OGH 10ObS384/01w

OGH10ObS384/01w11.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmuth Prenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann K*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. August 2001, GZ 9 Rs 38/01a-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22. November 2000, GZ 30 Cgs 180/00f-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 7. 9. 1944 geborene Kläger stellte am 2. 6. 2000 bei der beklagten Partei den Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Mit Bescheid vom 14. 7. 2000 hat die beklagte Partei den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Bestimmungen über diese Leistung (§ 253d ASVG) mit Ablauf des 30. 6. 2000 außer Kraft getreten seien und daher die begehrte Leistung zu dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag 1. 7. 2000 gesetzlich nicht mehr vorgesehen gewesen sei. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab 1. 7. 2000 im gesetzlichen Ausmaß. Dieses Klagebegehren hielt der Kläger in der Folge ausdrücklich weiterhin aufrecht, als die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung dieser Leistung mit Bescheid vom 23. 10. 2000 neuerlich ablehnte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und folgte dabei den von der beklagten Partei im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsstandpunkt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, in der vor allem verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 587 Abs 2 ASVG geltend gemacht wurden, nicht Folge, weil es diese Bedenken nicht teilte.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne ihres Eventualantrages berechtigt. Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen geltend, § 587 Abs 2 ASVG idF SVÄG 2000, wonach § 253d ASVG mit 30. 6. 2000 außer Kraft trete und nur auf Personen anzuwenden sei, die einen Stichtag vor dem 1. 7. 2000 aufweisen, verletze den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Außerdem verstoße diese Bestimmung wegen der rückwirkenden Beseitigung von Ansprüchen Einzelner, die sich aus der direkten Anwendung der Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (im Folgenden kurz "RL") ergeben, gegen das Gemeinschaftsrecht. Im Übrigen seien dem Stichtag nachfolgende Rechtsänderungen auch nach innerstaatlichem Recht unbeachtlich. Sollte demgegenüber dem Stichtag gemäß § 223 Abs 2 ASVG anspruchsbegründende Wirkung zuerkannt werden, werde angeregt, die Verfassungsmäßigkeit auch dieser Bestimmung überprüfen zu lassen.

Zu diesen Revisionsausführungen ist vorweg Folgendes festzuhalten:

Während für die seinerzeit mit der 51. ASVG-Novelle mit Wirksamkeit ab 1. 7. 1993 eingeführte neue Leistung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zunächst im Sinne der allgemein angestrebten Angleichung des Pensionsanfallsalters mit der Vollendung des 55. Lebensjahres ein einheitliches Anfallsalter für Männer und Frauen vorgesehen war, wurde durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 (BGBl 1996/201) das Anfallsalter für Männer auf das vollendete 57. Lebensjahr hinaufgesetzt, während für weibliche Versicherte die Vollendung des 55. Lebensjahres weiterhin ausreichte. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat mit Urteil vom 23. 5. 2000, Rs C-104/98 , Buchner - unter anderem veröffentlicht in DRdA 2000, 449 ff [Panhölzl] und WBl 2000, 313 - ausgesprochen, dass das unterschiedliche Pensionsanfallsalter für Männer und Frauen von 57 bzw 55 Jahren für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 122c BSVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 1996/201) gegen Art 7 der RL 79/7/EWG des Rates vom 19. 12. 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit verstößt. Die von der österreichischen Bundesregierung unter Hinweis auf die bedeutenden finanziellen Auswirkungen einer Aufhebung der diskriminierenden Maßnahmen gewünschte Begrenzung der zeitlichen Wirkungen der Entscheidung lehnte der EuGH unter Hinweis darauf ab, dass zum Zeitpunkt der Einführung der unterschiedlichen Zugangsalter bereits eine ständige Rechtsprechung des EuGH zu den relevierten Fragen vorlag, die es der Republik Österreich ermöglichte, die Vereinbarkeit dieser Regelung mit der RL zu prüfen (Rnr 40). Zudem rechtfertigten die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einer Vorabentscheidung für einen Mitgliedstaat ergeben können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen des betreffenden Urteils (Rnr 41).

