Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle (BGBl I 2001/101) als verfassungswidrig aufzuheben.
Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.
Text
Begründung
Die beklagte Partei hat mit Bescheiden vom 8. 11. 2000 (Erstklägerin), 30. 11. 2000 (Zweitklägerin) und 27. 12. 2000 (Drittklägerin) die Anträge der im Zeitpunkt der Antragstellung im
56. bzw. 57. Lebensjahr stehenden Klägerinnen vom 2. 11. 2000 (Erstklägerin), 23. 11. 2000 (Zweitklägerin) und 19. 12. 2000 (Drittklägerin) auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung abgelehnt, § 122c BSVG sei gemäß § 274 Abs 2 BSVG idF des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes (SVÄG) 2000, BGBl I Nr 43/2000, mit Ablauf des 30. 6. 2000 außer Kraft getreten, sodass ein Leistungsanspruch zu den hier in Betracht kommenden Stichtagen nicht mehr festgestellt werden könne. Das Erstgericht wies mit Urteil vom 8. 2. 2001 die von den Klägerinnen dagegen erhobenen, auf die Zuerkennung der beantragten Leistung gerichteten Klagebegehren ab. Gemäß § 274 Abs 2 BSVG idF SVÄG 2000 sei die Bestimmung über die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 122c BSVG) mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft getreten. Es habe daher zu den im vorliegenden Fall in Betracht kommenden Stichtagen (1. 12. 2000 bzw 1. 1. 2001) ein solcher Leistungsanspruch nicht mehr bestanden. Im Hinblick darauf, dass § 122c BSVG mit Ablauf des 30. 6. 2000 außer Kraft gesetzt worden sei, bestehe auch für die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG kein Anwendungsbereich mehr. § 274 Abs 2 BSVG bzw der an die Stelle des § 122c BSVG tretende § 124 Abs 2 BSVG seien als lex specialis bzw lex posterior anzusehen und gingen dem § 255 Abs 21 BSVG vor. Das Berufungsgericht gab mit seiner Entscheidung vom 22. 5. 2001 der Berufung der Klägerinnen Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass das Klagebegehren hinsichtlich der Zweitklägerin ab 1. 12. 2000 und hinsichtlich der Drittklägerin ab 1. 1. 2001 als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt und der beklagten Partei die Leistung einer vorläufigen Zahlung aufgetragen wurde. Hinsichtlich der Erstklägerin wurde das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht Folgendes aus:
"§ 255 Abs 21 BSVG idF der 23.Novelle zum BSVG BGBl I 176/1999 lautet wie folgt: 'Für weibliche Versicherte, die am 1. September 1996 das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben, ist § 122c iVm § 111 in der am 31. August 1996 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden.' Weder das SVÄG 2000 (BGBl I Nr. 43/2000) noch das SRÄG 2001 (BGBl I Nr. 92/2000 bzw Nr. 101/2000) enthalten eine auf diese Bestimmung bezugnehmende ausdrückliche Regelung. § 274 Abs 2 BSVG sieht vor, dass § 122c sowie die zugehörige Wartezeitregelung des § 111 Abs 3 Z 2 lit b BSVG mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft treten. Die Wartezeit für die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit hatte nach dieser Bestimmung 180 Versicherungsmonate betragen. Im Anwendungsbereich des § 255 Abs 21 BSVG ist dieses Erfordernis auf 120 Monate reduziert.
Für die Auslegung von Gesetzen (§ 6 ABGB) ist in erster Linie der sich aus dem Wortlaut ergebende objektive Sinngehalt einer Bestimmung maßgebend (Dittrich/Tades, ABGB35, E 10a zu § 6 ABGB). Nach der Rechtsprechung kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, eine überflüssige - und daher inhaltslose (ArbSlg 10.447) - Regelung getroffen zu haben (Dittrich/Tades aaO E 19). Auch aus der Beibehaltung einer Regelung muss daher zunächst auf einen entsprechenden gesetzgeberischen Willen geschlossen werden. Eine berichtigende Auslegung im Rahmen der historischen Interpretation ist nur dann zulässig, wenn den Gesetzesmaterialien mit eindeutiger Sicherheit entnommen werden kann, dass der Wille des Gesetzgebers tatsächlich in eine andere Richtung gegangen ist, als dies zum Ausdruck kommt. Die Verbesserung eines Redaktionsversehens im Wege abändernder Auslegung ist nur dann zulässig, wenn der wahre Wille des Gesetzgebers mit Sicherheit nachweisbar ist (Dittrich/Tades aaO E 32 und E 32b).
