Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 19. März 1987 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 27. Jänner 1987 auf Hilflosenzuschuß ab, weil sie nicht hilflos iS des § 70 BSVG sei.
In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage behauptete die Klägerin, deshalb hilflos zu sein, weil sie nicht mehr in die Stadt einkaufen gehen könne. Sie begehrte daher einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Die (am 7. Dezember 1919 geborene) Klägerin, die von der beklagten Partei eine Pension bezieht, bewohnt eine mit Einzelöfen beheizte Wohnung im ersten Stock mit Toilette und Wasseranschluß im Erdgeschoß. Das nächste Lebensmittelgeschäft ist in etwa 15 Gehminuten erreichbar.
Die Klägerin leidet (seit der Antragstellung) an Asthma bronchiale mit rezidivierenden Anfällen, einer diabetischen Stoffwechsellage und an einer höhergradigen beidseitigen Gonarthrose. Sie kann sich allein an- und auskleiden, den Körper reinigen und pflegen, einfache Speisen zubereiten, essen, die Notdurft verrichten, einen handelsüblichen Ofen bedienen und gelegentlich die "Handwäsche" waschen. Sie ist jedoch nicht in der Lage, sich Nahrungsmittel und Heizmaterial zu besorgen, die Wohnung (gründlich) zu reinigen und die große Wäsche zu waschen.
Deshalb brauche sie nach (überhöhter) erstgerichtlicher Schätzung im Jahresdurchschnitt pro Monat etwa 35 Stunden eine Haushaltshilfe, und zwar für das nicht täglich nötige Besorgen von Nahrungsmitteln insgesamt 3 Stunden, für das Besorgen und Zutragen von Heizmaterial 1 Stunde, zum Waschen der Wäsche 2 Stunden und zum Aufräumen 2 Stunden. Bei Annahme eines Stundenlohnes einer Hilfskraft von 70 S müßten (im Monatsdurchchnitt) 2.450 S aufgewendet werden. Weil dieser Betrag nicht den (durchschnittlichen) Mindesthilflosenzuschuß von (rund) 2.800 S erreiche, habe die Klägerin noch keinen Anspruch auf einen Hilflosenzuschuß.
In ihrer wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung bestritt die Klägerin nicht, daß für die vom Erstgericht berücksichtigten Hilfeleistungen im Monatsdurchschnitt etwa 35 Stunden erforderlich seien, meinte aber, daß sie wegen weiterer notwendiger Handreichungen insgesamt rund 65 Stunden eine Hilfskraft benötigen würde. In der Rechtsrüge führte die Berufungswerberin im wesentlichen aus, daß § 70 BSVG den Hilflosenzuschuß vom Erfordernis nach ständiger Wartung und Hilfe und nicht von der Höhe der dazu erforderlichen Dienstleistungen abhängig mache.
Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.
Es erachtete die erstgerichtliche Annahme, daß die Klägerin für lebensnotwendige Verrichtungen im Monatsdurchschnitt nur rund 35 Stunden fremde Hilfe braucht, als unbedenklich und folgte bei der rechtlichen Beurteilung der seit SSV-NF 1/46 ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit dem Antrag, das Berufungsurteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung. Die nach § 46 Abs. 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Absatzes 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Der erkennende Senat hat es schon in der zit.
Grundsatzentscheidung als Zweck des Hilflosenzuschusses bezeichnet, dem Pensionisten, der infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht in der Lage ist, die lebensnotwendigen Verrichtungen selbst zu besorgen, den durch die Inanspruchnahme anderer Personen entstehenden Mehraufwand wenigstens teilweise zu ersetzen. Aus den beiden Wörtern "derart hilflos", aber auch aus der beträchtlichen Höhe dieses Zuschusses wurde abgeleitet, daß nicht jede Hilflosigkeit, sondern nur ein besonderes Maß derselben, das im Gesetz mit dem Bedarf nach ständiger Wartung und Hilfe umschrieben wird, Anspruch auf Hilflosenzuschuß gibt. Wegen dieses Zweckes und der Höhe dieses Pensionszuschusses hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur angenommen, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden und daher nur überschlagsmäßig festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Es könne nämlich dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er einem Pensionisten durch die Gewährung eines solchen Zuschusses mehr geben wolle, als für die notwendigen Dienstleistungen erforderlich sei. Der Hilflosenzuschuß soll ja nicht zu einer Erhöhung der Pension führen, sondern nur den erwähnten Mehraufwand wenigstens teilweise abdecken. Da dieser Zuschuß nach § 70 BSVG, aber auch nach § 105a ASVG und § 74 GSVG - anders als etwa die Hilflosenzulage nach § 27 Pensionsgesetz - keine Abstufungen nach dem Grad der Hilflosigkeit kennt, sondern, falls nicht bestimmte Mindest- und Höchstbeträge unter- bzw. überschritten werden, das halbe Pensionsausmaß beträgt, werden die Kosten einer nicht ständigen Wartung und Hilfe ebensowenig abgegolten wie die den Hilflosenzuschuß übersteigenden Kosten einer außergewöhnlichen Wartung und Hilfe.
