OGH 10ObS43/04b

OGH10ObS43/04b18.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josefa E*****, vertreten durch Dr. Peter Schobel, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. September 2003, GZ 7 Rs 142/03h-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Dezember 2002, GZ 6 Cgs 106/02y-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 11. Mai 2000 wurde der am 9. 6. 1922 geborenen Klägerin Pflegegeld der Stufe 7 ab 1. 2. 2000 gewährt.

Mit Bescheid vom 4. 6. 2002 sprach die beklagte Partei aus, dass der Klägerin ab 1. 8. 2002 Pflegegeld in Höhe der Stufe 5 gebühre, weil eine wesentliche Besserung im Zustand der Klägerin eingetreten sei.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Weitergewährung des Pflegegelds in Höhe der Stufe 7.

Die beklagte Partei beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin habe im Jänner 2000 einen Schlaganfall erlitten und sei infolgedessen komplett bewegungsunfähig gewesen. Anlässlich eines Kontrollgutachtens vom 22. 4. 2002 sei eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin festgestellt worden. Der Pflegebedarf betrage 213 Stunden pro Monat, die Pflege könne aber koordiniert in 6 bis 10 Einheiten erfolgen, was einem Pflegegeld der Stufe 5 entspreche.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und erkannte die im Bescheid zugesprochene Leistung zu.

Es traf folgende Feststellungen:

Die Klägerin war vom 23. 3. bis 29. 3. 2002 wegen Hypertonie im Krankenhaus Amstetten. Laut Arztbrief über diesen Aufenthalt bestand ein Zustand nach Thalamusblutung mit hochgradigen Halbseitenzeichen rechts sowie Diabetes mellitus Typ IIb, ein Zustand nach Operation wegen Ovarialkarzinom, ein Zustand nach Hypernephrom links mit Nephrektomie und weiters Aphasie. Das Thoraxröntgen zeigte links verbreitetes vaskulär kompensiertes Cor, keine Ergüsse. Einer weiteren Therapie bedurfte die Klägerin nach diesem stationären Aufenthalt nicht. Sie wurde am 29. 3. 2002 ins Gästehaus "Veronika/Purgstall" gebracht, wo sie etwa vier Wochen aufhältig war.

Aus den Pflegeberichten der Caritas ergab sich, dass die Klägerin am 2. 6. 2002 "schön gegangen" ist und am 3. 6. 2002 bei der Mobilisation tüchtig gewesen war. Am 10. 6. las die Klägerin der Pflegeperson der Caritas eine Glückwunschkarte vor und war imstande zu gehen. Am 18. 6. 2002 war das Gehen problematisch. Die Klägerin schliff mit dem rechten Fuß durch und brachte den rechten Fuß kaum hinauf und neigte sich sehr auf die linke Seite. Am 20. 6. 2002 konnte die Klägerin gehen, am 24. 6. 2002 ging die Klägerin selbständig (ohne Hilfe) vom Schlafzimmer in die Küche. Am 1. 7. 2002 absolvierte die Klägerin Gehübungen, fiel jedoch auf die linke Seite. Am 11. 7. 2002 konnte die Klägerin gehen. Am 21. 7. 2002 war sie schwer zu motivieren, am 23. 7. war die Mobilisation bis in die Küche gut möglich. Am 31. 8. 2002 ist die Klägerin mit leichter Unterstützung gegangen. Am 12. 9. war die Klägerin sehr matt und konnte fast nicht stehen und nicht gehen.

