OGH 10ObS66/06p

OGH10ObS66/06p25.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Scherz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Vera F***** Pensionistin,*****, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Februar 2006, GZ 8 Rs 113/05g-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. September 2005, GZ 41 Cgs 94/05m-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt eine Alterspensionsleistung in einer monatlichen Höhe von EUR 527,15 brutto (2004) bzw EUR 535,06 brutto (seit 1. 1. 2005). Von der Schweizer Ausgleichskasse erhält sie eine monatliche Leistung in Höhe von EUR 16,99 (Juli bis September 2004) bzw EUR 17,06 (Oktober bis Dezember 2004) bzw EUR 17,13 (seit 1. 1. 2005). Das Einkommen des von der Klägerin getrennt lebenden Ehegatten Mag. Peter F***** betrug bis 31. 12. 2004 EUR 2.029,24 netto monatlich (zuzüglich Sonderzahlungen); seit 1. 1. 2005 beträgt das monatliche Nettoeinkommen des Ehegatten der Klägerin etwa EUR 3.000,--. Bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung mit Mag. Peter F***** am 4. 10. 1996 hatte die Klägerin ihren ordentlichen Wohnsitz - wie auch jetzt noch - in M*****. Mag. Peter F***** war zum Zeitpunkt der Eheschließung bis 16.10.1996 in G*****, N*****gasse 10, gemeldet; seit diesem Zeitpunkt lebt er in G*****, E*****platz 12. Die Ehe zwischen der Klägerin und Mag. Peter F***** ist nach wie vor aufrecht. Aufgrund von wiederkehrend auftretenden Spannungen bei längerem Zusammensein beschlossen die Klägerin und ihr Ehegatte jedoch bereits zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung, keinen gemeinsamen Haushalt zu führen; sie führten und führen auch tatsächlich getrennte Haushalte an getrennten Wohnsitzen. Die Klägerin bezog seit der Eheschließung von ihrem Ehegatten zu keiner Zeit Unterhalt. Mit - ohne Erhebung eines Rechtsmittels rechtskräftig gewordenem - Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Mai 2003, 9 Cgs 55/99d, wurde der Klägerin, grundsätzlich ausgehend vom Bestehen eines Unterhaltsanspruches gegenüber ihrem Ehegatten und davon, dass der Ehegatte der Klägerin im Zeitraum Februar bis Dezember 1998 ein monatliches Durchschnittseinkommen von nur EUR 140,-- erzielen konnte und die Klägerin deshalb in diesem Zeitraum keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren Gatten hatte, in teilweiser Entsprechung ihres Begehrens für den Zeitraum von 1. 2. 1998 bis 31. 12. 1998 eine Ausgleichszulage gewährt. Das Mehrbegehren auf Zahlung einer Ausgleichszulage auch für den Zeitraum von 1. 1. 1999 bis 31. 10. 2001 wurde abgewiesen, da der Klägerin nach dem im genannten Verfahren festgestellten Sachverhalt aufgrund des von ihrem Ehegatten in diesem Zeitraum monatlich erzielten Einkommens ein Unterhaltsanspruch gemäß § 94 ABGB zustand und das unter Einbeziehung des Unterhaltsanspruches zur Verfügung stehende Gesamteinkommen den damals geltenden Richtsatz für die Gewährung einer Ausgleichszulage überschritt.

