OGH 10ObS104/22z

OGH10ObS104/22z18.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Claudia Biegler, MA (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei L*, vertreten durch die Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2022, GZ 7 Rs 113/21 w‑28, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Juli 2021, GZ 29 Cgs 156/20x‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00104.22Z.1018.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie – einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen abweisenden Teils – insgesamt lauten:

Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass die von der klagenden Partei im Zeitraum von 1. Jänner 2004 bis 30. Juni 2019 erworbenen Beitragsmonate der Pflichtversicherung Schwerarbeitsmonate iSd § 4 Abs 3 APG und § 607 Abs 14 ASVG in Verbindung mit der Schwerarbeitsverordnung sind, wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach § 247 Abs 2 ASVG.

[2] Der * 1962 geborene Kläger hat den Lehrberuf des Straßenerhaltungsfachmanns erlernt und war von 1. Jänner 2004 bis 1. April 2020 bei einer Straßenmeisterei in der Straßenerhaltung beschäftigt. Seit 1. April 2011 ist er dort auch als Tischler eingesetzt. Seine Netto-Arbeitszeit betrug an drei Tagen der Woche 8,5 Stunden und an einem Tag 7,5 Stunden. In den Monaten November bis April waren fallweise Winterdienste zwischen 2:00 Uhr und 22:00 Uhr erforderlich.

[3] Mit Rücksicht auf seine Aufgabenstellungen verbrauchte der Kläger bei acht Arbeitsstunden und nach Abzug von Unproduktivzeiten oder Leerzeiten durchschnittlich 1.938 Kilokalorien täglich. Das ergibt bei einer Nettoarbeitszeit von 8,5 Stunden 2.059 Kilokalorien und bei einer Nettoarbeitszeit von 7,5 Stunden 1.817 Kilokalorien täglich.

[4] Im Zeitraum von 1. Jänner 2004 bis 30. Juni 2019 hat der Kläger (nur) in sechs Monaten, nämlich in den Monaten Jänner und Februar 2016, Jänner 2017 sowie Jänner, April und Dezember 2018 an mindestens 15 Tagen zumindest 8,5 Nettoarbeitsstunden geleistet und damit mehr als 2.000 Kilokalorien verbraucht.

[5] Mit Bescheid vom 17. Juni 2020 stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt fest, dass der Kläger zum Feststellungszeitpunkt 1. Juni 2020 491 Beitragsmonate der Pflichtversicherung‑Erwerbstätigkeit und 18 Ersatzmonate, insgesamt also 509 Versicherungsmonate erworben habe, lehnte aber die „Anerkennung“ von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1. Jänner 2003 bis 31. Mai 2020 ab.

[6] Mit seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die von ihm im Zeitraum von 1. Jänner 2003 bis 31. Mai 2020 erworbenen Beitragsmonate der Pflichtversicherung Schwerarbeitsmonate seien.

[7] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger als Straßenerhaltungsfachmann keine Tätigkeiten verrichtet habe, bei denen zumindest 2.000 Arbeitskilokalorien verbraucht worden seien.

[8] Das Erstgericht stellte fest, dass die vom Kläger im Jänner und Februar 2016, im Jänner 2017 sowie im Jänner, April und Dezember 2018 erworbenen (sechs) Beitragsmonate der Pflichtversicherung als Schwerarbeitsmonate iSd § 4 Abs 3 APG und § 607 Abs 14 ASVG iVm § 1 Abs 1 Z 4 der Schwerarbeitsverordnung zu qualifizieren sind. Ausgehend von der Feststellung, dass „in den übrigen Monaten der Jahre 1. 1. 2004 bis 30. 6. 2019 [...] keine Schwerarbeitsmonate“ vorliegen, wies es das darüber hinausgehende, auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten auch in den Jahren ab 2004 bis 31. Dezember 2018 gerichtete Klagebegehren ab.

[9] Das Berufungsgericht wies die gegen den klagestattgebenden Teil des Urteils gerichtete Berufung der Beklagten zunächst mangels Beschwer zurück.