Unter Heranziehung dieser Auslegungsgrundsätze ist zunächst auf den völlig eindeutigen Wortlaut der beibehaltenen Regelung des § 255 Abs 21 BSVG zu verweisen. Die Anordnung geht eindeutig dahin, dass für die in Betracht kommenden weiblichen Versicherten § 122c BSVG weiterhin (iVm § 111 in der am 31. August 1996 geltenden Fassung) anzuwenden ist, und nicht etwa im Sinne einer Übergangsbestimmung dahin, dass § 111 in der am 31. August 1996 geltenden Fassung für Pensionen nach § 122c BSVG anzuwenden sei. Es ist aber auch - zumindest - daran zu zweifeln, dass die Beibehaltung dieser dem Wortsinn nach eindeutigen Norm - gemessen am gesetzgeberischen Willen - auf ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers des SVÄG 2000 zurückzuführen ist. § 255 Abs 21 BSVG sollte nämlich - wie auch in der Berufungsbeantwortung zugestanden wird - vor allem ältere Bäuerinnen schützen. Die mit der 16. Novelle zum BSVG, BGBl 678/1991 normierte Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem BSVG betraf überwiegend Frauen. Die während der bis 31. 12. 1993 verlängerten Befreiungsmöglichkeit für die mit 1. 1. 1992 erstmals in die Pflichtversicherung der Pensionsversicherung einbezogenen Bäuerinnen nach Art III Abs 2 BSVG idF BGBl 678/1991 eingeführte vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 122c BSVG kam als für die Entscheidung zum Verbleib im Versicherungssystem gerade für ältere Bäuerinnen relevanter und bei späteren Gesetzesänderungen beachtenswerter Gesichtspunkt (anders als bei sonstigen Versicherten, die nicht vor der Entscheidung der Einbeziehung in die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung standen) in Betracht.
Die durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl I 201/1996 geschaffene Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG (damals war auf die Vollendung des 55. Lebensjahres abgestellt) trug zwar in erster Linie der Verschärfung der Wartezeitbestimmung des § 111 Abs 3 Z 2 lit b BSVG Rechnung, wogegen Abs 3 Z 1 (Wartezeit für die Erwerbsunfähigkeitspension) unverändert blieb; mit der (nicht einmal ein Jahr vor dem SVÄG 2000 liegenden) Novellierung des § 255 Abs 21 BSVG (Vollendung des 50. Lebensjahres) durch die 23. Novelle zum BSVG, BGBl I 176/1999 wurde aber nach den Gesetzesmaterialien gerade das (seinerzeitige) Vertrauen der älteren Bäuerinnen, in absehbarer Zeit die Voraussetzungen für die bei noch gegebener Befreiungsmöglichkeit von der Pflichtversicherung eingeführte vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllen zu können, berücksichtigt. Nach den EB zur RV, 1911 BlgNR 20. GP zu Z 16 wurde darauf Bedacht genommen, dass die Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 vor allem ältere Bäuerinnen traf, welche die aufgrund des Art III Abs 2 BSVG idF des BGBl Nr 337/1993 für sie bis 31. Dezember 1993 offengestandene Möglichkeit, sich von der Pflichtversicherung nach dem BSVG befreien zu können, nicht in Anspruch nahmen. Viele Bäuerinnen hätten sich für die Pflichtversicherung in der "Bäuerinnenpension" entschieden, aufgrund der Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen sei jedoch für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit der Zugang zur Leistung erschwert. Dieser Folge sei durch die vorgeschlagene Änderung entgegenzuwirken. Auch wenn es in erster Linie um die Beibehaltung der günstigeren Wartezeitbestimmung ging, ist doch die Berücksichtigung des Vertrauens in die seinerzeit gegebene Rechtslage und die Erreichbarkeit der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit unverkennbar. Diese noch vom Gesetzgeber in der 23. Novelle zum BSVG beachtete Vertrauensposition ist anderer Art als die der übrigen in der Pensionsversicherung nach dem ASVG, BSVG und GSVG Pflichtversicherten, weil das Vertrauen in die damalige Rechtslage geeignet war, die Entscheidung über den Verbleib in der Pflichtversicherung der Pensionsversicherung nach dem BSVG mitzubestimmen. Eine deshalb gewollte andere Behandlung dieser Pflichtversicherten durch das SVÄG 2000 erscheint damit aber keineswegs ausgeschlossen, obgleich § 255 Abs 21 BSVG überdies alle anderen weiblichen Versicherten, die am 1. 9. 1996 das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatten, erfasst.
