European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131223
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Entscheidung hat – einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils – daher insgesamt zu lauten:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens anlässlich der Geburt des Kindes S* am 4. Juli 2019 für den Zeitraum von 30. August 2019 bis 2. Juli 2020 in der Höhe von 50,83 EUR täglich zu gewähren. Die bisher fällig gewordenen Beträge sind binnen 14 Tagen und die in Hinkunft fällig werdenden Beträge jeweils am 10. des Folgemonats im Nachhinein zu leisten. Bereits erbrachte Leistungen sind anzurechnen.
Hingegen wird das weitere Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens auch für den Zeitraum von 4. Juli 2019 bis 29. August 2019 im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 625,30 EUR (darin enthalten 104,22 EUR USt) bestimmten Kosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 609,25 EUR (darin enthalten 101,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung und die mit 418,35 EUR (darin 69,37 EUR USt) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung hat die beklagte Partei selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob unter den Tatbestand der „tatsächlichen Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken‑ und pensionsversichungspflichtigen) Erwerbstätigkeit“ im Sinne des § 24 Abs 2 erster Satz KBGG iVm § 24 Abs 1 Z 2 KBGG auch eine mehr als 14‑tägige, über das Ausmaß des gesetzlichen Erholungsurlaubs hinausgehende Dienstfreistellung fällt, wenn das Entgelt fortgezahlt wird und die Sozialversicherungspflicht weiter besteht.
[2] Die Klägerin war seit 5. 9. 2016 bei der C* e.U. als Dienstnehmerin beschäftigt und zur Sozialversicherung gemeldet. Am 6. 3. 2019 wurde das Dienstverhältnis einvernehmlich zum 31. 7. 2019 beendet. Die Klägerin vereinbarte mit ihrem Dienstgeber, dass sie nach Verbrauch des offenen Urlaubsanspruchs im Ausmaß von 6,6 Tagen bis zum Beginn der Mutterschutzfrist unter Fortzahlung des Entgelts dienstfrei gestellt wird. Entsprechend dieser Vereinbarung erfolgte die Dienstfreistellung ab 5. bzw 8. 4. 2019 bis zum Beginn des Mutterschutzes am 7. 5. 2019. Das Dienstverhältnis bestand in diesem Zeitraum aufrecht fort, die Klägerin bezog weiterhin ihr Gehalt, der Dienstgeber führte die Sozialversicherungsbeiträge unverändert ab. Nach der Geburt ihres Kindes am 4. 7. 2019 bezog die Klägerin von 7. 5. 2019 bis 29. 8. 2019 Wochengeld in Höhe von 63,54 EUR täglich.
[3] Mit Bescheid vom 7. 1. 2020 lehnte die beklagte Partei den Antrag auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von 4. 7. 2019 bis 2. 7. 2020 mit der Begründung ab, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen der tatsächlichen Ausübungeiner sozialversicherungspflichtigen durchgehenden Erwerbstätigkeit in den letzten 182 Kalendertagen unmittelbar vor der Geburt des Kindes (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG iVm § 24 Abs 2 KBGG) nicht erfülle.
[4] In ihrer auf Gewährung des beantragten Kinderbetreuungsgeldes gerichteten Klage vertritt die Klägerin die Ansicht, die Dienstfreistellung stehe der Erfüllung dieser Anspruchsvoraussetzung nicht entgegen.
[5] Die beklagte Partei wendete zusammengefasst ein, die Klägerin hätte zur Erfüllung der maßgeblichen Anspruchsvoraussetzungen im Beobachtungszeitraum eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit tatsächlich, also Tag für Tag, entsprechend der geltenden Wochenarbeitszeit und der Festlegung im Arbeitsvertrag ausüben müssen.
