Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der am 6. 4. 1949 geborene Kläger hat den Beruf eines Kellners angelernt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 10. 1998) liegen 74 Beitragsmonate.
Von 20. 8. 1986 bis 19. 12. 1988 (29 Beitragsmonate) war der Kläger Kellner in einem Café-Restaurant mit Schanigarten, das Vor-, Haupt- und Nachspeisen angeboten hat. Der Kläger musste dort allein ca 10 Tische (ohne Schanigarten) betreuen. Er hat den Gästen Speisenfolgen und Weine empfohlen, Gedecke gelegt, das Weinservice durchgeführt, selbst serviert, Rechnungen ausgestellt und inkassiert. Von 18. 9. 1991 bis 31. 3. 1992 (7 Beitragsmonate) war der Kläger als Buffetier beschäftigt, wobei er im Wesentlichen die zuvor aufgezählten Arbeiten verrichtet hat. Danach war er von 20. 7. bis 25. 10. 1993 (4 Beitragsmonate) als Saunawart beschäftigt, wobei er die Gäste auch mit kleinen Imbissen bedient hat; insbesondere hat er (Frucht-)Mixgetränke zubereitet. Von 1. 6. bis 24. 6. 1994 (1 Beitragsmonat) hat er als Pizza-Zusteller gearbeitet. Die restlichen Beitragsmonate in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag erwarb der Kläger durch freiwillige Weiterversicherung als Arbeiter.
Der Kläger kann nur mehr leichte Arbeiten verrichten. Er ist unterweisbar für alle Arbeiten mit durchschnittlichem psychischen Anforderungsprofil. Fabriksmilieu sowie Arbeitsstellen mit überwiegendem Sozialkontakt scheiden aus, weil ihm Arbeiten nur noch allein oder in kleinen Gruppen möglich sind. Ausgeschlossen sind Arbeiten, bei denen der Kläger ständig Nässe und Kälte ausgesetzt ist oder bei denen er an erhöht exponierten Stellen arbeiten muss. Auch Arbeiten, die mit ständigem Stiegensteigen verbunden sind oder bei denen im Knien, Bücken oder unter Tischniveau gearbeitet werden muss, können nicht mehr ausgeführt werden. Mit dem rechten Arm kann der Kläger keine Arbeiten über Schulterhöhe verrichten. Arbeiten, bei denen der Kläger durchschnittlichem, halbzeitig auch überdurchschnittlichem Zeitdruck ausgesetzt ist, sind möglich. Der Anmarschweg und die Fingerfertigkeit sind uneingeschränkt. Unter Berücksichtigung dieses Leistungskalküls kann der Kläger beispielsweise noch Arbeiten in der Metall-, Elektronik- oder Verpackungsbranche (Verpacken von Leichtwaren wie Telefonapparaten, Handies oder Kunststoffteilen) verrichten. Diese Arbeiten sind durchwegs solche leichter Natur, die vorwiegend im Stehen bewältigt werden müssen. Der Dienstnehmer arbeitet nicht im Fabriksmilieu und kann sein Arbeitstempo selbst steuern. Nur fallweise kommt es zu besonderem Zeitdruck. Es herrscht nur geringer Sozialkontakt; maximal kleine Gruppen arbeiten zusammen.
Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 27. 1. 1999 wurde der Antrag des Klägers vom 28. 9. 1998 auf Zuerkennung der Invaliditätspension unter Hinweis auf den fehlenden Berufsschutz abgelehnt.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Da der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nicht in der überwiegenden Zahl der Beitragsmonate als Kellner gearbeitet habe (sondern nur insgesamt 36 Beitragsmonate), sei er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Das medizinische Leistungskalkül ermögliche es ihm, eine der festgestellten Verweisungstätigkeiten auszuüben, die auf dem Arbeitsmarkt mit jeweils mit als 100 Arbeitsplätzen vorhanden seien. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es wies die wegen Nichtigkeit erhobene Berufung zurück und verneinte eine Aktenwidrigkeit. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts unter Hinweis unter anderem darauf, dass die für den Beruf eines Kellners erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten für die Ausübung der Tätigkeit eines auch Speisen und Getränke verabreichenden Saunawarts nicht erforderlich gewesen seien. Die Rechtsansicht des Erstgerichts sah es als zutreffend an.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.
