feststellung des Berufungsgerichtes, daß das Erstgericht keinen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag des Klägers unberücksichtigt ließ, ist daher nicht aktenwidrig. Wenn in den Tagsatzungen vom 4.7. und 7.9.1988, in denen die Verhandlung wegen geänderter Senatszusammensetzung neu durchgeführt wurde, protokolliert wurde, daß die Parteienvertreter wie bisher vorbrachten und beantragten, dann bezieht sich dies - entgegen der Meinung des Revisionswerbers - nur auf das Vorbringen und die Anträge in der ersten Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung vom 7.3.1989. Damals wurde aber vom Klagevertreter nur wie in der Klage vorgebracht und beantragt, nicht aber auf den vorbereitenden Schriftsatz vom 22.11.1988 Bezug genommen.
Der in der Berufung behauptete Verfahrensmangel erster Instanz im Zusammenhang mit dem erwähnten Beweisantrag wurde aber vom Berufungsgericht verneint und kann daher in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (SSV-NF 1/32; 2/19, 24; 3/7, 18 uva).
Daß entgegen den schon in der Klage gestellten Beweisanträgen keine Gutachten von Sachverständigen der Orthopädie, Berufspsychologie und Arbeitsmedizin eingeholt wurden und auch kein informierter Vertreter des Arbeitsamtes Lienz vernommen wurde, wurde vom Kläger in der Berufung nicht geltend gemacht. Daß das Berufungsgericht diesbezügliche Verfahrensmängel nicht wahrgenommen hat, macht sein Verfahren nicht mangelhaft, weil bloße Verfahrensmängel nicht von Amts wegen geprüft werden dürfen (zB SSV-NF 1/68).
Die rechtliche Beurteilung des ausreichend festgestellten Sachverhaltes durch das Berufungsgericht ist richtig (§ 48 ASGG). Die Verweisung auf Teiltätigkeiten des erlernten Berufes ist zulässig, weil diese noch als Ausübung des Fleischerberufes anzusehen sind, noch der Qualifikation des § 255 Abs 1 und 2 ASVG entsprechen und daher den Berufsschutz erhalten (SSV-NF 3/29 mwN). Da die Lage des Wohnortes des Versicherten für die Beurteilung der Invalidität ohne Bedeutung ist, weil er grundsätzlich auf den gesamtösterreichischen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann (zB SSV-NF 1/20), - dafür, daß ihm ein Pendeln oder eine Übersiedlung nicht zumutbar wären, bieten die Verfahrensergebnisse keinen Hinweis, - kommt es nicht darauf an, ob er die ihm zumutbaren Verweisungstätigkeiten im Raume Osttirol ausüben kann. Dafür, daß der Kläger den Anforderungen in den Verweisungstätigkeiten nicht gewachsen wäre, weil er nicht wechselnd in und außerhalb von Kühlräumen arbeiten könnte, findet sich in den Gutachten kein Anhaltspunkt, die dem Kläger leichte und mittelschwere Arbeiten in jeder Arbeitshaltung im Freien und in geschlossenen Räumen ohne jede zusätzliche Einschränkung zumuten. Die versuchte Bekämpfung der Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellungen muß an der abschließenden Aufzählung der zulässigen Revisionsgründe im § 503 ZPO scheitern.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19; 2/26, 27).
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