[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise, und zwar für den Zeitraum von 30. 8. 2019 bis 2. 7. 2020 statt und wies das weitere Klagebegehren, das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens auch für den Zeitraum von 4. 7. 2019 bis 29. 8. 2019 zu gewähren, ab. Die Dienstfreistellung sei für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld unschädlich und würde als „tatsächliche“ Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 24 Abs 2 erster Satz KBGG gelten. Der Klägerin stehe das Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 50,83 EUR täglich (80 % des auf den Kalendertag entfallenden Wochengeldes in Höhe von 63,54 EUR [§ 24a Abs 1 Z 1 KBGG]) für den von ihr beantragten Zeitraum zu. Da die Klägerin für die Zeit von 7. 5. 2019 bis 29. 8. 2019 Anspruch auf Wochengeld gehabt habe (§ 162 ASVG), ruhe ihr Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für diesen Zeitraum in der Höhe des Wochengeldes (§ 6 Abs 1 KBGG). Für den Zeitraum von 7. 5. 2019 bis 29. 8. 2019 sei das Klagebegehren daher unberechtigt.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im Sinne einer vollständigen Klageabweisung ab. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle der Begriff der tatsächlichen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 24 Abs 2 erster Satz KBGG an die tatsächliche, das heißt faktische Erbringung von Arbeitsleistungen anknüpfen und nicht nur an den aufrechten Bestand eines Arbeitsverhältnisses. Die Nichterbringung von Arbeitsleistungen während der Dienstfreistellung für einen längeren Zeitraum als von 14 Kalendertagen (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG) sei daher anspruchsschädigend.
[8] Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage bestehe, ob Dienstfreistellungen als dem Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld entgegenstehende Unterbrechungen zu werten seien.
[9] Die Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, aus der jüngst ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 10 ObS 99/20m ergebe sich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das – der Missbrauchsbekämpfung dienende – Erwerbstätigkeitserfordernis nicht von einer konkreten Ausübung einer Arbeitsleistung innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit und am vereinbarten Arbeitsort abhängig zu machen sei.
[11] Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu:
[12] 1.1 In der – erst nach Ergehen der Berufungsentscheidung veröffentlichten – Entscheidung 10 ObS 99/20m vom 13. 10. 2020 hatte sich der Oberste Gerichtshof zu § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Sonderurlaub ohne Entfall der Bezüge nach § 47 Abs 1 oö L‑VBG der Gewährung von Familienzeitbonus entgegensteht.
[13] 1.2 Auch wenn diese Entscheidung nicht explizit zu der hier zu beurteilenden Frage erging, ob eine über 14‑tägige Dienstfreistellung unter Fortzahlung des Entgelts und Weiterbestehen der Sozialversicherungspflicht den Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld hindert, gelten die dort getroffenen Aussagen auch im vorliegenden Fall. Das Erwerbstätigkeitserfordernis des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG entspricht jenem nach § 24 Abs 1 Z 2 KBGG iVm § 24 Abs 2 erster Satz KBGG (ErläutRV 1110 BlgNr 25. GP 2). Zwischen dem bezahlten Sonderurlaub nach § 47 Abs 1 oö L‑VBG und der der Klägerin zugebilligten Dienstfreistellung besteht insofern eine Parallelität, als sowohl der Sonderurlaub als auch die Dienstfreistellung über das Ausmaß des gesetzlichen Urlaubs hinaus gewährt werden könne (etwa aus wichtigen persönlichen oder familiären Gründen oder aus einem sonstigen besonderen Anlass) und der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts und die Sozialversicherungspflicht jeweils weiterhin bestehen bleiben (10 ObS 99/20m, Rz 44).
[14] 2.1 Aus den in der Entscheidung 10 ObS 99/20m enthaltenen Ausführungen zur historischen Entwicklung des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG iVm § 24 Abs 2 erster Satz KBGG bzw des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG und der Darstellung der dazu vorhandenen Rechtsprechung sowie des Schrifttums ist (zusammengefasst) Folgendes hervorzuheben:
[15] 2.2 § 24 Abs 1 KBGG räumt einem Elternteil Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für sein Kind ein, sofern die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 Z 1, 2, 4 und 5 KBGG erfüllt sind (Z 1) und dieser Elternteil in den letzten 182 Kalendertagen unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß Abs 2 war, sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend auswirken.
[16] 2.3 § 24 Abs 2 KBGG enthält eine Definition des Begriffs der Erwerbstätigkeit dahin, dass darunter die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen) Erwerbstätigkeit zu verstehen ist. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz 1979 oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter‑Karenzgesetz (VKG) oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.
[17] 2.4 Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zum Erwerbstätigkeitserfordernis ergibt (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 16) steht das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld nur vor der Geburt tatsächlich erwerbstätigen Eltern offen. Bei der Erwerbstätigkeit muss es sich um eine in Österreich sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit handeln; eine Selbstversicherung, freiwillige Weiterversicherung, Mitversicherung etc reicht nicht aus. Die Erwerbstätigkeit muss durchgehend in den letzten sechs Monaten vor der Geburt tatsächlich ausgeübt werden. Geringfügige Unterbrechungen (das sind solche bis zu 14 Tagen) sind zulässig, um Härtefälle zu vermeiden. Keine Unterbrechung der tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit stellen Zeiten des Erholungsurlaubs oder der Krankheit dar (unter der Voraussetzung, dass die Sozialversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt, wie es etwa bei der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung der Fall ist).
