Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Teilurteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 30. 11. 2005 verordnete Dr. Peter O*****, Arzt für Allgemeinmedizin, dem bei der Klägerin mitversicherten Sohn Christian - jeweils ohne Diagnose - die Arzneimittel Acidum Phosphor D 12 Glob. OP I und Acidum Phosphor D 30 Dill. OP I sowie Citrus/Cydonia AT OP I, laut den Angaben im Kostenübernahmeantrag zur Behandlung allergischer Konjunktivitis und Rhinitis. Für diese Arzneispezialitäten, die nicht im Erstattungskodex angeführt sind, liegt keine ärztliche Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes des zuständigen Krankenversicherungsträgers vor. Mit Bescheid vom 20. 1. 2006 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für die genannten Arzneimittel ab. Gegen den Bescheid erhob die Klägerin zum AZ 18 Cgs 29/06g (nunmehr 18 Cgs 89/07g) des Erstgerichts rechtzeitig Protokollarklage mit dem Begehren auf Kostenübernahme. Sie brachte im Wesentlichen vor, die gesetzliche Krankenversicherung sei leistungspflichtig, wenn es bei einer schweren Erkrankung keine Behandlungsalternative gebe und die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem Arzneimittel ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Der gesamten Familie der Klägerin seien die von ihr benötigten homöopathischen und anthroposophischen Heilmittel bisher von den bisherigen Krankenversicherungsträgern als Fortsetzungstherapie bewilligt und erstattet worden. Diese Therapie sei bei richtiger Indikationsstellung sowohl wirksam als auch nebenwirkungsfrei. Umgekehrt sei eine Therapie mit chemisch hergestellten Arzneimitteln bei einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von Patienten mit Nebenwirkungen und gefährlichen Interaktionen verbunden, in vielen Fällen sogar mit gravierenden Nebenwirkungen bis hin zu Todesfällen, die teilweise nicht oder nur eingeschränkt vorhersehbar seien. Die Klägerin lehne weder die Schulmedizin ab, noch sehe sie nur die Komplementärmedizin als die einzig wirksame Methode an, sondern aus ihrer Sicht gehe es um die freie Therapieauswahl ohne Einschränkung der Therapiemöglichkeiten für kranke Menschen, was auch dem Recht auf möglichst nebenwirkungsfreie medizinische Maßnahmen (Art 2 EMRK) entspreche. Bei ihrem Sohn Christian liege eine Allergie in der dritten Generation vor; nach neuen Studien erhöhe die Gabe klassischer Antipyretika bei banalen Infekten die Bereitschaft zur Entwicklung allergischer Symptome und stellten chronische Entzündungen der Augen- und Nasenschleimhaut sowie der Bronchien für Kinder große Belastungen dar.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte im Wesentlichen ein, die verfahrensgegenständlichen Arzneimittel (Homöopathika) seien in der „Liste nicht erstattungsfähiger Arzneikategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG" dem Bereich der Arzneimittel mit offensichtlich nicht ausreichendem Nachweis einer therapeutischen Wirkung zugeordnet. Für die Behandlung der allergischen Konjunktivitis und Rhinitis beim Sohn der Klägerin stünden in zweckmäßiger und wissenschaftlich akzeptierter Form andere in ihrer Wirksamkeit dokumentierte, kassenfreie Arzneimittel im grünen Bereich des Erstattungskodex zur Verfügung. Eine zwingende therapeutische Notwendigkeit einer Behandlung mit den Arzneispezialitäten, deren Kosten die beklagte Partei übernehmen solle, bestehe daher nicht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im Wesentlichen noch fest, dass für die Wirksamkeit der klagsgegenständlichen Arzneimittel kein ausreichender medizinischer/wissenschaftlicher Beleg vorliegt. Es sei davon auszugehen, dass allfällige Wirkstoffeffekte beim Sohn der Klägerin auf einen Placeboeffekt und somit auf Suggestion und/oder Autosuggestion und/oder auf nicht wirkstoffgebundene Behandlung zurückzuführen seien. In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass es der Klägerin - nicht zuletzt aufgrund des festgestellten Placeboeffekts und des Fehlens eines ausreichend wissenschaftlich fundierten Wirksamkeitsnachweises - nicht gelungen sei, einen objektiv ausreichenden Nachweis für die Wirksamkeit der verfahrensgegenständlichen Arzneimittel zu erbringen. Im Hinblick auf die Anforderungen für die Kostentragung von Medikamenten durch den Sozialversicherungsträger müsse davon ausgegangen werden, dass die Wirksamkeit eines Arzneimittels aufgrund eines Placeboeffekts nicht ausreichend und zweckmäßig im Sinn des § 133 Abs 2 ASVG sei. Das Klagebegehren sei daher nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung der Klägerin diese Entscheidung. Es verneinte das Vorliegen der geltend gemachten Mangelhaftigkeit des Verfahrens in Bezug auf die Notwendigkeit einer Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der homöopathischen und anthroposophischen Medizin und hielt die vom Erstgericht über den fehlenden - allgemeinen - Wirkungsnachweis der verfahrensgegenständlichen Arzneimittel getroffenen Feststellungen für unbedenklich. In seinen Rechtsausführungen verwies das Berufungsgericht auf die Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 10 ObS 409/02y (= SSV-NF 17/54), wonach ein Kostenersatz bei einer von der Wissenschaft noch