Im Untersuchungszeitpunkt 12. 9. 2002 konnte die Klägerin ihre rechte mit der linken, nicht gelähmten Hand umfassen und im Handgelenksbereich anheben. Die Klägerin zeigte einen guten Allgemeinzustand und gesteigerten Ernährungszustand. Es zeigte sich ein zentrales faciales Defizit rechts. Die Klägerin war zeitlich, örtlich und persönlich desorientiert, situativ vermutlich desorientiert, der Gedankenductus war im Ablauf verlangsamt, inhaltlich einfach strukturiert bzw verarmt, es ergaben sich keine Hinweise auf produktive Symptomatik, die Stimmungslage war, soweit beurteilbar, ausgeglichen, die Affekte labisiliert, streckenweise war sie auch inkontinent, der Antrieb war eher herabgesetzt. Die Mnestik war herabgesetzt, die Intelligenz gegenüber prämorbid deutlich beeinträchtigt, Auffassung und Rapportfähigkeit deutlich reduziert, es bestanden beginnende praktische und agnostische Störungen sowie Schlafstörungen. Die Klägerin war nicht imstande, eine Taschenlampe zu benennen, sie konnte diese jedoch über Aufforderung mit der linken Hand ergreifen und auch dem Untersucher auf Aufforderung wieder zurückgeben.

Die frontalen Zeichen waren positiv, die cerebelären Zeichen negativ. Das Sprachverständnis war teilweise vorhanden, sie produzierte einige Wörter, die Sprache selbst war verwaschen, Neologismen konnten nicht beobachtet werden.

Hinsichtlich der oberen Extremitäten bestand folgender Zustand:

Spastizität rechts, die rechte obere Extremität auf einem Polster gelagert, typische Hemiplegiehaltung, keinerlei Restmotorik im Bereich der rechten oberen Extremität, AVV wurde auf Aufforderung links geleistet, Feinmotorik und Diadochokinese waren wegen Auffassungsstörung nicht durchführbar. Die Muskeleigenreflexe waren mittellebhaft und deutlich rechts akzentuiert, die Pyramidenbahnzeichen rechts positiv, links negativ, die Greiffunktion ist links kaum beeinträchtigt, die Sensibilität nicht beurteilbar.

Hinsichtlich der unteren Extremitäten bestand folgender Zustand:

Die rechte untere Extremität ist leicht nach außen rotiert, es zeigte sich eine leichte Spreizfußstellung.

BVV wurde wegen Auffassungsstörung beidseits nicht geleistet, in geringerem Umfang sind rechts Massenbewegungen durchführbar, PSR untermittellebhaft, Massentendenz rechts mehr als links, deutlicher Rechtsakzent, ASR schwach, Babinski rechts positiv, links negativ.

Im Untersuchungszeitpunkt bestand eine Harn- und Stuhlinkontinenz.

Es bestanden folgende Diagnosen:

Zustand nach apoplektischem Insult mit einer deutlichen brachiofacial betonten Halbseitenschwäche rechts (1991 aufgetreten), wobei die rechte obere Extremität praktisch plegisch ist; mittelgradig ausgeprägtes dementielles Zustandsbild bei Zustand nach apoplektischem Insult und cerebraler Hypoxie im Rahmen einer Operation wegen Ovarialkarzinom und Hypernephrom; weiters arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II, Zustand nach Operation wegen Ovarialkarzinom sowie Zustand nach Nephrektomie links wegen Hypernephrom, weiters Adipositas und Senk- und Spreizfüße beidseits.