[10] Der Oberste Gerichtshof gab dem dagegen von der Beklagten erhobenen Rekurs Folge, hob diesen Beschluss auf und verwies die Rechtssache zur Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurück, weil eine Beschwer aufgrund der Bindung des Versicherungsträgers an die festgestellten Schwerarbeitszeiten auch dann anzunehmen ist, wenn die festgestellten Schwerarbeitszeiten nach geltender Rechtslage keine Leistungsansprüche des Versicherten begründen können (10 ObS 12/22w).

[11] Im fortgesetzten Berufungsverfahren gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Überlegungen des Obersten Gerichtshofs zur Beschwer würden sinngemäß auch für die Frage des Feststellungsinteresses des Klägers gelten. Ausgehend von der dem Berufungsgericht überbundenen Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs sei nicht nur eine Beschwer der Beklagten, sondern auch ein Feststellungsinteresse des Klägers hinsichtlich der von ihm erworbenen und von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht angezweifelten sechs Schwerarbeitsmonate zu bejahen. Zudem gebiete es der Grundsatz der sukzessiven Kompetenz, dass jedenfalls dann, wenn der Versicherungsträger einen Bescheid iSd § 247 Abs 2 ASVG erlassen habe, eine Klageerhebung möglich sei, ohne dass es der weitergehenden Prüfung eines „gesonderten Feststellungsinteresses“ bedürfe. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

[12] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im zur Gänze klageabweisenden Sinn.

[13] In der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist zulässig und berechtigt.

[15] 1.1. Nach § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 3 APG besteht ein Anspruch auf Schwerarbeitspension, wenn in den letzten 240 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Beitragsmonate aufgrund von Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden (Schwerarbeitszeiten).

[16] 1.2. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Schwerarbeitspension wird durch Entscheidungen der versicherten Person über ihren Versicherungsverlauf (etwa die weitere Ausübung oder Beendigung der belastenden Tätigkeit) maßgeblich beeinflusst, die typischerweise vor dem Eintritt des Versicherungsfalls liegen. Schon vor einem allfälligen Pensionsstichtag hat eine versicherte Person daher ein wesentliches rechtliches Interesse an der Klärung, ob die Voraussetzungen für eine Schwerarbeitspension erfüllbar sind, insbesondere ob und welche Schwerarbeitszeiten verrichtet wurden (Pöltner, Die Feststellung von Zeiten der Schwerarbeit, DRdA 2007, 406 [409]).

[17] 1.3. Dieses rechtliche Interesse rechtfertigt nach der Literatur die Erlassung eines Feststellungsbescheids gemäß § 410 Abs 1 Z 7 ASVG (Pöltner, DRdA 2007, 406 [409]), jedenfalls dann, wenn es um die Meldung von Schwerarbeitszeiten nach § 5 SchwerarbeitsV geht (Panhölzl, Vollziehungsprobleme bei der Schwerarbeitspension, DRdA 2009, 98 [106]; Pöltner, DRdA 2007, 406 [408]). Da die Angelegenheiten nach § 410 Abs 1 Z 7 ASVG als Verwaltungssache dem Rechtszug nach § 414 Abs 2 ASVG unterliegen, sind sie der Kognition der ordentlichen Gerichte entzogen. Der Kläger gründet sein Feststellungsbegehren daher zutreffend nicht auf § 410 Abs 1 Z 7 ASVG.

[18] 1.4. Über § 410 Z 7 ASVG hinaus kennt § 247 Abs 2 ASVG einen Feststellungsbescheid eines Versicherungsträgers über das Vorliegen und die zeitliche Lage (RIS-Justiz RS0084976 [T5]) von Schwerarbeitszeiten. Nach dem Gesetzeswortlaut hat der leistungszuständige Pensionsversicherungsträger die Schwerarbeitszeiten iSd § 607 Abs 14 ASVG und des § 4 Abs 3 APG festzustellen, wenn die versicherte Person dies frühestens zehn Jahre vor Vollendung des Anfallsalters nach § 607 Abs 12 ASVG oder frühestens zehn Jahre vor Vollendung des frühestmöglichen Anfallsalters nach § 4 Abs 3 APG (für männliche Versicherte handelt es sich nach beiden Bestimmungen um das 60. Lebensjahr) beantragt und aufgrund der bisher erworbenen Versicherungsmonate anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen nach § 607 Abs 14 ASVG oder nach § 4 Abs 3 APG vor Erreichen des Regelpensionsalters (§ 253 ASVG: Vollendung des 65. Lebensjahres) erfüllt werden.

[19] 2.1. Die Feststellung von Versicherungszeiten nach § 247 ASVG ist gemäß § 354 Z 4 ASVG (§ 65 Abs 1 Z 4 ASGG) eine Leistungssache (RS0084976 [T2]). Darunter fällt die „Ablehnung“ eines geltend gemachten Anspruchs (vgl VwGH 91/08/0040).

[20] 2.2. Die Frist für die Erhebung der Klage gegen einen – jedenfalls zu erlassenden (§ 367 Abs 1 ASVG) – Bescheid beträgt grundsätzlich vier Wochen, bei Leistungen der Pensionsversicherung jedoch drei Monate (§ 67 Abs 2 ASVG). Die Wendung „Leistungen der Pensionsversicherung“ meint den Inhalt der Klage, der sich auf Leistungen der Pensionsversicherung beziehen muss. Die Art des erhobenen Klagebegehrens (Leistungs- oder Feststellungsbegehren) ist dafür nicht von Belang, sodass auch für Feststellungsbegehren, die sich auf Leistungen der Pensionsversicherung beziehen, die dreimonatige Klagsfrist gilt (aA Panhölzl, DRdA 2009, 98 [109]). Die am 29. Juli 2020 eingebrachte Klage gegen den Bescheid vom 17. Juni 2020 war daher jedenfalls rechtzeitig.

[21] 3. Der gerichtlichen Geltendmachung des gegenständlichen Feststellungsanspruchs stand daher kein prozessuales Hindernis entgegen. Zu prüfen ist somit, ob das Feststellungsbegehren des Klägers (für die noch strittigen Monate) auf § 247 Abs 2 ASVG gestützt werden kann.

[22] 3.1. Wird ein Antrag nach § 247 ASVG gestellt, so bildet die Feststellung der Versicherungszeiten einen Teil des Leistungsverfahrens. In diesem Fall wird das Verfahren zweigeteilt. Die bis zu dem durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag erworbenen Zeiten werden – abgesehen von einer Änderung der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen – bindend festgestellt und sind daher ohne weitere Prüfung dem künftigen Leistungsverfahren zugrundezulegen. Bei der Feststellung von Versicherungszeiten gemäß § 247 ASVG handelt es sich damit um einen vorgezogenen Teil des Leistungsverfahrens (RS0084976).

[23] 3.2. Dieses Verfahren verfolgt den Zweck, dem Versicherten Klarheit darüber zu verschaffen, welche Zeiten der Prüfung eines Pensionsanspruchs zugrunde zu legen sind. Es soll ihm eine Grundlage für die Entscheidung geben, ob er einen Pensionsantrag stellt oder ob er weiter im Arbeitsleben bleibt, um weitere Zeiten zu erwerben, bzw ob ein solcher Pensionsantrag sinnvoll ist, wenn etwa für eine bestimmte Pensionsleistung eine gewisse Mindestzahl von Zeiten vorgesehen ist (10 ObS 58/20g [Pkt 2.6]; 10 ObS 154/19y SSV‑NF 34/25 [Pkt 2.8]; 10 ObS 244/03k SSV‑NF 18/33; Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 247 ASVG Rz 7).

[24] 3.3. Aus diesem Grund sollte versicherten Personen nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers ein Recht auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten eingeräumt werden (ErläutRV 1314 BlgNR 22. GP  3). § 247 Abs 2 ASVG gewährt daher einen materiell‑rechtlichen Anspruch auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten.