Da somit der EuGH keinen Anlass sah, die Wirkungen seiner Entscheidung zeitlich zu begrenzen, war sein Erkenntnis sofort wirksam und umfasste auch alle gleichartigen Tatbestände im ASVG und GSVG. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts war daher die durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 mit Wirksamkeit vom 1. 7. 1996 auch im Bereich der vorzeitigen Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) eingeführte Erhöhung des Anfallsalters für Männer von bisher 55 auf 57 Jahre unbeachtlich. Es konnten somit auch die Männer diese Pensionsart bis zum Wirksamwerden einer mit dem Gemeinschaftsrecht übereinstimmenden neuen Regelung bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres in Anspruch nehmen (10 ObS 200/00k ua; Tomandl, Gedanken zum Vertrauensschutz im Sozialrecht, ZAS 2000, 129 ff [138]; Resch, OLG Linz: Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht verfassungswidrig, RdW 2001, 28 f; Rudda, Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 - wesentliche Änderungen beim Berufs-(Tätigkeits-)schutz, SozSi 2000, 554 f [555] ua). Bereits zum Zeitpunkt der Verkündung des EuGH-Erkenntnisses vom 23. 5. 2000, Rs C-104/98 , Buchner, bestand die Absicht der Koalitionsparteien, die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) zur Gänze abzuschaffen. Es hatte nämlich auch die Erhöhung des Anfallsalters für Männer von 55 auf 57 Jahre für diese Pensionsart den Anstieg von 45.940 Zuerkennungen (Stand 1996) auf 86.596 Zuerkennungen dieser Leistung (Stand Juli 2000) nicht verhindern können. Die Bundesregierung hat daher in ihrer Punktation vom 5. April 2000 und auch in dem vom Bundesministerium für Soziale Sicherheit und Generationen Ende April 2000 zur Begutachtung versendeten Entwurf zu einem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 an der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) ab 1. Oktober 2000 festgehalten (Rudda aaO 554). Auch eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission in Pensionsfragen schlug eine Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) vor (Tomandl aaO 138 f; derselbe, die Vorschläge der Pensionskommission und ihre Aufnahme durch die Bundesregierung, SozSi 2000, 432 ff [435]; Rudda, Neuer Berufsschutz in der Pensionsversicherung, SozSi 2000, 852 ff). Das EuGH-Erkenntnis vom 23. 5. 2000 führte infolge des außerordentlichen Medieninteresses und von Aktionen seitens der Betriebs- und Interessenvertretungen zu einer Flut von Neuanträgen, insbesondere im Zeitraum vom 24. Mai bis 1. Juni 2000. In dieser Woche betrafen die Anträge zu über 92 % Männer und zu weniger als 8 % Frauen (vgl dazu die statistischen Tabellen 1 und 2 in Rudda, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur unterschiedlichen Altersgrenze von Männern und Frauen bei vorzeitigen Alterspensionen wegen Erwerbsunfähigkeit und seine Folgen, SozSi 2001, 337 ff). In der Sitzung des Sozialausschusses des Nationalrates vom 25. Mai 2000 wurde ein Abänderungsantrag der Regierungsparteien zu einem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 eingebracht, der unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das am 23. 5. 2000 verkündete Urteil des EuGH eine Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) nicht erst mit Wirksamkeit vom 1. Oktober 2000, sondern bereits mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2000 vorsah. Für noch nicht 57-jährige männliche Versicherte, die nicht schon bis zum Ablauf des 22. Mai 2000 einen Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) gestellt hatten, sondern erst das am 23. Mai 2000 verkündete einschlägige Urteil des EuGH zum Anlass genommen hatten, einen solchen Antrag zu stellen, sollte die durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 geschaffene Rechtslage weiterhin gelten. Als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) sollte gleichzeitig der Berufsschutz für Personen ab dem vollendeten 57. Lebensjahr verbessert werden (AB 187 BlgNR XXI. GP, 3 f).