[18] 2.5 Mit der KBGG‑Novelle BGBl I 2011/139 wurde § 24 Abs 1 Z 2 KBGG dahin ergänzt, dass der anspruchsberechtigte Elternteil im Beobachtungszeitraum auch keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten durfte; in § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG wurde der Ausdruck „dieser Erwerbstätigkeit“ jeweils durch die Wortfolge „dieser zuvor mindestens sechs Monate andauernden Erwerbstätigkeit“ ersetzt.
[19] 2.6 Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 4) sollte durch diese Ergänzung der Missbrauchsbekämpfung durch Verhinderung von (kurzfristiger) Scheinerwerbstätigkeit in Österreich dienen (10 ObS 117/14z SSV‑NF 29/13).
[20] 2.7 Nach den Gesetzesmaterialien zum FamZeitbG (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2) muss die Erwerbstätigkeit – wie auch jene nach dem KBGG –tatsächlich (also Tag für Tag) und durchgehend ausgeübt werden. Eine Ausnahme gilt nur für eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit innerhalb der 182 Tage für maximal 14 Tage.
[21] 3.1 Im Schrifttum zum Begriff der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit führt Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG3 § 24 Rz 10 ff aus, dass es für die tatsächliche Ausübung der Erwerbstätigkeit darauf ankommt, ob diese der Sozialversicherungspflicht unterliegt.
[22] 3.2 Auch nach Burger‑Ehrnhofer (Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz3 § 24 KBGG Rz 3) stellt der Gesetzgeber auf das Vorliegen einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ab.
[23] 3.3 Holzmann‑Windhofer (in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, KBGG § 24 KBGG 142) führt aus, dass die Erwerbstätigkeit tatsächlich, also Tag für Tag entsprechend der geltenden Wochenarbeitszeit und der Festlegung im Arbeitsvertrag, ausgeübt werden müsse. Zeiten des Erholungsurlaubs und der Krankheit bei aufrechtem Arbeitsverhältnis gelten – jeweils unter der Voraussetzung der Entgeltfortzahlung und des Weiterbestehens der Sozialversicherungspflicht – als Fortsetzung der Ausübung der Erwerbstätigkeit, nicht jedoch ein Sonderurlaub gegen Entfall der Bezüge und Entfall der Sozialversicherungspflicht.
[24] Zu ergänzen ist, dass nach der Ansicht von Holzmann‑Windhofer auch eine bezahlte und sozialversicherungspflichtige Freistellung, wie etwa eine Suspendierung oder ein Sonderurlaub anspruchsschädigend sei. Nur dann, wenn die Freistellung weniger als 14 Kalendertage betrage, stelle eine Dienstfreistellung oder Suspendierung eine von § 24 Abs 1 Z 2 KBGG geduldete Unterbrechung dar (Holzmann‑Windhofer in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck, KBGG § 24 149).
[25] 4. Aus der – ebenfalls in der Entscheidung 10 ObS 99/20m dargestellten – bisherigen Rechtsprechung zum Begriff der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist abzuleiten, dass es maßgeblich darauf ankommt, ob eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, die der Sozialversicherungspflicht unterlag, sodass aufgrund dieser Tätigkeit Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden mussten (10 ObS 57/12y SSV‑NF 26/59). Eine in diesem Sinn „tatsächliche“ Ausübung der Erwerbstätigkeit fehlt etwa in den Fällen des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung (10 ObS 164/17s SSV‑NF 32/27) oder bei einem unbezahlten Urlaub unter Wegfall der Pflichtversicherung (10 ObS 25/18a SSV‑NF 32/25).
