Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Unterhaltsvorschussantrag des Minderjährigen abgewiesen wird.
Text
Begründung
Der Minderjährige ist der Sohn von R***** und A*****. Er ist in Obsorge seines Vaters.
Mit Beschluss vom 9. 2. 2010 verpflichtete das Erstgericht die Mutter, für ihren Sohn ab 1. 4. 2008 monatlich 90 EUR Unterhalt zu zahlen, wobei die künftig fällig werdenden Unterhaltsbeiträge am Ersten eines jeden Monats im Voraus zu leisten seien. Dieser Beschluss wurde der Mutter am 16. 2. 2010 zugestellt und erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
Am 26. 3. 2010 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Minderjährigen in Unterhaltsangelegenheiten beim Erstgericht die Gewährung eines monatlichen Unterhaltsvorschusses in Titelhöhe.
Mit Beschluss vom 29. 3. 2010 gewährte das Erstgericht dem Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe vom 1. 3. 2010 bis 28. 2. 2015. Zur Begründung wurde angegeben, die Unterhaltsschuldnerin habe nach der am 8. 3. 2010 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet. Die Führung einer Exekution erscheine aussichtslos, weil die Mutter keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehe und ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Der Unterhaltsrückstand betrage 2.160 EUR.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes keine Folge. Der Unterhaltstitel sei am 3. 3. 2010 rechtskräftig und vollstreckbar geworden. Nach Eintritt der Vollstreckbarkeit sei die Mutter nach dem Antragsvorbringen ihrer Zahlungspflicht für März 2010 nicht nachgekommen. Vorschüsse seien nach § 8 UVG vom Beginn des Monats, in dem das Kind sie beantrage, zu gewähren. Da die Mutter im Zeitpunkt der Antragstellung am 26. 3. 2010 ihrer Zahlungspflicht für März 2010 nicht nachgekommen sei, seien die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Unterhaltsvorschüsse bereits ab März 2010 erfüllt.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur strittigen Auslegung des § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 fehle.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Antragsabweisung, in eventu einer Gewährung der Unterhaltsvorschüsse erst ab 1. 4. 2010. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Das Kind, die Mutter und der Vater haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts in Widerspruch zu der mittlerweile vorliegenden Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Frage der Auslegung des § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 steht. Er ist auch berechtigt.
In den Rechtsmittelausführungen des Bundes wird im Wesentlichen geltend gemacht, die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Z 2 UVG nF lägen erst dann vor, wenn der Unterhaltsschuldner nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit des Exekutionstitels den fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeitrag nicht leiste und das Kind (spätestens zugleich mit dem Vorschussantrag) einen tauglichen Exekutionsantrag eingebracht habe. Da die Vollstreckbarkeit des Titels am 3. 3. 2010 eingetreten sei, könnten die Anspruchsvoraussetzungen frühestens ab April 2010 vorliegen, wenn nämlich der Schuldner den für April 2010 fällig werdenden Unterhaltsbeitrag nicht bezahle. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeträge seien unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Zum Zeitpunkt des Vorschussantrags (26. 3. 2010) könne noch nicht festgestanden haben, ob die Mutter überhaupt säumig sei oder den für April 2010 fällig werdenden Unterhalt ohnehin leisten werde.
Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.
Der erkennende Senat hat in der einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung 10 Ob 39/10y vom 17. 8. 2010 Folgendes ausgeführt:
„Bis zum Inkrafttreten der Novellierung des UVG mit dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, setzte § 3 UVG neben dem Bestehen eines im Inland vollstreckbaren Unterhaltstitels (Z 1) voraus, dass „eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution nach § 291c Abs. 1 EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, eine Exekution nach § 372 EO auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrags auf Vorschussgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat“.
Während § 3 Z 1 UVG unverändert blieb, wurde § 3 Z 2 UVG mit dem FamRÄG 2009 novelliert. Die Norm erhielt in ihrem ersten (auf Inlandsverhältnisse bezogenen) Teil folgende Fassung: „Vorschüsse sind zu gewähren, wenn … 2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht (§ 11 Abs. 2), einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben.“
Nach dem unverändert gebliebenen § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UVG gegeben sind, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos erscheint, besonders, weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten lässt, nicht bekannt ist.