Es zeigte sich ein Zustand nach apoplektischem Insult im Ausbreitungsgebiet der Arteria cerebri media links mit einer massiven armbetonten Halbseitenlähmung rechts, die rechte obere Extremität ist praktisch vollkommen gelähmt. Weiters zeigte sich eine Teilaphasie, das Sprachverständnis war teilweise vorhanden, an Sprache wurden nur eher wenige Worte produziert. Überlagert war die Sprachbeeinträchtigung bzw Sprachstörung durch einen sg. Sprachzerfall im Rahmen eines hirnorganischen Psychosyndroms bzw eines dementiellen Abbaus, welcher mit dem apoplektischen Insult einerseits zusammenhängt, andererseits mit einer cerebralen Hypoxie im Rahmen der schwerwiegenden Operationen, welche vital erforderlich waren. Im Untersuchungszeitpunkt war eine Kommunikation mit der Klägerin nur auf einfacher Ebene möglich. Die Klägerin befand sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen in einem außerordentlich guten Pflegezustand. Ein Dekubitalgeschwür konnte nicht festgestellt werden. Eine praktische Bewegungsunfähigkeit im Sinne einer Pflegegeldstufe 7 lag nicht vor, weil die Klägerin in der Lage war, gezielt mit der linken Hand die rechte (gelähmte) am Handgelenk zu ergreifen und dem Untersucher zu zeigen. Weiters war die Klägerin in der Lage, gezielt eine Taschenlampe zu ergreifen. Sie war im Untersuchungszeitpunkt bei der täglichen Körperpflege auf Unterstützung angewiesen. Die Zubereitung von Mahlzeiten war ihr nicht möglich. Bei der Einnahme von Mahlzeiten kann sie nur zu etwa 20 bis 30 % der Zeit vorgeschnittene Nahrung selbständig mit dem Löffel mit der linken Hand aufnehmen. Weit überwiegend muss sie jedoch gefüttert werden. Sie muss auch an- und ausgekleidet werden. Die Herbeischaffung von Lebensmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände sowie das Waschen der Leib- und Bettwäsche sind ihr nicht möglich. Sie benötigt Hilfe bei der Einnahme von Medikamenten bzw für die Vorbereitung der Medikamente. Mobilitätshilfe im engeren und im weiteren Sinn sind im vollen Umfang erforderlich. Der beschriebene Zustand bestand jedenfalls ab Juni 2002. Eine koordinierte Pflege in 6 bis 10 Einheiten ist (noch) möglich, erhebliche Fremd- oder Selbstgefährdungen während des Tages und der Nacht sind nicht zu erwarten.

Rechtlich führte es aus, die Klägerin habe einen Pflegebedarf von 213 Stunden pro Monat. Die Betreuungsmaßnahmen könnten jedoch (noch) koordiniert erfolgen. Die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht aufgrund der Wahrscheinlichkeit einer Eigen- oder Fremdgefährdung sei (gemeint offenbar: nicht) erforderlich. Aus diesem Grunde bestehe ein Anspruch auf Gewährung der Pflegegeldstufe 6 trotz des sehr hohen Pflegeaufwands nicht. Es bestehe auch kein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 7, weil der Klägerin zielgerichtete Bewegungen mit funktioneller Umsetzung möglich seien. Bei einer wesentlichen Veränderung sei das Pflegegeld neu zu bemessen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung und billigte auch die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Der Rüge der Klägerin, das Erstgericht habe keine Feststellungen über Veränderungen ihres Pflegebedarfs zwischen 2000 und 2002 getroffen, hielt es entgegen, das Erstgericht habe im Rahmen der rechtlichen Beurteilung festgehalten, dass der Klägerin seit 1. 2. 2000 Pflegegeld der Stufe 7 gewährt worden sei und der Klägerin jedoch nunmehr - im Unterschied zum früheren Zustand - zielgerichtete Bewegungen mit funktioneller Umsetzung möglich seien. Daraus sei klar ersichtlich, dass eine "Verbesserungsfeststellung aus dem Faktizitätsinhalt dieser Ausführungen" vorliege.

Die Klägerin stellte an das Berufungsgericht den Antrag, den Zulässigkeitsausspruch im Sinne einer Zulassung der ordentlichen Revision abzuändern und führte die ordentliche Revision aus.

Rechtliche Beurteilung

Der an das Berufungsgericht gerichtete Antrag der Klägerin, den Zulässigkeitsausspruch im Sinn einer Zulassung der ordentlichen Revision abzuändern, ist verfehlt, weil für Streitigkeiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen die Abs 2 und 3 des § 502 ZPO nicht gelten (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO). Wenn das Berufungsgericht im Berufungsurteil nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist, kann daher eine außerordentliche Revision erhoben werden, ohne dass es einer Abänderung des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Revision durch das Berufungsgericht bedarf. Die Begründung des Antrags der Klägerin auf nachträgliche Zulassung der ordentlichen Revision gemäß § 508 Abs 1 ZPO hat sich inhaltlich mit der Zulassungsbeschwerde gemäß § 506 Abs 1 Z 5 ZPO zu decken. Die ordentliche Revision der Klägerin gemäß § 508 Abs 2 ZPO wird daher in eine außerordentliche Revision gemäß § 505 Abs 4 ZPO umgedeutet (RIS-Justiz RS0110049). Sie ist wegen Vorliegens der Voraussetzungen nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig und im Sinn des gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet.

Ob ein rechtskräftig zuerkanntes Pflegegeld zu entziehen oder neu zu bemessen ist, richtet sich ausschließlich nach § 9 Abs 4 BPGG. Dieser bestimmt, dass das Pflegegeld zu entziehen ist, wenn eine Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld wegfällt, und das Pflegegeld neu zu bemessen ist, wenn eine für die Höhe des Pflegegeldes wesentliche Veränderung eintritt. Diese Regelung entspricht bezüglich der (teilweisen) Entziehung der Regelung des § 99 Abs 1 ASVG. Danach setzt ein Leistungsentzug eine wesentliche, entscheidende Änderung in den Verhältnissen voraus, wobei für den anzustellenden Vergleich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit jenen im Zeitpunkt des Leistungsentzugs in Beziehung zu setzen sind; nicht gerechtfertigt ist der Leistungsentzug, wenn nachträglich festgestellt wird, dass die Leistungsvoraussetzungen von Beginn an gefehlt haben. Haben die objektiven Grundlagen der Leistungszuerkennung keine wesentliche Änderung erfahren, so steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen (SSV-NF 14/51; 10 ObS 95/02x mwN ua). Wer also beanspruchen kann, dass ihm eine regelmäßig gewährte Leistung nicht entzogen wird, hat damit nichts anderes als einen Anspruch auf Weitergewährung eben dieser Leistung (solange sich die Voraussetzungen nicht tatsächlich ändern; SSV-NF 10/110 mwN). Haben sich die tatsächlichen (oder rechtlichen) Verhältnisse nicht geändert, kommt weder eine Entziehung noch eine Neubemessung (Herabsetzung oder Erhöhung) des Pflegegelds in Betracht (10 ObS 95/02x mwN). Eine bloß abweichende rechtliche Beurteilung rechtfertigt einen Eingriff in die Rechtskraft einer Vorentscheidung nicht (SSV-NF 14/51; SSV-NF 12/143 mwN; 10 ObS 95/02x). Wird der Entziehungs-(Herabsetzungs-)Bescheid bekämpft und kommt im sozialgerichtlichen Verfahren hervor, dass die für die verfügte Entziehung (Herabsetzung) notwendige Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht verwirklicht ist, so entfaltet die ursprüngliche Gewährungsentscheidung eine Bindungswirkung für das Gericht, das diesfalls auch den ursprünglichen Leistungsbefehl zu restituieren hat (10 ObS 95/02x; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 572).

Zutreffend macht die Revisionswerberin in ihrer Rechtsrüge geltend, dass das Erstgericht - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - keine Feststellungen über die Verhältnisse im Zeitpunkt der Zuerkennung des Pflegegelds der Stufe 7 getroffen hat. Da die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistungszuerkennung mit denen im Zeitpunkt der Neubemessung für den anzustellenden Vergleich in Beziehung zu setzen sind, bedarf es - unabhängig von den im Zuerkennungsverfahren allenfalls getroffenen Feststellungen - zunächst neuerlicher Feststellung aller für die Zuerkennung wesentlichen Tatsachen (SSV-NF 14/51 mwN). Es genügt nicht, nur den Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Gewährung zu jenem zum Zeitpunkt der Neubemessung des Pflegegelds in Beziehung zu setzen, sondern es sind die Änderungen im Pflegebedarf, der für das Ausmaß der Pflegegeldstufe maßgeblich ist, konkret die für die Beurteilung des Pflegebedarfs relevanten Tatsachen, zueinander in Beziehung zu setzen, um daraus ableiten zu können, ob eine wesentliche Besserung eingetreten ist (SSV-NF 12/166). Im vorliegenden Fall kann dies nicht beurteilt werden, weil Feststellungen über die tatsächlichen Verhältnisse, die bei der Erlassung des Bescheids über die Gewährung des Pflegegelds der Stufe 7 gegeben waren, nicht getroffen (und auch keine Beweise erhoben) wurden.