Nur so ist es naheliegenderweise auch zu erklären, dass im Zusammenhang mit der durch das SVÄG 2000 zur Abfederung von Härten geschaffenen Erwerbsunfähigkeitspension nach § 124 Abs 2 BSVG (Berufsschutz ab Vollendung des 57. Lebensjahres) für diese bei der 23. BSVG-Novelle noch besonders berücksichtigten, erst spät in die Pflichtversicherung der Pensionsversicherung nach dem BSVG einbezogenen älteren Bäuerinnen keine andere, die Erfüllung der Wartezeit in gleicher Weise begünstigende Bestimmung geschaffen wurde. Dazu soll es, sollte der in der Berufungsbeantwortung bezogene Entwurf zur 24. Novelle zum BSVG Gesetz werden, erst in Form der im Entwurf vorgesehenen Bestimmung des § 277 Abs 2 BSVG kommen. Nach den Erläuterungen zum Entwurf dieser Novelle geht es darum, dass bei bisher von § 255 Abs 21 BSVG umfasst gewesenen Fällen für künftige Erwerbsunfähigkeitspensionen gemäß § 124 Abs 2 BSVG die Wartezeitbestimmungen, wie sie für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit in der am 31. August 1996 geltenden Fassung anzuwenden waren, gelten sollen. Ob dies im vorgeschlagenen Gesetzestext auch zum Ausdruck kommt, ist hier nicht zu untersuchen. Zusammenfassend bietet sich somit kein zwingender Anhaltspunkt für ein dem Gesetzgeber des SVÄG 2000 bei der Beibehaltung des § 255 Abs 21 BSVG tatsächlich unterlaufenes Redaktionsversehen. Ein solches Redaktionsversehen liegt vor, wenn die Formulierung des Gesetzes durch einen Fehler in der technischen Ausarbeitung nachweislich mit dem zugrunde liegenden Willen nicht übereinstimmt (Bydlinski in Rummel3, Rz 25 zu § 6 ABGB). Schon die Tatsache der Beibehaltung der Bestimmung, die nicht einmal ein Jahr zuvor noch novelliert und schon deshalb wohl kaum übersehen wurde, spricht dagegen. Die bisher beachtete Interessenlage bestimmter erst spät in die Pflichtversicherung der Pensionsversicherung nach dem BSVG einbezogener weiblicher Versicherter erlaubt es nicht, die Möglichkeit einer doch gewollten Ausnahme von der (allgemeinen) Abschaffung der Pensionsart für diesen Personenkreis auszuschließen. Zieht man die doch gewollte Ausnahme in Betracht, ist auch eine durch die Regeln über den Vorrang der lex specialis und der lex posterior zu behebende Antinomie (Bydlinski aaO Rz 27) zu verneinen. Somit ist die Berechtigung des geltend gemachten Anspruches nach § 255 Abs 21 iVm § 122c BSVG zu prüfen. Das Erfordernis der Erfüllung der Wartezeit (§ 111 BSVG in der am 31. August 1996 geltenden Fassung) sowie das Vorliegen von 72 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung innerhalb der letzten 180 Kalendermonate (§ 122c Abs 1 Z 2) erscheint nach dem Anstaltsakt gegeben und von der beklagten Partei auch schlüssig zugestanden (§ 267 ZPO). Es wäre sonst auch nicht erforderlich gewesen, den Rechtsstandpunkt zu vertreten, dass die Regelung des § 255 Abs 21 BSVG gegenstandslos geworden sei.
