OGH 10Ob6/12y

OGH10Ob6/12y14.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin S***** AG, *****, vertreten durch Lambert Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Antragsgegnerin Stadt Wien, MA 64, *****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen Entschädigung nach § 58 BO für Wien, infolge Revisionsrekurses beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 11. November 2011, GZ 43 R 450/11m-21, womit infolge Rekurses der Antragsgegnerin der Zwischenbeschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 20. Juni 2011, GZ 41 Nc 6/11g-15, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beiden Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens.

Text

Begründung

Die Liegenschaft EZ *****, Grundbuch KG *****, wurde mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 16. 4. 1991 als Bauplatz genehmigt. Dabei wurde das Grundstück 508/3 zum Zwecke des Straßenbaus unentgeltlich in das öffentliche Gut abgetreten und im Flächenwidmungsplan als Verkehrsfläche umgewidmet. Im Jahr 2009 erfolgte eine Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans. Dabei wurde ein Teil des Grundstücks 508/3 als Verkehrsfläche aufgelassen und im Ausmaß von 6.025 m² als Schutzgebiet-, Wald- und Wiesengürtel gewidmet. Eine weitere Fläche des Grundstücks im Ausmaß von 279 m² verblieb in der gewidmeten Verkehrsfläche, fiel jedoch aufgrund einer geänderten Baulinienführung nicht mehr in die Abtretungsverpflichtung der Liegenschaft der Antragstellerin. Die gegenständlichen Grundflächen wurden nicht straßenmäßig ausgebaut und werden zu dem ursprünglich gedachten Zweck der Errichtung einer Verkehrsfläche nicht mehr benötigt.

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 25. 10. 2010 wurde der Antragstellerin als nunmehrige Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** des Grundbuchs der KG ***** gemäß § 58 Abs 1 und 2 lit d der Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO) eine Mehrleistungsentschädigung für insgesamt 6.304 m² zu viel abgetretenen Straßengrund in der Höhe des vollen Grundwerts, das waren 11 EUR pro m² für den der Widmung Schutzgebiet-, Wald- und Wiesengürtel zuzuordnenden Teil der Entschädigungsfläche im Ausmaß von 6.255 m² und 250 EUR pro m² für den der Widmung Gemischtes Baugebiet, Geschäftsviertel, Bauklasse II (zwei), geschlossen, zuzuordnenden Teil der Entschädigungsfläche im Ausmaß von 49 m², insgesamt daher 81.055 EUR, zuerkannt.

Die Antragstellerin stellte gemäß § 58 Abs 4 iVm § 59 Abs 8 BO den Antrag auf Entscheidung durch das Gericht und begehrte, die Entschädigung auf Basis eines Baulandpreises von 250 EUR pro m² und somit mit einem Gesamtbetrag von 1.576.000 EUR festzusetzen. Im Rahmen einer Entschädigung von Grundflächen, die nicht rückübertragen werden können, sei der volle Grundwert zu ersetzen, wie er sich aufgrund der Widmung des Grundes im Zeitpunkt der Abtretung ergebe. Daher sei die nach der Abtretung von der Antragsgegnerin umgewidmete Fläche nicht zum Grünlandpreis, sondern zum Baulandpreis zu entschädigen. Die Behörde gehe im angefochtenen Bescheid unrichtigerweise davon aus, dass dies nur für jene Flächen gelte, die nach wie vor im Bauland liegen, nicht jedoch für die zwischenzeitig umgewidmeten Flächen. Diese Rechtsansicht der beklagten Partei widerspreche nicht nur der Judikatur zur Höhe der Entschädigungsleistung aufgrund einer Enteignung, sondern sei auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich, da einerseits das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung verletzt werde und andererseits auch der Begriff der Enteignung unrichtig interpretiert werde.

Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Antrags. Die Regelung des § 58 Abs 2 lit d BO sichere dem Eigentümer einer Liegenschaft, von der seinerzeit ein Teil unentgeltlich zu einer Verkehrsfläche abgetreten wurde, einen Anspruch auf Rückstellung oder Entschädigung jener abgetretenen Flächen zu, die nach einer Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans nunmehr von dieser Liegenschaft nicht mehr abzutreten wären. Würden die Grundflächen der seinerzeit Enteigneten gemäß der zitierten Bestimmung unentgeltlich zurückgestellt, bekäme sie naturgemäß ebenfalls (zum weitaus überwiegenden Teil) Flächen mit der derzeitigen Widmung Schutzgebiet-, Wald- und Wiesengürtel. Eine Rückstellung sei im vorliegenden Fall nach den Bestimmungen der BO jedoch nicht möglich, sodass lediglich ein Anspruch auf Geldentschädigung - aber nur auf Basis der bestehenden Widmung - bestehe. Für den Großteil der zu entschädigenden Grundflächen im Ausmaß von 6.255 m² könne daher nur der Grundwert für die Widmung Schutzgebiet-, Wald- und Wiesengürtel herangezogen werden. Lediglich eine Teilfläche im Ausmaß von 49 m² sei nunmehr der Widmung Gemischtes Baugebiet, Geschäftsviertel, Bauklasse II (zwei), geschlossen, zuzuordnen und daher dieser Widmung entsprechend zu bewerten.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenbeschluss aus, dass „dem Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 58 Abs 4 iVm § 59 Abs 8 BO für Wien dem Grunde nach stattgegeben werde“. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, dass sowohl aufgrund allgemeiner Grundsätze des Entschädigungsrechts als auch aufgrund des Gleichheitssatzes für die Bemessung der Entschädigung die Widmung der Grundflächen im Zeitpunkt der Abtretung maßgebend sei. Der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Umwidmung, welche die Entschädigungspflicht ausgelöst habe, komme hingegen für die Bemessung der Entschädigung keine Bedeutung zu.

Das Rekursgericht hob über Rekurs der Antragsgegnerin den Zwischenbeschluss des Erstgerichts auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung (nach Verfahrensergänzung) auf. Es verwies darauf, dass die Antragsgegnerin durch die Begründung im angefochtenen Zwischenbeschluss beschwert sei. In der Sache selbst führte das Erstgericht aus, der Anspruch auf Entschädigung entstehe dadurch, dass eine Rückstellung der zu viel abgetretenen Grundflächen nicht erfolge. Eine Rückstellung würde jedoch diese Grundflächen mit der derzeit geltenden Flächenwidmung betreffen, weshalb auch die Entschädigung durch die derzeit gegebene Widmung bestimmt werde. Es sei jedoch auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung die Umwidmung eines Bauplatzes in Schutzgebiet-, Wald- und Wiesengürtel als „Sonderopfer“ ebenfalls eine Entschädigungspflicht auslösen könne. Während sich in dem von der Rechtsprechung zu beurteilenden Fall 2 Ob 52/99g mehrere Grundeigentümer gegenübergestanden seien, unter denen aus Gleichheitsgründen ein Ausgleich zu finden gewesen sei, seien hier jedoch nach dem bisherigen Vorbringen nur zwei Parteien vorhanden. Das Erstgericht werde daher im fortzusetzenden Verfahren zu prüfen haben, ob eine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Antragstellerin aus dem Titel der Entschädigung eines „Sonderopfers“ durch die Umwidmung bestehe.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer Rechtsprechung zu der vorliegenden Fallkonstellation zulässig sei.

Gegen diesen Beschluss richten sich die Revisionsrekurse beider Parteien. Die Antragstellerin macht als Rekursgründe Nichtigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses. Die Antragsgegnerin beantragt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin, dass die Mehrleistungsentschädigung für den zu viel abgetretenen Straßengrund in der im Bescheid angeführten Höhe von 81.055 EUR festgesetzt werde.

Die Antragsgegnerin erstattete auch eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, dem Revisionsrekurs der Antragstellerin keine Folge zu geben.

Die beiden Revisionsrekurse sind aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Es erscheint zweckmäßig, die beiden Rechtsmittel gemeinsam zu behandeln.

Die Antragstellerin macht in ihrem Rechtsmittel eine qualifiziert mangelhafte Beschlussfassung iSd § 57 Z 1 AußStrG geltend, weil das Rekursgericht nicht begründet habe, weshalb die nunmehrige Flächenwidmung und nicht die Flächenwidmung im Zeitpunkt der Enteignung die Grundlage für die Bemessung der Entschädigung darstellen soll.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

§ 57 Z 1 AußStrG entspricht im Wesentlichen § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (RIS-Justiz RS0121710). Diese im Außerstreitgesetz nicht ausdrücklich so bezeichnete Nichtigkeit liegt schon deshalb nicht vor, weil durch den geltend gemachten Begründungsmangel die Überprüfung der angefochtenen zweitinstanzlichen Entscheidung keineswegs gehindert wird (RIS-Justiz RS0121710 [T1]).