In Plenum des Nationalrates wurde das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 am 7. Juni 2000 beschlossen und am 7. Juli 2000 in BGBl I als Nr 43 (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 - SVÄG 2000) kundgemacht. Nach § 587 Abs 2 ASVG idF SVÄG 2000 tritt § 253d ASVG mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft. Nach Abs 3 der zitierten Gesetzesstelle ist § 253d in der am 30. Juni 2000 geltenden Fassung auf Personen, die Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit mit Stichtag vor dem 1. Juli 2000 haben, weiterhin anzuwenden. Auf männliche Versicherte, die nach dem 22. Mai 1943 geboren wurden und die die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach dem 22. Mai 2000 beantragt haben, ist § 253d nicht mehr anzuwenden (§ 587 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000). Der verbesserte Berufsschutz nach § 255 Abs 4 in der in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Fassung ist nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 30. Juni 2000 liegt (§ 587 Abs 5 ASVG idF SVÄG 2000).

Offensichtlich wegen europarechtlicher Bedenken wurde die Übergangsbestimmung des § 587 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000 in der Folge durch das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 (SRÄG 2000, BGBl I 92/2000) abgeändert. Nach § 587 Abs 4 idF SRÄG 2000 sind Anträge auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die nach dem 23. Mai 2000 und vor dem 2. Juni 2000 gestellt wurden, als Anträge auf Invaliditäts-(Berufsunfähigkeits-)Pension mit Stichtag 1. Juni 2000 zu werten, wobei § 255 Abs 4 idF des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000, BGBl I Nr 43, anzuwenden ist. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 254 BlgNR XXI. GP, 8) werden aus Gründen der EG-Konformität des österreichischen Dauerrechts § 253d ASVG sowie die entsprechenden Parallelbestimmungen mit Ablauf des 30. Juni 2000 aufgehoben und es wird zum selben Zeitpunkt eine neue Form der Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit geschaffen (§ 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000). Die vorgeschlagene Bestimmung (§ 587 Abs 4 ASVG) soll diese Neuregelung ergänzen, indem diese Rechtsänderung für Anträge, die im Übergangszeitraum nach dem Tag des EuGH-Urteils, also dem 24. Mai 2000, und vor dem 2. Juni 2000 gestellt wurden und die damit einen Stichtag 1. Juni 2000 auslösten, vorgezogen werden soll. Für in diesem Zeitraum gestellte Anträge nach § 253d ASVG soll diese Bestimmung - geschlechtsneutral - nicht mehr zur Anwendung kommen (Vorgriff auf den Entfall) und es sollen diese Anträge bereits als Anträge nach § 255 Abs 4 ASVG gelten (Vorgriff auf das Inkrafttreten dieser neuen Leistungsvariante). Das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 (SRÄG 2000) wurde erstmals am 11. August 2000 im Teil I des Bundesgesetzblattes unter der Nr 92 kundgemacht. Am 24. August 2000 wurde es nochmals im Teil I des Bundesgesetzblattes unter der Nr 101 kundgemacht, wobei angefügt wurde, dass diese Kundmachung die erste Kundmachung ersetzen soll.

Ausgehend von der dargestellten Rechtslage hat der erkennende Senat bereits in mehreren den Anspruch von männlichen Versicherten auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zum Stichtag 1. 6. 2000 betreffenden Entscheidungen (10 ObS 43/01y, 10 ObS 54/01s, 10 ObS 56/01k ua) ausgesprochen, dass die Übergangsbestimmung des § 587 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000 als unmittelbare Diskriminierung männlicher Versicherter mit dem Gemeinschaftsrecht nicht in Einklang stand und somit aufgrund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechtes nicht anzuwenden war. Weiters wurde dargelegt, dass aufgrund der sukzessiven Kompetenz die Entscheidung vom Gericht völlig neu und unabhängig vom Verwaltungsverfahren zu treffen ist und daher alle Änderungen (auch Gesetzesänderungen) jedenfalls bis zum Schluss der Verhandlung in erster Instanz zu berücksichtigen sind. Schließlich wurde noch näher begründet, dass aber auch eine Berücksichtigung der vom Gesetzgeber durch SRÄG 2000 vorgenommenen Änderung der Übergangsbestimmung des § 587 Abs 4 ASVG zu keinem anderen Ergebnis führt, weil auch die geänderte Übergangsbestimmung als sachlich nicht gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung männlicher Versicherter mit dem Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang steht.

