OGH 10ObS111/13s

OGH10ObS111/13s22.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Andreas Rudolph und Dr. Sigrid Urbanek, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1080 Wien, Josefstädterstraße 80, wegen Kostenersatz, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 2013, GZ 7 Rs 19/13k‑22, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Der 1967 geborene Kläger ist als Polizeibeamter tätig und bei der Fremdenpolizei eingesetzt. Er ist kurzsichtig (visus rechts sph: -2,25, links sph: -2,75). Aus Sorge vor möglicherweise auftretenden Komplikationen nahm er vorerst von einer Laserbehandlung seiner Augen Abstand und trug etwa 15 Jahre hindurch weiche Kontaktlinsen. 2010 entschied er sich dann für die Vornahme der Laserbehandlung. Sie verlief erfolgreich, sodass er seither keine Sehhilfen mehr in Anspruch nehmen muss. Aus medizinischer Sicht war die Korrektur des Sehfehlers mittels Laserbehandlung nicht erforderlich. Es bestand auch keine medizinische Indikation gegen die (weitere) Versorgung mit Brillen oder Kontaktlinsen. Diese wäre nach den ‑ den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen ‑ auch kostengünstiger gewesen. Die Verwendung von Brillen oder Kontaktlinsen hätte den Einsatz des Klägers bei der Fremdenpolizei nicht ausgeschlossen. Dass das Tragen von Sehhilfen mit einer relevanten Beeinträchtigung bei der dienstlichen Tätigkeit als Fremdenpolizist verbunden gewesen wäre, konnte ebensowenig festgestellt werden wie eine beim Kläger gegebene Kontaktlinsenunverträglichkeit.

Das Erstgericht wies das auf Kostenersatz für die Laserbehandlung gerichtete Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung unzulässig.

1.1 Nach § 51 Abs 1 Z 2 B‑KUVG trifft die gesetzliche Krankenversicherung unter anderem Vorsorge für den Versicherungsfall der Krankheit. Das B‑KUVG sieht den Versicherungsfall der Krankheit mit dem Beginn eines „regelwidrigen Körper‑ oder Geisteszustands“ als eingetreten an, „der die Krankenbehandlung notwendig macht“ (§ 53 Abs 1 Z 1 B‑KUVG). Aus dem Versicherungsfall der Krankheit nennt § 62 Abs 1 B‑KUVG als zu erbringende Leistung der Krankenversicherung unter anderem die Krankenbehandlung. Ziel der Krankenbehandlung ist, die Gesundheit, die Dienstfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern (§ 62 Abs 2 Satz 2 B‑KUVG). Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 62 Abs 2 Satz 1 B‑KUVG). Sie umfasst neben der ärztlichen Hilfe Heilmittel, Heilbehelfe und Hilfsmittel (§ 62 Abs 1 B‑KUVG). Nach § 65 Abs 2a idF des FAG 2005, BGBl I 2004/156, werden die Kosten für Brillen und Kontaktlinsen von der Versicherungsanstalt unter den dort genannten Voraussetzungen übernommen.

1.2 Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass ‑ unter den in § 65 Abs 2a B‑KUVG genannten Voraussetzungen ‑ eine Leistungsverpflichtung der Krankenversicherungsträger für Brillen und sonstige Sehbehelfe (Heilbehelfe und Hilfsmittel aus dem Titel der Krankenbehandlung) besteht (702 BlgNR 22. GP 10).

2. Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, ist ‑ in der Krankenversicherung ganz allgemein ‑ ein Interessenkonflikt zwischen Patient, Arzt und Sozialversicherungsträger hinsichtlich Art und Umfang der Krankenbehandlung gegeben. Dem (verständlichen) Wunsch des Patienten nach bestmöglicher ärztlicher Betreuung und weitestgehender versicherungsmäßiger Deckung der entstandenen Kosten, sowie der Forderung des Arztes nach möglichst freier Berufsausübung unter angemessener Honorierung seiner Leistung, steht das Interesse des Sozialversicherungsträgers an dem möglichst ökonomischen Verhalten des Arztes gegenüber (10 ObS 20/12g). Aus diesem Grund wird in § 62 Abs 2 Satz 1 B‑KUVG als Maßstab festgelegt, dass die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muss, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf.

3.1 Dass die Krankenbehandlung ausreichend sein muss, bedeutet die Festlegung einer Minimalgrenze der Leistungsverpflichtung, die unter Zugrundelegung von gesicherten medizinischen Erkenntnissen und nach dem anerkannten Stand der Medizin nach Umfang und Qualität eine hinreichende Chance auf die Erreichung eines von der Krankenbehandlung verfolgten Ziels bieten muss (siehe 10 ObS 174/93 = SSV‑NF 7/112). In diesem Sinn besteht kein Anspruch des sozialversicherten Patienten, gerade eine bestimmte Gesundheitsleistung zu erhalten, wenn der Krankenversicherungsträger eine ausreichende andere Leistung zur Verfügung stellt, die denselben gesundheitlichen Zweck erreicht (Neumayr in Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, Die Rechtslage im österreichischen Krankenversicherungsrecht 151).

