Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 10. 8. 2000 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 10. 2. 2000 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab dem Stichtag 1. 3. 2000 mit der Begründung ab, dass der am 11. 9. 1946 geborene Kläger, der keinen Berufsschutz genieße, nicht invalid iSd § 255 Abs 3 ASVG sei.
Das Erstgericht ging davon aus, das dem Kläger als angelerntem Berufskraftfahrer Berufsschutz iSd § 255 Abs 2 ASVG zukomme und sprach dem Kläger ab dem Stichtag 1. 3. 2000 eine unbefristete Invaliditätspension zu, weil eine Besserung des medizinischen Leistungskalküls nicht mehr zu erwarten sei. Weiters trug es der beklagten Partei ab 1. 3. 2000 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids die Erbringung einer vorläufigen Zahlung auf.
Dagegen erhob die beklagte Partei Berufung mit dem Antrag, die Entscheidung um den Ausspruch zu ergänzen, dass die Invaliditätspension erst mit 22. 5. 2000 anfalle.
Das Berufungsgericht gab der Berufung dahin Folge, dass es das Ersturteil "im Umfang der Zuerkennung der Invaliditätspension sowie der vorläufigen Zahlung in der Zeit vom 1. 3. 2000 bis 21. 5. 2000" aufhob und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwies. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, dass gemäß § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG für den Anfall der Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit die Aufgabe der Tätigkeit erforderlich sei, aufgrund welcher der Versicherte als invalid gelte. Die Aufgabe der den Berufsschutz vermittelnden Berufstätigkeit sei unabdingbare Anspruchsvoraussetzung. Bei aufrechter Berufstätigkeit bis 21. 5. 2000 wäre ein Anspruch auf die begehrte Leistung im strittigen Zeitraum (1. 3. 2000 - 21. 5. 2000) weder entstanden noch angefallen. Aus dem Akteninhalt ergäben sich Anhaltspunkte für den entscheidungswesentlichen und daher vom Erstgericht von Amts wegen zu prüfenden Umstand, dass der Kläger zum Stichtag 1. 3. 2000 seine den Berufsschutz bedingende Tätigkeit als Berufskraftfahrer noch nicht aufgegeben gehabt habe. Dabei sei unter "Aufgabe der Tätigkeit" die formelle Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Wohl sei durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 das Weiterbestehen der Pflichtversicherung für die Zeit des Bezuges einer Urlaubsentschädigung oder Urlaubsabfindung sowie für die Zeit des Bezuges einer Kündigungsentschädigung normiert worden. Da aber § 254 Abs 1 ASVG nicht mehr auf das Bestehen einer Pflichtversicherung, sondern auf die Aufgabe der Tätigkeit abstelle, sei allein dieser Zeitpunkt für den Anfall der Invaliditätspension maßgeblich. Es sei daher notwendig Feststellungen zur Aufgabe der Tätigkeit zu treffen, während dem Bezug von Urlaubsabfindung bzw Urlaubsentschädigung keine Bedeutung zukomme. Wegen des Fehlens einer höchstgerichtlichen Judikatur zu dieser Frage sei der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen.
Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Berufungsgerichts und Entscheidung in der Sache selbst, dass die Invaliditätspension erst mit 22. 5. 2000 anfällt.