In der Sache selbst vertritt die Antragstellerin - zusammengefasst - weiterhin den Standpunkt, die Entschädigungsleistung sei bezogen auf die Widmung zur Zeit der Enteignung festzusetzen. Die Höhe der Entschädigungszahlung habe sich nach der Höhe des vollen Grundwerts zu richten. Dies bedeute, dass den vormaligen Eigentümern der durch die Enteignung erwachsene vermögensrechtliche Nachteil zu ersetzen sei, was einer völligen Schadloshaltung gleichkomme. Vor der Enteignung sei die Antragstellerin Eigentümerin einer Liegenschaft der Kategorie Bauland gewesen, weshalb ihr auch eine Entschädigung zum Baulandpreis zustehe. Darüber hinaus bestehe dieser Anspruch auch aus dem Aspekt der Entschädigung eines Sonderopfers durch Umwidmung.

Die Antragsgegnerin vertritt demgegenüber - zusammengefasst - den Standpunkt, die Entschädigung sei auf der Basis der bestehenden Widmung zu bemessen. Die Rechtsgrundlage des gegenständlichen Bescheids bestehe nicht in der seinerzeitigen Grundabtretung, sondern in der im Jahr 2009 erfolgten Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans, wodurch erst der Anspruch auf Mehrleistungsentschädigung gemäß § 58 Abs 2 lit d BO begründet worden sei. Die Frage eines „Sonderopfers“ im Rahmen der Bemessung einer Entschädigung nach § 58 Abs 1 BO stelle sich nicht, weil die Antragstellerin ein solches nicht erbracht habe. Es bestehe daher auch keine Notwendigkeit im fortgesetzten Verfahren die Anspruchsgrundlage der Entschädigung eines „Sonderopfers“ zu prüfen.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Zutreffend verweist die Antragsgegnerin in ihrer Revisionsrekursbeantwortung darauf, dass die beiden verschiedenen Tatbestände, nämlich die einer Enteignung gleichzuhaltende unentgeltliche - allerdings gegen Einräumung der Frontrechte und Wertsteigerung als Bauplatz - im Jahr 1991 erfolgte Abtretung des Grundstücks 508/3 in das öffentliche Gut einerseits und die in dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 25. 10. 2010 verfügte Entschädigung für die aus der Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans im Jahr 2009 resultierende teilweise Rückgängigmachung der seinerzeitigen Enteignung andererseits, zu unterscheiden sind.

1.1 Eine Abtretung von Grundflächen zu Verkehrsflächen anlässlich einer Abteilungsbewilligung stellt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs - so wie eine im Zusammenhang mit einer Bauplatzbewilligung erfolgte Abtretung - eine Enteignung dar (vgl VfSlg 16.838, 16.652 mwN). Wie der Verfassungsgerichtshof in dem Erkenntnis B 774/00, VfSlg 16.838, ausgeführt hat, bildet aber die in § 17 Abs 1 und 4 BO begründete Grundabtretungsverpflichtung in Anbetracht ihres gesetzlich beschränkten Ausmaßes und des gemäß § 17 Abs 1 BO dem Eigentümer weiterhin zustehenden Nutzungsrechts an der abzutretenden Grundfläche keinen besonderen, hinsichtlich seiner Schwere, etwa mit einer Enteignung des gesamten Grundstücks vergleichbaren Eigentumseingriff, sodass diese Verkehrsflächenwidmung und die daraus folgende - begrenzte - Grundabtretungsverpflichtung auch im Hinblick auf die Notwendigkeit einer langjährigen, vorausschauenden Verkehrsplanung von den an die geplante Verkehrsfläche angrenzenden Grundeigentümern hinzunehmen ist (vgl VfSlg 16.838 mwN; VfSlg 19.074). Wie der Verfassungsgerichtshof ebenfalls bereits wiederholt ausgesprochen hat, stehen im Fall der Erschließung eines Grundstücks einer unentgeltlichen Grundabtretungspflicht typischerweise auch „Aufschließungsvorteile“ gegenüber, die jede Neuanlage einer Verkehrsfläche für die angrenzenden Grundstücke mit sich bringt. Dazu gehören insbesondere auch die Werterhöhungen, die diese Grundstücke durch die Neuanlage von Verkehrsflächen erfahren (VfSlg 16.455, 3475 ua).

2. Der Verfassungsgerichtshof hat ua im Erkenntnis VfSlg 8981 ausführlich dargelegt, dass die Aufrechterhaltung einer einmal verfügten Enteignung verfassungsrechtlich unzulässig ist, wenn der öffentliche Zweck, zu dessen Verwirklichung ein Gesetz eine Enteignungsmöglichkeit vorsieht, tatsächlich nicht verwirklicht wird. Eine einfachgesetzliche Regelung, die eine Enteignung für einen bestimmten öffentlichen Zweck (dem Art 5 StGG entsprechend) für zulässig erklärt, enthalte wesensgemäß den Vorbehalt, dass es unzulässig sei, die Enteignung aufrecht zu erhalten, wenn der öffentliche Zweck vor seiner Verwirklichung wegfällt. Die Rückgängigmachung für den Fall der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zwecks sei dem Rechtsinstitut der Enteignung immanent (VfSlg 16.838 mwN).

2.1 Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Judikatur ebenfalls bereits ausgesprochen hat, ist die mit dem Rechtsinstitut der Enteignung wesensgemäß verbundene Rückgängigmachung in verschiedener Beziehung einer näheren Regelung zugänglich. Gegen eine Regelung, die - wie im vorliegenden Fall § 58 Abs 2 BO - den Anspruch auf Rückgängigmachung von einer entsprechenden Änderung des Bebauungsplans abhängig macht, bestehen keine Bedenken. Die Regelung des § 58 Abs 2 lit d BO entspricht insofern den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus der Sicht des Eigentumsschutzes, als sie die Rückgängigmachung einer Abtretung nicht nur dann vorsieht, wenn ihr Zweck (Errichtung der Verkehrsfläche) nie verwirklicht wurde, sondern auch, wenn eine bereits errichtete Verkehrsfläche in einem geänderten Bebauungsplan nicht mehr vorgesehen ist. Auch der Umstand, dass § 58 Abs 2 lit d BO dann, wenn „die seinerzeit gegenüber der neuen Verpflichtung zu viel abgetretene Grundfläche nicht in den Bauplatz oder in das Baulos“ fällt - wenn also der durch die Abtretung Belastete die abgetretenen Flächen - wie im vorliegenden Fall - nicht mit seinem Grundstück vereinigen kann und sie daher für ihn nicht verwendbar sind -, anstelle einer Rückstellung der Grundflächen in das Eigentum des durch die Abtretung Belasteten die Leistung einer „Geldentschädigung in der Höhe des vollen Grundwerts“ vorsieht, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (VfSlg 16.838, 16.652).

3. Welche Rechtswirkungen bei einer Änderung des Bebauungsplans eintreten, wenn anlässlich einer Abteilungsbewilligung Grundflächen zu Verkehrsflächen unentgeltlich abgetreten worden sind, bestimmt im Einzelnen § 58 Abs 2 BO. Danach hat der Eigentümer eines Bauplatzes oder Bauloses nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Anspruch auf Entschädigung für die Mehrleistung, die dadurch entstanden ist, dass das Ausmaß der zu Verkehrsflächen unentgeltlich abgetretenen Grundflächen bzw solcher, für die eine Geldleistung gemäß § 17 Abs 4a BO entrichtet wurde, nach dem zur Zeit der Abtretung in Geltung gestandenen Bebauungsplan größer war, als sie sich nach dem neuen Bebauungsplan ergeben würde (§ 58 Abs 2 lit d erster Satz BO). Fällt die seinerzeit gegenüber der neuen Verpflichtung zu viel abgetretene Grundfläche nicht in den Bauplatz oder in das Baulos, hat die Gemeinde an den Eigentümer des Bauplatzes oder Bauloses, von dem die Grundflächen seinerzeit unentgeltlich abgetreten worden sind, Geldentschädigung in der Höhe des vollen Grundwerts zu leisten (§ 58 Abs 2 lit d vierter Satz BO). Auf die Bemessung der Entschädigung ist § 57 BO anzuwenden; § 59 Abs 8 BO gilt sinngemäß. Die von der Gemeinde zu leistenden Entschädigungen sind fällig, sobald die abzutretenden Verkehrsflächen übergeben worden sind bzw mit Rechtskraft des Bescheids über die Festsetzung der Entschädigung, wenn keine Abtretungsverpflichtung besteht (vgl § 58 Abs 4 BO).

3.1 Nach § 57 Abs 2 BO hat die bei Enteignungen zu leistende Entschädigung den Ersatz aller dem Enteigneten und den an enteigneten Grundflächen dinglich Berechtigten durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile zu umfassen. Bei der Ermittlung der Entschädigung für Grundflächen und deren Zugehör ist in einem eigenen Verfahren der Wert (§ 305 ABGB) nach Zeit, Lage, Beschaffenheit und jenem Nutzen festzustellen, den jedermann bei vernünftigem Gebrauch erzielen kann (§ 57 Abs 3 BO). Aus § 57 Abs 3 BO iVm § 58 Abs 4 vorletzter Satz BO kann abgeleitet werden, dass die Höhe der Entschädigung nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit der Entschädigung zu bestimmen ist, zumal gemäß § 57 Abs 4 BO nur werterhöhende Veränderungen, die nach Einleitung des Enteignungsverfahrens erfolgen, nicht zu berücksichtigen sind (vgl VwSlg 14.615 A).

4. Im vorliegenden Fall erfolgte nach den zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin die „Enteignung“ durch Abtretung des Grundstücks 503/3 in das öffentliche Gut bereits aufgrund des Bescheids vom 16. 4. 1991 und besteht für eine - von der Antragstellerin inhaltlich angestrebte - Bemessung einer Enteignungsentschädigung keine Rechtsgrundlage. Die tatsächliche Rechtsgrundlage des verfahrensgegenständlichen Bescheids vom 25. 10. 2010 besteht in der im Jahr 2009 erfolgten Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans, wodurch erst der Anspruch auf Mehrleistungsentschädigung gemäß § 58 Abs 2 lit d BO begründet wurde. Durch die Rückgängigmachung einer Enteignung ist der seinerzeit Enteignete so zu stellen, als ob die Enteignung nicht stattgefunden hätte. Hätte die Eigentümerin der Liegenschaft die gegenständlichen Grundflächen seinerzeit nicht in das öffentliche Gut abgetreten, würden diese Flächen derzeit dennoch (zum weitaus überwiegenden Teil) die Widmung Schutzgebiet-, Wald- und Wiesengürtel aufweisen. Würden die Grundflächen der seinerzeit Enteigneten gemäß § 58 Abs 2 lit d BO unentgeltlich in natura zurückgestellt, bekäme sie ebenfalls (zum weitaus überwiegenden Teil) Flächen mit der derzeitigen Widmung Schutzgebiet-, Wald- und Wiesengürtel. Da eine Rückstellung der enteigneten Grundflächen im vorliegenden Fall unbestritten nicht möglich ist, besteht ein Anspruch auf Geldentschädigung. Diese ist aber nur auf Basis der bestehenden Widmung zu bemessen, da der Regelung des § 58 Abs 2 lit d BO nicht der Inhalt unterstellt werden kann, dass hier eine Besserstellung des Empfängers einer Geldentschädigung gegenüber dem Empfänger einer in natura zurückgestellten Grundfläche normiert werden soll.

5. Die Antragstellerin kann ihr Entschädigungsbegehren aber auch nicht mit Erfolg auf das Vorliegen eines „Sonderopfers“ stützen. Danach lösen nach der Rechtsprechung Eigentumsbeschränkungen (zB durch Rückwidmung) Entschädigungsansprüche aus, wenn ein Einzelner oder eine begrenzte Gruppe im Hinblick auf Intensität, Üblichkeit, Zumutbarkeit und Vorhersehbarkeit des Eingriffs in einer dem Gleichheitssatz widersprechenden Weise betroffen wird (vgl Eccher in KBB³ § 365 Rz 2; Spielbüchler in Rummel, ABGB³ § 365 Rz 9 jeweils mwN; RIS-Justiz RS0053461). Demnach ist es gleichheitswidrig, wenn durch eine entschädigungslose förmliche oder materielle Enteignung mehreren Personen zwar gleiche Vorteile, nicht aber auch gleiche Vermögenseinbußen entstehen (vgl Thalmann, Die Flächen(rück-)widmung als rechtfertigungsbedürftiger Eigentumseingriff, ecolex 2011, 388 ff [389] mwN).

5.1 Da der Antragstellerin im vorliegenden Fall eine „Geldentschädigung in der Höhe des vollen Grundwerts“ zu leisten ist (§ 58 Abs 2 lit d vierter Satz BO), und somit eine entschädigungslose „Enteignung“ nicht vorliegt, geht das Vorbringen der Antragstellerin im Hinblick auf die „Sonderopfer-Theorie“ ins Leere (vgl VfSlg 17.073). Im Übrigen wurde von der Antragstellerin auch gar nicht geltend gemacht, dass sie gegenüber anderen Personen in einer dem Gleichheitssatz widersprechenden Weise wirtschaftlich belastet würde.

6. Dennoch ist die Sache entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin noch nicht im Sinne einer Festsetzung der Mehrleistungsentschädigung für den zu viel abgetretenen Straßengrund in der im Bescheid angeführten Höhe von 81.055 EUR spruchreif, da das Erstgericht zur Höhe der der Antragstellerin gebührenden Entschädigung keine Feststellungen getroffen hat und eine eindeutige Außerstreitstellung der Höhe von der Antragstellerin nur in Bezug auf den Preis von 250 EUR pro m² für Bauland vorgenommen wurde.

Eine endgültige Sachentscheidung ist somit noch nicht möglich. Die Kostenentscheidung ist deshalb gemäß § 78 Abs 1 AußStrG der Endentscheidung vorzubehalten (vgl 4 Ob 168/11a).

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