European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00052.21A.0427.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Mit Bescheid vom 27. 4. 2017 widerrief die Beklagte die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Ewerbseinkommens für den Zeitraum von 31. 1. 2015 bis 31. 12. 2015 in Höhe der Überschreitung der für das Jahr 2015 bestehenden Zuverdienstgrenze in Höhe von 6.400 EUR und verpflichtete den Kläger zum Rückersatz der unberechtigt empfangenen Leistung von 13.146,55 EUR.
[2] Der Kläger begehrt mit seiner gegen den Bescheid gerichteten Klage erkennbar die Feststellung, dass der Anspruch der Beklagten auf Rückforderung nicht zu Recht bestehe. Auch wenn ihm die Löhne erst 2015 zugeflossen seien, habe er den Entgeltanspruch bereits zuvor (im Jahr 2014) erworben, sodass keine für das Jahr 2015 maßgeblichen Einkünfte iSd § 8 Abs 1 Z 1 KBGG vorliegen.
[3] Die Beklagte wendete ein, der Kläger sei im Jahr 2014 durchgehend bei seiner Lebensgefährtin als unselbständig erwerbstätig zur Sozialversicherung angemeldet gewesen und habe (laut Anmeldung) von Jänner bis August an Entgelt durchschnittlich 990 EUR brutto monatlich bezogen. In jenen Monaten, die für die Berechnung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens herangezogen worden seien (September bis November 2014) sei ein Bruttoentgelt von monatlich 4.291,12 EUR angegeben worden. Eine daraufhin durchgeführte Sozialversicherungs-, Lohnsteuer‑ und Kommunalsteuerprüfung habe ergeben, dass dem Kläger (mit Ausnahme des Entgelts für Dezember 2014) keine Entgelte ausgezahlt worden seien. Letztendlich seien die ausständigen Entgelte im Dezember 2015 nachgezahlt worden.
[4] Der Kläger replizierte, bei der Prüfung seien keine Unregelmäßigkeiten festgestellt worden. Das von der Beklagten gegen ihn angestrengte Strafverfahren wegen Betrugs sei von der Staatsanwaltschaft G***** rechtskräftig eingestellt worden (ON 18).
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und verpflichtete den Kläger zur Rückzahlung von 13.146,55 EUR.
[6] Es stellte im Wesentlichen fest, dass dem Kläger anlässlich der Geburt seiner Tochter M***** am 31. 1. 2015 das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von 31. 1. 2015 bis 25. 4. 2015 in Höhe von täglich 13,93 EUR und für den Zeitraum von 26. 4. 2015 bis 30. 1. 2016 in Höhe von täglich 66 EUR zuerkannt und ausgezahlt wurde. 2015 war der Kläger im Gastronomiebetrieb seiner Lebensgefährtin unselbständig beschäftigt. In diesem Jahr bezog er lohnsteuerpflichtige Einkünfte abzüglich Werbungskostenpauschale in Höhe von 15.471,04 EUR (davon 15.083,46 EUR an Löhnen für August bis November 2014, Februar 2015 und April bis Dezember 2015 sowie 852,99 EUR für Dezember 2014). Die Löhne für August bis November 2014 und die 852,99 EUR für Dezember 2014 waren wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Lebensgefährtin vorerst „stehengelassen“ worden. Aufgrund einer von der Beklagten vorgenommenen Sozialversicherungs-, Lohnsteuer‑ und Kommunalsteuer-prüfung wurden sie letztendlich am 23. 12. 2015 nachgezahlt.
[7] Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass hinsichtlich der zeitlichen Zuordnung des Einkommens das im Einkommenssteuerrecht geltende Zuflussprinzip anzuwenden sei. Dem folgend errechne sich der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte mit 21.940,75 EUR (15.471,04 : 11 x 12, erhöht um 30 %) und überschreite daher den Grenzbetrag von 6.400 EUR (§ 24 Abs 1 Z 3 KBGG) um 15.540,75 EUR.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und ließ die Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[10] Der Kläger vertritt auch in seiner außerordentlichen Revision den Standpunkt, § 8 Abs 1 Z 1 KBGG sei dahin auszulegen, dass Einkünfte nur dann anspruchsschädlich seien, wenn sie (kumulativ) sowohl während des Anspruchszeitraums erarbeitet („erzielt“) als auch gemäß § 19 EStG 1988 zugeflossen seien. Einem unselbständigen Erwerbstätigen eine verspätete Entgeltzahlung im Hinblick auf § 8 Abs 1 Z 1 KBGG benachteiligend anzulasten, laufe dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwider und sei unsachlich.
[11] Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt:
[12] 1.1 Gemäß § 2 Abs 1 KBGG hat ein Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens, ua dann, wenn er während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes keine Erwerbseinkünfte erzielt, wobei sich ein Gesamtbetrag an maßgeblichen Einkünften (§ 8 Abs 1 KBGG) von nicht mehr als 6.400 EUR pro Kalenderjahr nicht schädlich auswirkt (§ 24 Abs 1 Z 3 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 2013/117).
[13] 1.2 Im Rahmen der Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte unterscheidet § 8 Abs 1 KBGG zwischen Kinderbetreuungsgeldbeziehern, die über Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit (Z 1) verfügen, und solchen, die über andere Einkünfte iSd §§ 21 bis 23 EStG 1988 verfügen (Z 2).