[26] 5. Wie in der Entscheidung 10 ObS 99/20m ausgeführt wurde, ist der Begriff „tatsächlich“ (dort in § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG) ein unbestimmter und damit auslegungsbedürftiger Gesetzesbegriff. Schon aus dem Umstand, dass Zeiten des Erholungsurlaubs und der Krankheit (unter der Voraussetzung, dass die Kranken‑ und Pensionsversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt) nach dem Willen des Gesetzgebers keine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum darstellen, ergibt sich, dass der Begriff „tatsächlich“ nicht im Sinne einer konkreten Ausübung einer Arbeitsleistung innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit und am vereinbarten Arbeitsort gemeint sein kann. Die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht wird insbesondere durch die Änderung des § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG mit der KBGG‑Novelle BGBl I 2011/139 deutlich. Mit der Tatbestandsvoraussetzung, dass eine Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum „tatsächlich“ ausgeübt werden soll, wollte der Gesetzgeber vor allem zum Ausdruck bringen, dass Missbrauch durch Ausübung einer bloßen Scheinerwerbstätigkeit in Österreich verhindert werden soll. Genau diese Absicht drückt sich in den Formulierungen aus, dass die Erwerbstätigkeit „tatsächlich“ (also Tag für Tag) und durchgehend ausgeübt und „faktisch an den Tag gelegt“ werden muss. Eine darüber hinausgehende Bedeutung in dem Sinn, dass nur eine „physische“ Arbeitstätigkeit (Tag für Tag) im Rahmen des Arbeitsvertrags den Tatbestand der tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit im Beobachtungszeitraum erfüllen kann, kommt dem Begriff „tatsächlich“ daher nicht zu. Abzustellen ist darauf, dass sich der Elternteil im Erwerbsleben befand und für die von ihm ausgeübte Erwerbstätigkeit Sozialversicherungsbeiträge abzuführen waren. Damit unterscheiden sich das FamZeitbG und das KBGG wesentlich etwa von der Schwerarbeit, bei der es nach der Absicht des Gesetz- und Verordnungsgebers entscheidend auf die „tatsächliche“ (physische) Ausübung einer Arbeitstätigkeit ankommt, wenn diese Schwerarbeit sein soll.
7. Nach diesen Erwägungen kommt dem Begriff „tatsächlich“ in § 24 Abs 2 erster Satz KBGG keine Bedeutung in dem Sinn zu, dass ausschließlich eine „physische“ Arbeitstätigkeit im Rahmen des Arbeitsvertrags den Tatbestand des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG erfüllen könnte. Vielmehr reicht es für die Verwirklichung dieses Tatbestands – neben den weiteren in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen – aus, dass die Klägerin im Beobachtungszeitraum der letzten 182 Tage unmittelbar vor der Geburt ihres Kindes eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, auch wenn sie von ihrem Dienstgeber in diesem Zeitraum bei Entgeltfortzahlung und bei aufrechtem Bestand der Sozialversicherungspflicht dienstfrei gestellt wurde.
[27] 8. Die Revisionsgegnerin weist in ihrer Revisionsbeantwortung noch darauf hin, dass das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld eingeführt wurde, um jenen Eltern, die vor der Geburt über ein relativ hohes Erwerbseinkommen verfügt haben, die Möglichkeit zu geben, trotz kurzzeitigem Rückzug aus dem Erwerbsleben den bisherigen Lebensstandard aufrecht zu erhalten (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 16; RIS‑Justiz RS0127744). Dem Argument, ein „kurzzeitiger“ Rückzug aus dem Erwerbsleben sei zu verneinen, weil die Klägerin mit ihrem Dienstgeber die einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses mit 31. 7. 2019 vereinbart hat, ist entgegen zu halten, dass das KBGG keine (weitere) Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld dahin aufstellt, dass die im Beobachtungszeitraum ausgeübte Erwerbstätigkeit nach dem Ende des Beschäftigungsverbots (oder einer allfälligen Karenz) beim selben oder einem anderen Dienstgeber fortgeführt bzw wiederaufgenommen werden muss. Zudem lässt sich allein aus der Tatsache der einvernehmlichen Beendigung des vor der Geburt des Kindes bestehenden Beschäftigungsverhältnisses nicht ableiten, dass sich die Klägerin auch in Hinkunft aus dem Erwerbsleben gänzlich zurückziehen will und nach dem Beschäftigungsverbot bzw einer allfälligen Karenz keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen werde.
[28] 9. Zusammenfassend ergibt sich:
[29] War die Klägerin im 182-tägigen Beobachtungszeitraum von ihrem Dienstgeber unter Fortzahlung des Entgelts und Weiterbestehen der Sozialversicherungspflicht etwa vier Wochen lang vom Dienst freigestellt, steht dies ihrem Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld nicht entgegen.
[30] Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.
[31] 10. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren beruht hinsichtlich der Klägerin auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Die beklagte Partei hat als Versicherungsträger die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG).
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