Kuderna, Der Anspruch auf Hilflosenzuschuß im Wandel der Judikatur DRdA 1988, 293, meint, der Hilflosenzuschuß wäre ein Pauschalbetrag, auf den der Grad der Hilflosigkeit - im Gegensatz zur Höhe der Pension - keinen Einfluß habe. "Gerade der Umstand, daß dieser Zuschuß in unveränderbarer Höhe auch dann gebühre, wenn der Betreuungsaufwand diese Höhe weit übersteige, spreche dafür, daß er grundsätzlich auch dann zustehe, wenn der Betreuungsaufwand - von einer geringfügigen Höhe einmal abgesehen - hinter der Höhe des Hilflosenzuschusses zurückbleibe. Darin liege ja gerade der Sinn und das Wesen einer Pauschalierung als einer abgerundeten Gesamtabfindung" (298).
Der erkennende Senat verweist diesbezüglich auf seine bereits begründete Rechtsansicht, daß nicht jede Hilflosigkeit, sondern nur ein besonderes Ausmaß derselben Anspruch auf Hilflosenzuschuß gibt, das mit dem Bedarf nach ständiger Wartung und Hilfe umschrieben und dann erreicht wird, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen üblicherweise aufzuwendenden Kosten mindestens so hoch sind wie der begehrte Zuschuß. Nur dann, wenn die Hilflosigkeit dieses besondere Ausmaß erreicht hat, steht der Anspruch zu, auf den dann allerdings der allenfalls höhere Grad der Hilflosigkeit keinen Einfluß hat. Das bedeutet, daß einem Pensionisten, der etwa wegen ständiger Bettlägerigkeit in einem außergewöhnlich hohen Maß der Wartung und Hilfe bedarf, deren Kosten mit demselben Pensionszuschuß abgegolten werden wie einem Pensionisten, der den durch die Hilflosigkeit bedingten Mehraufwand mit dem Hilflosenzuschuß gänzlich abdecken kann.
Rechtliche Beurteilung
Daß ein Hilfloser ungeachtet den Hilflosenzuschuß weit übersteigender Mehrkosten keinen höheren Pensionszuschuß erhält, erscheint nicht mehr gerecht, als daß ein Pensionist, solange sein leidensbedingter Mehraufwand noch unter dem Maß des Hilflosenzuschusses bleibt, auf diesen Pensionszuschuß verzichten muß. Da der Gesetzgeber die erstgenannte Folge offensichtlich gewollt hat, kann ihm das auch hinsichtlich der zweitgenannten Kosequenz zugemutet werden (anders Kuderna aaO 300). Denn es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen von Hilfsbedürftigen in der Weise vornehmen wollte, daß er zwar den besonders Hilfsbedürftigen die entstehenden Kosten nur teilweise ersetzt, dafür aber den weniger Hilfsbedürftigen einen ihren Aufwand übersteigenden Betrag zubilligt. Daß in manchen Fällen wegen der Zunahme des Leidenszustandes ein Ausgleich eintreten kann (vgl. Kuderna aaO 298), ändert daran nichts.
Daß mit derartigen Unterdeckungen allenfalls, insbesondere für Pensionisten mit geringen Pensionen, große Probleme verbunden sein können, ist bedauerlich. Dieses soziale Problem kann jedoch - jedenfalls nach der derzeitigen Rechtslage - mit dem von den Sozialversicherungsträgern zu gewährenden Hilflosenzuschüssen allein nicht gelöst werden. Das bedeutet aber nicht, daß solche Pensionisten deshalb schon dem "Verkommen" ausgesetzt wären, weil dies zB durch karitative Maßnahmen und nötigenfalls auch durch solche der Sozialhilfe verhindert werden kann.
Aus den genannten Gründen kann sich der erkennende Senat der Meinung Kudernas, der die Höhe des Betreuungsaufwandes übrigens ebenfalls als geeignetes Indiz für das Vorliegen des Begriffsmerkmals "ständig" ansieht, insoweit nicht anschließen, als er diesbezüglich nicht auf die durch die den Hilflosenzuschuß regelnden gesetzlichen Bestimmungen vorgezeichnete Höhe desselben, sondern auf eine angenommene "Geringfügigkeitsgrenze" von etwa 1.000 S abstellen möchte (aaO 301 f). Dies würde auch zu einem Widerspruch zur Hilflosenzulage nach dem PensionsG führen. Der Hilfsbedürftige würde nämlich nach den Sozialversicherungsgesetzen die Zulage in voller Höhe bereits zu einem Zeitpunkt erhalten, in dem er nach dem PensionsG noch nicht einmal die Stufe 1 (Wartung und Hilfe zwar ständig, aber nicht täglich erforderlich) im Betrag von 1.704,30 S (ab 1. Jänner 1986) erhalten könnte.
Deshalb sieht sich der erkennende Senat auch durch die ähnlichen Ausführungen der Revisionswerberin nicht veranlaßt, seine ständige Rechtsprechung zu ändern.
Daher war der Revision nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.
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