OGH 10ObS40/17f

OGH10ObS40/17f25.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und die fachkundige Laienrichterin Mag. Andrea Schultz (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Dr. Gerhard Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Feststellung der Erwerbsunfähigkeit, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. Dezember 2016, GZ 12 Rs 123/16v‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00040.17F.0425.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der am 18. 10. 1957 geborene Kläger hat den Beruf des Maurers erlernt. Von 2001 bis 2014 führte er als selbständiger Baumeister ein Bauunternehmen mit einem Mitarbeiter. Unternehmensgegenstand war die Ausführung von Wärmeverbundsystemen und Verputzarbeiten. Die zuletzt vorwiegend handwerkliche Tätigkeit kann der Kläger infolge seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr ausüben. Ungeachtet seines eingeschränkten Leistungskalküls ist er aber weiterhin in der Lage, als Betriebsinhaber oder Geschäftsführer eines Unternehmens mit mehreren Mitarbeitern tätig zu sein. Es sind ihm noch selbständige Erwerbstätigkeiten in größeren Betrieben im Bereich Vollwärmeschutz, Trockenausbau sowie Verputz‑ und Renovierungsarbeiten mit mehreren Mitarbeitern (ab ca 8 Mitarbeitern) möglich. Kalkülsüberschreitende Arbeiten sind in einem derartigen Unternehmen nicht notwendig oder können delegiert werden. In den Bereichen Trockenausbau, Wärmeschutz und Verputzarbeiten existieren in Österreich eine Vielzahl an Betrieben mit mehreren Mitarbeitern.

Mit Bescheid vom 3. November 2014 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 3. September 2014 auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht gab der dagegen gerichteten Klage mit der Begründung statt, der Kläger sei erwerbsunfähig im Sinn des § 133 Abs 2 ASVG, weil ihm die Erweiterung seines Kleinstbetriebs durch Vervielfachung des Personalstands nicht zumutbar sei.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und ließ die Revision nicht zu. § 133 Abs 2 GSVG normiere für Versicherte zwischen dem 50. und dem 59. Lebensjahr einen bloßen Berufsschutz, aber keinen Tätigkeitsschutz. Die Verweisungstätigkeit müsse der bisher ausgeübten Tätigkeit keineswegs in allen Punkten entsprechen. Zudem habe die Verweisung abstrakt zu erfolgen. Die konkret ausgeübte selbständige Tätigkeit und die bisherige Betriebsstruktur blieben auf die Verweisbarkeit ohne Einfluss. Auch ob zur tatsächlichen Ausübung des Verweisungsberufs Umorganisationsmaßnahmen notwendig seien, sei nicht maßgeblich. Demnach sei dem Kläger eine (abstrakte) Verweisung auf einen größeren Betrieb mit demselben Unternehmensgegenstand wie bisher, jedoch in anderer Betriebsform sehr wohl zumutbar. Dass ein Unternehmen im Bereich Trockenausbau, Wärmeschutz und Verputzarbeiten mit mehreren Mitarbeitern wirtschaftlich vertretbar geführt werden könne, ergebe sich aus den vom Erstgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist mangels einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

1. Schon im Verfahren erster Instanz war unstrittig, dass die persönliche Arbeitskraft des Klägers zur Aufrechterhaltung dessen Betriebs objektiv nötig war (§ 133 Abs 2 Z 2 GSVG).

2.1 Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Frage der Verweisbarkeit nach § 133 Abs 2 Z 3 ASVG. Nach ständiger Rechtsprechung wird in dieser Gesetzesstelle ein Berufs‑ aber nicht ein Tätigkeitsschutz normiert. Das Gesetz stellt nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeiten und die bisherige Betriebsstruktur ab, sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren (RIS‑Justiz RS0086448 [T6, T7]). Dem Versicherten soll bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr unselbständigen Tätigkeiten nachzugehen (RIS‑Justiz RS0086448 [T2]).