nicht anerkannten Behandlungsmethode (Außenseitermethode) nur dann gewährt werden könne, wenn diese Behandlung einer zweckentsprechenden Krankenbehandlung entspreche und das Maß des Notwendigen nicht überschreite. Dies setze voraus, dass eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung gestanden oder eine solche erfolglos geblieben sei, während die Außenseitermethode beim Versicherten erfolgreich gewesen sei oder von ihr nach den Ergebnissen einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen ein Erfolg habe erwartet werden können, sie sich also als erfolgversprechend dargestellt habe. Es bestehe daher kein Anlass zur Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger, wenn herkömmliche Behandlungsmethoden erfolgreich und ohne Nebenwirkungen angewandt werden konnten bzw hätten angewandt werden können. Wenn jedoch schulmedizinische Behandlungsmethoden zu unerwünschten (erheblichen) Nebenwirkungen führten und durch alternative Heilmethoden der gleiche Behandlungserfolg (ohne solche Nebenwirkungen) erzielt werden könne, komme auch eine Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger in Betracht. Einer Kostenübernahme stehe im Anlassfall schon entgegen, dass gar nicht feststehe und im erstinstanzlichen Verfahren auch nicht behauptet worden sei, dass dem Sohn der Klägerin keine zumutbare erfolgversprechende Methode nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst zur Behandlung der chronischen Konjunktivitis und Rhinitis zur Verfügung gestanden oder eine solche erfolglos geblieben wäre. Vielmehr habe die Klägerin im Verfahren erster Instanz die grundsätzliche Ansicht vertreten, dass im Rahmen einer freien Therapiewahl auch die Kosten der von ihrem Sohn verwendeten homöopathischen/anthroposophischen Arzneimittel von der beklagten Partei zu ersetzen seien. Nur weil ein Patient die Behandlung mit im Erstattungskodex angeführten Medikamenten wegen im Einzelfall möglichen Nebenwirkungen ablehne und die Behandlung mit alternativen Arzneimitteln für ausreichend und geeignet erachte, begründe dies noch keinen Anspruch auf Kostenübernahme für diese Arzneimittel. Im Übrigen fehle für die konkrete Verordnung am 30. 11. 2005 nicht nur eine Diagnose des damals behandelnden Arztes, sondern habe die Therapie nach der Begründung im Kostenübernahmeantrag - in Kombination mit Eigenbluttherapie - dazu gedient, dass es ihrem Sohn möglich gewesen sei, Urlaub am Bauernhof zu machen und Stall und Scheune im Gegensatz zu früher zu betreten. Daraus werde abgeleitet, dass die Therapie erfolgreich gewesen sei. Dass die Behandlung mit den verfahrensgegenständlichen Präparaten zum Zeitpunkt ihrer Verordnung im November 2005 wegen eines akuten Infekts im Hinblick auf konkrete Nebenwirkungen anderer Medikamente notwendig gewesen sei, sei ebenso nicht vorgebracht worden, wie, dass eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst im Einzelfall nicht zur Verfügung gestanden oder erfolglos geblieben wäre. Der bloße Hinweis auf Studien bezüglich angeblicher Nebenwirkungen klassischer Heilmittel rechtfertige eine Kostenübernahmepflicht des Krankenversicherungsträgers für alternative Heilmittel nicht. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision gegen das Teilurteil mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung das Prozessvorbringen der Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt hat, und im Sinn der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.
Die Klägerin zieht die Richtigkeit der bereits vom Berufungsgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Behandlung mit Außenseitermethoden nicht in Frage. Danach kann ein Kostenersatz bei einer von der Wissenschaft noch nicht anerkannten Behandlungsmethode (Außenseitermethode) nur dann gewährt werden, wenn diese Behandlung einer zweckmäßigen Krankenbehandlung entspricht und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet. Dies setzt voraus, dass eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung stand oder eine solche erfolglos blieb, während die Außenseitermethode beim Versicherten erfolgreich war oder von ihr nach den Ergebnissen einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen ein Erfolg erwartet werden konnte, sie sich also als erfolgversprechend darstellte. Der Oberste Gerichtshof vertritt daher in ständiger Rechtsprechung auch den Grundsatz, dass dann, wenn herkömmliche Behandlungsmethoden erfolgreich und ohne Nebenwirkungen angewandt werden konnten (bzw angewandt hätten werden können), kein Anlass zur Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger besteht. Wenn jedoch schulmedizinische Behandlungsmethoden zu unerwünschten (erheblichen) Nebenwirkungen führen und durch alternative Heilmethoden der gleiche Behandlungserfolg (ohne solche Nebenwirkungen) erzielt werden kann, kommt im Sinn einer „zweckmäßigen" Krankenbehandlung (vgl § 133 Abs 2 ASVG) auch eine Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger in Betracht, wobei die Zweckmäßigkeit einer Krankenbehandlung nicht allein nach ökonomischen Gesichtspunkten beurteilt werden darf, sondern auch das Ausmaß der Betroffenheit des Patienten im Einzelfall berücksichtigt werden muss (vgl 10 ObS 409/02y = SSV-NF 17/54 mwN ua).