3.2 Zweckmäßigkeit liegt vor, wenn die Behandlung in Verfolgung der Ziele der Krankenbehandlung erfolgt, erfolgreich oder zumindest erfolgversprechend war. Darunter ist zu verstehen, dass die Behandlung nach den Erfahrungssätzen der medizinischen Wissenschaft mit hinreichender Sicherheit objektiv geeignet ist, die beabsichtigte Wirkung zu erzielen (10 ObS 14/08v SSV‑NF 22/16 mwN). Sehbehelfe werden daher als zweckmäßig anzusehen sein, wenn sie nach dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft objektiv geeignet sind, die durch die Fehlsichtigkeit gegebene Funktionsbeeinträchtigung des Auges auszugleichen.

3.3 Das Maß des Notwendigen bestimmt sich aus dem Zweck der Leistung. Notwendig ist jene Maßnahme, die zur Erreichung des Zwecks unentbehrlich oder unvermeidbar ist. Es sollen mit dieser Bestimmung unnötige Maßnahmen vermieden und damit die finanzielle Belastung in Grenzen gehalten und andererseits die zur medizinisch notwendigen Versorgung erforderlichen Maßnahmen gewährleistet werden. Die Beschränkung der Krankenbehandlung auf das Maß des Notwendigen enthält auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Krankenbehandlung (10 ObS 174/93 mwN = SSV‑NF 7/112). Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit kommt es aber auf die Gesamtbetrachtung einer zweckmäßigen Behandlung an, sodass nicht immer auch die billigste Lösung dem Gebot der Zweckmäßigkeit entsprechen muss (10 ObS 174/93 = SSV‑NF 7/112).

4.1 Die Abwägung zwischen den Interessen des Patienten an der „besten“ Behandlung und der Versichertengemeinschaft an einer kostenoptimalen Versorgung hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (Schober in Sonntag, ASVG4 § 133 Rz 9 mwN). Entscheidende Bedeutung wird dabei dem Maß der „Betroffenheit“ des Patienten im Einzelfall zugedacht (RIS‑Justiz RS0083816). Mit „Betroffenheit“ sind die Auswirkungen der konkreten strittigen Behandlung auf den Patienten gemeint (s Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung 363 ff; Neumayr, Der Anspruch auf Krankenbehandlung im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot ‑ Die Rechtslage im österreichischen Krankenversicherungsrecht, in Jabornegg/Resch/Seewald, Grenzen der Leistungspflicht für Krankenbehandlung, 152).

4.2 Bei den für die Betroffenheitsintensität maßgeblichen Wertungen ist in erster Linie die absolute Priorität des Lebens zu beachten, dem andere Güter nachgeordnet sind. Geringeren Stellenwert besitzen die körperliche Integrität, die körperliche Bewegungsfreiheit und die geistige Betätigungsfreiheit, die spezielle Ausformungen in der Arbeitsfähigkeit und der Selbsthilfefähigkeit finden.

5. Mit diesen Grundsätzen steht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts in Einklang, eine Abwägung der Interessen des Klägers an der Vornahme der Laserbehandlung und jener der Versichertengemeinschaft an der wirtschaftlichen Mittelverwendung ergebe im vorliegenden Fall, dass die Laserbehandlung das Maß des Notwendigen überschreite. Zum Ausmaß der Betroffenheit des Klägers hat bereits das Berufungsgericht darauf verwiesen, das dem Kläger nach den Feststellungen die weitere Verwendung von Brillen oder Kontaktlinsen medizinisch zumutbar gewesen wäre und eine medizinische Notwendigkeit für die Laserbehandlung nicht gegeben war. Die Laserbehandlung diente auch nicht der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit, weil feststeht, dass das Tragen von Kontaktlinsen oder einer Brille einer Berufstätigkeit bei der Fremdenpolizei nicht entgegensteht.

6.1 Zum Vorbringen des Klägers, das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Interessensabwägung nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Laserbehandlung zu einer Behebung der Kurzsichtigkeit führt, während Sehhilfen bloß zu deren Ausgleich dienen, ist noch im Einzelnen auszuführen:

6.2 Ziel der Krankenbehandlung ist, die Gesundheit, die Dienstfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherzustellen, zu festigen oder zu bessern (§ 62 Abs 2 Satz 2 B‑KUVG). Aus den genannten Zielen, wurde von der Rechtsprechung abgeleitet, dass nicht jedwede Störung des Wohlbefindens zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu beseitigen ist. Es soll kein Idealzustand eines gesunden Menschen erreicht werden, was insbesondere aus der Einschränkung auf die Fähigkeit, „für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse“ (also nicht „für alle Bedürfnisse“ oder „für alle wichtigen Bedürfnisse“) zu sorgen, ersichtlich wird. Ebenso wird durch die Beschränkung auf das Maß des Notwendigen zum Ausdruck gebracht, dass es nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sein kann, dem Versicherten durch eine Behandlung maximale Bedürfnisbefriedigung zu ermöglichen (10 ObS 227/03k, SSV‑NF 18/65 = ZAS 2006/14 [Pfeil]). Auch wenn der Begriff der Krankenbehandlung nicht völlig von der betroffenen Person abstrahiert werden kann und subjektive Komponenten aufweist, muss in dem von einer objektiven Sichtweise geprägten Sozialversicherungsrecht eine Grenze der Leistungspflicht dort gezogen werden, wo Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre des einzelnen Versicherten prägend in den Vordergrund treten (Windisch‑Graetz in SV‑Komm § 120 ASVG Rz 20).

