Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie lauten:
"Es wird festgestellt, daß die Klägerin nicht verpflichtet ist, der beklagten Partei den für die Zeit vom 1. Jänner 1984 bis 31. Dezember 1987 geltend gemachten Überbezug an Witwenpension von S 61.321,90 rückzuersetzen."
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 4.118,40 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten S 686,40 Umsatzsteuer), die mit S 3.087,-- bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 514,50 Umsatzsteuer), die mit S 3.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 617,70 Umsatzsteuer) und die mit
S 15.000,-- bestimmten Kosten des Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof (darin enthalten S 2.500,-- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 18. Jänner 1906 geborene Klägerin bezieht von der beklagten PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER seit 1. Dezember 1977 nach ihrem verstorbenen Gatten Anton E***** eine Witwenpension. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 22. Mai 1989 wurde festgestellt, daß die Witwenpension der Klägerin gemäß § 94 ASVG ab 1. Jänner 1984 mit monatlich S 53,60, ab 1. April 1984 mit monatlich S 1.255,70, ab 1. Jänner 1985 mit monatlich S 1.131,20, ab 1. Jänner 1986 mit monatlich S 1.170,90 und ab 1. Jänner bis 31. Dezember 1987 mit monatlich S 1.215,40 ruht. Der entstandene Überbezug an Pension für die Zeit vom 1. Jänner 1984 bis 31. Dezember 1987 von S 61.321,90 wurde gemäß § 107 Abs. 1 ASVG rückgefordert und gemäß § 103 Abs. 1 Z 2 ASVG auf die ab 1. Juni 1989 fällige Pension aufgerechnet.
In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage wendete sich die Klägerin nicht gegen die ziffernmäßige Berechnung, sondern gegen die Anwendung der Ruhensbestimmung des § 94 ASVG überhaupt und gegen die Verpflichtung zum Rückersatz eines Überbezuges.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und wiederholte im übrigen in seinem Urteilsspruch den durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheid. Die Klägerin habe in ihrem Pensionsantrag fahrlässig einen für das teilweise Ruhen ihrer Pension maßgeblichen Liegenschaftsbesitz verschwiegen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Zu Unrecht erbrachte Geldleistungen könnten schon bei leicht fahrlässiger Verletzung der Meldevorschriften des § 40 ASVG zurückgefordert werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung zur allfälligen Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung.
Die beklagte Partei beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Gemäß § 107 Abs. 1 ASVG hat der Versicherungsträger unter anderem zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger (§ 106 ASVG) bzw. der Leistungsempfänger den Bezug durch bewußt unwahre Angaben, bewußte Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften (§ 40 ASVG) herbeigeführt hat oder wenn der Zahlungsempfänger bzw. Leistungsempfänger erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührt. Ob es sich bei den von der beklagten Partei zurückgeforderten Pensionsleistungen aus dem Zeitraum 1. Jänner 1984 bis 31. Dezember 1987 um "zu Unrecht erbrachte Geldleistungen" im Sinne der oben zitierten Gesetzesstelle handelt, hängt zunächst einmal davon ab, inwieweit die Witwenpension der Klägerin gemäß § 94 ASVG (in seinen damals geltenden Fassungen) ruhte. Da der Oberste Gerichtshof gegen die anzuwendenden Ruhensbestimmungen verfassungsrechtliche Bedenken hegte, stellte er am 18. September 1990 nach Art. 89 Abs. 3 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, gemäß Art. 140 Abs. 4 B-VG zu entscheiden, daß § 94 ASVG in den Fassungen der 39., 40. und 41. ASVG-Novelle verfassungswidrig war (10 Ob S 268/90).
Der Verfassungsgerichtshof gab diesem Antrag mit Erkenntnis vom 15. Dezember 1990, G 33, 34/89-30 bis G 284/90-5, statt und erkannte zu Recht, daß § 94 ASVG in den Fassungen der 31. bis zur 48. ASVG-Novelle verfassungswidrig war. Die aufgehobenen Gesetzesbestimmungen sind daher gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG auf die Rechtssache, die den Anlaß zur Einleitung des Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Normen gab (Anlaßfall), nicht mehr anzuwenden (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts6 381 Rz 1170 mwN).
Infolge Aufhebung der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Ruhensbestimmungen (§ 94 ASVG in den jeweiligen Fassungen) ist die Rechtsgrundlage für eine teilweise Ruhendstellung der der Klägerin gebührenden Witwenpension ebenso weggefallen wie die Berechtigung der Rückforderung
eines Überbezuges. Die von der beklagten Partei rückwirkend ruhend gestellten Teilbeträge der Witwenpension sind nämlich nicht als zu Unrecht erbrachte Geldleistungen iS des § 107 Abs. 1 ASVG anzusehen, so daß weitere Erörterungen, ob einer der Rückforderungstatbestände dieser Gesetzesstelle vorliegt, nicht mehr vonnöten sind. Der Revision der Klägerin war daher im Ergebnis Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen waren im klagsstattgebenden Sinne abzuändern. Dabei war dem Klagebegehren eine deutlichere Fassung zu geben (vgl. SSV-NF 4/37).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASVG.
Die Klägerin begehrt allerdings auch den Zuspruch von Kosten der Beteiligung ihres Vertreters (Rechtsanwaltes) an der öffentlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof am 6. Dezember 1990. Wenngleich diese Kosten vom Verfassungsgerichtshof nicht zugesprochen werden können, weil ein solcher Zuspruch im Verfahren nach den §§ 62 bis 65 VfGG nicht vorgesehen ist (§ 27 Satz 1 VfGG), ist die Teilnahme einer Partei als Beteiligte an einem Gesetzesprüfungsverfahren, das auf Antrag des Gerichtes eingeleitet wurde, eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung (vgl. VfSlg 7380, 8001 ua). Die Entscheidung über einen allfälligen Kostenersatzanspruch kommt dabei dem antragstellenden Rechtsmittelgericht zu (vgl. VfSlg. 8572, 8646, 9703; ebenso Machacek, Verfahren vor dem VfGH 30; ähnlich Fasching, Komm II 312 und ZPR2 Rz 461; 10 Ob S 6/91 ua).
Die obsiegende Klägerin hat daher gegenüber dem beklagten Versicherungsträger nach § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG auch Anspruch auf Ersatz der Kosten der Beteiligung ihres Rechtsanwaltes im Gesetzesprüfungsverfahren. Sie hat diesen Anspruch durch rechtzeitige Verzeichnung dieser Kosten gewahrt (§ 54 Abs. 2 ZPO). Für die Entlohnung des Rechtsanwaltes in einem solchen Fall gibt es freilich keine tarifliche Regelung (§ 41 Abs. 2 ZPO). Der erkennende Senat ist wie in anderen vergleichbaren Fällen (z.B. 10 Ob S 6/91) der Auffassung, daß hier von jenen Kosten auszugehen ist, die der Verfassungsgerichtshof zuerkennen würde, läge ein Fall des § 27 Satz 1 VfGG vor (§ 65 a VfGG). Seit 1. Jänner 1989 spricht der Verfassungsgerichtshof für eine mündliche Verhandlung unabhängig von ihrer Dauer einen Pauschalbetrag von S 12.500,-- zuzüglich Umsatzsteuer zu. Die von der Revisionswerberin verzeichneten Kosten entsprechen diesen Grundsätzen.
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