Im vorliegenden Fall hat der am 7. 9. 1944 geborene Kläger am 2. 6. 2000 bei der beklagten Partei den Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d ASVG gestellt. In der Pensionsversicherung richtet sich die Beurteilung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, nach den Verhältnissen am Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG). Ob die Anspruchsvoraussetzungen (Eintritt des Versicherungsfalles, Erfüllung der Wartezeit usw) erfüllt sind, ist daher nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Stichtages zu beurteilen (10 ObS 302/98d; Teschner/Widlar, MGA, ASVG 68. ErgLfg Anm 7 zu § 223; Teschner in Tomandl, SV-System 14. ErgLfg 387; Grillberger, Österreichisches Sozialrecht5 80; Resch, Sozialrecht2 98 ua). Der Stichtag ist bei Anträgen auf eine Leistung aus dem Versicherungsfeld des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste. Im vorliegenden Fall ist somit zum Stichtag 1. 7. 2000 das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen für die vom Kläger begehrte Versicherungsleistung zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach § 587 Abs 2 ASVG idF SVÄG 2000 die Bestimmung über die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft getreten ist und § 253d ASVG in der am 30. Juni 2000 geltenden Fassung (nur) auf Personen, die Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Altersfähigkeit mit Stichtag vor dem 1. Juli 2000 haben, weiterhin anzuwenden ist (§ 587 Abs 3 ASVG idF SVÄG 2000). Die alte Regelung über die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit wurde also nach dem Übergangsrecht zum SVÄG 2000 für Stichtage ab 1. 7. 2000 aufgehoben. Gleichzeitig wurde eine neue Form der Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit geschaffen (§ 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000). Nach § 587 Abs 5 ASVG idF SVÄG 2000 ist diese neue Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem 30. Juni 2000 liegt. § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000 ist geschlechtsneutral formuliert und stellt sowohl für Männer als auch für Frauen auf die Vollendung des 57. Lebensjahres ab. Es ist daher aufgrund der dargestellten (innerstaatlichen) Rechtslage davon auszugehen, dass die Regelung über die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d ASVG mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft getreten ist und daher auf den für den Kläger maßgebenden Stichtag 1. 7. 2000 keine Anwendung mehr zu finden hat.