[14] 1.3 Nach § 8 Abs 1 KBGG sind maßgebliche Einkünfte die Einkünfte gemäß § 2 Abs 3 Z 1 bis 4 EStG 1988.
[15] 1.4 Der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte ist wie folgt zu ermitteln:
[16] Soweit im Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte solche aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 EStG 1988) enthalten sind, ist von jenen Einkünften auszugehen, die während der Kalendermonate mit Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (Anspruchszeitraum) erzielt werden und gemäß § 19 EStG 1988 diesem Anspruchszeitraum zuzuordnen sind (§ 8 Abs 1 Z 1 KBGG idF BGBl I 2013/117).
[17] 2.1 Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 8 Abs 1 Z 1 KBGG idF BGBl I 2013/117 ergibt, sind darunter alle Einkünfte zu verstehen, die während des Kinder-betreuungsgeld‑Anspruchszeitraums steuerlich anfallen, also diesem Zeitraum steuerlich zugeordnet werden, und zwar unabhängig davon, ob sie in Ausnahmefällen nicht mit einer Tätigkeit verbunden sind (zB bei Veräußerungsgewinnen), oder ob diese Tätigkeit in Einzelfällen sogar zu einem anderen Zeitpunkt ausgeübt worden ist (ErläutRV 2336 BlgNR 24. GP 1). Das Wort „erzielt“ ist somit im steuerrechtlichen Sinn zu verstehen und mit „steuerlich angefallen“ gleichzusetzen, ohne dass es darauf ankommt, wann die Einkünfte „erarbeitet“ bzw fällig waren.
[18] 2.2 Unter „Zufluss“ ist die Erlangung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verfügungsmacht zu verstehen (§ 19 EStG 1988). Entscheidend ist die tatsächliche Zahlung bzw – bei Überweisung des Arbeitslohns auf das Arbeitnehmerkonto – die objektive Verfügungsmöglichkeit, die mit der Gutschrift auf dem Konto gegeben ist, nicht aber der Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs (10 ObS 136/12s SSV‑NF 26/85). Dies gilt auch für eine im Anspruchszeitraum bezogene Nachzahlung eines Bruttobetrags für laufende Bezüge aus dem Vorjahr (10 ObS 27/14i; 10 ObS 124/15f zu einem im Anspruchszeitraum ausbezahlten „Guthabens-betrag“; zuletzt 10 ObS 31/20m betreffend die Überschreitung der Zuverdienstgrenze durch Provisionen, die an eine Angestellte eines Versicherungsunternehmens im Anspruchszeitraum für vor dem Anspruchszeitraum verkaufte Versicherungspolizzen ausgezahlt wurden; Weißenböck in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, KBGG [2017] 109).
[19] 2.3 Mit dieser Rechtsprechung steht die Ansicht der Vorinstanzen in Einklang.
[20] 3.1 Das Zuflussprinzip enthält nur insofern eine Aufweichung, als nach § 19 Abs 1 Z 1 EStG regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die kurze Zeit vor oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören zugeflossen sind, in diesem Kalenderjahr als bezogen gelten (RIS‑Justiz RS0124063 [T29]). Diese Ausnahmeregelung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht anzuwenden, weil die Nachzahlung der Löhne weitaus später erfolgte.
[21] 3.2 Eine darüber hinausgehende Ausnahme vom Zuflussprinzip für nichtselbständige Einkünfte besteht nicht. Eine § 8 Abs 1 Z 2 KBGG für Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit entsprechende Möglichkeit der (zeitlichen) Abgrenzung von Einkünften ist in § 8 Abs 1 Z 1 KBGG für Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit nicht vorgesehen.
[22] 4.1 Im Zusammenhang mit der Ermittlung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte hat der Verfassungsgerichtshof das Abstellen auf den Zufluss (anstelle der Fälligkeit) als nicht unsachlich erachtet. Auch vor dem Hintergrund, dass die Höhe des maßgeblichen Einkommens oft nicht vorhersehbar sei, hegte der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen das Abstellen auf das Zuflussprinzip. Gehe der Anspruchswerber von der Annahme aus, er werde die maßgebliche Einkommensgrenze nicht überschreiten und nimmt er daher das Kinderbetreuungsgeld in Anspruch, trägt er das Risiko, dass seine Annahme nicht zutrifft und er das Kinderbetreuungsgeld zurückzuzahlen hat (VfGH G 128/08 ua, VfSlg 18.705 [ErwGr 2.3.1]).
[23] 4.2 Der Verfassungsgerichtshof erachtete weiters § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG als nicht unsachlich, wonach die Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld an keine weiteren Voraussetzungen als das Überschreiten der Zuverdienstgrenze geknüpft ist, ohne dass es auf ein Verschulden des Leistungsempfängers ankommt. Rückforderungsvorschriften, die auf den objektiven Umstand des Nichtvorliegens der Anspruchsvoraussetzungen abstellen, seien in der österreichischen Rechtsordnung nicht ungewöhnlich. Verfassungsrechtliche Bedenken wären nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt, wie etwa, wenn eine Regelung eine den Betrag der eigenen Einkünfte weit übersteigende Rückzahlungsverpflichtung vorsehe (VfGH G 128/08 ua, VfSlg 18.705 [ErwGr 2.4]).
[24] 5. Da der Revisionswerber mit seinen Ausführungen somit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
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