European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00075.14Y.0324.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Der Kläger war selbständiger Handelsvertreter des deutschen Unternehmens T***** GmbH für das Gebiet der Republik Österreich, als über deren Vermögen am 1. 7. 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dieses Unternehmen produzierte und vertrieb Koffer, Reisegepäck, Taschen, Rucksäcke und Ähnliches.
Mit Kaufvertrag vom 19. 8. 2011 erwarb die Beklagte mit Übergabestichtag 1. 9. 2011 verschiedene Vermögenswerte aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin, darunter den gesamten Kundenstamm und die Marke T*****, unter der die Produkte in der Folge vertrieben wurden. Die Produktionsstätte erwarb eine andere Gesellschaft. Die Beklagte war zuvor nicht im Geschäftsfeld der Insolvenzschuldnerin tätig. Der Kläger setzte seine Tätigkeit als Handelsvertreter für die Beklagte ab September 2011 auf der Grundlage seines früheren Handelsvertreterverhältnisses zur Insolvenzschuldnerin fort.
Aufgrund der Insolvenz und der damit verbundenen Lieferschwierigkeiten hatten sich einige frühere Kunden des Klägers bei Konkurrenzunternehmen mit Ware eingedeckt. Es bestand auch eine gewisse Verunsicherung bei den Kunden. Der Kläger war daher nach Wiederbeginn im September 2011 vorrangig bemüht, seine früheren Kunden wieder an sich zu binden, um entsprechende Umsätze zu erreichen.
Der Bestellvorgang lief so ab, dass der Kläger seinen Kunden in Österreich die Kollektion, die er von der Beklagten gekauft hatte, präsentierte, die Bestellungen in einem Formular aufnahm und dieses an die Beklagte weiterleitete. Er organisierte auch Messen in Österreich, auf denen Kunden Bestellungen aufgaben. Kunden aus Österreich bestellten auch direkt bei der Beklagten. Hiefür war Voraussetzung, dass die Kunden die zu bestellenden Produkte bereits aus einer früheren Präsentation durch den Kläger kannten.
Mit Stichtag 31. 7. 2012 verkaufte die Beklagte den Kundenstamm und die Marke „T*****“ an die T***** H***** GmbH. Anfang Juli 2012 ging dem Kläger die Kündigung seines Handelsvertretervertrags mit der Beklagten zum 31. 7. 2012 zu. Von September 2011 bis Juli 2012 betreute er für die Beklagte 127 Kunden in Österreich. Davon waren 121 bereits Kunden der T***** GmbH gewesen, die von der Beklagten als Kundenstamm der Insolvenzschuldnerin erworben worden waren. Sechs Kunden wurden vom Kläger neu akquiriert. Als seinerzeitiger Handelsvertreter der Insolvenzschuldnerin hatte er in den letzten 20 Monaten vor der Insolvenzeröffnung einen monatlichen Durchschnittsumsatz von rund 41.500 EUR erzielt. Der Gesamtumsatz aus der Tätigkeit für die Beklagte bis Juli 2012 betrug 271.704 EUR. Von der Beklagten erhielt der Kläger insgesamt 29.457,41 EUR an Provision.