Unstrittig ist ferner das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 122c Abs 1 Z 2 BSVG und ausgenommen bei der Erstklägerin, dass zumindest am Stichtag von der Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit auszugehen ist. Da der Umstand, dass die Pension wegen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit wegfällt, nur bei Einwendung der beklagten Partei wahrzunehmen ist (vgl 10 ObS 129/99i), ist nicht zu prüfen, ob die zugestandene Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit die Beendigung jeglicher Erwerbstätigkeit, die das Entstehen eines Anspruches gemäß § 122 Abs 1 Z 4 BSVG ausschließen würde, umfasst."
Das Berufungsgericht gab daher dem Begehren der Zweit- und Drittklägerinnen dem Grunde nach statt und hob das Ersturteil hinsichtlich der Erstklägerin auf, weil noch geklärt werden müsse, ob diese eine Erwerbstätigkeit ausübe, die das Entstehen eines Anspruches gemäß § 122 Abs 1 Z 4 BSVG ausschließen würde, sodass die Wegfallsbestimmung des § 122c Abs 2 BSVG zur Anwendung käme. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision und der Rekurs der beklagten Parteien wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung der Klagebegehren. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerinnen haben sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt. Die beklagte Partei wiederholt in ihren Rechtsmittelausführungen den Standpunkt, aus der Gesetzgebungsgeschichte seit der 16. BSVG-Novelle ergebe sich eindeutig, dass sich § 255 Abs 21 BSVG immer nur auf die Wartezeitbestimmung des § 122c BSVG bezogen habe. Mit der Aufhebung des § 122c BSVG durch das SVÄG 2000 sei daher auch dem § 255 Abs 21 BSVG der Boden entzogen.
Die erst nach wiederholten Anläufen endgültige Ausformung der Rechtslage in Reaktion auf das Urteil des EuGH vom 23. 5. 2000, Rs C-104/98 , Buchner, sei ein eindeutiger Beleg für die Tatsache, dass auf die ausdrückliche Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG schlichtweg vergessen worden sei. Dieser Aspekt werde auch unter Berücksichtigung der in der Regierungsvorlage der 24. Novelle zum BSVG idF des Ministerrates vom 22. 5. 2001 vorgesehenen Bestimmung des § 280 Abs 3 BSVG deutlich. Keinesfalls sei die Intention des Gesetzgebers dahin gegangen, dem in § 255 Abs 21 BSVG in Betracht kommenden Personenkreis die generell aufgehobene vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit auch weiterhin zu ermöglichen, zumal eine solche Sichtweise abermals die Möglichkeit eröffnet hätte, dass Frauen die Leistung ab dem 55. Lebensjahr in Anspruch nehmen könnten.
Rechtliche Beurteilung
Der erkennende Senat hat bereits in den beiden Entscheidungen 10 ObS 219/01f und 10 ObS 220/01b vom 30. 7. 2001 zu diesen Revisionsausführungen dahin Stellung genommen, dass sie die detaillierten Ausführungen des Berufungsgerichtes, wonach keineswegs mit Sicherheit ein Redaktionsversehen angenommen werden könne, nicht zu entkräften vermögen. Tatsache ist, dass § 255 Abs 21 BSVG ungeachtet des SVÄG 2000 mit folgendem klaren Wortlaut in Kraft geblieben ist: "Für weibliche Versicherte, die am 1. September 1996 das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben, ist § 122c iVm § 111 in der am 31. August 1996 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden."