In der Revision steht der Kläger zum Einen auf dem Standpunkt, dass sich der Berufsschutz auch über den Zeitraum der freiwilligen Weiterversicherung ausdehne. Weiters geht er davon aus, dass die Tätigkeit eines Saunawarts, der Speisen und Getränke verabreiche, als berufsschutzerhaltend zu qualifizieren sei.
Bereits das Oberlandesgericht Wien hat als (bis 31. Dezember 1986 zuständiges) Höchstgericht in Leistungsstreitsachen Zeiten der freiwilligen Versicherung bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, nicht den Zeiten einer Berufsausübung in einem erlernten oder angelernten Beruf zugezählt, weil während einer freiwilligen Versicherung kein Beruf ausgeübt wird (SSV 5/39, 21/101). Wie der OGH bereits in der in SSV-NF 3/17 veröffentlichten Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, ist dieser Ansicht ist zu folgen, da § 255 (Abs 1 und 2) ASVG auf das "Tätigsein" bzw das "Ausüben einer Tätigkeit" abstellt. Der Gesetzgeber billigt die privilegierende Wirkung des Berufsschutzes nur dann zu, wenn der Versicherte die erworbenen qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten auch in der Praxis anwendet (Schrammel, Zur Problematik der Verweisung in der PV und UV, ZAS 1984, 83 [88]; vgl auch Teschner in Tomandl (Hrsg), SV-System 14. ErgLfg 370 zu den Ersatzzeiten). Somit sind Zeiten der freiwilligen Versicherung bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, als Beitragszeiten mitzuberücksichtigen (SSV 4/120; SSV-NF 4/107); sie sind jedoch nicht als "qualifizierte" Zeiten anzurechnen (ebenso zum Tätigkeitsschutz SSV-NF 3/17 = SZ 62/13; SSV-NF 4/87, 4/107, 6/35, 6/38; RIS-Justiz RS0085116).
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes geht ein bestehender Berufsschutz nicht verloren, wenn (in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag) nur noch Teiltätigkeiten des erlernten oder angelernten Berufes ausgeübt werden, sofern diese quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend waren (SSV-NF 9/40 mwN; SSV-NF 4/80, 14/20, 14/38 uva; RIS-Justiz RS0084497). Fordert die ausgeübte Tätigkeit nämlich auch Kenntnisse und Fähigkeiten, die Gegenstand der Ausbildung im erlernten (angelernten) Beruf und darüber hinaus auch nicht nur ganz unbedeutend sind, dann kann man davon ausgehen, dass der Versicherte den erlernten (angelernten) Beruf, wenn auch mit einer gewissen Spezialisierung, weiter ausgeübt hat, sodass die Qualifikation iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG nicht verloren geht (SSV-NF 4/80, 14/38 uva). Entscheidend ist, ob ein Kernbereich der Ausbildung auch bei Ausübung der Teiltätigkeit verwertet werden muss (SSV-NF 14/18; 14/38 uva).
Nach den Feststellungen hat der Kläger "den Beruf eines Kellners angelernt" und von 20. 8. 1986 bis 19. 12. 1988 (29 Beitragsmonate) als Kellner in einem Cafe-Restaurant und von 18. 9. 1991 bis 31. 3. 1992 (7 Beitragsmonate) als Buffetier gearbeitet. Fraglich hinsichtlich der qualifizierten Berufsausübung ist die Zeit von 20.
7. bis 25. 10. 1993 (4 Beitragsmonate), in der der Kläger als Saunawart beschäftigt war und dabei die Gäste auch mit kleinen Imbissen bedient hat; insbesondere hat er (Frucht-)Mixgetränke zubereitet.