[25] 3.4. Dieser Anspruch ist jedoch an zwei Voraussetzungen geknüpft. Bei seiner Schaffung durch das Sozialversicherungs‑Änderungsgesetz 2006 (SVÄG 2006, BGBl I 2006/130), bestanden diese in einer zeitlichen Einschränkung der Antragstellung (frühestens drei Jahre vor Vollendung des frühestmöglichen Anfallsalters für eine Schwerarbeitspension) und im Vorliegen von bereits 444 Versicherungsmonaten. Mit dem Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz (SV‑ZG, BGBl I 2017/125), wurden beide Voraussetzungen im Sinn der geltenden Fassung modifiziert und der Feststellungsanspruch im Ergebnis erweitert, weil die Frist für die Antragstellung auf zehn Jahre vor dem frühestmöglichen Anfall einer Schwerarbeitspension verlängert wurde und nicht mehr auf das Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Versicherungsmonaten abgestellt wird, sondern eine Feststellung von Schwerarbeitszeiten (bereits dann) möglich ist, wenn aufgrund des bisherigen Versicherungsverlaufs anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für eine Schwerarbeitspension erfüllt werden. Diese letztgenannte Voraussetzung des Feststellungsanspruchs kann als besonderes Feststellungsinteresse bezeichnet werden.

[26] 3.5. Die Erweiterung des Feststellungsanspruchs nach § 247 Abs 2 ASVG wird in den Gesetzesmaterialien – dem erst im Zuge des Gesetzgebungsprozesses eingebrachten Abänderungsantrag zum SV‑ZG (Stenographische Protokolle zur 190. Sitzung des NR, 190/NRSITZ, 25. GP 192) – wie folgt begründet:

„Versicherten, die unter besonders belastenden Arbeitsbedingungen erwerbstätig sind, soll zur besseren Orientierung über ihren Versicherungsverlauf das Recht eingeräumt werden, das Vorliegen von Schwerarbeitszeiten bereits zehn Jahre vor der Erreichung des einschlägigen frühestmöglichen Pensionsanfallsalters feststellen zu lassen (derzeit: drei Jahre vor Erreichung dieses Alters). Das Vorliegen von mindestens 444 Versicherungsmonaten ist nicht mehr erforderlich.

Diese Maßnahme dient der besseren Abschätzbarkeit der Pensionsantrittsmöglichkeiten.

Es sind allerdings Fallkonstellationen denkbar, in denen die Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension nicht vor der Erreichung des Regelpensionsalters erfüllt werden können (etwa weil eine nur geringe Zahl von Versicherungsmonaten vorliegt). In diesen Fällen wird der Versicherungsträger zunächst die antragstellende Person aufzufordern haben, allfällige ausländische Versicherungszeiten bekannt zu geben. Liegen auch nach einer derartigen Prüfung Versicherungszeiten lediglich in einem Ausmaß vor, das die Erfüllbarkeit der langen Versicherungsdauer bis zum Regelpensionsalter ausschließt, so kann der Antrag auf Feststellung der Schwerarbeitszeiten in einem vereinfachten Verfahren zurückgewiesen werden.“

[27] 3.5.1. In den Gesetzesmaterialien wird für die Fälle, in denen das besondere Feststellungsinteresse des § 247 Abs 2 ASVG fehlt, zwar ausgeführt, dass der Antrag „in einem vereinfachten Verfahren zurückgewiesen“ werden kann. Auch in der Literatur wird (noch zu § 247 Abs 2 ASVG idF des SVÄG 2006) vertreten, dass der zuständige Versicherungsträger bei Nichtvorliegen der normierten Voraussetzungen den Antrag „zurückzuweisen“ habe (Kneihs in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 367 ASVG Rz 29 unter Hinweis auf Pöltner/Pacic, ASVG § 367 Anm 1, wo sich eine auf § 247 Abs 2 ASVG bezogene Aussage allerdings nicht findet).