Daraus kann in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht durchaus der Schluss gezogen werden, dass der Personengruppe, der auch die Klägerinnen angehören, weiterhin der § 122c BSVG zugute kommen soll. Auch wenn die in § 7 ABGB ausdrücklich angeordnete Analogie beweist, dass selbst der eindeutige Gesetzeswortlaut keine unübersteigliche Grenze juristischer Argumentation darstellt, ist es nicht Aufgabe der Gerichte, durch zu weitherzige Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber bisher (bewusst oder unbewusst) nicht veranlasst haben, Gesetzesänderungen vorzunehmen; (allenfalls) unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern oder zu entfernen ist nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung. Die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG bildet(e) somit nach Ansicht des erkennenden Senates auch nach der Aufhebung des § 122c BSVG durch § 274 Abs 2 BSVG idF SVÄG 2000 eine taugliche Rechtsgrundlage für den von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit. Nach der Erlassung der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichtes am 22. 5. 2001 hat sich die Rechtslage allerdings geändert. Nach § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Nov, BGBl I Nr 101/2001, tritt nämlich § 255 Abs 21 BSVG rückwirkend mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft. Die 24. BSVG-Novelle wurde am 7. 8. 2001 im Bundesgesetzblatt kundgemacht und ist somit seither Bestandteil der Rechtsordnung. Nach der ständigen Rechtsprechung hat das Rechtsmittelgericht auf eine Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das umstrittene Rechtsverhältnis anzuwenden sind (Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 11 zu § 482 mwN uva; RIS-Justiz RS0031419). Insbesondere sind Änderungen des zwingenden Rechts, sofern nicht Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, vom Rechtsmittelgericht ohne weiteres von Amts wegen seiner Entscheidung zugrundezulegen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (SZ 71/89; SZ 69/238 ua; RIS-Justiz RS0106868). Die durch die 24. BSVG-Nov rückwirkend mit 1. 7. 2000 bewirkte zwingende Rechtsänderung ist daher vom Obersten Gerichtshof zu berücksichtigen, der die Entscheidung des Berufungsgerichtes nach der geänderten Gesetzeslage zu überprüfen hat (vgl 10 ObS 107/94; 10 ObS 201/94; 10 ObS 333/91 ua). Der Oberste Gerichtshof hegt gegen die somit im vorliegenden Fall anzuwendende Bestimmung des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF 24. BSVG-Nov vor allem wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG Bedenken:
Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Judikatur in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass das Vertrauen in die Rechtsordnung unter bestimmten Voraussetzungen durch den Gleichheitsgrundsatz geschützt ist. So hat der Gerichtshof bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von gesetzlichen Regelungen, durch die in Pensionsansprüche mindernd eingegriffen wurde, dem Vertrauensschutz unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes bedeutendes Gewicht zugemessen (vgl VfSlg 11.309 ua). In diesem Sinn hat der Verfassungsgerichtshof aber auch stets die Bindung gesetzlich verfügter Rückwirkungen an den Gleichheitsgrundsatz betont. Rechtsnormen zielen auf die Steuerung menschlichen Verhaltens. Diese Funktion können Rechtsvorschriften freilich nur dann erfüllen, wenn sich die Normunterworfenen bei ihren Dispositionen grundsätzlich an der geltenden Rechtslage orientieren können. Daher können gesetzliche Vorschriften mit dem Gleichheitsgrundsatz in Konflikt geraten, weil und insoweit sie die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage handelnden Normunterworfenen nachträglich belasten. Das kann bei schwerwiegenden und plötzlich eintretenden Eingriffen in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Normunterworfene mit guten Gründen vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffes führen (vgl VfSlg 12.186, 11.309 ua).
In seiner neueren Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die rückwirkende Inkraftsetzung einer in Rechtspositionen eingreifenden Regelung mit dem Gleichheitsgrundsatz dann nicht vereinbar ist, wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und nicht etwa besondere Umstände diese Rückwirkung verlangen, etwa indem sie sich als notwendig erweist, um eine sonst eintretende Gleichheitswidrigkeit zu vermeiden. Ob und inwieweit im Ergebnis ein sachlich nicht gerechtfertigter und damit gleichheitswidriger Eingriff vorliegt, hängt also vom Ausmaß des Eingriffes und vom Gewicht der für die Rückwirkung sprechenden Gründe ab (VfSlg 13.896, 12.688 mwN ua).
