Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 28. 6. 1947 geborene Kläger erlernte keinen Beruf und war bis November 1992 als Hilfsarbeiter beschäftigt; seither steht er im Bezug von Krankengeld und Arbeitslosengeld. Im Vordergrund seiner gesundheitlichen Beschwerden steht eine hochgradige arterielle Minderdurchblutung beider Beine. Er kann daher nur noch leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen verrichten. Arbeiten im ununterbrochenen Gehen dürfen eine Wegstrecke von 100 Metern nicht überschreiten. Das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, häufiges und länger dauerndes Arbeiten im Bücken, in Kälte, Feuchtigkeit und Zugluft, überwiegend im Stehen und Gehen, unter dauerndem besonderen Zeitdruck oder mit gehäuftem Treppensteigen sind dem Kläger nicht mehr möglich. Die Anmarschwege sind auf 500 Meter begrenzt, wobei der Kläger nach Zurücklegen einer Wegstrecke von jeweils 100 m 3 bis 4 Minuten stehen bleiben muß, bevor er wieder 100 m bewältigen kann. Bei extrem widrigen Umständen (steiles Bergaufgehen, Gehen in unwegsamem Gelände oder bei hoher Schneelage) kann der Kläger die Anmarschwege nicht mehr zurücklegen.
Mit Bescheid vom 7. 11. 1994 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 14. 3. 1994 auf Gewährung der Invaliditätspension ab.
Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Zahlung der Invaliditätspension ab 1. 4. 1994 gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger sei nicht invalid nach § 255 Abs 3 ASVG, weil er etwa noch die Tätigkeit eines Portiers ausüben könne. Daß er für Anmarschwege 15 bis 20 Minuten länger brauche als ein Gesunder, schließe ihn nicht vom Arbeitsmarkt aus.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Daß er während des Zurücklegens einer Wegstrecke von 500 m Stehpausen von 15 bis 20 Minuten einlegen müsse, sei vom zeitlichen Aufwand her zumutbar und begründe keinen Ausschluß vom Arbeitsmarkt, weil der Zeitaufwand für den gesamten Arbeitsweg selbst dann 30 Minuten kaum übersteige, was nur bei sehr wenigen Arbeitnehmern vorkomme.
Die dagegen vom Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein Versicherter wegen einer Gehbehinderung so lange nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, als er ohne wesentliche Einschränkung ein öffentliches Verkehrsmittel benützen und vorher sowie nachher ohne unzumutbare Pausen und mit angemessener Geschwindigkeit eine Wegstrecke von jeweils zumindest 500 Metern zu Fuß zurücklegen kann (SSV-NF 2/105; 3/10 = ZAS 1992, 135/17 [krit Firlei]; SSV-NF 5/39; 6/109 uva, zuletzt SSV-NF 10/17 [mit Widerlegung der Kritik Firleis]; vgl auch RIS-Justiz RS0085049). Der Kläger kann nach den Feststellungen eine Wegstrecke von 500 m zu Fuß zurücklegen; zu untersuchen ist jedoch, ob die Verlängerung der Gehzeit durch die erforderlichen Pausen von 3 bis 4 Minuten nach jeweils 100 m noch zumutbar im Sinne des zitierten Rechtssatzes sind.
Dabei ist den Überlegungen entgegen der Annahme der Vorinstanzen zu Grunde zu legen, daß sich die Zeit des Anmarschwegs durch diese nötigen (vier) Pausen rein mathematisch nicht um 15 bis 20, sondern nur um 12 bis 16 Minuten verlängert und wegen der den Kläger im Tatsachenbereich treffenden objektiven Beweislast (vgl SSV-NF 10/133 mwN; 10 ObS 175/98b ua) sogar vom niedrigeren Wert, also von einer Verlängerung um 12 Minuten ausgegangen werden muß. Eine solche Verlängerung der Dauer des Anmarschwegs ist nicht unzumutbar.
Der Oberste Gerichtshof hatte sich bereits zu SSV-NF 6/109 mit einem Versicherten zu befassen, der durchgehende Wegstrecken bis höchstens 200 m zurücklegen konnte und danach jeweils eine 5-minütige Rast einlegen mußte. Mangels gegenteiliger Feststellungen ging der Senat damals davon aus, daß der Versicherte eine durchschnittliche Gehgeschwindigkeit von 4 km/h einhalten könne und demnach für eine Wegstrecke von 500 m einschließlich der beiden Rastpausen von insgesamt 10 Minuten ungefähr 17,5 Minuten benötige. Unter diesen Umständen wurden die Bedingungen, unter denen er die Wege zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte bzw der Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels bei entsprechendem Schutz vor Kälte und Nässe ohne gesundheitliche Schäden zurücklegen könnte, insbesondere dann nicht als unzumutbar angesehen, wenn man berücksichtige, daß die Wege zur oder von der Arbeitsstätte häufig durch das Warten auf Massenverkehrsmittel unterbrochen würden und diese Pausen oft länger dauerten als die vom Versicherten einzuhaltenden. Diese Überlegungen können auch im vorliegenden Fall angestellt werden. Bei einer auch hier anzunehmenden (relativ geringen) Gehgeschwindigkeit von 4 km/h würde der Kläger für eine Wegstrecke von 500 m trotz der einzuhaltenden Pausen etwa 20 Minuten benötigen. An ihn werden damit keine höheren Anforderungen gestellt als an den überwiegenden Teil aller anderen Berufstätigen (SSV-NF 5/39). Auf den Ausnahmefall, daß ihm der Anmarschweg bei "extrem widrigen Umständen", insbesondere bei hoher Schneelage nicht zugemutet werden kann, ist nicht Bedacht zu nehmen (SSV-NF 2/105).
Ist aber der Kläger nicht wegen der Unmöglichkeit, den Arbeitsplatz zu erreichen, vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, dann bestehen gegen seine nach den Feststellungen gegebene Verweisbarkeit auf leichte Hilfsarbeitertätigkeiten überwiegend im Sitzen keine Bedenken. Demnach liegt Invalidität im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG nicht vor.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit sind nicht ersichtlich.
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