Der Kläger hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
In ihrem Rekurs macht die beklagte Partei geltend, dass zum Pensionsstichtag noch ein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis vorgelegen sei, das mit 31. 3. 2000 beendet worden sei. Nach der arbeitsrechtlichen Auflösung dieses Beschäftigungsverhältnisses habe dem Kläger eine Urlaubsentschädigung bzw Urlaubsabfindung gebührt, wodurch die Pflichtversicherung bis 21. 5. 2000 verlängert worden sei. Unter "Aufgabe der Tätigkeit, aufgrund welcher der Versicherte als invalid gilt" sei die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses einschließlich aller aus diesem resultierenden Nachwirkungen und Rechten zu sehen. Der Gesetzgeber habe bewusst die Urlaubsentschädigung bzw die Urlaubsabfindung - wie auch bereits zuvor die Kündigungsentschädigung - in den Entgeltbegriff des § 49 Abs 1 ASVG hineingenommen und den Arbeitnehmer letztlich so gestellt als stünde er in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis. Dies habe zwangsweise zur Folge, dass für die Dauer des Erwerbes derartiger Beitragsmonate der Pflichtversicherung eine Pensionsleistung nicht anfallen könne. In pensionsversicherungsrechtlich relevanten Belangen habe die Urlaubsentschädigung bzw Urlaubsabfindung die gleichen Auswirkungen wie eine versicherungsrechtliche Beschäftigung und das daraus resultierende Entgelt. Die Urlaubsentschädigung/abfindung sei insbesondere auch beim Zurechnungszuschlag, bei der Ausgleichszulage, bei der Feststellung der Witwenpension und ab 1. 11. 1996 bei der Altersteilpension und bei den vorzeitigen Alterspensionen als Einkommen (Entgelt) zu berücksichtigen. Weder durch das Sozialrechtsänderungsgesetz noch durch nachfolgende rechtliche Normierungen habe der Gesetzgeber einen Doppelbezug, insbesondere einen der Parteiendisposition unterliegenden, in Kauf genommen. Im Ergebnis werde daher der Anfall einer Pensionsleistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit durch den Bezug einer Urlaubsentschädigung bzw Urlaubsabfindung gehindert.
Dazu hat der Senat erwogen:
Schon im Berufungsverfahren war nicht strittig, dass der Kläger zum Stichtag 1. März 2000 die materiellen und formellen Leistungsvoraussetzungen für die begehrte Invaliditätspension erfüllte (§§ 223 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2, 254 Abs 1, 255 Abs 1 ASVG) und aufgrund des körperlichen Zustands des Klägers dauernde Invalidität anzunehmen ist (§ 256 Abs 2 ASVG). Gemäß § 85 ASVG ist somit der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension - das Leistungsverhältnis - zum Stichtag entstanden. Dieses ist die Grundlage für die Gewährung der Leistung (SSV-NF 7/8). Soweit eine Leistung für einen bestimmten Zeitraum gebührt, wie etwa eine Pension, bedarf es noch der Festlegung, ab welchem Zeitpunkt diese Leistung zusteht (Anfall der Leistung, § 86 ASVG).
In der Entscheidung 10 ObS 309/01s hat der Oberste Gerichtshof jüngst die Entstehungsgeschichte des § 86 Abs 3 Z 2 ASVG dargestellt. Mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl 1996/201, wurden dem § 86 Abs 3 Z 2 ASVG folgende Sätze angefügt:
"Für den Anfall einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit ist zusätzlich die Aufgabe der Tätigkeit, aufgrund welcher der (die) Versicherte als invalid (berufsunfähig, dienstunfähig) gilt, erforderlich, es sei denn, der (die) Versicherte bezieht ein Pflegegeld ab Stufe 3 nach § 4 des BPGG, BGBl Nr 110/1993. Werden dem (der) Versicherten Maßnahmen der Rehabilitation gewährt und sind ihm (ihr) diese Maßnahmen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner (ihrer) Ausbildung sowie der von ihm (ihr) bisher ausgeübten Tätigkeit zumutbar, so fällt die Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit erst dann an, wenn durch die Rehabilitationsmaßnahmen die Wiedereingliederung des (der) Versicherten in das Berufsleben nicht bewirkt werden kann."
Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungvorlage (RV 72 Blg NR 20. GP 247) dient die vorgeschlagene Regelung der Vermeidung von Missbräuchen. Es soll - wie der erkennende Senat bereits festgehalten hat (10 ObS 129/99i = ARD 5186/31/2001 = infas 2000, S 18; 10 ObS 30/02p) - verhindert werden, dass neben dem Bezug einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit die bisherige Tätigkeit weiterhin ausgeübt wird (Teschner/Widlar MGA ASVG 68. ErgLfg Anm 5b zu § 86).