Den Feststellungen allerdings nicht zu entnehmen ist, wann der Kläger durch praktische Arbeit die qualifizierten Kenntnisse oder Fähigkeiten iSd § 255 Abs 2 ASVG erworben hat. Der Erwerb einer Anlernqualifikation benötigt eine gewisse Zeit. Da ein Beschäftigter während der Anlernzeit nicht im angelernten Beruf tätig ist und er daher keine (qualifizierte) Berufstätigkeit im Sinn des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG ausübt, muss die Anlernzeit bei Prüfung der Frage, ob in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG eine erlernte Berufstätigkeit ausgeübt wurde, außer Betracht bleiben (RS0084530 [T2]). In diesem Sinn hat die beklagte Partei in ihrer Stellungnahme vom 3. 4. 2001 (ON 38) vorgebracht, dass der Kläger nur vom 1. 9. 1973 bis 10. 3. 1974 (7 Monate) und von 1. 4. 1982 bis 15. 2. 1983 (11 Monate, Blg./E) im Gastgewerbe tätig gewesen war; diese kurzen Beschäftigungszeiten im Gastgewerbe könnten nicht zum Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten führen, die denen nach abgeschlossener Lehre im Lehrberuf Restaurantfachmann entsprächen. Nach seiner eigenen Aussage hat der Kläger den Beruf bei seiner Lebensgefährtin "erlernt" (ON 31); insgesamt habe er "schätzungsweise zwischen 7 und 8 Jahren" in deren Gasthaus gearbeitet. Als dafür in Betracht kommende Beitragszeiten sind dem Anstaltsakt die 7 Monate von September 1973 bis März 1974 zu entnehmen.
Die Qualifikationsprüfung durch den berufskundlichen Sachverständigen wurde am 23.2.2001 durchgeführt (ON 36), also zu einem Zeitpunkt, in dem der Kläger noch weitere Zeiten als Beschäftigter im Bereich der Gastronomie absolviert hatte, nämlich von 20. 8. 1986 bis 19. 12. 1988, von 18. 9. 1991 bis 31. 3. 1992 und (allenfalls) von 20. 7. bis 25. 10. 1993. Es ist nicht auszuschließen, dass er in diesem Zeitraum erst die nach § 255 Abs 2 maßgebliche Qualifikation erworben hat. Auf der dargestellten Sachverhaltsgrundlage kann daher nicht beurteilt werden, ob der Kläger schon vor dem 20. 8. 1986 durch praktische Arbeit qualifizierten Kenntnisse oder Fähigkeiten erworben hatte, die denen in einem erlernten Beruf gleich zu halten sind. In diesem Sinn ist das Beweisverfahren zu ergänzen, um Feststellungen zu ermöglichen, ob der Kläger bereits vor dem 15jährigen Beobachtungszeitraum qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten iSd § 255 Abs 2 ASVG erworben hat.
Weiters lassen die getroffenen Feststellungen keinen ausreichenden Schluss zu, ob der Kläger - falls er bereits vor dem 20. 8. 1986 Berufsschutz erworben hat - im Rahmen seiner Beschäftigung als Saunawart, der in einem gewissen Ausmaß auch kleine Speisen und Getränke servierte, einen Kernbereich seiner Ausbildung auch bei Ausübung der Teiltätigkeit verwerten musste. Auch insoweit erweist sich der Sachverhalt als ergänzungsbedürftig. Es ist im fortgesetzten Verfahren (für den Fall der Bejahung des Berufsschutzes) zu klären, welche Tätigkeiten der Kläger von 20. 7. bis 25. 10. 1993 im Einzelnen verrichtete und welche Kenntnisse und Fähigkeiten er dazu benötigte.
Zur Klärung der aufgezeigten Fragen bedarf es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz. In diesem Sinn sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache ist an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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