OGH 10Ob8/19b

OGH10Ob8/19b19.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des * 2005 geborenen A*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter E*, vertreten durch die Dr. Helene Klaar Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Obsorge, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Oktober 2018, GZ 43 R 431/18b‑405, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 13. August 2018, GZ 7 Ps 133/10k‑398, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124229

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der * 2005 geborene A* ist der Sohn von J* und E* (der nunmehrigen Revisionsrekurswerberin). Die Eltern haben sich 2007 getrennt, ihre Ehe wurde 2010 geschieden. Das Kind wohnt im Haushalt der Mutter. Derzeit besteht ein Kontaktrecht des Vaters an jedem Donnerstag sowie alle vierzehn Tage über das Wochenende. Das Obsorgeverfahren ist seit 2007 anhängig. Von den Eltern wurde eine Vielzahl einander widersprechender Anträge gestellt (ua zur Auswahl der Schule und zur Ausübung des Kontaktrechts des Vaters im Spannungsfeld mit den Sportaktivitäten des Kindes). Aufgrund der konfliktbeladenen Verhältnisse der Eltern ist dem Kind seit 2014 ein Kinderbeistand zur Verfügung gestellt (ON 281).

Das Erstgericht sprach aus, dass die Obsorge beiden Eltern – mit Hauptaufenthalt des Kindes bei der Mutter  – zukomme und wies sowohl den Antrag des Vaters als auch den Antrag der Mutter auf Übertragung der alleinigen Obsorge ab. Es ordnete an, dass der Vater und die Mutter – jeweils getrennt – eine Elternberatung im Ausmaß von acht Stunden zu absolvieren haben, wobei der Nachweis des Besuchs der Elternberatung dem Gericht binnen neun Monaten zu erbringen ist.

Gegen einzelne Punkte diese Entscheidung erhob die Mutter Rekurs, der Vater ließ die Entscheidung unbekämpft.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist nicht zulässig.

1.1 Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalls, der in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann (RIS‑Justiz RS0007101), wenn durch die Entscheidung nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0115719 [T1]) oder das Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0115719 [T6 und T16]) verletzt wurden.

1.2 Maßstab für die Entscheidung über die Obsorge und der Frage, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird (§ 180 Abs 2 ABGB) ist das Kindeswohl. Auch für die Anordnung oder die Belassung der beiderseitigen Obsorge – die seit dem KindNamRÄG 2013 nunmehr die Regel sein soll (RIS‑Justiz RS0128811) – ist maßgebend, ob die Interessen des Kindes auf diese Weise am besten gewahrt werden können. Das Kindesinteresse ist dem Willen der Eltern dabei übergeordnet (vgl RIS‑Justiz RS0130247). Die Obsorge beider Eltern kann daher auch gegen den Willen beider oder gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden (RIS‑Justiz RS0128810).

1.3 Als wichtiges Kriterium des Kindeswohls erwähnt § 138 Z 5 ABGB die Berücksichtigung der Meinung des Kindes in Abhängigkeit von dessen Verständnis und der Fähigkeit der Meinungsbildung. Der Wille des Kindes bildet somit ein relevantes Kriterium (RIS‑Justiz RS0048820 [T11]), wobei die Rechtsprechung im Regelfall ab dem 12. Lebensjahr von der Urteilsfähigkeit eines Kindes bezüglich einer Obsorgezuteilung ausgeht (RIS‑Justiz RS0048820 [T9]; 10 Ob 53/16s).

2.1 Die Erstrichterin hat im Mai 2018 das damals fast 13jährige Kind in Anwesenheit eines Vertreters der Familiengerichtshilfe angehört und befragt. Das Kind gab an, dass es seinen hauptsächlichen Aufenthalt weiterhin bei der Mutter haben wolle und sich an der jetzigen Situation nichts ändern solle, es wünsche sich aber, dass sich der Vater ihm während den Besuchen mehr zuwende (ON 391).

2.2 Weiters hat das Erstgericht eine fachliche Stellungnahme der Familiengerichtshilfe zum Obsorgeantrag der Mutter und auch zur Kommunikationsbasis der Eltern iSd § 106a Abs 4 AußStrG eingeholt. Diese erbrachte das Ergebnis, die gemeinsame Obsorge und der (weitere) hauptsächliche Aufenthalt bei der Mutter entspreche am ehesten dem Wohl des Kindes. Beide Elternteile seien um das Wohlergehen des Kindes bemüht. Die alleinige Obsorge der Mutter würde den Vater gänzlich aus dem familiären Geschehen ausschließen, was eine Verschlechterung des überaus wichtigen Vater‑Sohn‑Verhältnisses befürchten lasse (ON 396).

3.1 Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge die Bereitschaft und Fähigkeit beider Elternteile zur Beteiligung bzw Mitwirkung an der Betreuung des Kindes voraussetzt (vgl RIS‑Justiz RS0130248). Die sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern erfordert daher ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit sowie an Kommunikationsbereitschaft der Eltern. Um Entscheidungen möglichst übereinstimmend im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in sachlicher Form Informationen auszutauschen und Entschlüsse zu fassen (vgl RIS‑Justiz RS0128812).

