OGH 10ObS83/88

OGH10ObS83/8812.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Rupert Dollinger (Arbeitgeber) und Franz Riepl (Angestellter) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kata Z***, Hausfrau, YU-88440 Prozor, Dobrosa, vertreten durch Dr.Karl Grigkar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr.Adolf Fiebich, Dr.Vera Kremslehner und Dr.Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Leistung der Unfallversicherung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeitsund Sozialrechtssachen vom 4.November 1987, GZ 32 Rs 187/87-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 29.April 1987, GZ 3 Cgs 1050/87-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 1.Jänner 1938 geborene jugoslawische Staatsangehörige Jure Z*** verunglückte am 1.August 1977 auf dem Bahnhofgelände in Wörgl (Tirol) tödlich.

Am 30.Mai 1986 machte seine Witwe, die Klägerin, bei der beklagten Partei ihre "Unfallrentenansprüche" geltend. Mit Bescheid vom 13.Jänner 1987 lehnte die beklagte Partei die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des tödlichen Unfalls, von dem Jure Z*** am 1.August 1977 betroffen wurde, nach § 175 Abs 1 und 2 Z 1 ASVG mit der Begründung ab, daß sich der Unfall auf der Rückreise von Jugoslawien zur Firmenunterkunft in Kufstein ereignet habe, die wegen der großen Entfernung zwischen dem Heimatort und der Arbeitsstätte als ständiger Aufenthaltsort anzusehen sei. Gegen diesen Bescheid brachte die Klägerin rechtzeitig beim zuständigen Erstgericht eine Klage auf Gewährung der "Unfallrente" ein, die sie damit begründete, daß ihr Ehegatte durch einen Arbeitsunfall getötet worden sei, weil er sich auf dem versicherten Weg von seinem ständigen Aufenthaltsort (in Jugoslawien) zur Unterkunft (in Kufstein) befunden habe. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Jure Z*** sei in Österreich vom 7.Mai bis 11.Juli 1976, vom 18. August bis 14.Dezember 1976 und vom 1.März bis 4.Juli 1977 beschäftigt gewesen und habe seit 18.August 1976 in einer Firmenunterkunft seines Dienstgebers, des Baumeisters Hans B***, in Kufstein gewohnt. Vom 5. (Dienstag) bis 31.Juli (Sonntag) 1977 habe er einen unbezahlten Urlaub genommen, den er bei seiner Familie in Prozor (Jugoslawien) verbracht habe. Auf der Rückreise zum für den 1.August 1977 vereinbarten Wiederantritt der Arbeit sei er beim Umsteigen in Wörgl tödlich verunglückt.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen nach dem am 1.August 1977 an einem Arbeitswegunfall verstorbenen Jure Z*** Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Es beurteilte den im wesentlichen unbestrittenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß sich der Unfall auf dem Weg vom ständigen Aufenthaltsort, nämlich dem Familienwohnort in Jugoslawien, zur Unterkunft des Gastarbeiters auf der Arbeitsstätte in Kufstein ereignet habe, weshalb es sich um einen Arbeitsunfall nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG handle.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn ab. Wegen der großen Entfernung zwischen der Arbeitsstätte in Österreich und dem Heimatort in Jugoslawien sei dieser nicht der ständige Aufenthaltsort des Gastarbeiters im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG gewesen.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit dem Antrag, das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Arbeitsunfälle sind nach § 175 Abs 1 ASVG Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Arbeitsunfälle sind nach Abs 2 Z 1 leg cit auch Unfälle, die sich auf einem mit der Versicherung begründenden Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeitsstätte ereignen; hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits(Ausbildungs)stätte auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft, so wird die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall hat sich der Unfall auf dem Weg vom Heimatort zur auf oder in der Nähe der Arbeitsstätte gelegenen Unterkunft ereignet. Dieser Weg wäre daher nur unter den im zweiten Halbsatz der Z 1 des § 175 Abs 2 ASVG genannten Voraussetzungen nicht von der Versicherung ausgeschlossen gewesen. Der Heimatort hätte daher damals der ständige Aufenthaltsort des Versicherten sein müssen. Dies war jedoch nicht der Fall.