[28] 3.5.2. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Nach dem Wortlaut des § 247 Abs 2 ASVG ist das Bestehen des dort normierten Feststellungsanspruchs an die beiden ausdrücklich genannten Voraussetzungen geknüpft. Es handelt sich daher nicht um eine der eigentlichen Leistungssache vorgelagerte verfahrensrechtliche Hauptfrage, die mit Bescheid im Verwaltungsverfahren zu entscheiden wäre (vgl VwGH 92/08/0142; 93/08/0018; 91/08/0062), sondern um eine Frage der Begründetheit des Antrags selbst, sodass es sich um materiell‑rechtliche Voraussetzungen handelt. Dass die Formulierung des § 247 Abs 2 ASVG auf den Pensionsversicherungsträger abstellt („Der leistungszuständige Pensionsversicherungs-träger hat [...]“), entspricht dem Leistungsrecht des ASVG, das sich ganz grundsätzlich an den Pensionsversicherungsträger richtet, und steht dem nicht entgegen. Anhaltspunkte für eine verfahrensrechtliche Voraussetzung lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Stellung der Bestimmung im Vierten Teil des ASVG (und nicht in dessen das Verfahren regelnden Siebenten Teil) bestätigt diese Sichtweise. Die nur in den Materialien enthaltene, im Gesetz aber nicht angedeutete gegenteilige Aussage kann im Weg der Auslegung nicht Geltung erlangen (RS0008799).

[29] 3.5.3. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 247 Abs 2 ASVG ist daher im sozialgerichtlichen Verfahren zu prüfen. Ihr Fehlen führt nicht zur Zurück-, sondern zur Abweisung des Feststellungsbegehrens mangels Vorliegens eines Feststellungsanspruchs.

[30] 4. Dass der Kläger den gegenständlichen Antrag innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem frühestmöglichen Anfallsalter für eine Schwerarbeitspension stellte, wird von keiner Partei in Zweifel gezogen. Der Feststellungsanspruch des Klägers scheitert hingegen am Fehlen des in § 247 Abs 2 ASVG außerdem vorausgesetzten besonderen Feststellungsinteresses.

[31] 4.1. Der Gesetzgeber wollte im Rahmen des SV‑ZG das Recht versicherter Personen auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten erweitern, und zwar nicht bloß durch die Ausdehnung des Zeitraums, innerhalb dessen ein Antrag gestellt werden kann, sondern auch durch die Abschaffung des Erfordernisses, dass mindestens 444 Versicherungsmonate vorliegen müssen. Stattdessen sollte ein Feststellungsanspruch lediglich in solchen Fallkonstellationen ausscheiden, in denen ein Anspruch auf Schwerarbeitspension in der Zukunft nicht entstehen kann, weil dann ein Feststellungsinteresse fehlt. Nach dem Zweck des Gesetzes und den Absichten des historischen Gesetzgebers ist dieses Erfordernis daher einschränkend zu interpretieren. Im Rahmen der Prüfung sind somit keine Vorhersagen darüber zu treffen, ob und welche Versicherungszeiten in der Zukunft von der versicherten Person wahrscheinlich noch erworben werden, sondern ausschließlich, ob die Anspruchsvoraussetzungen für eine Schwerarbeitspension vor der Erreichung des Regelpensionsalters erfüllt werden können. Nur im umgekehrten Fall, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension nicht mehr erfüllbar sind, etwa weil die erforderlichen Versicherungsmonate (also auch Schwerarbeitsmonate) bis zum Erreichen des Regelpensionsalters (auch unter günstigsten Bedingungen, etwa die Fortsetzung einer als Schwerarbeit zu qualifizierenden Tätigkeit in der Zukunft) nicht mehr erworben werden können, ist das erforderliche Feststellungsinteresse und damit ein Anspruch auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach § 247 Abs 2 ASVG zu verneinen.

[32] 4.2. Der Kläger erreicht das Regelpensionsalter * 2027. Berücksichtigt man die festgestellten sechs Schwerarbeitsmonate in den Jahren 2016 bis 2018, ist es in jeder Variante (vgl aber unten 7.2.) ausgeschlossen, dass der Kläger vor dem Erreichen dieses Zeitpunkts die für eine Schwerarbeitspension nach § 607 Abs 14 ASVG oder § 4 Abs 3 APG erforderlichen 120 Schwerarbeitsmonate erwirbt. Eine Feststellung von Schwerarbeitszeiten iSd § 247 Abs 2 ASVG kommt daher nicht in Betracht, und zwar auch nicht in Bezug auf die im gegenständlichen Zeitraum unstrittig vorliegenden sechs Schwerarbeitsmonate.