Dies und weil es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, muss zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Streitsache an das Erstgericht führen.

Wenn nach den Ergebnissen des ergänzten Verfahrens eine wesentliche Veränderung im dargelegten Sinn zu bejahen ist, wird das Verfahren auch im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung des Pflegegelds der Stufe 6 zu ergänzen sein. Insoweit ist strittig, ob die Klägerin auf Grund Eigengefährdung (in den Mund stecken von Taschentüchern) einer dauernden Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht bedarf. Für die Gewährung eines Pflegegelds der Stufe 6 ist - neben einem - hier unstreitig gegebenem - Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich - die Notwendigkeit zeitlich unkoordinierbarer Betreuungsmaßnahmen, die regelmäßig während des Tages und der Nacht zu erbringen sind (§ 4 Abs 2 Stufe 6 Z 1 BPGG), oder der dauernden Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht wegen Wahrscheinlichkeit einer Eigen- oder Fremdgefährdung vorausgesetzt (§ 4 Abs 2 Stufe 6 Z 2 BPGG).

Bereits dem Ausschussbericht zum BPGG (AB 908 Blg NR 18. GP 4) ist zu entnehmen, dass die Einordnung in Stufe 6 nicht nur Pflegebedürftigen mit geistiger oder psychischer Behinderung offen stehen sollte; vielmehr sollte - durch Aufnahme der Wortfolge "oder ein gleichzuachtender Pflegeaufwand" auch körperlich behinderten Menschen Zugang zu dieser Stufe ermöglicht werden.

Während die Z 1 in § 4 Abs 2 Stufe 6 BPGG in der seit 1. 1. 1999 geltenden Fassung eine Ausweitung gegenüber der früheren Rechtslage darstellt, entspricht die Z 2 trotz anderer Wortwahl dem Fall der "dauernden Beaufsichtigung oder einem gleichzuhaltenden Pflegeaufwand" nach der früheren Rechtslage (SSV-NF 15/49 mwN). Die Voraussetzungen dafür liegen nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats dann vor, wenn die weitgehend permanente Anwesenheit einer Pflegeperson im Wohnbereich bzw in unmittelbarer Nähe des Pflegebedürftigen notwendig ist. Dies wird vor allem dann erforderlich sein, wenn im Einzelfall besonders häufig und/oder besonders dringend (zB wegen sonstiger Selbstgefährdung) ein Bedarf nach fremder Hilfe auftritt (vgl SSV-NF 14/64; RIS-Justiz RS 0107442; RS 0106362). Das Erfordernis der ständigen Beaufsichtigung kann nicht darauf aufgebaut werden, dass nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass etwas passiert, gemeint, dass etwas nur möglich ist. Nicht einmal akute, aber nur selten auftretende Anfälle, Psychosen etc reichen aus, um einen - ständigen - Bedarf an Betreuung und Hilfe zu rechtfertigen (SSV-NF 15/49 mwN). Ob das Erfordernis einer dauernden Beaufsichtigung oder eines gleichzuhaltenden Pflegeaufwands besteht, ist keine (vom medizinischen Sachverständigen zu beurteilende) Tat-, sondern eine Rechtsfrage, die ausgehend von den Feststellungen über die Bedürfnisse des Betroffenen im konkreten Fall zu beurteilen ist (SSV-NF 13/7; 14/64 ua). Das Erstgericht wird daher erforderlichenfalls Beweise darüber aufzunehmen haben, ob und bejahendenfalls in welcher Häufigkeit während des Tages und der Nacht die Klägerin des selbständigen Gebrauchs von Taschentüchern bedarf und dann die Gefahr besteht, dass sie Taschentücher in ihren Mund steckt, oder ob die Maßnahme der Reinigung mit Taschentüchern nicht ohnehin im Rahmen der unbekämpft festgestellten möglichen koordinierbaren Betreuungsmaßnahmen von einer Pflegeperson erbracht werden kann, und entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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