Da § 3 Z 2 UVG auf die nicht vollständige Leistung des laufenden Unterhaltsbeitrags nach Eintritt der Vollstreckbarkeit abstellt, ist es für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss unerheblich, ob allenfalls bestehende Unterhaltsrückstände nicht gezahlt werden. Nach der Neufassung des § 3 Z 2 UVG kommt es weiters nicht mehr auf eine erfolglose Exekutionsführung an, sondern es genügt, dass das Kind „taugliche“ Exekutionsmaßnahmen eingeleitet hat (vgl IA 673/A BlgNR 24. GP 36).
§ 4 Z 1 UVG regelt den Titelvorschuss bei Aussichtslosigkeit der Exektuion. Es handelt sich um einen Sonderfall zu dem in § 3 UVG geregelten Grundfall (2 Ob 5/07k = SZ 2007/111 mwN). Der Unterschied liegt nur darin, dass im Fall des § 4 Z 1 UVG die Einleitung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG entbehrlich ist, weil bereits aufgrund der objektiven Lage zur Zeit der Beschlussfassung erster Instanz eine Exekutionsführung für jedermann aussichtslos erscheinen muss (vgl 2 Ob 5/07k = SZ 2007/111; RIS-Justiz RS0108900 [T2]). Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist - neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels - Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet (Neumayr in Schwimann, ABGB3 I § 4 UVG Rz 1). Darunter ist zu verstehen, dass die nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeiträge nicht bezahlt werden. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge sind insoweit unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Damit soll der Charakter der Vorschussleistung als Substitut für fehlende laufende Unterhaltsleistungen zum Ausdruck kommen, während Rückstände einer Bevorschussung nach dem UVG weiterhin nicht zugänglich sind (vgl Neuhauser, Änderungen beim Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2009, 275 [276]).
Der im Außerstreitverfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungsbeschluss wird - mangels einer Sonderregelung - mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft vollstreckbar (§ 43 Abs 1 AußStrG). Formelle Rechtskraft (§ 42 AußStrG) bedeutet Unanfechtbarkeit der Entscheidung in dem Verfahren, in dem sie ergangen ist. Sie tritt ein mit
- Zustellung der Entscheidung, wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel (mehr) zulässig ist,
- ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist,
- Abgabe eines Rechtsmittelverzichts,
- Zurücknahme eines eingebrachten Rechtsmittels (Fucik/Kloiber, AußStrG § 42 Rz 1). Die Rekursfrist beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung (§ 46 Abs 1 AußStrG).“
Diese dargelegten Grundsätze hat der erkennende Senat auch in weiteren die Auslegung des § 3 Z 2 UVG nF betreffenden Entscheidungen vom 17. 8. 2010 vertreten (vgl 10 Ob 38/10a, 10 Ob 52/10k ua).
Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall die Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses vom 9. 2. 2010 am 3. 3. 2010 eingetreten, weil der Beschluss der Mutter am 16. 2. 2010 zugestellt wurde und die 14-tägige Rechtsmittelfrist ungenützt am 2. 3. 2010 abgelaufen ist.
Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist im Unterhaltsvorschussverfahren das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS-Justiz RS0076052 [T5]). Im vorliegenden Fall war an diesem Tag (29. 3. 2010) zwar der Unterhaltstitel vollstreckbar; die weitere Voraussetzung der nicht vollständigen Leistung des laufenden Unterhalts nach Eintritt der Vollstreckbarkeit war aber nicht gegeben, konnte doch zu diesem Zeitpunkt noch kein Rückstand an laufendem Unterhalt iSd § 3 Z 2 UVG bestehen, weil ein nach Eintritt der Vollstreckbarkeit laufender Unterhaltsbeitrag noch nicht fällig war.
In Stattgebung des Revisionsrekurses des Bundes sind die Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinne einer Antragsabweisung abzuändern, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz nicht alle Voraussetzungen der begehrten Unterhaltsvorschussgewährung erfüllt waren (vgl 10 Ob 39/10x).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)