OGH 10Ob82/11y

OGH10Ob82/11y4.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei A*****, vertreten durch Dr. Andreas Schöppl und Mag. Klaus Waha, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte und widerklagende Partei H*****, vertreten durch Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. Juni 2011, GZ 21 R 412/10z-32, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Welchem Ehepartner schwerwiegendere Eheverfehlungen zur Last fallen, wen also das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft oder ob infolge etwa gleichwertigen Beitrags beider Ehepartner an der Zerrüttung von einem gleichteiligen Verschulden auszugehen ist, sind Fragen des konkreten Einzelfalls, die - von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen - nicht als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen sind (RIS-Justiz RS0118125; RS0110837 [T1]).

Eine derartige Fehlbeurteilung stellt die Ansicht des Berufungsgerichts, den Kläger treffe das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe, nicht dar:

1. Die Verletzung der Pflicht zum gemeinsamen Wohnen, insbesondere durch nicht gerechtfertigtes Aufheben der ehelichen Gemeinschaft, ist grundsätzlich eine Eheverfehlung (2 Ob 170/98h). Das Verschulden kann aber ausgeschlossen sein, wenn das Verlassen der Ehewohnung eine entschuldbare Reaktionshandlung auf schwerwiegende Eheverfehlungen des Partners darstellt. Es ist Sache des die gemeinsame Ehewohnung verlassenden Teils, jene Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, aus denen er die Unzumutbarkeit eines Verbleibs in der gemeinsamen Wohnung oder der Rückkehr dorthin ableiten will (RIS-Justiz RS0109128 [T29]).

Von diesen Grundsätzen weicht die Ansicht des Berufungsgerichts nicht ab, nach der die partnerschaftlichen Spannungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem aus erster Ehe stammenden Sohn der Klägerin (und Widerbeklagten - im Folgenden nur „Klägerin“), keinen ausreichenden Grund für die Annahme abgeben, dem Beklagten wäre der weitere Verbleib in der Ehewohnung unzumutbar. Dass der Beklagte infolge der Streitigkeiten zum Zeitpunkt des Auszugs im Mai 2009 erhebliche psychische Probleme gehabt hätte, ist nicht festgestellt. Die Feststellung, er habe 2004 wegen der familiären Situation unter einem „burn-out-Syndrom“ gelitten, mag allenfalls seine damalige (vorübergehende) gesonderte Wohnungsnahme rechtfertigen, nicht aber seinen endgültigen Auszug aus der Ehewohnung im Jahr 2009. Vertretbar ist die Ansicht, dass der Beklagte den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung leistete, indem er endgültig die Ehewohnung verließ, weshalb das Berufungsgericht diesem Verhalten bei der Verschuldensabwägung auch entsprechendes Gewicht zugemessen hat.

2. Eine unheilbare Ehezerrüttung iSd § 49 EheG ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS-Justiz RS0056832). Die Frage, ob und wann eine Ehe objektiv zerrüttet ist, ist eine auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen nach objektivem Maßstab zu beurteilende Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0043423).

Das Berufungsgericht legte seiner Entscheidung zu Grunde, die Ehe sei zum Zeitpunkt des Auszugs des Beklagten aus der Ehewohnung im Mai 2009 trotz der Spannungen noch nicht objektiv unheilbar zerrüttet gewesen, sodass die Klägerin das Verlassen der Ehewohnung als ehezerstörend ansehen musste. Demgegenüber vermeint der Beklagte, die nach objektivem Maßstab unheilbare Zerrüttung sei bereits zuvor (also vor Mai 2009) eingetreten. Auch die Frage, ob noch eine Vertiefung der Zerrüttung als möglich anzusehen ist oder bereits ausgeschlossen werden kann, ist aber eine solche des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0056939 [T3]). Im Übrigen wird nicht vorgebracht, woraus sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben sollten, dass und zu welchem früheren Zeitpunkt die unheilbare Zerrüttung eingetreten sein sollte. Maßgeblich ist im Übrigen, ob eine Eheverfehlung die von § 49 EheG geforderte Zerrüttungswirkung herbeiführt, also vom anderen Teil als ehezerstörend angesehen wird, nicht aber ob dieser von dem ehezerstörenden Verhalten noch „überrascht“ ist (oder nicht).

3. Wie bereits die Vorinstanzen ausgeführt haben, sind die beiderseitigen Eheverfehlungen einander in ihrer Gesamtheit gegenüber zu stellen, wobei es nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten ankommt, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten (RIS-Justiz RS0057303, RS0057223, RS0057268). Das Berufungsgericht hat die der Klägerin vorgeworfenen Verfehlungen nicht als vernachlässigenswert angesehen. Es ging aber davon aus, in Anbetracht des Gesamtverhaltens der Ehegatten seien die dem Beklagten vorzuwerfenden Eheverfehlungen - vor allem aber die ungerechtfertigte Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft - so schwerwiegend, dass sie mit dem Verschulden der Klägerin nicht gleichzusetzen, sondern von überwiegender Bedeutung für die unheilbare Zerrüttung der Ehe seien. Diese Ansicht hält sich innerhalb der Bandbreite der oberstgerichtlichen Rechtsprechung.

Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war daher die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

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