Diese Neuregelung verfolgt somit offenbar den Zweck, Versicherte vom Leistungsbezug auszuschließen, die zwar objektiv nicht mehr in der Lage sind, ihrer versicherten Tätigkeit nachzugehen, aber auf Kosten ihrer Gesundheit oder aus Entgegenkommen ihres Arbeitgebers ihre bisherige Berufstätigkeit fortsetzen. Die Aufgabe der Berufstätigkeit ist vom Gesetzgeber allerdings nicht als besondere Leistungsvoraussetzung (wie etwa bei der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253b Abs 1 Z 4 ASVG oder auch nach der früheren Regelung des § 254 Abs 1 ASVG idF SRÄG 1991) konzipiert. Die Fortsetzung der bisherigen Berufstätigkeit bewirkt vielmehr eine Hemmung des Leistungsanfalles. Wird diese Erwerbstätigkeit aufgegeben, fällt die Leistung an (Schrammel in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 2.1.2.4.C [8. ErgLfg] 149; Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts5 Rz 271). Wird sie hingegen nicht aufgegeben, ist bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen vom Pensionsversicherungsträger ein Zuerkennungsbescheid zu erlassen mit der Feststellung, dass die Pension nicht anfällt (vgl Radner ua, BSVG3 Anm 7 zur vergleichbaren Bestimmung des § 51 Abs 2 Z 2 BSVG und Anm 1 zu § 124a BSVG).
Da die Aufgabe der bisherigen Tätigkeit im Sinn des § 86 Abs 3 Z 2 ASVG eine Voraussetzung für den Leistungsanfall, nicht aber für das Entstehen des Leistungsanspruchs darstellt (10 ObS 309/01s; 10 ObS 30/02p; anders noch 10 ObS 84/01b), kann ihr Fehlen nicht zwingend zur Abweisung des Leistungsbegehrens führen. Zu Recht hat das Erstgericht die Ansicht vertreten, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab dem Stichtag 1. 3. 2000 die Invaliditätspension zu gewähren, dem Grunde nach zu Recht besteht. Da die Pension aber erst mit der Aufgabe der bisherigen Tätigkeit iSd § 86 Abs 3 Z 2 ASVG anfallen kann, kann allerdings auch eine vorläufige Zahlung erst ab diesem Zeitpunkt aufgetragen werden. Im vorliegenden Fall liegen Hinweise vor, dass der Kläger seine Tätigkeit als Berufskraftfahrer, aufgrund der er als invalid gilt, zum Stichtag noch nicht aufgegeben hatte. Ist dies der Fall, konnte die Invaliditätspension nicht mit dem Stichtag anfallen. Wohl aber ist - wie schon ausgeführt - das Leistungsverhältnis entstanden, und die begehrte Leistung fällt (fiel) ohne Weiteres mit Aufgabe der Tätigkeit als Berufskraftfahrer an, aufgrund derer er als invalid gilt (§ 86 Abs 3 Z 2 ASVG). Dieser Zeitpunkt ist erst zu klären. Nach den bereits erwähnten Motiven des Gesetzgebers soll durch die zitierte Bestimmung zwecks Vermeidung von Missbräuchen verhindert werden, dass neben dem Bezug einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) die bisherige Tätigkeit weiterhin ausgeübt wird. Dies bedeutet nach einem in der Lehre vertretenen Standpunkt (Choholka ua, Strukturanpassungsgesetz 1996 - Änderungen im Sozialversicherungsrecht, SozSi 1996, 471 ff [478]), dass zB bei einem Angestellten, der als Computertechniker berufsunfähig ist, die Berufsunfähigkeitspension erst ab dem Zeitpunkt anfällt, ab dem er seine Arbeitstätigkeit als Computertechniker vollständig aufgegeben hat; die Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit (zB als Buchhalter) hindert nicht den Anfall der