OGH 10ObS370/02p

OGH10ObS370/02p7.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Matzka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl N*****, vertreten durch Dr. Friedrich J. Reif-Breitwieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Juni 2002, GZ 7 Rs 391/01y-174, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30. Mai 2001, GZ 26 Cgs 185/94z-149, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf deren Gesamtrechtsnachfolgerin "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Novelle, BGBl I 2002/1).

Rechtliche Beurteilung

Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) rügt der Revisionswerber, dass das Berufungsgericht seinen Antrag auf Erörterung des im Berufungsverfahren eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet Chirurgie abgewiesen habe. Das Gutachten nehme zur Frage der Zwangshaltungen nicht ausreichend Stellung.

Gemäß § 75 Abs 2 ASGG ist in Sozialrechtssachen im Falle einer schriftlichen Begutachtung der Sachverständige von Amts wegen zur Erörterung des Gutachtens (§ 357 ZPO) zur mündlichen Streitverhandlung zu laden, es sei denn, dass es offenkundig der Erörterung nicht bedarf. Die Parteien können auch noch in der Verhandlung nach Verlesung des Gutachtens des abwesenden Sachverständigen dessen Ladung zur Erörterung des Gutachtens beantragen. In diesem Fall wird kaum mehr die Auffassung vertreten werden können, eine Erörterung sei offenkundig nicht notwendig (Kuderna, ASGG² 489). Ein Verstoß des Berufungsgerichts, das gemäß § 488 Abs 3 ZPO den Sachverständigenbeweis neu durchführte, gegen § 75 Abs 2 ASGG bildet aber nur dann einen Mangel des Berufungsverfahrens, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz herbeizuführen. Diese Behauptung hat der Revisionswerber aufzustellen (RIS-Justiz RS0043027). Es wäre demnach Sache des Revisionswerbers gewesen, im Einzelnen darzulegen, welche Fragen er noch zu stellen gehabt hätte und inwieweit durch eine mündliche Erörterung ein anderes Verfahrensergebnis herbeigeführt hätte werden können (EFSlg 32.267). Diesem Erfordernis genügt aber die nicht konkretisierte Behauptung in der Revision, das Gutachten nehme zur Frage der Zwangshaltungen nicht ausreichend Stellung, nicht.

Als Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) rügt der Kläger die Feststellungen des Berufungsgerichts über die Einstufung der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit in die Verwendungsgruppe IV des Rahmenkollektivvertrags für Angestellte der Industrie, die im Widerspruch zum berufskundlichen Gutachten stünden, auf das das Berufungsgericht seine Feststellungen gestützt habe. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nur vor, wenn Tatsachenfeststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden (Kodek in Rechberger, ZPO² § 503 Rz 4). Die Frage, in welche Verwendungsgruppe/Beschäftigungsgruppe eines anwendbaren Kollektivvertrags die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit eines Versicherten einzureihen ist, ist eine Rechtsfrage, die anhand eines Vergleichs der ausgeübten Tätigkeit mit den Einstufungskriterien des Kollektivvertrags zu lösen ist, aber keine Tatsachenfrage. Die angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts sind daher keine Tatsachenfeststellungen, sondern rechtliche Beurteilung. Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 1 ASVG nicht erfüllt, ist zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Rechtsrüge ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Lösung der Frage eines unzumutbaren sozialen Abstiegs, der zu einer Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG führt, auf den sozialen Wert an, den die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten, die in der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit des Versicherten von Bedeutung waren, unter den Verhältnissen zur Zeit des Stichtags (§ 273 Abs 2 ASVG) haben. Die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag kann ein Indiz für die Einschätzung des sozialen Werts sein und kann daher zur Beurteilung des sozialen Abstiegs herangezogen werden (SSV-NF 3/108 ua; RIS-Justiz RS0084890, RS0084926). In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgeführt, dass die Verweisung von Angestellten auf Tätigkeiten der nächstniedrigen Gruppe in der Regel mit keinem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden ist, auch wenn es sich dabei um Arbeiten handelt, die mit weniger Eigenverantwortung verbunden sind. Gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige muss ein Versicherter hinnehmen (SSV-NF 5/34; 9/58 uva).

Dies bedeutet im Falle des Klägers, dass auch durch eine Verweisung auf Tätigkeiten der Verwendungsgruppe IV des Rahmenkollektivvertrags für Angestellte der Industrie bzw Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für die Handelsangestellten Österreichs die Unzumutbarkeitsgrenzen nicht überschritten werden, selbst wenn die in der Revision vertretene Auffassung richtig wäre, dass die in einem Produktionsbetrieb der Nahrungsmittelindustrie vom Kläger ausgeübte Tätigkeit in die Verwendungsgruppe V des Kollektivvertrags für Angestellte der Industrie einzureihen wäre. Daraus folgt, dass die Verweisung des Klägers auf die Tätigkeiten eines Sachbearbeiters in der Industrie, größeren Gewerbe- und Handelsbetrieben im Bereich Lagerwirtschaft-Logistik, zuständig für Lagerplanung, Erstellung von Lagerstatistiken und von Logistik-Konzepten mit dem Ziel der Optimierung der Lagerhaltung, Planung und Evidenzhaltung des Materialflusses, sowie im Bereich der Materialwirtschaft primär in Industriebetrieben, zuständig für die optimale Bereitstellung der für die Produktion notwendigen Rohstoffe, Halbfertigwaren oder Fertigwaren, einschließlich der Materialverwaltung, welche nach dem Rahmenkollektivvertrag für Angestellte der Industrie der Verwendungsgruppe IV zugeordnet wird, auch unter dem Aspekt der Zumutbarkeit des sozialen Abstiegs zulässig ist (vgl 10 ObS 327/01p mwN). Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen ist der Kläger aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls zur Verrichtung dieser Verweisungstätigkeit jedenfalls noch in der Lage, sodass er nicht berufsunfähig im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG ist. Die Revision musste daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte