Spruch:
Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Der Revision des Klägers wird hingegen Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie unter Einbeziehung der bestätigten Teile insgesamt lauten:
"Es wird festgestellt, daß der Kläger nicht verpflichtet ist, der beklagten Partei den mit Bescheid vom 8.8.1984 im Zusammenhalt mit dem Bescheid vom 1.3.1985 für den Zeitraum 1.1.1976 bis 31.12.1982 und 1.1. bis 31.8.1984 geltend gemachten Überbezug an Berufsunfähigkeitspension von insgesamt S 201.957,60 rückzuersetzen."
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 62.883,16 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten S 5.716,66 Umsatzsteuer), die mit S 16.209,-- bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 2.701,50 Umsatzsteuer), die mit S 11.101,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.800,30 Umsatzsteuer) und die mit 30.343,80 bestimmten Kosten der Teilnahme am Gesetzesprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (darin enthalten S 5.057,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger bezieht seit 20.12.1972 von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine Berufsunfähigkeitspension gemäß § 271 ASVG. Seit 1.7.1974 übt er die (selbständige) Tätigekit eines Trafikanten aus.
Mit Bescheid vom 8.8.1984 sprach die beklagte Partei aus, wie hoch ab 1.1.1976 die dem Kläger gewährte Berufsunfähigkeitspension jeweils sei, daß bestimmte Beträge hievon gemäß § 94 ASVG ruhend gestellt werden und daß ein Überbezug von S 258.630,80 entstanden sei, der gemäß § 107 Abs.1 ASVG zum Rückersatz vorgeschrieben werde. Mit weiterem Bescheid vom 1.3.1985 wurde das Ruhen der Leistungen gemäß § 94 ASVG für das Jahr 1983 aufgehoben, wodurch sich der Überbezug letztlich auf S 201.957,60 reduzierte.
Gegen den Bescheid vom 8.8.1984 erhob der Kläger rechtzeitig Klage an das Schiedsgericht der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz mit dem Begehren auf Feststellung, daß der von der beklagten Partei erhobene Rückersatzanspruch nicht zu Recht bestehe. Dazu brachte er unter anderem vor, daß er seiner Meldepflicht gegenüber der beklagten Partei entsprochen habe und deshalb eine Rückforderung gemäß § 107 ASVG unzulässig sei.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger habe seine Meldepflicht dadurch verletzt, daß er erst im Jahr 1984 über Aufforderung die Steuerbescheide für die Jahre ab 1976 vorgelegt habe.
Nachdem das Schiedsgericht im ersten Rechtsgang das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen hatte, stellte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang fest, daß der von der beklagten Partei erhobene Rückersatzanspruch in Höhe von S 106.648,60 zu Recht bestehe. Eine Entscheidung über das Mehrbegehren findet sich im Spruch dieses Urteils nicht. Bei selbständig Erwerbstätigen, die aus organisatorischen oder wirtschaftlichen Gründen vor dem Ende des jeweiligen Geschäftsjahres nicht in der Lage seien, die monatlichen Nettoeinkünfte festzustellen, müsse bei Prüfung der Meldeverpflichtung von der Höhe der jeweiligen Jahresnettoeinkünfte ausgegangen werden. Es sei zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt nach Ablauf des Geschäftsjahres dem Pensionisten die Änderung der Nettoeinkünfte billigerweise bekannt sein müßte. Der Kläger hätte jeweils eine Woche vor der Abgabe der Steuererklärungen beim Finanzamt seine Einkommensveränderungen abschätzen können und daher auch zu diesem Zeitpunkt seiner Meldepflicht gegenüber der beklagten Partei nachkommen müssen. Da aus dem Verstoß gegen diese Meldeverpflichtung unstrittigerweise ein Überbezug von S 106.648,60 resultiere, sei insoweit der Rückersatzanspruch der beklagten Partei berechtigt.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien in der Hauptsache keine Folge und änderte nur die Kostenentscheidung ab. Es bestätigte das erstgerichtliche Urteil in der Hauptsache mit der Maßgabe, es werde der beklagten Partei gegenüber festgestellt, daß der gegenüber dem Kläger erhobene Anspruch auf Rückersatz eines Überbezugs von S 95.309,-- für den Zeitraum 1.1.1976 bis 31.12.1982 und vom 1.1. bis 31.8.1984 nicht zu Recht bestehe. Das Feststellungsmehrbegehren im Ausmaß von S 106.648,60 wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht teilte in der Hauptsache die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, der restliche Überbezug von S 95.309,-- resultiere nicht aus einer dem Kläger vorwerfbaren Verletzung von Meldevorschriften, weshalb eine Rückforderung ausgeschlossen sei. Insoweit käme auch eine Aufrechnung gemäß § 103 Abs.1 ASVG nicht in Betracht. Die im § 89 Abs.4 ASGG vorgesehene Auferlegung des Überbezuges zur Rückzahlung habe deshalb unterbleiben können, weil außer Streit gestellt worden sei, daß dieser Betrag von der beklagten Partei bereits zur Gänze von Pensionszahlungen an den Kläger einbehalten worden sei.
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Streitteile. Der Kläger beantragt die Abänderung dahin, daß seinem Feststellungsbegehren zur Gänze stattgegeben werde; die beklagte Partei beantragte die Abweisung dahin, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Beide Streitteile stellten hilfsweise einen Aufhebungsantrag und beantragten darüber hinaus, jeweils der Revision der anderen Partei nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt, hingegen ist die Revision des Klägers im Ergebnis berechtigt.
Gemäß § 107 Abs.1 ASVG hat der Versicherungsträger u.a. zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger (§ 106 ASVG) bzw. der Leistungsempfänger den Bezug durch bewußt unwahre Angaben, bewußte Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften (§ 40 ASVG) herbeigeführt hat oder wenn der Zahlungsempfänger bzw. Leistungsempfänger erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührt. Ob es sich bei den von der beklagten Partei zurückgeforderten Pensionsleistungen um "zu Unrecht erbrachte Geldleistungen" iS der eben zitierten Gesetzesstelle handelt, hängt zunächst einmal davon ab, inwieweit die Berufsunfähigkeitspension des Klägers gemäß § 94 ASVG (in seinen damals geltenden Fassungen) ruhte.
Der erkennende Senat hatte gegen die hier anzuwendende Ruhensbestimmung des § 94 ASVG verfassungsmäßige Bedenken, die ihn veranlaßten, beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art.89 Abs.2 und3 B-VG den Antrag zu stellen, § 94 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben und auszusprechen, daß § 94 ASVG in den vorher geltenden Fassungen (der 31. bis zur 40.Novelle) verfassungswidrig war (Antrag vom 23.5.1989, 10 Ob S 168/89).
Diesem Antrag gab der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 15.12.1990, G 33,34/89-30 bis G 284/90-5 Folge (Kundmachung im BGBl.1991/15). Die aufgehobenen Bestimmungen sind gemäß Art.140 Abs.7 letzter Satz B-VG auf die Rechtssachen, die den Anlaß zur Einleitung des Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Normen gaben (Anlaßfälle), nicht mehr anzuwenden (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts6 381 Rz 1170 mwN; VfSlg.3961, 4072, 8934).
Damit ist aber die gesetzliche Grundlage für die im angefochtenen Bescheid wegen Erzielung eines Erwerbseinkommens ausgesprochene Ruhendstellung von Teilen der dem Kläger (unbestritten) gebührenden Berufsunfähigkeitspension weggefallen. Daraus folgt, daß es sich bei den von der beklagten Partei ruhendgestellten Pensionsteilen nicht um "zu Unrecht erbrachte Geldleistungen" iS des § 107 Abs.1 ASVG handelt, so daß nicht weiter geprüft werden muß, ob der Kläger Meldevorschriften verletzt oder sonst einen Rückforderungstatbestand verwirklicht hat.
