OGH 10Ob74/16d

OGH10Ob74/16d20.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Schramm als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M*****, Rechtsanwalt, *****, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Ferner, Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Unterlassung (6.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 8. September 2016, GZ 4 R 205/16z‑10, mit dem über Rekurs der klagenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 26. Juli 2016, GZ 12 C 182/16p‑5, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0100OB00074.16D.1220.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Die Einrede der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit und der fehlenden örtlichen Zuständigkeit wird verworfen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 522,46 EUR (darin 87,08 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 1.305 EUR (darin 104 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Gestützt auf den Gerichtsstand nach § 81 JN begehrt der Kläger, die beklagte Partei, eine GmbH mit dem Sitz in Deutschland, zu verpflichten, es zu unterlassen, Fahrzeuge im Bereich des Hofes nördlich eines bestimmten Hauses in Innsbruck derart abzustellen, dass es dem Kläger unmöglich sei, seinen Autoabstellplatz mit der Nr 5 zu benützen. Der Kläger brachte dazu vor, dass er Mieter dieses Autoabstellplatzes mit der Nr 5 sei; der Abstellplatz sei durch Bodenmarkierung und durch Beschilderung deutlich erkennbar gekennzeichnet. Trotz dieser mehrfachen Hinweise habe die beklagte Partei bzw eine ihr zurechenbare Person das auf sie zugelassene Fahrzeug im Hofeingang so abgestellt, dass es dem Kläger unmöglich gewesen sei, am 5. Jänner 2016 um 18:30 Uhr seinen Autoabstellplatz zu benützen.

Die beklagte Partei erhob die Einrede der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit und/oder der fehlenden örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts Innsbruck und beantragte im Übrigen die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht sprach aus, dass es zur Führung der Rechtssache örtlich und international unzuständig sei. Für eine Unterlassungsklage des Mieters, die auf Abwehr von Eingriffen in das Bestandrecht gegen einen kein besseres oder gleichwertiges Recht nachweisenden Dritten gerichtet sei, begründe § 81 JN keine Zuständigkeit des Gerichts des Belegenheitsortes. Des Weiteren lasse sich auch keine Zuständigkeit aus den Bestimmungen der Brüssel Ia‑VO, insbesondere aus deren Art 7 Z 2 ableiten. Die Klage sei daher – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – zurückzuweisen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Satz „Die Klage wird zurückgewiesen“ ergänzend in den Spruch aufgenommen wurde. Die Klage des Mieters auf Unterlassung verfolge nicht den Schutz eines dinglichen Rechts im eigentlichen Sinn und falle daher (auch) nicht in den Anwendungsbereich des Art 24 Z 1 Brüssel Ia‑VO.

Der Revisionsrekurs sei wegen des Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob die Klage des Mieters gegen Dritte auf Unterlassung von Störungen den Tatbestand der internationalen Zuständigkeit nach Art 24 Z 1 Brüssel Ia‑VO begründe, zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der klagenden Partei aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem erkennbaren Antrag auf Abänderung dahin, dass die Einrede der beklagten Partei verworfen wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Klarstellung zulässig. Er ist – im Ergebnis – auch berechtigt.

Die Rechtsmittelausführungen des Klägers lassen sich dahin zusammenfassen, dass ihm als Mieter– entsprechend der Entscheidung 10 Ob 506/95 – der Gerichtsstand des § 81 JN zur Verfügung stehe, wodurch auch die inländische Gerichtsbarkeit begründet sei. Die inländische Gerichtsbarkeit und die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts würden sich im Übrigen auch aus Art 24 Z 1 Brüssel Ia‑VO ergeben.

Dazu wurde erwogen:

1. Betreffend die inländische Gerichtsbarkeit (im Sinne der internationalen Zuständigkeit) fällt die hier zu beurteilende Klage in den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia‑VO (EuGVVO 2012). Dies ergibt sich aus Art 5 Abs 1 der Verordnung bzw – für den Fall der Anwendbarkeit des Art 24 Z 1 Brüssel Ia‑VO – aus dem Einleitungssatz zu Art 24. In Bezug auf die inländische Gerichtsbarkeit (im Sinne der internationalen Zuständigkeit) verdrängt die Brüssel Ia‑VO in ihrem Anwendungsbereich die Bestimmungen der JN zur Gänze (RIS‑Justiz RS0106679 [T6]; Simotta in Fasching/Konecny 3 Art 3 EuGVVO Rz 4).

2. Materiell‑rechtlich steht dem Mieter für sein gegen einen dritten Störer gerichtetes Begehren auf Unterlassung die publizianische Klage nach § 372 ABGB zur Verfügung (RIS‑Justiz RS0010655).

3. Im Kontext der internationalen Zuständigkeit kommen für diese Klage (allenfalls neben dem hier nicht relevanten allgemeinen Gerichtsstand nach Art 4 Brüssel Ia‑VO) der ausschließliche Gerichtsstand nach Art 24 Z 1 und der besondere Gerichtsstand nach Art 7 Z 2 Brüssel Ia‑VO in Betracht, je nachdem, ob die publizianische Klage dinglich oder deliktisch einzuordnen ist.

4. Da der ausschließliche Gerichtsstand dem besonderen Gerichtsstand vorgeht (Simotta in Fasching/Konecny 3 Art 22 EuGVVO Rz 2), ist in erster Linie zu klären, ob das hier zu beurteilende Unterlassungsbegehren „ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache“ zum Gegenstand hat. Der Europäische Gerichtshof musste sich bisher noch nicht dazu äußern, ob eine publizianische Unterlassungsklage unter Art 24 Z 1 Brüssel Ia‑VO fällt. Allerdings hat er in der Entscheidung vom 18. Mai 2006, C‑343/04 , ČEZ, die eine Immissionsabwehrklage nach § 364 Abs 2 ABGB betraf, das Begriffsverständnis des „dinglichen Rechts“ iSd Art 16 Z 1 lit a EuGVÜ (nun Art 24 Z 1 Brüssel Ia‑VO) dahingehend konkretisiert, dass eine Klage nicht unter diese Bestimmung fällt, die – wie die im Ausgangsverfahren (3 Ob 266/03v) nach § 364 Abs 2 ABGB eingebrachte – darauf gerichtet ist, schädliche Einwirkungen zu verhindern, die von einem in einem Nachbarstaat gelegenen Atomkraftwerk ausgehen und im Eigentum der klagenden Partei stehende Liegenschaften beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen.

4.1. Diese Entscheidung wurde sowohl im österreichischen (anstatt vieler Musger, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, Zak 2006, 203; Oberhammer in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 364 Rz 25) als auch im deutschen Schrifttum (anstatt vieler Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 [2015] Art 24 Brüssel Ia‑VO Rz 22, 24 f) überwiegend positiv aufgenommen.

4.2. Wenn nach dem EuGH (und der ganz überwiegenden Lehre) bereits eine aus dem Eigentumsrecht abgeleitete Unterlassungsklage keine Klage aus einem „dinglichen Recht“ iSd Art 16 Z 1 lit a EuGVÜ bzw Art 24 Z 1 Brüssel Ia‑VO ist, muss dies erst recht für ein bloß publizianisches Unterlassungsbegehren (§ 372 ABGB) gelten.

Damit steht dem Kläger der Gerichtsstand nach Art 24 Z 1 Brüssel Ia‑VO nicht zur Verfügung.

5. Zu prüfen ist daher, ob die inländische Gerichtsbarkeit (im Sinne der internationalen Zuständigkeit) aus Art 7 Z 2 Brüssel Ia‑VO abgeleitet werden kann.

5.1. Diese Bestimmung, in der auch die örtliche Zuständigkeit geregelt wird (Simotta in Fasching/Konecny 3 Art 5 EuGVVO Rz 4), setzt voraus, dass die beklagte Partei– so wie im vorliegenden Fall – ihren Sitz in einem Mitgliedstaat hat und in einem anderen Mitgliedstaat geklagt wird.

5.2. Die ganz herrschende Meinung subsumiert– auch vorbeugende – Unterlassungsklagen des Grundeigentümers gegen einen dritten Störer unter Art 7 Z 2 Brüssel Ia‑VO (anstatt vieler BGH II ZR 329/03, NJW 2006, 689; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 7 EuGVVO Rz 122; Simotta in Fasching/Konecny 3 Art 5 EuGVVO Rz 274; Stadler in Musielak, ZPO13 Art 7 EuGVVO Rz 17).

5.3. Nach den Klagebehauptungen liegen im vorliegenden Fall sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort in Innsbruck, weshalb die internationale und die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts Innsbruck begründet ist.

In diesem Sinn sind die Entscheidungen der Vorinstanzen abzuändern.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Das Verfahren über die Einrede der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit ist ein Zwischenstreit, der mit dieser Entscheidung entschieden wurde (RIS‑Justiz RS0035955). Kosten von Prozesshandlungen, die im fortgesetzten (Haupt‑)Verfahren verwertbar sind, sind im Rahmen der Entscheidung über die Kosten dieses Zwischenstreites nicht zuzusprechen. Im Hauptverfahren nicht verwertbare Kosten des Zuständigkeitsstreits sind aber in erster Instanz nicht entstanden, weshalb der Kläger Anspruch auf Ersatz seiner Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens im verzeichneten Ausmaß hat.

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