Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 5. September 1986 stellte die Klägerin bei der beklagten Partei einen Antrag auf eine Invaliditätspension.
Mit Bescheid vom 29. Dezember 1986 lehnte die beklagte Partei diesen Antrag ab.
Die innerhalb von drei Monaten nach Zustellung dieses Bescheides erhobene, auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klage stützte sich darauf, daß die am 23. Februar 1938 geborene Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat und in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Stanzerin und Expeditarbeiterin tätig gewesen ist, wegen Beschwerden in den Beinen, hauptsächlich im rechten Knie, keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen könne. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil die Klägerin noch leichte und mittelschwere, nicht im Knien und Stehen zu leistende Arbeiten verrichten könne.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Nach seinen Feststellungen kann die Klägerin infolge ihres seit der Antragstellung bestehenden, nicht wesentlich besserungsfähigen körperlichen und geistigen Zustandes während der gesamten normalen Arbeitszeit mit den üblichen Pausen leichte, während der halben Arbeitszeit, aber nicht in geschlossener Folge auch mittelschwere Arbeiten leisten. Dabei sind Kälte, Nässe, Hitze, ausgesetzte Arbeitsstellen, häufiges Stiegensteigen, alle Hebe- und Tragearbeiten sowie Pedalarbeiten mit dem linken Fuß zu vermeiden. Die Klägerin muß die Körperhaltung regelmäßig wechseln und die Hälfte der Arbeitszeit im Sitzen arbeiten; während der übrigen Zeit kann sie im Gehen und Stehen arbeiten. Wegen dieser Einschränkungen ist sie nur mehr imstande, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewerteten Tätigkeiten einer Werks-, Fabriks- oder Amtsportierin und einer Aufseherin in Museen, Ausstellungen, Versteigerungshäusern u.dgl. auszuüben, weshalb sie nicht invalid im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG sei.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. § 255 Abs 3 ASVG erfordere nicht, daß der Verweisungsberuf in einer inneren Beziehung zur bisherigen Tätigkeit stehe. Die in ausreichender Zahl vorhandenen Verweisungstätigkeiten könnten der Klägerin unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Die Revisionswerberin, die nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen im Sinne der Absätze 1 und 2 des § 255 ASVG tätig war, würde nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle als invalid gelten, wenn sie infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande wäre, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das eine körperliche und geistig gesunde Versicherte regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.
Daß die Revisionswerberin infolge ihres körperlichen und geistigen Zustandes jedenfalls noch imstande ist, die Tätigkeit einer Aufseherin in Museen, Ausstellungen, Versteigerungshäusern u. dgl. ohne Einschränkungen auszuüben wird in der Revision nicht bekämpft. Daß es allein im Raume Wien für Frauen etwa 1000 derartige Arbeitsplätze gibt, gehört zu den nicht als aktenwidrig gerügten und daher im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbaren Entscheidungsgrundlagen des berufungsgerichtlichen Urteils. Bei der Erledigung der Rechtsrüge ist daher nur zu prüfen, ob diese Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird, und ob sie der Revisionswerberin unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann.
Die erste Frage wurde vom Berufungsgericht schon deshalb richtig bejaht, weil daraus, daß für eine Tätigkeit schon im nur einen Teil des österreichischen Arbeitsmarktes bildenden Raume Wien für Frauen etwa 1.000 Arbeitsplätze bestehen, geschlossen werden muß, daß eine solche Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt entsprechend gefragt und entlohnt wird. Ob die Klägerin im Verweisungsberuf tatsächlich einen Posten finden wird, ist bei der Beurteilung ihrer Invalidität nicht entscheidungswesentlich (so auch 10 Ob S 50/87; 10 Ob S 112/87 ua.). Während ein Versicherter, der überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig war, nach § 255 Abs 1 ASVG nur auf Berufe verwiesen werden darf, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern, und ein Versicherter, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, wenn auch die anderen Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG zutreffen, nur auf eine Tätigkeit verwiesen werden darf, die er in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt hat, darf ein nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig gewesener Versicherter, auf den die Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nicht zutreffen, nur nicht auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, zu denen er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, die auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr bewertet werden, die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr zugemutet werden können oder durch die er nicht wenigstens die Hälfte des Entgeltes erwerben kann, das ein gesunder Versicherter regelmäßig dadurch zu erzielen pflegt. Das Verweisungsfeld solcher Arbeiter ist daher mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt ident (Schrammel, Zur Problematik der Verweisung in der Pensionsversicherung und Unfallversicherung ZAS 1984, 83 (85) (so auch 10 Ob S 12/87).
Die im § 255 Abs 3 ASVG enthaltene Zumutbarkeitsformel soll die Verweisung auf Tätigkeiten verhindern, zu denen der Versicherte zwar imstande wäre, die ihm aber unter billiger Berücksichtigung der von ihm - nicht nur während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag - ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr zumutbar wären. Diese Bestimmung hindert eine Verweisung auf Tätigkeiten, die den bisher ausgeübten unähnlich sind, nicht, sondern soll nur in den Ausnahmsfällen eine Verweisung verhindern, die bei Berücksichtigung der schon ausgeübten Tätigkeiten als unbillig bezeichnet werden müßte.
Die Revisionswerberin war nach ihrer Schulzeit zunächst im Burgenland als landwirtschaftliche Arbeiterin, dann in einer Konservenfabrik, bei der Stadtgemeinde Neusiedl am See und als Schilfrohrpresserin und sodann in Wien zunächst als Stanzerin und schließlich als Förderbandarbeiterin in einem Pressegroßvertrieb tätig. Sie ist unterweisbar und kann eingeordnet werden und stand am Stichtag erst im 49. Lebensjahr.
Unter diesen Umständen kann schon aufgrund des von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhaltes nicht gesagt werden, daß der Revisionswerberin die Verweisung auf die Tätigkeit einer Aufseherin in Museen, Ausstellungen, Versteigerungshäuserin u.dgl unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr zugemutet werden könnte.
Nach § 255 Abs 3 ASVG kommt es nicht darauf an, ob der Versicherte durch die auf dem Arbeitsmarkt noch bewerteten und ihm zumutbare Tätigkeiten wenigstens die Hälfte seines bisherigen Einkommens erwerben kann, sondern nur darauf, daß er wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben imstande ist, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch die Verweisungstätigkeiten zu erzielen pflegt. Ist ein Versicherter - wie die Revisionswerberin - in der Lage, eine Verweisungstätigkeit ohne jede Einschränkung - also wie ein gesunder Versicherter - auszuüben, dann kann er auch die für diese Tätigkeit übliche Entlohnung erzielen (so auch 10 Ob S 20/87 ua.). Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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