3.2 Zu beurteilen ist daher, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern bereits vorhanden ist oder ob in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet oder eine solche zumindest hergestellt werden kann (RIS‑Justiz RS0128812). Zur Herstellung der nötigen Gesprächsbasis ist bei ausreichender Aussicht auf Erfolg auch auf die vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Mittel des § 107 Abs 3 AußStrG zurückzugreifen. Ganz allgemein sind an die Aussicht auf Erfolg zur Herstellung einer erforderlichen Gesprächsbasis keine strengen Anforderungen zu stellen (8 Ob 152/17m = EF‑Z 2018/124, 281 [Pfurtscheller]). Schwierigkeiten im gegenseitigen Umgang und Probleme in der Kommunikation sind für einen Obsorgestreit mehr oder weniger typisch.

4.1 Die Vorinstanzen gingen davon aus, den Eltern sei es zwar seit ihrer schon mehr als zehn Jahre zurückliegenden Trennung nicht mehr gelungen, eine konstruktive Kommunikationsbasis aufzubauen (was für das Kind sehr belastend sei), dennoch sei zumindest in absehbarer Zukunft die Herstellung einer entsprechenden Gesprächsbasis zu erwarten. Diese Prognose gründete das Erstgericht nicht nur auf die Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe, nach der beide Elternteile im Interesse des Kindes bereit sind, mit fachlicher Hilfe an einer Verbesserung ihrer Kommunikation zu arbeiten, sondern auch darauf, dass die Eltern in der Vergangenheit – wenn auch nur unter Inanspruchnahme fachkundiger Anleitung des Gerichts und der Familiengerichtshilfe – zu Lösungen betreffend die Ausübung des Kontaktrechts und die Wahl der Schule gelangt sind. Zudem ergibt sich aus der Stellungnahme der Familiengerichtshilfe, dass der erste wesentliche Schritt zu einer Verbesserung der elterlichen Kommunikation durch die Beendigung des langwierigen Obsorgeverfahrens bewirkt werden wird; durch die Verfahrensbeendigung werde auch die dringend erforderliche Entlastung des Kindes eintreten (Seite 19 der Stellungnahme ON 396).

4.2 Wenngleich zwischen den Eltern Kommunikationsschwierigkeiten bestehen, haben diese – zusammenfassend – kein Niveau erreicht, das einer Obsorge beider Eltern entgegensteht. Wenn die Vorinstanzen – insbesondere im Hinblick auf den verpflichtenden Besuch einer Elternberatung (§ 107 Abs 3 AußStrG) – von einer günstigen Prognose für eine verantwortungsvolle Kommunikation und Kooperation ausgegangen sind, hält sich dies im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung. Mit ihrem Standpunkt, es fehle jetzt und auch in Zukunft an jeglicher Kommunikationsbasis, zeigt die Revisionsrekurswerberin keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil die Frage, der die diesbezüglichen Voraussetzungen für die Obsorge beider Eltern vorliegen, nur einzelfallbezogen beantwortet werden kann (RIS‑Justiz RS0128812 [T15]). Ein Grundsatz, wonach eine Kommunikation der Eltern per SMS und E‑Mail für eine sinnvolle Ausübung einer beiderseitigen Obsorge nicht genüge, besteht nicht. Vielmehr kommt es für eine verantwortungsvolle Kommunikation in erster Linie auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch an und nicht auf die Art der Nachrichtenübermittlung. Mittels E‑Mail kann beispielsweise durchaus auf einer sachlichen Ebene miteinander kommuniziert werden (10 Ob 22/16s).

5.1 Auch die Frage, welche konkreten Beweise bei der Obsorgeentscheidung aufzunehmen sind und in welchem Umfang Beweisanboten einer Partei zu entsprechen ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0114147 [T1]). Die Nichtvernehmung einer Partei zu Beweiszwecken (hier die Einvernahme der Mutter zu ihren Verfahrensstandpunkten durch die erkennende Erstrichterin) stellt schon begrifflich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar (vgl RIS‑Justiz RS0042237; siehe auch RS0006048). Wenngleich eine Stellungnahme der Familiengerichtshilfe zwar nicht einem Sachverständigengutachten iSd §§ 351 ff ZPO gleichzusetzen ist (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 106a Rz 31), kann sie im Einzelfall im Obsorgeverfahren im Zusammenhalt mit anderen Beweismitteln eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für eine Obsorgeentscheidung darstellen (vgl RIS‑Justiz RS0006272 [T1]).

5.2 Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz bildet keinen Revisionsrekursgrund. Dieser Grundsatz wird nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur dann durchbrochen, wenn dies aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0030748 [T18]). Gründe dieser Art werden im Rechtsmittel nicht dargelegt und ergeben sich nicht aus dem Akteninhalt.

6. Da die Revisionsrekurswerberin nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigt, ist ihr Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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