Berufsunfähigkeitspension. Die für den Anfall der Pension erforderliche vollständige Aufgabe der bisherigen Tätigkeit setzt aber eine formale Lösung des Arbeitsverhältnisses (also eine Beendigung des Dienstverhältnisses, der eine bloß faktische Nichtausübung der Tätigkeit zB aufgrund eines längeren, ununterbrochenen Krankenstandes oder Urlaubes nicht gleichzusetzen ist) oder die Ausübung einer anderen Erwerbstätigkeit - wenn auch im gleichen Betrieb (Änderungskündigung) - voraus (vgl Teschner/Widlar, MGA, ASVG 68. ErgLfg Anm 5a zu § 86 ASVG). Das bisherige Beschäftigungsverhältnis darf daher jedenfalls soweit nicht weiterbestehen, als es eine idente Tätigkeit zum Gegenstand hat. In diesem Sinn ist auch zu klären, welche Tätigkeit der Kläger ab dem 1. 3. 2000 ausgeübt hat. Das Beschäftigungsverhältnis darf, um "anfallunschädlich" zu sein, nur insoweit nicht weiterbestehen, als es eine idente Tätigkeit wie diejenige zum Gegenstand hat, aufgrund derer der Versicherte als invalid gilt (§ 86 Abs 3 Z 2 ASVG). Ausgehend von dem bereits dargestellten Zweck dieser Bestimmung hindert der Bezug einer Urlaubsentschädigung oder Urlaubsabfindung (bzw nunmehr von Urlaubsentgelt) den Leistungsanfall nicht. Maßgeblich für den Anfall ist die "Aufgabe der Tätigkeit", aufgrund derer der Versicherte als invalid gilt. Auf das Nichtbestehen einer Pflichtversicherung, wie es beispielsweise in § 254 Abs 1 ASVG idF vor der 51. ASVG-Novelle, BGBl 1993/335, normiert war ("Anspruch auf Invaliditätspension hat der (die) Versicherte, wenn ... er (sie) am Stichtag (§ 223) weder in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz noch in der Pensionsversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz noch in der Pensionsversicherung nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz pflichtversichert ist, noch Anspruch auf einen der im 23 Abs.2 des Bezügegesetzes bezeichneten Bezüge hat ..."), kommt es nicht an. Für den Anfall der Invaliditätspension ist es daher nicht relevant, dass § 11 Abs 2 Satz 2 ASVG seit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl 1996/201, das Weiterbestehen der Pflichtversicherung für die Zeit des (fiktiven) Zeitraums des Bezugs von Urlaubsentschädigung und Urlaubsabfindung (nunmehr des Urlaubsentgelts) normiert. Die im Rekurs angeführten Bestimmungen über die Anrechnung des Bezugs einer Urlaubsentschädigung bzw Urlaubsabfindung bei der Bemessung eines Leistungsanspruchs (zB auf Ausgleichszulage) sind wegen des völlig andersgearteten Zwecks dieser Anrechnungen für die Auslegung des Begriffs der "Aufgabe der Tätigkeit" nicht dienlich.
Ob während des Bezuges von Leistungen aus dem schon gelösten Arbeitsverhältnis die Pensionsleistung als Teilpension gebührt (§ 254 Abs 6 ASVG) ist im vorliegenden Fall nicht zu prüfen. Im fortgesetzten Verfahren ist zwecks Klärung des Zeitpunkts des Leistungsanfalls (und des Zeitpunkts des Beginns des Anspruchs auf eine vorläufige Zahlung) festzustellen, welche Tätigkeit der Kläger ab dem 1. 3. 2000 ausgeübt hat und wann er seine Tätigkeit als Berufskraftfahrer aufgegeben hat. Der Bezug einer Urlaubsentschädigung oder Urlaubsabfindung hindert den Leistungsanfall nicht.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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