5.1. Soweit das Berufungsgericht davon ausgeht, dass ihm in der Entscheidung 10 ObS 12/22w die Rechtsansicht überbunden worden sei, dass das Feststellungsinteresse des § 247 Abs 2 ASVG vorliege, beruht dies auf einem Missverständnis. Im Rahmen der Entscheidungen 10 ObS 12/22w, 10 ObS 38/22v und 10 ObS 52/22b war nur zu prüfen, ob die Beklagte durch die Feststellung von Schwerarbeitszeiten beschwert war, obwohl (nach geltender Rechtslage) ein Anspruch auf Schwerarbeitspension nicht erworben werden kann. Dies wurde in den genannten Entscheidungen bejaht, weil eine Feststellung iSd § 247 Abs 2 ASVG die Beklagte im Fall der Rechtskraft auch dann für die Zukunft gebunden hätte, wenn sie vom Gesetz in dieser Konstellation nicht vorgesehen ist (was bei Änderung der Rechtslage zu Leistungsansprüchen führen könnte). Von dieser (möglichen) Wirkung einer Entscheidung iSd § 247 Abs 2 ASVG, die zu ihrer Anfechtbarkeit führt, ist aber die Frage zu unterscheiden, ob die Entscheidung in der Sache zutrifft. Anlass für Aussagen des Obersten Gerichtshofs zu dieser Frage gab es im Rahmen der genannten Entscheidungen nicht.

[33] 5.2. Der vom Berufungsgericht und vom Kläger in der Revisionsbeantwortung darüber hinaus ins Treffen geführte Grundsatz der sukzessiven Kompetenz ist hier nicht einschlägig, weil es – wie ausgeführt (oben Punkt 3.5.1. f) – um materiell‑rechtliche Voraussetzungen für das Bestehen eines Feststellungsanspruchs geht, die sich aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes ergeben. Erlässt der Versicherungsträger daher einen Bescheid nach § 247 Abs 2 ASVG, kann dagegen – dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz entsprechend – Klage erhoben und die Frage einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden. Der Umstand, dass im gerichtlichen Verfahren die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen sind und eine Klage gegebenenfalls abzuweisen ist, tut dem keinen Abbruch.

[34] 5.3. Der Kläger weist in der Revisionsbeantwortung darauf hin, dass sich die Rechtslage ändern könnte, und er befürchtet den Eintritt einer für allfällige Pensionsansprüche ungünstigen Bindungswirkung. Aus dem Umstand, dass das Klagebegehren abgewiesen wird, folgt allerdings nicht die Feststellung, dass Schwerarbeitszeiten nicht vorliegen. Das Klagebegehren ist vielmehr bloß mangels Bestehens eines Feststellungsanspruchs abzuweisen, weil (aufgrund der hervorgekommenen Versicherungsmonate) nicht anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für eine Schwerarbeitspension vor Erreichung des Regelpensionsalters erfüllt werden.

[35] Der Zweck des § 247 Abs 2 ASVG und ihr Verweis auf § 607 Abs 14 ASVG bzw § 4 Abs 3 APG stellen klar, dass das Vorliegen des besonderen Feststellungsinteresses von der Erfüllbarkeit der im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gültigen Voraussetzungen für den Erwerb einer Schwerarbeitspension abhängt. Sollten sich diese Voraussetzungen nach dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ändern, steht die Rechtskraft der abweisenden Entscheidung einem neuerlichen Verfahren nach § 247 Abs 2 ASVG somit nicht entgegen.

[36] Im Übrigen wird durch die Verneinung des besonderen Feststellungsinteresses des § 247 Abs 2 ASVG nur das Vorliegen eines Feststellungsanspruchs (als Hauptfrage) entschieden. Im Fall der Verneinung des Feststellungsanspruchs (sei es wegen Antragstellung mehr als zehn Jahre vor Vollendung des Regelpensionsalters, sei es wegen Fehlens des besonderen Feststellungsinteresses) kommt es – entgegen der Befürchtung des Klägers – nicht zu einer spruchmäßigen Feststellung dahingehend, dass bestimmte Zeiten (keine) Schwerarbeitszeiten darstellen. Über die Frage, ob und wieviele Schwerarbeitsmonate im betreffenden Zeitraum vorliegen, wird vielmehr nur als Vorfrage für das Bestehen eines Feststellungsanspruchs geprüft. Die bloße Lösung als Vorfrage in den Entscheidungsgründen und die Tatsachenfeststellungen dazu lösen eine Bindungswirkung aber schon grundsätzlich nicht aus (RS0041342; RS0042554; RS0041180), sodass die vorliegende Entscheidung den Kläger auch nicht an der Stellung eines Antrags auf Zuerkennung einer Schwerarbeitspension hindert.

6. Zusammenfassend ergibt sich:

[37] Das nach § 247 Abs 2 ASVG für die Feststellung von Schwerarbeitszeiten erforderliche Feststellungsinteresse ist im Gerichtsverfahren auch dann zu prüfen, wenn der bekämpfte Bescheid die Feststellung aus anderen Gründen ablehnte. Dieses Feststellungsinteresse ist (nur) zu verneinen, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension vor Erreichen des Regelpensionsalters nicht erfüllbar sind, etwa weil die erforderlichen Versicherungsmonate (oder Schwerarbeitsmonate) bis dahin (auch unter günstigsten Bedingungen) nicht mehr erworben werden können. In diesem Fall ist der in § 247 Abs 2 ASVG normierte Feststellungsanspruch zu verneinen und das auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten gerichtete Klagebegehren abzuweisen.

[38] 7. Der Revision der Beklagten ist somit Folge zu geben und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen. Dazu ist jedoch zweierlei anzumerken:

[39] 7.1. Zum einen war nur über den Feststellungsanspruch nach § 247 Abs 2 ASVG abzusprechen. Die Rechtsprechung, wonach der Bescheid, mit dem der Versicherungsträger gemäß § 247 ASVG die Versicherungszeiten feststellt, eine inhaltliche Einheit bildet (RS0084896) und daher über den gesamten Bescheidinhalt neuerlich abzusprechen wäre (RS0084896 [T4]), geht auf die Rechtslage vor Schaffung des § 247 Abs 2 ASVG zurück und fußt maßgeblich auf der Überlegung, dass das Begehren auf Feststellung weiterer Versicherungszeiten immer auch die im Bescheid festgestellte Gesamtanzahl der Versicherungsmonate berührt (vgl 10 ObS 55/87 SSV‑NF 1/41; 10 ObS 26/87 SSV‑NF 1/18). Dies trifft auf die im bekämpften Bescheid getroffene Feststellung iSd § 247 Abs 1 ASVG jedoch nicht zu, weil es nicht um das Vorliegen von (weiteren) Versicherungszeiten geht, sondern nur um ihre Qualifikation als Schwerarbeitszeit. Dafür spricht auch, dass das Gesetz für die Feststellung von Versicherungszeiten und von Schwerarbeitszeiten unterschiedliche Bestimmungen mit unterschiedlichen Voraussetzungen vorsieht.

[40] 7.2. Zum anderen hat das Erstgericht das über die von ihm festgestellten Schwerarbeitszeiten hinausgehende Begehren im Spruch seiner Entscheidung nur für die Jahre 2004 bis 2018 abgewiesen. Aus der Entscheidungsbegründung ergibt sich aber klar, dass es insgesamt über den Zeitraum von 1. Jänner 2004 bis 30. Juni 2019 entscheiden und das Klagebegehren auch für die Monate Jänner bis Juni 2019 abweisen wollte, sodass der Fehler vom Obersten Gerichtshof berichtigt werden kann (RS0041818; 9 ObA 15/19z ua). Weitere Erwägungen dazu sind mangels materieller Auswirkungen entbehrlich, weil die Voraussetzungen des § 247 Abs 2 ASVG selbst dann nicht erfüllt wären, wenn man die Zeiträume, zu denen keine Feststellungen vorliegen und über die das Erstgericht auch nicht abgesprochen hat, als Schwerarbeitsmonate berücksichtigen würde (siehe oben 4.2.).

[41] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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