Mit Bescheid vom 29. März 2005 hat die beklagte Partei den am 1. 10. 2004 eingelangten Antrag der Klägerin vom 27. 9. 2004 auf Zuerkennung einer Ausgleichszulage ab 1. 1. 2002 mit der Begründung abgelehnt, dass bei der Beurteilung eines Ausgleichszulagenanspruch die Alterspension (EUR 535,06), die ausländische Leistung (EUR 17,13) und die Unterhaltsleistung des getrennt lebenden Ehepartners (EUR 497,74) anzurechnen seien; die Summe dieser maßgebenden Einkünfte (EUR 1.049,93) übersteige den Richtsatz von EUR 662,99.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Die Klägerin und ihr Ehegatte hätten im Rahmen der ihnen eingeräumten Möglichkeit zur autonomen Gestaltung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft berechtigtigterweise bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung die getrennte Wohnungsnahme und Haushaltsführung sowie offensichtlich auch eine Finanzierung ihrer jeweiligen Lebenshaltungskosten aus eigenen Mitteln wirksam vereinbart. Ein offenbar bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung vereinbarter und praktizierter Unterhaltsverzicht sei hingegen nicht wirksam, sodass jedenfalls vom Bestehen eines Unterhaltsanspruchs der Klägerin auszugehen sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Im Hinblick darauf, dass der Antrag der Klägerin erst am 1. 10. 2004 bei der beklagten Partei eingelangt sei, sei das Begehren auf Gewährung einer Ausgleichszulage für den Zeitraum von 1. 1. 2002 bis 31. 8. 2004 schon mangels vorheriger Antragstellung unberechtigt. Ob der Klägerin in weiterer Folge eine Ausgleichszulage zustehe, sei von ihrem allfälligen durchsetzbaren Anspruch auf Unterhalt gegenüber ihrem Gatten abhängig. Nach der Rechtsprechung seien Unterhaltsleistungen bei der Ausgleichszulagenbemessung als sonstiges Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie tatsächlich zufließen oder rechtsmissbräuchlich nicht realisiert würden. Der Verzicht auf bestehende, im Rahmen der Ausgleichszulagenfeststellung zu berücksichtigende Ansprüche sei für die Ausgleichszulagenfeststellung unbeachtlich, sofern dieser Verzicht offenbar den Zweck habe, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen. Rechtsmissbrauch liege nach ständiger Rechtsprechung dann vor, wenn das unlautere Motiv des Verzichts die lauteren Motive eindeutig überwiege, also so augenscheinlich in den Vordergrund trete, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten.

Gemäß § 90 Abs 1 ABGB seien Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet. § 91 Abs 1 ABGB ermögliche Ehegatten, ihre eheliche Lebensgemeinschaft, besonders die Haushaltsführung, die Erwerbstätigkeit, die Leistung des Beistandes und der Obsorge unter Rücksichtnahme aufeinander und auf das Wohl der Kinder mit dem Ziel voller Ausgewogenheit ihrer Beiträge einvernehmlich zu gestalten. Wenngleich der Wohngemeinschaft, Wirtschaftsgemeinschaft sowie der Geschlechtsgemeinschaft große Bedeutung beigemessen werde, sei dennoch eine Vereinbarung des Verzichts auf gemeinsames Wohnen zulässig. In diesem Zusammenhang sei jedoch zu beachten, dass die gegenseitigen Rechte und Verpflichtungen bereits mit einer gültigen Eheschließung und nicht erst mit der tatsächlichen körperlichen Vereinigung oder der Gründung eines gemeinsamen Haushaltes beginnen. Davon ausgehend sei auch die in § 94 Abs 1 ABGB normierte Verpflichtung, wonach die Ehegatten nach ihren Kräften und gemäß der Gestaltung ihrer ehelichen Lebengemeinschaft zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse gemeinsam beizutragen haben, nicht von der Begründung eines gemeinsamen Haushaltes abhängig. Nach § 94 Abs 2 dritter Satz ABGB stehe ein Unterhaltsanspruch einem Ehegatten jedenfalls auch zu, soweit er seinen Beitrag nach § 94 Abs 1 ABGB nicht zu leisten vermöge. Der sich aus dieser Gesetzesstelle ergebende Unterhaltsanspruch führe daher bei wesentlich verschieden hohen Einkommen zweier berufstätiger Ehegatten dazu, dass jener mit höherem Einkommen dem Ehegatten mit niedrigerem Einkommen die erforderlichen Mittel zuschießen müsse, um diesem die Deckung der den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen, Bedürfnisse zu ermöglichen. Da das durchschnittliche Monatseinkommen des Gatten der Klägerin ein Vielfaches ihrer Pension betrage und die gesonderte Wohnungnahme auch seinem Willen entspreche, sei seine Unterhaltspflicht jedenfalls zu bejahen. Ausgleichzulagenrechtlich seien die zwischen Eheleuten getroffenen Übereinkommen über die Art der Lebensführung nur insoweit von Bedeutung, als sie nicht primär die Aufrechterhaltung oder Herbeiführung der Leistungspflicht des Versicherungsträgers zum Ziel hätten. Die von Eheleuten einvernehmlich gestaltete Lebensführung müsse sich daher eine Überprüfung auf Sachangemessenheit gefallen lassen. Bei der gegenständlichen Sachlage liege der von der beklagten Partei aufgezeigte Rechtsmissbrauch zweifellos vor. Hingegen habe die Klägerin ein lauteres Motiv, welches sie dazu bewogen habe, Unterhaltsansprüche nicht geltend zu machen, nicht einmal behauptet. Aus diesen Erwägungen sei ein Ausgleichszulagenanspruch zu verneinen. Die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO sei zulässig, weil die Frage, ob ein Unterhaltsanspruch zwischen Ehegatten, die niemals eine häusliche Gemeinschaft begründet hätten, bestehe, eine erhebliche Rechtsfrage darstelle, mit der sich der Oberste Gerichtshof noch nicht befasst habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt. Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In der Revision wiederholt die Klägerin ihre Auffassung, dass sie nie einen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Ehegatten gehabt habe, da sie zu keinem Zeitpunkt mit ihm „im konservativen Sinn" in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Für diesen Fall sehe § 94 ABGB keine Unterhaltspflicht vor, weshalb ein Unterhaltsanspruch auch nicht durchsetzbar sei; die Klägerin habe daher auch nicht darauf verzichten können.

