OGH 10ObS75/88

OGH10ObS75/8812.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Rupert Dollinger (Arbeitgeber) und Franz Riepl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Tome T***, ohne Beschäftigungsangabe, 1100 Wien, Quellenstraße 125/18, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U*** (Landesstelle Wien),

1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 1987, GZ 33 Rs 237/87-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. Oktober 1987, GZ 3 Cgs 1198/87-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 8. April 1944 geborene Kläger, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, der seit 1972 in Österreich, seit 1973 in Wien arbeitete und seit 1972 in Wien in Untermiete wohnte, hatte vom 7. bis 14. Juli 1979 arbeitsfrei, weil er vier Tage eingearbeitet hatte. Diese Zeit wollte der damals noch ledige Kläger in seinem nahe der jugoslawisch-griechischen Grenze liegenden, von Wien mehr als 1.000 Straßenkilometer entfernten Heimatort Bitola verbringen, wo seine Eltern, sein uneheliches Kind und seine damalige Braut, mit der er seit 7. Juni 1980 verheiratet ist, lebten. Auf der mit einem PKW unternommenen Fahrt von Wien nach Bitola ging dem Kläger am 7. Juli 1979 bei dem zwischen Belgrad und Nisch liegenden Bagrdan bei Svetozarevo das Benzin aus. Auf dem Weg zur Tankstelle stürzte der Kläger in der Dunkelheit von einer nicht gesicherten Brücke und verletzte sich dabei schwer.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1987 lehnte die beklagte Partei einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß dieses Unfalles ab. Das Erstgericht wies das auf eine Versehrtenrente (von 100 v.H. der Dauerrente) ab 5. Jänner 1980 gerichtete Klagebegehren ab und sprach aus, daß der Unfall vom 7. Juli 1979 in Bagrdan kein Arbeitsunfall gemäß § 175 ASVG sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil mit der wesentlichen Begründung, daß der Kläger zur Unfallszeit an seinem Heimatort Bitola keinen "ständigen Aufenthalt" im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG gehabt habe, weshalb sich der Unfall nicht auf dem Weg von der Arbeitsstätte in Wien zum "ständigen Aufenthaltsort" ereignet habe.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die vorinstanzlichen Entscheidungen im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Arbeitsunfälle sind nach § 175 Abs 1 ASVG Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Arbeitsunfälle sind nach Abs 2 Z 1 leg. cit. auch Unfälle, die sich auf einem mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeitsstätte ereignen; hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits(Ausbildungs)stätte auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft, so wird die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen.

Im vorliegenden Fall hat sich der Unfall nicht unmittelbar auf einem Weg zur oder von der Arbeitsstätte ereignet, weil der Kläger den Weg von seiner Arbeitsstätte (Tankstelle in 1220 Wien, Genochplatz 9) zu seiner damaligen Wohnung in 1040 Wien, Favoritenstraße 52/1, bereits nach Beendigung seines Dienstes am 6. Juli 1979 zurückgelegt hatte.

Die Versicherung der erst am 7. Juli 1979 von dieser Wiener Wohnung aus angetretenen PKW-Fahrt nach Bitola, dem Heimatort des Klägers, wäre daher nur unter den im zweiten Halbsatz der Z 1 des § 175 Abs 2 ASVG genannten Voraussetzungen nicht ausgeschlossen gewesen.

Bei der genannten Wohnung hätte es sich dabei um eine wegen der Entfernung des ständigen Aufenthaltsortes des Klägers von der Arbeitsstätte auf dieser oder in ihrer Nähe gelegene Unterkunft, bei Bitola um den damaligen ständigen Aufenthaltsort des Klägers handeln müssen.

Letzteres ist jedenfalls zu verneinen.