6.3 Es ist auch daran festzuhalten, dass der Krankenbehandlungsanspruch von einem gesellschaftlichen Konsens darüber abhängt, dass die Kosten von der Versichertengemeinschaft und nicht vom Versicherten selbst ‑ getragen werden sollen, was sich bereits aus dem Gesetz, insbesondere der Auflistung der Ziele der Krankenbehandlung in § 133 Abs 2 (§ 62 Abs 2 Satz 2 B‑KUVG) ergibt (Felten/Mosler in SV‑Komm § 133 ASVG Rz 26).

6.4 Eine notwendige Krankenbehandlung ist schon dann anzunehmen, wenn die Behandlung geeignet erscheint, eine Verschlechterung des Zustands hintanzuhalten (RIS‑Justiz RS0106245; RS0106403). Die notwendige Krankenbehandlung muss daher nicht die endgültige und vollständige Heilung des Patienten zum Ziel haben; es genügt vielmehr, wenn sie die Besserung des Leidens oder die Verhütung von Verschlimmerungen bezweckt (10 ObS 258/02t mwN, SSV‑NF 17/17 = RIS‑Justiz RS0106245 [T1]). Bei Funktionseinschränkungen kann unter dieser Voraussetzung der Zweck der Wiederherstellung oder Festigung der Gesundheit auch durch Maßnahmen der Substitution erreicht werden ( Mazal, Krankheitsbegriff und Risikoabgrenzung, 321). Die in § 137 ASVG aufgezählten „Behelfe“ dienen dem gleichen Zweck, weil sich der Gesundheitszustand eines Versicherten ohne Brillen, orthopädische Schuheinlagen oder Bruchbänder verschlechtern würde (Binder in Tomandl, SV‑System, 21. ErgLfg 244 f; siehe auch 10 ObS 2363/96i, SSV‑NF 10/120).

6.5 Auch für ‑ durch die Entwicklung der Medizin möglich gewordene ‑ neue Behandlungsmethoden muss sich das Maß des Notwendigen als grundsätzliches Ziel einer Krankenbehandlung aber immer aus dem Zweck der Leistung bestimmen. Für neue Behandlungsmethoden gilt somit in gleicher Weise die Einschränkung, dass notwendig nur jene Maßnahmen sind, die zur Erreichung des Zwecks unentbehrlich oder unvermeidbar sind. Nach der bisherigen Rechtsprechung ist bei Bestehen mehrerer gleichermaßen zweckmäßiger Behandlungsmethoden diejenige zu wählen, die die geringsten Kosten verursacht bzw bei der die Relation von Kosten und Nutzen am günstigsten ist (RIS‑Justiz RS0083823).

7. Ausgehend von diesen Überlegungen stellt auch die Ansicht des Berufungsgerichts keine Fehlbeurteilung dar, der Umstand, dass die Laserbehandlung die Behebung der Kurzsichtigkeit bewirkt habe, führe im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung nicht schon zwingend dazu, diese Behandlung als unentbehrlich oder unvermeidbar anzusehen. Da sich die Verwendung von Kontaktlinsen oder Brillen zum Ausgleich der Fehlsichtigkeit als ausreichend und zweckmäßig erweise, ist kein solches Maß an Betroffenheit des Versicherten gegeben, dass die Kosten der Laserbehandlung von der gesetzlichen Sozialversicherung zu tragen wären.

Ergänzend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall im Vordergrund das der höchstpersönlichen Lebenssphäre des Klägers zuzuordnende Interesse steht, zum Ausgleich der Fehlsichtigkeit in Hinkunft weder Brillen noch Kontaktlinsen tragen zu müssen. Dieses Interesse liegt also darin, einer rein subjektiv empfundenen Beeinträchtigung der Lebensqualität abzuhelfen; ein von der gesetzlichen Krankenversicherung verfolgtes Ziel der Krankenbehandlung wird aber damit nicht erfüllt (siehe Schober in Sonntag, ASVG4 § 133 Rz 9). Zieht man noch die (derzeit geltenden) Wertvorstellungen der Gesellschaft heran, so ist es nicht Zweck der gesetzlichen Krankenversicherung, ein derartiges Interesse des Versicherten zu finanzieren.

8. Da ‑ wie bereits ausgeführt ‑ die Abwägung zwischen den Interessen des Patienten an der „besten“ Behandlung und der Versichertengemeinschaft an einer kostenoptimalen Versorgung nur in Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu lösen ist und der Kläger keine dem Berufungsgericht unterlaufene gravierende Fehlbeurteilung aufzeigt, ist die Revision zurückzuweisen.

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