Zu den vom Kläger gegen diese Rechtslage vorgebrachten gemeinschaftsrechtlichen Bedenken hat der erkennende Senat Folgendes erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl EuGH, 7. 2. 1991, Rs C-184/89 , Nimz, Slg 1991, I-297, Rnr 19 mwN ua). Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass Art 4 Abs 1 der RL über das Verbot jeglicher Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der sozialen Sicherheit, solange die RL nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, von Einzelnen vor den innerstaatlichen Gerichten in Anspruch genommen werden kann, um die Anwendung aller mit diesem Artikel unvereinbaren innerstaatlichen Vorschriften auszuschließen. Es haben daher nach Ablauf der zur Umsetzung der Richtlinie festgelegten Frist bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die zuständigen Stellen in den Mitgliedsstaaten die erforderlichen korrekten Durchführungsmaßnahmen erlassen, Mitglieder der benachteiligten Gruppe Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie die Angehörigen der bevorzugten Gruppe, da dieses Ziel, solange die Richtlinie nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem für die Gleichbehandlung ist (EuGH, 4. 12. 1986, Rs 71/85 , Federatie Nederlandse Vakbeweging, Slg 1986, 3855, Rnr 23; 24. 6. 1987, Rs 384/85, Borrie Clarke, Slg 1987, 2865, Rnr 11 f; 13. 12. 1989, Rs C-102/88 , Ruzius-Wilbrink, Slg 1989, 4311, Rnr 20; 27. 6. 1990, Rs C-33/89 , Kowalska, Slg 1990, I-2591, Rnr 20; 7. 2. 1991, Rs C-184/89 Nimz, Slg 1991, I-297, Rnr 21; 13. 3. 1991, Rs C-377/89 , Cotter und Mc Dermott, Slg 1991, I-1155, Rnr 18; 11. 7. 1991, Rs C-31/90 , Johnson, Slg 1991, I-3723, Rnr 36; 24. 2. 1994, Rs C-343/92 , Roks, Slg 1994, I-571, Rnr 18 ua). Daraus folgt, dass Ansprüche, die aufgrund des gemeinschaftskonform erweiterten nationalen Rechts entstanden sind, nicht rückwirkend genommen werden können, auch wenn die spätere nationale Regelung die Vergünstigung ganz abschafft (Bieback in Fuchs, Komm zum europäischen Sozialrecht2 584). Der EuGH hat es den zuständigen Stellen in den Mitgliedsstaaten überlassen, wie sie die Ungleichbehandlung beseitigen, sei es durch Abschaffung der Vergünstigung insgesamt, sei es durch Ausdehnung der Vergünstigung auf die bisher Ausgeschlossenen. Der Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedsstaat nicht verwehrt, im Rahmen der Kontrolle seiner Sozialausgaben Maßnahmen zu ergreifen, die bewirken, dass bestimmten Personengruppen Leistungen der sozialen Sicherheit entzogen werden, sofern bei diesen Maßnahmen der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Sinne des Art 4 Abs 1 der RL 79/7 beachtet wird (EuGH, 24. 2. 1994, Rs C-343/92 , Roks, Slg 1994, I-571, Rnr 28 f mwN ua). Dabei ist allerdings auch zu beachten, dass das neue Recht zwischenzeitlich zugewachsene Rechtspositionen aus der Geltung des Gemeinschaftsrechts nicht beseitigen darf. Verspätet getroffene nationale Durchführungsmaßnahmen müssen daher in vollem Umfang die Rechte der Einzelnen beachten, die in einem Mitgliedsstaat aufgrund von Art 4 Abs 1 RL mit dem Ablauf der den Mitgliedsstaaten für die Anpassung ihrer Vorschriften an die Richtlinie gesetzten Frist entstanden sind (EuGH 8. 3. 1988, Rs 80/87 , Dik ua, Slg 1988, 1601, Rnr 15; 13. 3. 1991, Rs C-377/89 , Cotter und Mc Dermott, Slg 1991, I-1155, Rnr 25; 24. 2. 1994, Rs C-343/92 , Roks, Slg 1994, I-571, Rnr 20 ua). So kann ein Mitgliedsstaat, der nach Ablauf der in der Richtlinie gesetzten Frist Durchführungsmaßnahmen erlässt, deren Inkrafttreten auch rückwirkend auf den Tag des Ablaufs dieser Frist festsetzen, sofern er alle Rechte beachtet, die für die Einzelnen in den Mitgliedsstaaten aufgrund von Art 4 Abs 1 der Richtlinie mit dem Ablauf der Frist entstanden sind (EuGH, 8. 3. 1988, Rs 80/87 , Dik ua, Slg 1988, 1601, Rnr 15 ua).