Der Begriff des "ständigen Aufenthaltes" geht jedenfalls über den z.B. im § 67 JN gebrauchten Begriff des "jeweiligen Aufenthaltes", aber auch über den z.B. im § 66 Abs 2 JN definierten und im § 4 Abs 1 und § 7 ASGG verwendeten Begriff des "gewÄhnlichen Aufenthaltes" hinaus und unterscheidet sich von dem im § 66 Abs 1 JN definierten und z.B. in den zitierten Paragraphen des ASGG gebrauchten Betriff des "Wohnsitzes", der "an dem Ort begründet ist, an welchem sich eine Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen", nur durch die fehlende Absicht, den faktischen dauernden Aufenthalt aufrechtzuerhalten (vgl Fasching, Komm I 373; und ZPR Rz 273; Kuderna, ASGG § 4 Erl 5). Der Aufenthalt einer Person bestimmt sich nämlich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen. Bei der Beurteilung, ob er (zumindest) als gewÄhnlicher Aufenthalt anzusehen ist, sind seine Dauer und seine Beständigkeit sowie andere Umstände persönlicher oder beruflicher Art zu berücksichtigen, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen (§ 66 Abs 2 JN). Er wird also durch die körperliche Anwesenheit, nicht durch ein Willenselement bestimmt und setzt dauerhafte, nicht nur vorübergehende Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthaltsort voraus, die sich in einer bestimmten längeren Dauer und Beständigkeit des Aufenthaltes äußern und auf objektiv überprüfbare Umstände persönlicher oder beruflicher Art gründen, z.B. der krankheitsbedingte Aufenthalt in Dauerabteilungen von Krankenanstalten oder Altersheimen, die Anhaltung in Strafvollzugsanstalten, ein entfernt gelegener Arbeitsplatz bei langer Zeit der Beschäftigung u.a. (Fasching, ZPR Rz 274; Kuderna aaO Erl 6). Letzerer bringt als Beispiel, daß ein Arbeitnehmer etwa seinen Wohnsitz im Ort A haben kann, weil er dort mit seiner Familie wohnt, seine Kinder zur Schule gehen, seine gesellschaftlichen Kontakte bestehen, sein Kfz angemeldet ist, weil er und seine Familie dort die kommunalen Dienste und Einrichtungen in Anspruch nehmen, kurz, weil er diesen Ort in der erweislichen Absicht, dort seinen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, zum Mittelpunkt seiner Lebensführung gemacht hat. Derselbe Arbeitnehmer kann aber gleichzeitig beruflich im Ort B tätig sein und sich dort aus diesem Grund während einer längeren Zeit überwiegend aufhalten. Er hat dann seinen gewÄhnlichen Aufenthalt im Ort B, seinen Wohnsitz aber im Ort A. Fasching führt noch aus (Komm I 374), daß für den dauernden Aufenthalt nicht gefordert werde, daß er ein immerwährender sei. Entscheidend sei nur, daß der Aufenthaltsort bewußt zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt gemacht werde, auch wenn von vornherein klar sei, daß dieser Aufenthalt über eine bestimmte oder unbestimmte Dauer hinaus nicht erstreckt werde. Als wesentlich müsse aber die Einrichtung des Aufenthaltes über eine Provisorialmaßnahme hinaus angesehen werden.

Anders als die vergleichbare Bestimmung des § 550 Abs 3 RVO gebraucht § 175 Abs 2 Z 1 zweiter Halbsatz ASVG nicht den Begriff der "ständigen Familienwohnung" sondern des "ständigen Aufenthaltsortes". Das österreichische Recht stellt daher nicht auf die ständige Wohnung der Familie, sondern auf den ständigen Aufenthaltsort des Versicherten ab.

Die ständige Wohnung der Familie des Versicherten wird also nur dann auch dessen ständiger Aufenthaltsort sein, wenn sich auch der Versicherte dort tatsächlich ständig aufhält und diesen Ort auch tatsächlich zum Mittelpunkt seiner Lebensführung macht. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Versicherte selbst so häufig und regelmäßig an diesem Ort lebt, daß dieser als sein ständiger Aufenthalt bezeichnet werden kann. Daß dort der Ehepartner und die Kinder des Versicherten leben, macht einen solchen Ort für sich allein noch nicht zum ständigen Aufenthaltsort eines verheirateten Versicherten (so auch 10 Ob S 24/88 und 10 Ob S 75/88). Es kommt vielmehr nach österreichischem Recht darauf an, ob dieser Ort der Mittelpunkt der Lebensführung des Versicherten ist.

Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil der Versicherte in der Zeit, während der er im Jahre 1977 in Kufstein beschäftigt war, in der dortigen Firmenunterkunft wohnte und nur seinen unbezahlten Urlaub im Juli in seinem Heimatort verbrachte. Der strittige Unfall ereignete sich daher nicht auf dem Weg vom ständigen Aufenthaltsort zur Unterkunft bzw. zur Arbeitsstätte des Versicherten.

Das Klagebegehren wurde daher vom Berufungsgericht zu Recht abgewiesen, weshalb der Revision nicht Folge zu geben war. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit. b ASGG.

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