2.2 Die Verweisung nach § 133 Abs 2 GSVG hat abstrakt zu erfolgen. Ob eine Verweisungstätigkeit im Einzelfall tatsächlich erlangt werden kann oder ob faktische oder rechtliche Gesichtspunkte (etwa gesundheitliche oder wirtschaftliche Gründe) entgegenstehen, ist infolge des abstrakten Prüfungsmaßstabs ohne Bedeutung (RIS‑Justiz RS0105187 [T2]). Da es nur auf die abstrakte Möglichkeit der Ausübung eines Gewerbes ankommt, muss vom Versicherten verlangt werden, dass er sein Gewerbe dort ausübt, wo ein entsprechender Bedarf besteht. Es kommt auch nicht darauf an, ob er weiterhin geneigt ist, das wirtschaftliche Wagnis eines Betriebs auf sich zu nehmen oder die selbständige Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Weiters ist nicht maßgeblich, ob zur tatsächlichen Ausübung des Verweisungsberufs Umorganisationsmaßnahmen notwendig sind, die so weit gehen, dass im Verweisungsberuf ein Betrieb neu gegründet werden muss. Entscheidend ist allein, ob abstrakt eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werden kann, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt ausgeübte erfordert, wobei eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung im Bundesgebiet gewährleistet sein muss. Andernfalls würde sich die Erlangung der Erwerbsunfähigkeitspension danach orientieren, ob der Versicherte am Stichtag noch oder bereits über einen geeigneten Betrieb verfügt, in dem er die objektiv zumutbare Verweisungstätigkeit ausüben kann (10 ObS 23/06i, SSV‑NF 20/17).

3.1 Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung weicht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht ab.

3.2 Der behauptete Verstoß gegen § 498 Abs 1 ZPO wurde geprüft; er liegt aber nicht vor. Selbst dann, wenn das Berufungsgericht aus den erstgerichtlichen Festellungen andere tatsächliche (und nicht nur andere rechtliche) Schlüsse gezogen hätte als das Erstgericht, wäre eine Beweiswiederholung oder Beweisergänzung in der Berufungsverhandlung nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0118191; RS0043165). Im vorliegenden Fall steht fest, dass in den Bereichen Trockenausbau, Wärmeschutz und Verputzarbeiten in Österreich eine Vielzahl an Betrieben mit mehreren Mitarbeitern existiert. Wenn das Berufungsgericht daraus den Schluss zog, dass ein derartiger Betrieb (auch ein solcher mit acht oder mehr Mitarbeitern) wirtschaftlich vertretbar geführt werden kann, ist ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht zu erkennen.

3.3 Die Verweisung eines Versicherten innerhalb des durch § 133 Abs 2 GSVG gesteckten Rahmens auf eine Tätigkeit mit dem selben Unternehmensgegenstand wie bisher in modifizierter Betriebsform ist zulässig (10 ObS 57/08t, SSV‑NF 22/45 mwN). Die vom Revisionswerber für seine Ansicht, eine Umstrukturierung des Betriebs sei ihm (dennoch) unzumutbar und unrentabel, ins Treffen geführte oberstgerichtliche Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0106510), betrifft ausschließlich das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung des Versicherten zur Aufrechterhaltung seines Betriebs, nicht aber die – abstrakt – zu beurteilende Frage der Verweisbarkeit. Ein rechtlicher Feststellungsmangel ist zu verneinen.

3.4 Im Hinblick darauf, dass nicht auf die konkret ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeiten und die bisherige Betriebsstruktur abzustellen ist, sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren, wird auch mit dem Vorbringen, der Kläger sei bisher nicht gewohnt gewesen, mit einem Betriebsrat zu kommunizieren, einen Steuerberater zu beauftragen und mit einem genaueren und umfangreicheren Lagerhaltungssystem und Beschaffungsprogramm umzugehen, keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

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