Schließlich dürfen die einschlägigen nationalen Vorschriften nicht darauf hinauslaufen, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH 25. 7. 1991, Rs C-208/90 , Emmott, Slg 1991, I-4269, Rnr 16; 27. 10. 1993, Rs C-338/91 , Steenhorst-Neerings, Slg 1993, I-5475, Rnr 15; 15. 9. 1998, Rs C-231/96 , Edis, Slg 1998, I-4951, Rnr 19 ua; Hatje in Schwarz (Hrsg), EU-Kommentar [2000], Art 10 EGV Rz 16 mwN ua). Nur unter diesen Voraussetzungen des Effektivitätsgrundsatzes bzw Vereitelungsverbotes ist auch die Festsetzung von angemessenen Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar (EuGH 9. 2. 1999, Rs C-343/96 , Dilexport Srl, Slg 1999, I-579, Rnr 26 mwN ua). Wie bereits erwähnt, war aufgrund des EuGH-Urteils vom 23. 5. 2000 in der Rechtssache Buchner klargestellt, dass auch die Männer die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) bis zum Wirksamwerden einer mit dem Gemeinschaftsrecht übereinstimmenden neuen Regelung bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres in Anspruch nehmen konnten, nachdem der EuGH eine Begrenzung der zeitlichen Wirkungen seines Urteils vom 23. 5. 2000 abgelehnt hatte. Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, dass er sich erst nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Buchner auf die nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie in das innerstaatliche Recht berufen hat und nicht schon früher einen Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gestellt hat. Ungeachtet der bereits davor bestehenden Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendung der RL war der Kläger bis zu diesem Urteil keinesfalls in die Lage versetzt, in vollem Umfang von seinen Rechten Kenntnis zu erlangen. Zum Zeitpunkt seiner Antragstellung (2. 6. 2000) war die Richtlinie nicht ordnungsgemäß in das innerstaatliche Recht umgesetzt (vgl EuGH 25. 7. 1991, Rs C-208/90 , Emmott, Slg 1991, I-4269, Rnr 21). Eine ordnungsgemäße Umsetzung der RL 79/7 erfolgte erst durch das am 7. Juli 2000 im Bundesgesetzblatt kundgemachte SVÄG 2000, mit dem die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) in gleicher Weise für Männer und Frauen mit Ablauf des 30. 6. 2000 abgeschafft wurde. Es wurde bereits dargelegt, dass es dem nationalen Gesetzgeber nach dem Gemeinschaftsrecht nicht verwehrt war, unter Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung diese Leistung der sozialen Sicherheit (für die Zukunft) abzuschaffen. Davon zu unterscheiden ist jedoch jeder Versuch, rückwirkend Ansprüche zu entziehen, die infolge der unmittelbaren Wirkung von Bestimmungen einer nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführten RL bereits erworben worden sind (vgl EuGH 24. 2. 1994, Rs C-343/92 , Roks, Slg 1994, I-587, Rnr 21 ff; 13. 3. 1991, Rs C-377/89 , Cotter und Mc Dermott, Slg 1991, I-1155, Rnr 25 ua).

Vor dem 7. 7. 2000 (dem Tag, an dem die neuen Rechtsvorschriften des SVÄG betreffend die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) kundgemacht wurden, die Österreich erlassen hat, um der RL 79/7 nachzukommen) hatte auch ein männlicher Versicherter somit Anspruch darauf, diese Pensionsleistung bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres - bei Vorliegen der übrigen allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für diese Pensionsleistung - in Anspruch nehmen zu können. Dieses Recht ist auch dem Kläger, der bereits im Zeitpunkt der Antragstellung (2. 6. 2000) das 55. Lebensjahr vollendet hatte, zu dem durch diese Antragstellung ausgelösten Stichtag 1. 7. 2000 aus der unmittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechtes entstanden. Dem entgegen hat der innerstaatliche Gesetzgeber mit dem SVÄG 2000 auch für diesen Personenkreis die gegenständliche Pensionsleistung rückwirkend zum Stichtag 1. 7. 2000 wiederum beseitigt.

Nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH ist auch ohne Einholung einer neuerlichen Vorabentscheidung davon auszugehen, dass durch diese verspätet getroffene Maßnahme des innerstaatlichen Gesetzgebers der dem Kläger aus der unmittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechtes entstandene Anspruch, die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zum Stichtag 1. 7. 2000 bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können, nicht wirksam rückwirkend entzogen werden konnte und dass dem Kläger durch diese Vorgangsweise des nationalen Gesetzgebers überdies die Ausübung der ihm von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich gemacht wurde.

Aufgrund dieser Erwägungen gelangt der erkennende Senat zu dem Ergebnis, dass die vom Gesetzgeber im SVÄG 2000 rückwirkend mit Ablauf des 30. 6. 2000 vorgenommene Aufhebung der Bestimmung des § 253d ASVG im Falle des Klägers mit dem Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang steht, somit unbeachtlich ist und daher ein Zuspruch der beantragten Leistung an den Kläger auch zum Stichtag 1. 7. 2000 bei Vorliegen der bisher dafür erforderlichen allgemeinen und besonderen Voraussetzungen noch in Betracht kommt. Da das Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Leistung bisher aber nicht erörtert wurde, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen schon aufgrund dieser Erwägungen zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung aufzuheben. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die weiteren in der Revision vorgetragenen Argumente, insbesondere die darin geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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