Der Kläger begehrt mit seiner Klage ‑ soweit Gegenstand des Rekursverfahrens ‑ von der Beklagten Zahlung von 30.426,70 EUR sA. Er habe Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in dieser Höhe nach § 24 HVertrG, habe er doch der Beklagten im Ergebnis „Neukunden“ zugeführt. Die Beklagte habe den Kundenstamm durch Verkauf genutzt. Die Aufbauarbeit des Klägers habe sich im höheren Kaufpreis, der für ein lebendes Unternehmen samt Kundenstock gezahlt werde, ausgewirkt.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die von der Insolvenzschuldnerin „erworbenen“ Kunden seien nicht als Neukunden zu werten, die ihr der Kläger, mit dem sie ein neues Vertragsverhältnis begründet habe, zugeführt habe, zumal der wesentliche Teil des Kaufpreises auf den gekauften Kundenbestand entfallen sei. Es seien auch „laufende Geschäftsbeziehungen gekauft“ worden, „die von der Geschäftsleitung angeschrieben und überwiegend auch faktisch auf die neue Gesellschaft übergeführt worden seien“.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren in dem noch strittigen Umfang ab. Die im gekauften Kundenstock enthaltenen Kunden seien dem Kläger nicht als von ihm geworbene Kunden zuzurechnen. Der mit den tatsächlich neu zugeführten Kunden erzielte Umsatz sei so gering (6.251 EUR) gewesen, dass man von einem das Vertragsverhältnis überdauernden Vorteil nicht sprechen könne.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob das Urteil des Erstgerichts auf. Da die Beklagte vor der Übernahme der Vermögenswerte der Insolvenzschuldnerin nicht in deren Geschäftsfeld tätig gewesen sei, seien alle früheren Kunden der Insolvenzschuldnerin, mit denen die Beklagte unter Vermittlung des Klägers erstmals Geschäfte abgeschlossen habe, neue Kunden der Beklagten im Sinn des § 24 Abs 1 Z 1 HVertrG. Soweit nicht Dauerschuldverhältnisse (Liefer- oder Bezugsverträge) übernommen würden, würden nur Informationen über die Kundenbeziehungen des insolventen Unternehmens erworben (Kundendaten), nicht aber die Kunden selbst. Dies begründe noch keine Geschäftsbeziehung des neuen Unternehmens mit diesen Kunden. Die Geschäftsbeziehung werde erst durch den Abschluss entsprechender Verträge begründet. Kämen diese Verträge unter Mitwirkung des Handelsvertreters zustande, habe er die Kunden des Insolvenzschuldners dem neuen Unternehmen neu zugeführt. Vor diesem Hintergrund reichten die Feststellungen des Erstgerichts für die Beurteilung der Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs nicht aus.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Zurechnung bei Ankauf und Zurverfügungstellung von Kundendaten im Rahmen der Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach § 24 Abs 1 HVertrG fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Kläger beantwortete Rekurs der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1. Die Rekurswerberin macht geltend, der Kläger habe aufgrund der „Überführung“ des bestehenden Kundenstamms auf die Beklagte und des Eintritts der Beklagten in laufende Geschäftsbeziehungen der Insolvenzschuldnerin durch die Beklagte sowie mangels Erweiterung/Vertiefung dieser bereits bestehenden Geschäftsverbindungen keinen Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte.
Hiezu wurde erwogen:
2. Zunächst ist festzuhalten, dass die Beklagte nach ihrem Vorbringen das Unternehmen der Insolvenzschuldnerin nicht erwarb. Sie selbst spricht von einem „Asset‑Deal“. Es wurde auch weder festgestellt noch von der Beklagten behauptet, dass sie in Lieferverträge der Insolvenzschuldnerin eintrat. Sie brachte vor, lediglich Verpflichtungen aus Arbeitsverhältnissen übernommen zu haben und „laufende Geschäftsbeziehungen gekauft“ zu haben, die „überwiegend faktisch auf die neue Gesellschaft übergeführt“ worden seien. Die Auslegung des Berufungsgerichts, sie habe damit nicht vorgebracht, bestehende Dauerschuldverhältnisse ([langfristige] Liefer- oder Bezugsverträge) übernommen zu haben, ist nicht zu beanstanden. Soweit die Rechtsrüge von Gegenteiligem ausgeht, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt.
3. Zutreffend und auch nicht bekämpft ist die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Sachverhalt nach österreichischem Sachrecht zu beurteilen ist, haben sich doch die Streitteile übereinstimmend darauf berufen (RIS‑Justiz RS0040169).
4. Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters ist unter anderem, dass der Handelsvertreter dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat (§ 24 Abs 1 Z 1 HVertrG). Der Oberste Gerichtshof billigt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die sich insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und die beinahe einhellige Meinung in der Literatur zum vergleichbaren § 89b Abs 1 dHGB (vgl 9 Ob 21/13y) stützt:
5. Neu zugeführt im Sinn des § 24 Abs 1 Z 1 HVertrG ist ein Kunde, mit dem der Unternehmer zu Beginn des Handelsvertreterverhältnisses noch nicht in Geschäftsverbindung stand (6 Ob 170/02x; RIS‑Justiz RS0108023 [T1]; Nocker, Kommentar zum Handelsvertretergesetz § 24 Rz 435; ders, Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Vertragshändlers und Franchisenehmers Rz 280; Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz § 24 Rz 54; Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses 33), sondern erstmals unter Einschaltung des Handelsvertreters ein Geschäft mit dem Unternehmer abgeschlossen hat; das gilt auch für Kunden, die der Handelsvertreter aus einer früheren Vertretung in das neue Vertragsverhältnis einbringt (8 ObA 272/99d; Nocker, Kommentar zum Handelsvertretergesetz § 24 Rz 438; ders, Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Vertragshändlers und Franchisenehmers Rz 282; Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz § 24 Rz 55; von Hoyningen-Huene in MünchKommHGB³ § 89b Rz 57; Emde in Staub, Großkommentar HGB5 § 89b Rz 61 f; Sonnenschein/Weitemeyer in Heymann, HGB² § 89b Rz 24; Genzow in Ensthaler, Gemeinschaftskommentar zum HGB mit UN‑Kaufrecht § 89b Rz 12; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB36 § 89b Rz 14). Der Begriff des Neukunden ist branchenbezogen. Als Neukunde ist deshalb ein Kunde auch dann anzusehen, der schon bisher mit dem Unternehmer in Geschäftsbeziehungen stand, wenn er für einen anderen Geschäftszweig geworben wurde (Nocker, Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Vertragshändlers und Franchisenehmers Rz 289; Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz § 24 Rz 55; Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses 33; BGH VIII ZR 354/97, NJW 1999, 2668; Emde in Staub, Großkommentar HGB5 § 89b Rz 61; von Hoyningen‑Huene in MünchKommHGB³ § 89b Rz 59; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB36 § 89b Rz 14; Busche in Oetker, Kommentar zum HGB³ § 89b Rz 12). Ein Handelsvertreter führt dem Unternehmer auch dann neue Kunden zu, wenn er aufgrund einer ihm vom Geschäftsherrn ausgehändigten Liste die darin verzeichneten Unternehmen aufsucht und diese in der Folge erstmals zu Kunden des Unternehmens werden (RIS‑Justiz RS0108023).
6. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass alle früheren Kunden der Insolvenzschuldnerin, mit denen die Beklagte durch Vermittlung des Klägers erstmals Geschäfte abschloss, als vom Kläger zugeführte Neukunden anzusehen sind, weil sie vor der Übernahme der Vermögenswerte der Insolvenzschuldnerin per 1. 9. 2011 nicht in deren Geschäftsfeld tätig war, ist demnach zutreffend. Entgegen der Ansicht der Beklagten ändert daran nichts, dass sie den Kundenstamm der Insolvenzschuldnerin vom Insolvenzverwalter erwarb. Da sie im Geschäftsfeld der Insolvenzschuldnerin noch nicht tätig war, konnte sie im neuen Geschäftszweig noch keine Alt- oder Bestandskunden haben. Kaufen konnte sie vom Insolvenzverwalter nicht die Kunden selbst, sondern lediglich die Information über die Kundenbeziehungen der Insolvenzschuldnerin. Diese Information über die Stammkunden der Insolvenzschuldnerin begründete noch keine Geschäftsbeziehung der neu in diesem Geschäftszweig tätig werden wollenden Beklagten mit diesen Kunden, selbst wenn sie von diesen bei der Insolvenzschuldnerin gekaufte Waren ausgeliefert hätte. Denn auch in diesem Fall eröffnete der Beklagten der Erwerb des Kundenstamms lediglich die Chance, dass die Stammkunden der Insolvenzschuldnerin auch mit der Beklagten eine Geschäftsbeziehung eingehen werden, die erst durch den Abschluss entsprechender Verträge begründet wird. Kamen diese Verträge durch Vermittlung des Klägers zustande, so hat er die Kunden des insolventen Unternehmens als (neue) Stammkunden der Beklagten zugeführt (vgl Nocker, Kommentar zum Handelsvertretergesetz § 24 Rz 439; ders, Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, Vertragshändlers und Franchisenehmers Rz 283; BGH VIII ZR 222/10, NJW 2012, 304; Emde in Staub, Großkommentar HGB5 § 89b Rz 68; von Hoyningen‑Huene in MünchKommHGB³ § 89b Rz 57; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB36 § 89b Rz 14; Sonnenschein/Weitemeyer in Heymann, HGB² § 89b Rz 24; Busche in Oetker, Kommentar zum HGB³ § 89b Rz 12; Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB³ § 89b Rz 221; Thume in Röhricht, HGB4 § 89b Rz 65; aA Schmitz, Handelsvertreterausgleichsansprüche bei Asset‑Deals, ZIP 2003, 59 zu Unternehmensveräußerungen allgemein).
7. Rechtsfehler der weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts zu den übrigen Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters und zu dessen Bemessung zeigt die Rekurswerberin nicht auf.
8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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