Das Berufungsgericht hat die Abweisung des Klagebegehrens deshalb bestätigt, weil die Klägerin im Verfahren erster Instanz gar nicht behauptet habe, dass keine zumutbare erfolgversprechende Behandlung der chronischen Konjunktivitis nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst zur Verfügung gestanden oder eine solche erfolglos geblieben sei. Insbesondere habe die Klägerin nicht behauptet, dass die Behandlung mit den verfahrensgegenständlichen Arzneimitteln im Hinblick auf konkrete Nebenwirkungen anderer Medikamente notwendig gewesen sei.
Die Frage, ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist bzw wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist, stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar, sofern das Berufungsgericht zu einem vertretbaren Auslegungsergebnis gelangt ist (RIS-Justiz RS0042828 [T8]). Im Anlassfall ist aber zu berücksichtigen, dass das Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 87 Abs 1 ASGG die Pflicht hat, selbst alle Tatsachen von Amts wegen zu erwägen und zu erheben, die für die begehrte Entscheidung erforderlich sind und die zum Beweis dieser Tatsachen notwendigen Beweise von Amts wegen aufzunehmen (RIS-Justiz RS0042477). Wenn sich daher aus dem Vorbringen der Parteien, aus Beweisergebnissen oder dem Inhalt des Akts Hinweise auf das Vorliegen bestimmter entscheidungswesentlicher Tatumstände ergeben, ist das Gericht verpflichtet, diese in seine Überprüfung einzubeziehen (RIS-Justiz RS0086455). Auch wenn man berücksichtigt, dass sich gegenüber qualifiziert vertretenen Parteien die amtswegige Beweisaufnahme gemäß § 87 Abs 1 ASGG innerhalb der - allerdings weit zu steckenden - Grenzen des Parteivorbringens zu bewegen hat (vgl 10 ObS 173/98h = SSV-NF 12/78 mwN; RIS-Justiz RS0109126), muss im vorliegenden Fall doch beachtet werden, dass die beklagte Partei bereits in ihrer Klagebeantwortung eingewendet hat, dass auch zur Behandlung der chronischen Konjunktivits und Rhinitis beim Sohn der Klägerin ausreichende kassenfreie Arzneimittel im grünen Bereich des Erstattungskodex zur Verfügung stünden. Die Klägerin hat demgegenüber in ihrem bereits oben zitierten Prozessvorbringen ausreichend deutlich geltend gemacht, dass die von der beklagten Partei vorgeschlagene schulmedizinische Behandlung mit chemisch hergestellten Arzneimitteln aufgrund der damit verbundenen Nebenwirkungen nicht zumutbar gewesen sei. Sie hat auch behauptet, dass die bisherige Therapie bei ihrem Sohn nebenwirkungsarm gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat damit die Klägerin im Verfahren erster Instanz ein ausreichendes Tatsachenvorbringen erstattet.
Ausgehend von der oben dargestellten oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Frage der Behandlung mit Außenseitermethoden kann auf der Grundlage des vom Erstgericht durchgeführten Beweisverfahrens und der von ihm getroffenen Feststellungen die Berechtigung des Klagebegehrens noch nicht abschließend beurteilt werden, sodass mit Aufhebung vorzugehen ist. Die Feststellung fehlender Wirksamkeit der verfahrensgegenständlichen Arzneimittel im Einzelfall - noch dazu als bloße Schlussfolgerung aus dem Fehlen wissenschaftlich fundierter allgemeiner Wirksamkeitsstudien - reicht nicht aus. Der Ersatz der Kosten der verfahrensgegenständlichen Arzneimittel käme grundsätzlich in Betracht, wenn die Behandlung mit diesen Präparaten erfolgreich war und im Vergleich zu der schulmedizinischen auch höhere Erfolgsaussichten bietet und erheblich geringere Nebenwirkungen mit sich bringt. Zum Umfang der notwendigen Verfahrensergänzungen kann - abgestellt auf den Sohn der Klägerin - auf die in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Ergänzungsaufträge des Berufungsgerichts betreffend das Verfahren AZ 18 Cgs 87/07p verwiesen werden. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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