Im Sinne dieser Judikatur bestehen begründete Bedenken gegen die Bestimmung des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Nov wegen Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot. Das erst am 7. 8. 2001 kundgemachte und über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (!) rückwirkende Außerkrafttreten der Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG stellt einen Eingriff von erheblichem Gewicht dar. Dies wird am Beispiel der Klägerinnen deutlich, die im Vertrauen auf die Rechtslage einen Pensionsantrag gestellt haben, dem durch die erst nach der Entscheidung des Berufungsgerichtes geänderte Rechtslage plötzlich die Grundlage entzogen wurde. Dieser rückwirkende Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen stellt offenkundig einen Eingriff in die Rechtsposition der Klägerinnen von erheblichem Gewicht dar (vgl VfSlg 12.688), zumal mit der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Alterspension in der Regel auch die Beendigung der bisherigen Erwerbstätigkeit verbunden ist (vgl § 122c Abs 2 BSVG). Andererseits fehlt es nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes an triftigen Gründen, die einen derartigen Eingriff sachlich zu rechtfertigen vermöchten, etwa indem sie sich als notwendig erweisen, um andere Gleichheitswidrigkeiten zu vermeiden (VfSlg 12.186 ua). Nach den Erläuternden Bemerkungen zur RV 626 BlgNR XXI. GP, 10 f verfolgt die Übergangsbestimmung des § 255 Abs 21 BSVG zu § 122c BSVG den Zweck, dass Personen, die das Anfallsalter für eine vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen durch die Verlängerung der Wartezeit im Zuge des Strukturanpassungsgesetzes 1996 für diese Pension bereits erreicht haben, von dieser Verschärfung nicht betroffen sein sollten. Durch diese Übergangsbestimmung sollte lediglich bewirkt werden, dass für den gegenständlichen Personenkreis die Wartezeitbestimmung in der am 31. August 1996 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist. Durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000, BGBl I Nr 43/2000, wurde mit Wirkung ab 1. Juli 2000 die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 122c BSVG aufgehoben, sodass für die Anwendung dieser Übergangsbestimmung kein Raum mehr bleibt. Es wurde daher vorgeschlagen, § 255 Abs 21 BSVG ausdrücklich aufzuheben und stattdessen vorzusehen, dass bei bisher von dieser Bestimmung umfasst gewesenen Fällen für künftige Erwerbsunfähigkeitspensionen gemäß § 124 Abs 2 BSVG die Wartezeitbestimmungen, wie sie für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit in der am 31. August 1996 geltenden Fassung anzuwenden waren, gelten. Von dieser Maßnahme sind rund 400 bis 600 Frauen betroffen (RV aaO).
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfSlg 13.020) kann auch ein offensichtlicher Redaktionsfehler des Gesetzgebers nicht als Rechtfertigung für eine ausschließlich die betroffene Gruppe rückwirkend belastende Regelung angesehen werden. Im Übrigen führt gerade die rückwirkende Außerkraftsetzung des § 255 Abs 21 BSVG zu Gleichheitswidrigkeiten. Damit wurde nämlich die Frage der Berechtigung des Pensionsbegehrens im Ergebnis von der Zufälligkeit der Dauer des vor den Sozialgerichten geführten Verfahrens und dem Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung abhängig gemacht. So haben Versicherte in vergleichbarer Situation (beispielsweise die am 20. 8. 1945 geborene Klägerin im Verfahren 10 ObS 220/01b mit Stichtag 1. 11. 2000) die Leistung aufgrund des früheren Zeitpunktes der letztinstanzlichen Entscheidung zugesprochen erhalten.
Diese gegen die rückwirkende Außerkraftsetzung der Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG geäußerten Bedenken bestehen auch unter dem Aspekt des in Art 5 StGG und Art 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK enthaltenen Eigentumsschutzes.
Aufgrund der aufgezeigten Bedenken sieht sich der Oberste Gerichtshof daher veranlasst, einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.
Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf der im Spruch zitierten Gesetzesstelle.
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