Der Begriff des "ständigen Aufenthaltes" geht jedenfalls über den z.B. im § 67 JN gebrauchten Begriff des "jeweiligen Aufenthalts", aber auch über den z.B. im § 66 Abs 2 JN definierten und in dem § 4 Abs 1 und § 7 ASGG verwendeten Begriff des "gewÄhnlichen Aufenthaltes" hinaus und unterscheidet sich von dem im § 66 Abs 1 JN definierten und z.B. in den zitierten Paragraphen des ASGG gebrauchten Begriff des "Wohnsitzes", der "an dem Ort begründet ist, an welchem sich eine Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen, nur durch die fehlende Absicht, den faktischen dauernden Aufenthalt aufrechtzuerhalten (vgl. Fasching, Komm. I 373 und ZPR Rz 273; Kuderna ASGG § 4 Erl. 5). Der Aufenthalt einer Person bestimmt sich nämlich ausschließlich nach tatsächlichen Umständen. Bei der Beurteilung, ob er (zumindest) als gewÄhnlicher Aufenthalt anzusehen ist, sind seine Dauer und seine Beständigkeit sowie andere Umstände persönlicher oder beruflicher Art zu berücksichtigen, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthaltsort anzeigen (§ 66 Abs 2 JN). Er wird also durch die körperliche Anwesenheit, nicht durch ein Willenselement bestimmt und setzt dauerhafte, nicht nur vorübergehende Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthaltsort voraus, die sich in einer bestimmten längeren Dauer und Beständigkeit des Aufenthaltes äußern und auf objektiv überprüfbare Umstände persönlicher oder beruflicher Art gründen, z.B. der krankheitsbedingte Aufenthalt in Dauerabteilungen von Krankenanstalten oder Altersheimen, die Anhaltung in Strafvollzugsanstalten, ein entfernt gelegener Arbeitsplatz bei langer Zeit der Beschäftigung u.a. (Fasching, ZPR Rz 274; Kuderna aaO Erl. 6). Letzterer bringt als Beispiel, daß ein Arbeitnehmer etwa seinen Wohnsitz im Ort A haben kann, weil er dort mit seiner Familie wohnt, seine Kinder zur Schule gehen, seine gesellschaftlichen Kontakte bestehen, sein Kfz angemeldet ist, weil er und seine Familie dort die kommunalen Dienst und Einrichtungen in Anspruch nehmen, kurz, weil er diesen Ort in der erweislichen Absicht, dort seinen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, zum Mittelpunkt seiner Lebensführung gemacht hat. Derselbe Arbeitnehmer kann aber gleichzeitig beruflich im Ort B tätig sein und sich dort aus diesem Grund während einer längeren Zeit überwiegend aufhalten. Er hat dann seinen gewÄhnlichen Aufenthalt im Ort B, seinen Wohnsitz aber im Ort A. Fasching führt noch aus (Komm. I 374), daß für den dauernden Aufenthalt nicht gefordert werde, daß er ein immerwährender sei. Entscheidend sei nur, daß der Aufenthaltsort bewußt zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt gemacht werde, auch wenn von vornherein klar sei, daß dieser Aufenthalt über eine bestimmte oder unbestimmte Dauer hinaus nicht erstreckt werde. Als wesentlich müsse aber die Einrichtung des Aufenthaltes über eine Provisorialmaßnahme hinaus angesehen werden.

Anders als die vergleichbare Bestimmung des § 550 Abs 3 RVO gebraucht § 175 Abs 2 Z 1 zweiter Halbsatz ASVG nicht den Begriff der "ständigen Familienwohnung" sondern des "ständigen Aufenthaltsortes". Das österreichische Recht stellt daher nicht auf die ständige Wohnung der Familie, sondern auf den ständigen Aufenthaltsort des Versicherten ab.

Die ständige Wohnung der Familie des Versicherten wird also nur dann auch als dessen ständiger Aufenthaltsort anzusehen sein, wenn sich auch der Versicherte dort tatsächlich ständig aufhält und diesen Ort auch tatsächlich zum Mittelpunkt seiner Lebensführung macht. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Versicherte selbst so häufig und regelmäßig an diesem Ort lebt, daß dieser als sein ständiger Aufenthalt bezeichnet werden kann. Daß dort der Ehepartner und/oder ein oder mehrere Kinder des Versicherten leben, macht einen solchen Ort für sich allein noch nicht zum ständigen Aufenthaltsort eines verheirateten Versicherten (10 Ob S 24/88). Auch der Wohnort der Eltern eines ledigen Versicherten wird nicht allein dadurch zum ständigen Aufenthaltsort, daß der Versicherte in der elterlichen Wohnung wohnen darf. In beiden Fällen kommt es nach österreichischem Recht darauf an, ob dieser Ort der Mittelpunkt der Lebensführung des Versicherten ist.

Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil der Kläger nach seinen eigenen Behauptungen in der Zeit, in der er vor dem Unfall vom 7. Juli 1979 in Österreich beschäftigt war, etwa alle zwei Monate, während der Winterzeit nicht so häufig, ungefähr eine Woche nach Bitola fuhr, um dort seine Eltern, sein uneheliches Kind und seine damalige Braut und nunmehrige Ehegattin zu besuchen. Der strittige Unfall ereignete sich daher nicht auf einem Weg nach dem ständigen Aufenthaltsort des Klägers.

Das Klagebegehren wurde daher schon deshalb zu Recht abgewiesen, weil die Versicherung des gesamten Weges von Wien nach Bitola ausgeschlossen war. Deshalb mußte die Richtigkeit des weiteren Abweisungsgrundes des Berufungsgerichtes (kein Versicherungsschutz während des nächtlichen Fußweges vom wegen Treibstoffmangels stehengebliebenen PKW über eine ungesicherte Brücke zur Tankstelle) nicht geprüft werden.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit. b ASGG.

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