OGH 10ObS162/92

OGH10ObS162/927.7.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Mag.Margarethe Peters und Mag.Kurt Resch in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Brigitta K*****, vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern (Landesstelle Steiermark), 1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1.April 1992 , GZ 7 Rs 23/92-12 , womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 18. Dezember 1991 , GZ 31 Cgs 204/91-7 , bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies die auf einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab dem "Stichtag" (1.6.1991) gerichtete Klage ab.

Nach den wesentlichen Tatsachenfeststellungen kann sich die am 2.10.1918 geborene Klägerin mit dem seit der Antragstellung (31.5.1991) bestehenden, genau festgestellten körperlichen und geistigen Zustand allein an- und auskleiden. Bezüglich der Nahrungs- und Medikamentenaufnahme, Körperreinigung und Verrichtung der Notdurft bestehen keine Einschränkungen. Sie kann sich auch warme Mahlzeiten selbst zubereiten, die kleine Wäsche versorgen, eine oberflächliche Wohnungsreinigung vornehmen (zB oberflächliches Staubwischen und Bettenmachen) und den Ofen in Gang halten bzw den Dauerbrandofen betreuen und benötigt auch beim Lagewechsel keine Unterstützung. Sie kann jedoch die Wohnung nicht mehr gründlich reinigen, die große Wäsche nicht mehr waschen, nicht mehr allein einkaufen (wegen der Gangbehinderung und der Entfernung [von 2 km zum öffentlichen Verkehrsmittel und von 8 km zum Lebensmittelgeschäft und Hausarzt]) und auch das Brennmaterial nicht herbeischaffen.

Unter diesen Umständen erachtete das Erstgericht die Klägerin noch nicht als hilflos iS des § 70 Abs 1 BSVG.

Das Berufungsgericht gab der wegen "mangelhafter Tatsachenfeststellung auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung" erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.

Das Berufungsgericht übernahm die ausreichenden Feststellungen als Ergebnis einer zu billigenden Beweiswürdigung. Die Einschränkungen der Klägerin seien vornehmlich auf eine hochgradige Abnützung des rechten Kniegelenks und die damit verbundenen Beschwerden zurückzuführen, weshalb die Klägerin nur mehr mit einem Stock gehen könne. Wegen der allgemein üblichen Ausstattung der Haushalte mit einem Kühlschrank, der nur fallweise erforderlichen Arztbesuche - gegebenenfalls müsse der Arzt auch Hausbesuche durchführen - und der nicht täglich erforderlichen Bereitstellung von Brennmaterial schätzte das Berufungsgericht den erforderlichen Aufwand für Hilfskräfte niedriger ein als den begehrten Hilflosenzuschuß. Dabei berief es sich auf die stRsp des Obersten Gerichtshofes, nach der ganz allgemein kein Anspruch auf den Hilflosenzuschuß bestehe, wenn die Hilfe im wesentlichen nur für das Besorgen der Lebensmittel, das gründliche Säubern der Wohnung und das Waschen der großen Wäsche notwendig sei (SSV-NF 1/46, 3/114, 4/63 ua). Auch das hier notwendige Herbeischaffen des Brennmaterials und die größere Entfernung zum nächsten Ort änderten daran nichts (SSV-NF 2/12, 3/15). Wenn der Hilflosenzuschuß auch nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß die Klägerin im Rahmen ihrer Auszugsrechte von der Schwiegertochter verpflegt und betreut werde, könne diese konkrete Situation nicht ganz außer acht gelassen werden, nach der einem regelmäßigen Einkauf wohl keine überragende Bedeutung zukomme. Aber selbst bei einem allein und einschichtig lebenden Versicherten, der neun Kilometer bis zum nächsten Lebensmittelgeschäft hatte und nicht allein einkaufen konnte, sei deshalb keine Hilflosigkeit angenommen worden (SSV-NF 3/15).

Dagegen richtet sich die unbeantwortet gebliebene Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes durch das Berufungsgericht, daß der Klägerin kein Hilflosenzuschuß gebührt, weil die von ihr für die notwendigen Dienstleistungen überlicherweise aufzuwendenden Kosten nicht annähernd so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß, ist richtig (§ 48 ASGG). Sie entspricht der stRsp des erkennenden Senates, das Erfordernis von Hilfe nur für die gründliche Reinigung der Wohnung, die Besorgung der großen Wäsche und das Einkaufen der Lebensmittel und sonstigen Gegenstände des täglichen Bedarfes einen Pensionsbezieher nicht hilflos iS des § 105a Abs 1 ASVG bzw der entsprechenden Bestimmungen der anderen Sozialversicherungsgesetze macht (neben den bereits vom Berufungsgericht zit Entscheidungen zB noch SSV-NF 3/32, 114; 4/12; 9.4.1991 10 Ob S 99/91; 9.7.1991 10 Ob S 187/91, 10 Ob S 191/91 und 196/91).