Dieser Standpunkt wird vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt. Nicht strittig ist, dass die Klägerin sozusagen „im konservativen Sinn" eine Ehe mit Mag. Peter F***** eingegangen ist. Bereits an die Eheschließung knüpft das ABGB eine Reihe von gesetzlichen Wirkungen, die von den §§ 89 - 100 ABGB unter dem Überbegriff der „persönlichen Rechtswirkungen der Ehe" geregelt sind, darunter das Unterhaltsrecht (§ 94 ABGB). Demnach haben beide Ehegatten zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse beizutragen, wobei in erster Linie die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausschlaggebend ist. Darin liegt allerdings keine unbegrenzte Regelungsmacht der Ehegatten: Sie können zwar durchaus von den „Wunschvorgaben" des Gesetzgebers abweichen, aber diese beispielsweise nicht als Ganzes abbedingen (wie im Unterhaltsrecht gerade § 94 Abs 3 Satz 2 ABGB eindringlich zeigt); außerdem müssen die vom Gesetzgeber gesteckten Leitlinien beachtet werden (Koch in KBB, § 90 Rz 1).

Für den vorliegenden Fall ist aber vor allem von Bedeutung, dass die einvernehmliche Gestaltung grundsätzlich keine Außenwirkung auf die Pflichten Dritter entfaltet (Koch in KBB, § 90 Rz 9; Stabentheiner in Rummel3 § 90 Rz 2).

Angesichts der Einkommensverhältnisse ist nicht zu bezweifeln, dass der Klägerin als schlechter verdienender Ehegattin unabhängig von der Aufnahme oder dem Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft ein Unterhaltsanspruch nach § 94 ABGB zusteht (7 Ob 531/93 = EF 70.575; Hinteregger, Familienrecht3 [2004] 62 f), der bei der Ausgleichszulagenbemessung als sonstiges Einkommen zu berücksichtigen ist, soweit der Unterhalt tatsächlich zufließt oder rechtsmissbräuchlich nicht realisiert wird (10 ObS 223/02w = SZ 2002/118; RIS-Justiz RS0106714).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes über das Vorliegen von Rechtsmissbrauch ist nicht zu beanstanden; dagegen wird von der Klägerin in der Revision auch nichts vorgebracht, außer dass sie - zu Unrecht - einen Unterhaltsanspruch von vornherein verneint. Der Revision der Klägerin ist daher nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit sind nicht ersichtlich.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte