OGH 10Ob88/07z

OGH10Ob88/07z6.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarethe Dullinger, geboren am *****, vertreten durch den Vater Matthias D***** als Sachwalter, beide ***** vertreten durch Dr. Christoph Haffner, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen die beklagte Partei Dr. Rudolf W*****, vertreten durch Dr. Christian Slana, Rechtsanwalt in Linz, wegen EUR 344.164,90 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 13. Juni 2007, GZ 4 R 97/07y-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 15. März 2007, GZ 3 Cg 162/05m-32, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 2.585,95 EUR (davon 430,99 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Klägerin erlitt im 5. Lebensmonat bei einer Krankenhausbehandlung am 21. 5. 1982 eine schwere organische Schädigung des Gehirns. Seither ist sie schwerst mehrfach behindert.

Mit der vorliegenden Schadenersatzklage begehrt die Klägerin vom beklagten, emeritierten Rechtsanwalt Zahlung von 511.110,50 EUR sA, weil er schuldhaft Pflegegeldkostenersatzansprüche gegen den Rechtsträger des Krankenhauses für den Zeitraum Juli 1982 bis einschließlich April 1997 verjähren habe lassen.

Das Erstgericht gab der Klage bis auf 2.480,23 EUR sA statt. Das Berufungsgericht änderte über Berufung des Beklagten dieses Urteil dahin ab, dass es der Klägerin nur 344.164,90 EUR sA zusprach. Der Beklagte hafte aufgrund Schadenersatzes, weil seine Rechtsansicht, die Unterbrechungswirkung einer Feststellungsklage gelte für wiederkehrende Leistungen nicht, weshalb er bei der Übernahme der Rechtsvertretung der Klägerin am 20. 3. 2000 berechtigterweise von der Verjährung der Pflegekostenforderungen habe ausgehen können, im Hinblick auf die langjährige und einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0034371; RS0034202; RS0034771) unvertretbar gewesen sei.

Im Zeitpunkt der Übernahme des Mandats seien Ansprüche der Klägerin auf Pflegekostenersatz nicht verjährt gewesen, sodass die Unterlassung der Geltendmachung dieser Ansprüche eine Sorgfaltsverletzung des Beklagten sei. Daran könne auch nichts ändern, dass der Beklagte nach eigenen Angaben einen „anderen Weg", nämlich jenen der Geltendmachung des Anspruchs auf Pflegekostenersatz im Namen der Mutter der Klägerin auf Grundlage des § 1042 ABGB verfolgt habe. Die Klagsführung nach § 1042 ABGB sei als ein an sich tauglicher „Rettungsversuch" anzusehen, vermöge den Beklagten aber nicht zu exkulpieren. Das Erstgericht habe auch die Bemessung des Pflegekostenersatzes im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung nach der subjektiv-konkreten Berechnungsmethode vorgenommen. Der vom Beklagten zu ersetzende Schaden umfasse allerdings nur jene Ansprüche auf Pflegekostenersatz, die im Zeitpunkt der Übernahme der Rechtsvertretung der Klägerin mit 20. 3. 2000 bei pflichtgemäßem Vorgehen durchsetzbar gewesen wären. Die Unterbrechungswirkung der am 21. 5. 1985 eingebrachten Feststellungsklage habe sich nur auf zukünftige Schadenersatzansprüche, nicht aber auf die bis 21. 5. 1985 verfallenen Ansprüche auf Pflegekostenersatz erstreckt. Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Der Revisionswerber meint, entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe er bei der Übernahme des Mandats die Rechtsfrage richtig gelöst, weil die Feststellungsklage für die ab Juni 1982 bestehenden Ansprüche auf Pflegekostenersatz keine Unterbrechung der Verjährungsfrist entfalten habe können. Eine Feststellungsklage sei nämlich nur zulässig, wenn eine Leistungsklage nicht eingebracht werden könne. Mit Leistungsklage - entweder in Form eines Rentenbegehrens oder jeweils im Nachhinein - hätten die Ansprüche aber geltend gemacht werden können. Seine Empfehlung, die Ansprüche gestützt auf § 1042 ABGB im Namen der pflegenden Mutter der Klägerin geltend zu machen, habe der bis dahin ständigen Rechtsprechung entsprochen.

Mit diesen Ausführungen wird eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht aufgezeigt:

Nach ständiger Rechtsprechung (SZ 67/135; RIS-Justiz RS0034771, insbesondere 1 Ob 147/01a; RIS-Justiz RS0034371; 9 Ob 69/00p uva) wird durch die Einbringung einer Feststellungsklage die Verjährung aller in diesem Zeitpunkt noch nicht fälligen und daher zukünftigen Schadenersatzansprüche unterbrochen. Soweit ein stattgebendes Feststellungsurteil die Verpflichtung zum Ersatz künftig fällig werdender wiederkehrender Beträge in sich begreift, unterliegen diese dann neuerlich der dreijährigen Verjährung (RIS-Justiz RS0034202). Diese Entscheidungen lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass unter „künftigen" Leistungen alle diejenigen gemeint sind, die bei Einbringung der Feststellungsklage noch nicht fällig waren, also auch solche, die zwischen Einbringung der Feststellungsklage und Zustellung des Feststellungsurteils angefallen sind. Die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Entscheidung SZ 43/222 behandelt wiederkehrende Leistungen, die erst nach dem Feststellungsurteil entstanden waren.

Der Rechtsanwalt haftet seiner Partei, wenn er einhellige Lehre und Rechtsprechung nicht kennt (RIS-Justiz RS0038663). Wenn das Berufungsgericht die Haftung des beklagten Rechtsanwalts bejahte, weil er in Unkenntnis der einhelligen Rechtsprechung zur Unterbrechungswirkung einer Feststellungsklage bei Übernahme des Mandats am 20. 3. 2000 nicht erkannte, dass die berechtigten Ansprüche der Klägerin auf Ersatz der Pflegekosten zu einem weit überwiegenden Teil tatsächlich nicht verjährt waren, und deshalb die Einbringung der Klage gegen den haftpflichtigen Rechtsträger des Krankenhauses innerhalb der am 23. 9. 2000 endenden Verjährungsfrist unterließ, so steht dies im Einklang mit der Rechtsprechung und wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Die erhebliche Rechtsfrage erblickte das Berufungsgericht darin, dass zur Frage der Haftung eines Rechtsanwalts „bei Verjährung eines von mehreren konkurrierenden Ansprüchen, insbesondere zur Verjährung eines Schadenersatzanspruchs bei grundsätzlichem Bestehen eines Aufwandersatzanspruches nach § 1042 ABGB" Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht habe aufgefunden werden können. Diese Frage stellt sich nicht:

Der Beklagte hatte in seiner Berufung geltend gemacht, er hafte nicht, weil er einen anderen Weg (als den der Schadenersatzklage der Klägerin) verfolgt habe, indem er - gestützt auf § 1042 ABGB - den Anspruch auf Pflegekostenersatz im Namen der Mutter der Klägerin am 20. 4. 2004 mit Klage geltend gemacht habe, weil dieser Anspruch nach damaliger Rechtsprechung (30-jährige Verjährungsfrist) nicht verjährt gewesen sei. Dass der Oberste Gerichtshof gerade in diesem Verfahren ausgesprochen habe, dass die Verjährungsfrist beim Anspruch nach § 1042 ABGB aus Gründen des Schuldnerschutzes jener des getilgten Anspruchs folgt, der Ersatzanspruch nach § 1042 ABGB daher keiner längeren Verjährung als der ihm zugrunde liegende Schadenersatzanspruch unterliegt und deshalb die Klage wegen Verjährung abwies (4 Ob 15/05t = SZ 2005/50), könne ihm nicht vorgeworfen werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ergeben sich aus § 9 RAO und § 1009 ABGB für den Rechtsanwalt eine Reihe von Pflichten, wie unter anderem Warn-, Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten, die alle Ausprägung der Kardinalspflicht des Rechtsanwaltes sind, nämlich der Pflicht zur Interessenwahrung und zur Rechtsbetreuung (RIS-Justiz RS0112203). Der im Einklang mit dieser Rechtsprechung stehenden Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte könne sich schon im Hinblick auf seine Pflicht, die Interessen seiner Mandantin umfassend zu wahren (aufgrund des Mandats für die Geltendmachung ihres Anspruchs gegen den haftpflichtigen Rechtsträger des Krankenhauses zu sorgen), nicht damit entlasten, er habe die Liquidierung der Schadensposition im Weg der Geltendmachung von Bereicherungsansprüchen der Mutter der Klägerin als pflegende Angehörige auf Grundlage des § 1042 ABGB angestrebt, setzt der Revisionswerber nichts entgegen. Er verkennt, dass seine Haftung nicht auf einer Vorwerfbarkeit seiner Empfehlung, den Anspruch der Mutter der Klägerin nach § 1042 ABGB geltend zu machen, beruht, sondern darauf, dass aufgrund seiner unentschuldbaren falschen Rechtsansicht die rechtzeitige Geltendmachung berechtigter Schadenersatzansprüche der Klägerin unterblieben ist.

2. Nach herrschender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, die die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrunde legten, sind als Kosten der Pflege eines Verletzten durch seine Angehörigen vom Schädiger jene Bruttolohnkosten zu ersetzen, die die Erbringung der konkreten, notwendigen Pflegeleistungen durch professionelle Kräfte erfordern würde (2 Ob 176/05d mwN; 5 Ob 50/99k; RIS-Justiz RS0030213). In der Entscheidung 6 Ob 143/98t (= SZ 71/146) vertrat der Oberste Gerichtshof den von dieser Rechtsprechungslinie abweichenden Standpunkt, familiäre Betreuungsleistungen könnten nicht fiktiv anhand der Kosten einer Betreuung durch familienfremde Fachkräfte bewertet werden. Es komme auf die tatsächlich erbrachten Leistungen der Familienangehörigen an, die unter Heranziehung des § 273 ZPO zu bewerten seien. Insoweit ist diese Entscheidung jedoch, wie das Berufungsgericht schon zutreffend festhielt, vereinzelt geblieben (vgl 2 Ob 176/05d mwN). Der vom Berufungsgericht genannte Grund der Zulassung der Revision, dass es von der Entscheidung 6 Ob 143/98t abgewichen sei, vermag daher die Zulässigkeit der Revision (§ 502 Abs 1 ZPO) nicht zu begründen, liegt doch eine uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Hinblick auf die gefestigte herrschende Rechtsprechung nicht vor (vgl Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 Rz 47 mwN).

Auch der Revisionswerber vermag eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht aufzuzeigen, wurden doch die gegen die herrschende Rechtsprechung ins Treffen geführten Argumente schon in der oberstgerichtlichen Entscheidung 5 Ob 50/99k für nicht stichhältig erkannt (vgl auch 2 Ob 176/05d). Im Besonderen ist darauf zu verweisen, dass nach den Feststellungen des Erstgerichts eine diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegefachkraft beigezogen hätte werden müssen, wenn die Mutter der Klägerin die Pflege und Betreuung ihrer Tochter nicht übernommen hätte. In einem solchen Fall hat sich die Bewertung der Familienpflege am Entgelt der Fachkraft zu orientieren (5 Ob 50/99k).

Das Erstgericht hat unter Anwendung des § 273 ZPO das zeitliche Ausmaß der konkret festgestellten, tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen eingeschätzt. Ob das Ergebnis der Anwendung des § 273 ZPO richtig ist, fällt in den Bereich der rechtlichen Beurteilung (1 Ob 51/01h; RIS-Justiz RS0040341). Der vom Richter vorgenommenen Schätzung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0121220; RS0040494). Mit der Behauptung, die Bewertung der Pflegeleistungen der Mutter der Klägerin inkludiere zwangsläufig die gleichzeitig den anderen Kindern gewidmete Zeit, weil sich die Mutter nur einmal mit ihrer ganzen Arbeitskraft Haushalt und allen Kindern widmen könne, zeigt der Revisionswerber keine Korrekturbedürftigkeit der Beurteilung auf. Das vom Erstgericht geschätzte zeitliche Ausmaß der Pflegeleistungen lässt nämlich nicht notwendig und hinreichend auf die behauptete Zwangsläufigkeit schließen.

Die Revision war daher wegen Fehlens einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen. Soweit ein Zuschlag gemäß „§ 21 Abs 1 AHK" (offenbar gemeint: § 21 Abs 1 RATG) begehrt wird, weil der Klagevertreter die gesamte vom Beklagten ins Treffen geführte Judikatur überprüft habe und diese Überprüfung ergeben habe, dass das Urteil des Berufungsgerichts der gesicherten und ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entspreche, so ist nicht erkennbar, dass die Leistung des Klagevertreters nach Art und Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigt.

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