Der Revision der beklagten Partei kann daher schon aus dieser Erwägung kein Erfolg beschieden sein, während der Revision des Klägers zumindest im Ergebnis Berechtigung zukommt. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des zutreffend gestellten Feststellungsbegehrens abzuändern (vgl. SV-NF 4/37; Fasching in Tomandl SV-System
4. ErgLfg.728; Kuderna ASGG 378 Anm.1 zu § 69 und 450 Anm.11 zu § 89).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.a ASGG, wonach der gänzlich obsiegende Kläger gegenüber dem Versicherungsträger Anspruch auf Ersatz aller seiner durch die Prozeßführung verursachten, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Verfahrenskosten hat (vgl. SVSlg. 34.161), wobei die Bemessungsgrundlage für die Festsetzung des Kostenbetrages die Höhe des begehrten Rückersatzes darstellt (vgl. SSV-NF 2/1 = JBl.1988, 473). Der Kläger begehrt allerdings auch den Zuspruch von Kosten für die Intervention seines Rechtsanwaltes im Gesetzesprüfungsverfahren, nämlich für die Erstattung einer vom Verfassungsgerichtshof abverlangten Äußerung vom 2.8.1989 und für die Teilnahme an der am 6.12.1990 vor dem Verfassungsgerichtshof durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung. Wenngleich diese Kosten vom Verfassungsgerichtshof nicht zugesprochen werden können, weil ein solcher Zuspruch im Verfahren nach den §§ 62 bis 65 VfGG nicht vorgesehen ist (§ 27 Satz 1 VfGG), ist die Teilnahme einer Partei als Beteiligte an einem Gesetzesprüfungsverfahren selbst dann eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung aus Anlaß des Rechtsmittelverfahrens, wenn sie im Rechtsmittelverfahren die Verfassungswidrigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen nicht geltend gemacht hat (vgl. VfSlg.8001). Die Entscheidung über einen allfälligen Kostenersatzanspruch kommt dem antragstellenden Rechtsmittelgericht zu (vgl. VfSlg.8572, 8646, 9703; ebenso Machacek, Verfahren vor dem VfGH 30; ähnlich Fasching, Komm. II 312 und ZPR2 Rz 461; 10 Ob S 6/91, 10 Ob S 7/91 ua).
Der obsiegende Kläger hat daher gegenüber dem beklagten Versicherungsträger nach § 77 Abs.1 Z 2 lit.a ASGG auch Anspruch auf Ersatz der Kosten der Beteiligung seines Rechtsanwaltes am Gesetzesprüfungsverfahren. Er hat diesen Anspruch durch rechtzeitige Verzeichnung der Kosten gewahrt (§ 54 Abs.2 ZPO). Für die Entlohnung des Rechtsanwaltes in einem solchen Fall gibt es freilich keine tarifliche Regelung. Der erkennende Senat ist, wie in anderen vergleichbaren Fällen (zB 10 Ob S 6/91, 10 Ob S 7/91, 10 Ob S 14/91) der Auffassung, daß hier von jenen Kosten auszugehen ist, die der Verfassungsgerichtshof zuerkennen würde, läge ein Fall des § 27 Satz 1 VfGG vor (§ 65 a VfGG). Seit 1.1.1989 spricht der VfGH für abverlangte Gegenschriften und für eine mündliche Verhandlung, unabhängig von ihrer Dauer einen Pauschalbetrag von je S 12.500,-- zuzüglich Umsatzsteuer zu. Barauslagen für Stempelmarken werden nicht zugesprochen (Machacek aaO); sie haben im Pauschalbetrag Deckung zu finden. Dazu kommen die Kosten des Kostenbestimmungsantrages nach TP 1.
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