In der schon vom Berufungsgericht herangezogenen E SSV-NF 3/15 führte der erkennende Senat ua aus, um ungerechte und ungleiche Ergebnisse zu vermeiden, könne eine von den üblichen Gegebenheiten - auch im bäuerlichen Bereich - extrem abweichende Wohnlage - die nächste Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels und das nächste Lebensmittelgeschäft waren etwa 9 km vom Wohnhaus der damaligen Klägerin entfernt - nur insoweit berücksichtigt werden, als diese nicht schon körperlich gesunden Menschen in überdurchschnittlichem Ausmaß Mehrkosten verursache. Dies treffe bei einer solchen Entfernung vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel und der nächsten Einkaufsmöglichkeit zu. In einem solchen Fall müßten Einkäufe besonders rationell und nur fallweise in größeren Abständen durchgeführt werden. Anläßlich solcher Einkäufe könnten auch die übrigen erforderlichen Hilfeleistungen - grobe Hausarbeiten, Großwäsche und die nur in den Wintermonaten nötige Herbeischaffung des Brennmaterials aus dem Vorratsraum (die Zustellung bis dorthin würden auf Grund der örtlichen Gegebenheiten auch gesunde Personen üblicherweise durch dazu befugte Unternehmen vornehmen lassen) - durchgeführt werden.

Die diese Rechtsmeinung bekämpfenden Revisionsausführungen erscheinen dem erkennenden Senat nicht überzeugend.

Der Revisionswerberin ist darin zuzustimmen, daß auch ein in größerer Entfernung von der nächsten Einkaufsmöglichkeit wohnender Mensch - mag er gesund oder krank sein - die Möglichkeit haben sollte, sich zweimal in der Woche mit frischen Nahrungsmitteln, insbesondere Brot, Milch, Fleisch, Obst und Gemüse zu versorgen, weil ihm nicht zugemutet werden kann, unter Umständen fast eine ganze Woche von alten derartigen Nahrungsmitteln zu leben.

Dies ändert aber nichts daran, daß von einem in größerer Entfernung von der nächsten Einkaufsmöglichkeit wohnenden Pensionisten, der aus gesundheitlichen Gründen diese Einkaufswege nicht mehr selbst bewältigen kann und ua wegen der Kosten einer dafür erforderlichen Hilfskraft einen Hilflosenzuschuß beansprucht, im Interesse der Versichertengemeinschaft verlangt werden muß, diese Kosten möglichst gering zu halten.

Ist es in solchen Fällen zumutbar, möglicherweise sogar üblich, die mehrere Kilometer langen Einkaufswege mit einem privaten (zB Fahrrad oder Kfz) oder öffentlichen Verkehrsmittel (zB Bus oder Bahn) zu erledigen, dann ist bei der Schätzung der Kosten der einkaufenden Hilfskräfte die Zeit während eines damit verbundenen Fußmarsches nur dann zugrunde zu legen, wenn die Zurücklegung der Einkaufswege mit einem Fahrzeug nicht wesentlich billiger käme und daher iS der E SSV-NF 3/15 rationeller wäre.

Dafür, daß die Wege vom Haus der Klägerin zur 8 km entfernten nächsten Einkaufsmöglichkeit nicht mit einem Fahrzeug zurückgelegt werden könnten, ergibt sich aus den Akten kein Anhaltspunkt.

Eine motorisierte oder ein Fahrrad benützende Hilfskraft würde für die erforderlichen beiden wöchentlichen Einkäufe einschließlich der Fahrzeit nicht mehr als drei Stunden, im Monat also nur rund 13 Stunden benötigen.

Unter Berücksichtigung des weiteren Zeitaufwandes für die nur in größeren Zeitabständen vorzunehmende gründliche Reinigung der kleinen Wohnung und der großen Wäsche sowie das Herbeischaffen des Brennmaterials, wofür in der Berufung monatlich durchschnittlich etwa weitere 13 Stunden angenommen werden, ergibt sich ein monatlicher Hilfsbedarf von etwa 26 Stunden.

Die diesbezüglichen Kosten betragen unter Zugrundelegung eines bei Bedachtnahme auf die Mindestlohntarife für stundenweise beschäftigte und nicht in den Haushalt aufgenommene Haushaltshilfen (vgl SSV-NF 5/41 und 44) durchaus realistischen (Brutto)Stundenlohnes von 70 S bis 80 S etwa 1820 S bis 2080 S. Dieser durchschnittliche monatliche Mehraufwand liegt erheblich unter dem Mindesthilflosenzuschuß, aber auch unter der etwa gleichhohen Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs 1 Z 2 und Abs 2 ASVG und würde sich durch den vom Dienstgeber zu entrichtenden Beitrag für die Teilversicherung in der Unfallversicherung nicht wesentlich erhöhen (vgl SSV-NF 5/44 ua).

Deshalb war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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