OGH 10Ob54/17i

OGH10Ob54/17i14.11.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Schramm, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch MMag. Dr. Thomas Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch Dr. Christian Margreiter, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wegen Unterlassung (Streitwert 5.100 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. April 2017, GZ 4 R 7/17h‑27, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Schwaz vom 3. November 2016, GZ 2 C 364/15a‑23, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120078

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist seit 2012 Eigentümerin des Grundstücks 34/7, der Beklagte seit 1989 Eigentümer der angrenzenden Grundstücke 34/1 und 35/1. Auf der früher ungeteilten Liegenschaft betrieb der Großvater des Beklagten bis Ende der 1950er‑Jahre eine Landwirtschaft. Seine Söhne führten nach Teilung und Übergabe ihre landwirtschaftlichen Betriebe gemeinschaftlich und nutzten wechselseitig auch jeweils das Grundstück des anderen.

Zwischen den Grundstücken befand sich bis 1996 oder 1997 ein Zaun mit einem Gatter, durch das die Rechtsvorgänger beider Streitteile gingen, fuhren und Vieh trieben. Der Beklagte ging über das Grundstück 34/7 und befuhr es ab ca 1972 selbst mehrmals jährlich mit Traktor, Moped oder Motorrad, um zur Bundesstraße zu kommen und von dort auf die Grundstücke 34/1 und 35/1. Dies war ab November 2012, als die Klägerin einen Zaun errichten ließ, zunächst nicht mehr möglich. Es besteht eine andere Zugangs- und Zufahrtsmöglichkeit.

Die Klägerin begehrte die Verpflichtung des Beklagten, es zu unterlassen, über ihr Grundstück 34/7 zu gehen oder es zu befahren.

Das Erstgericht wies das Unterlassungsbegehren ab. Das Berufungsgericht gab ihm hingegen statt und ließ nachträglich die Revision zu.

Rechtliche Beurteilung

Die – beantwortete – Revision des Beklagten ist entgegen diesem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch nicht zulässig.

1. Der Beklagte wirft dem Berufungsgericht eine Überraschungsentscheidung iSd § 182a ZPO vor, weil es im ersten Rechtsgang einen nach außen erkennbaren Besitzwillen oder eine solche Besitzausübung implizit bejaht, nunmehr aber verneint habe.

1.1 Ob das Überraschungsverbot verletzt wurde, ist eine nur nach den Umständen des Einzelfalls zu lösende Frage (8 Ob 38/14t).

1.2 Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen trifft den Ersitzungsbesitzer (RIS‑Justiz RS0034237 [T2]; RS0034243 [T1]), hier demnach den Beklagten, der dem Unterlassungsbegehren der Grundeigentümerin eine ersessene Wegeservitut entgegenhält. Er hat daher Art und Umfang der Besitzausübung und die Vollendung der Ersitzungszeit zu behaupten und zu beweisen (RIS‑Justiz RS0034251 [T7]).

1.3 Bereits im ersten Rechtsgang bestritt die Klägerin die Besitzausübung. Im zweiten Rechtsgang brachte sie ergänzend vor, dass aufgrund der historischen Entwicklung der Eigentumsverhältnisse der Rechtsvorgänger des Beklagten nie in Ausübung eines Rechts über das Grundstück gegangen oder gefahren sei und die jetzige Rechtsausübung durch den Beklagten nicht denselben Inhalt habe wie das damalige Betreten, als zwei Brüder zwei landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaftet hätten.

1.4 Die Frage, wie sich die behauptete Ausübung eines Geh‑ und Fahrrechts durch den Beklagten und seinen Rechtsvorgänger gestaltete, war entscheidungsrelevantes Thema des Verfahrens, zu dem das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang konkrete Feststellungen vermisst hat. Schon deshalb ist nicht zu erkennen, wieso der Beklagte nach Ergänzung von Vorbringen und Sachverhaltsgrundlage von der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts überrascht sein sollte, dass eine entscheidende Voraussetzung für die Ersitzung (die für den Ersitzungsgegner erkennbare Ausübung eines Rechts) fehlt. Zudem zeigt der Beklagte nicht – wie von der Rechtsprechung gefordert (RIS‑Justiz RS0120056 [T2, T8]) – auf, was er im Fall der Erörterung durch das Berufungsgericht zusätzlich vorgebracht hätte.

1.5 Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt somit nicht vor.

2. Die Ersitzung bedarf während der gesamten Ersitzungsdauer (RIS‑Justiz RS0011702) qualifizierten Rechtsbesitzes (8 Ob 38/14t). Der Rechtsbesitz kann auch durch Besitzmittler ausgeübt werden (RIS‑Justiz RS0011655). Für den Ersitzungsgegner muss aber jedenfalls erkennbar sein, welches individuelle Recht konkret in Anspruch genommen wird (RIS‑Justiz RS0010135 [T8]; RS0009762 [T11]). Die Duldung durch den Grundeigentümer muss wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geschehen (RIS‑Justiz RS0009762 [T23]).

2.1 Ob der Eigentümer der angeblich belasteten Liegenschaft erkennen kann, dass Benutzungshandlungen in Ausübung eines Rechts erfolgen, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0033021). Eine zu korrigierende Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht hier nicht vorzuwerfen.

2.2 Das Berufungsgericht schloss aus dem gemeinsamen Bewirtschaften der Grundstücke mit jeweiligem Befahren und Begehen durch die Rechtsvorgänger der Streitteile auf das Fehlen von Besitzwillen und Erkennbarkeit der Ausübung einer Servitut. Der Beklagte hält dieser Rechtsansicht nur die Feststellungen des Erstgerichts zum Begehen und Befahren des Grundstücks ab etwa 1972 entgegen. Dieses hat seiner Ansicht nach mit einer gemeinsamen Bewirtschaftung nichts zu tun, sondern erfolgte als Besitzmittler für seinen Vater als (bis 1989) Eigentümer des herrschenden Grundstücks und in weiterer Folge im alleinigen Interesse des Beklagten.

2.5 Dem Revisionswerber ist einzuräumen, dass das Erstgericht mit diesen Feststellungen offenbar eine private, und nicht eine zu landwirtschaftlichen Zwecken erfolgte Nutzung durch den Beklagten gemeint hat. So verwies es in der Beweiswürdigung auf die glaubwürdigen Angaben des Beklagten über den Verlauf seines Schulwegs und das Befahren (auch) mit dem Moped. In der rechtlichen Beurteilung hielt es fest, dass die Nutzung durch Befahren mit Moped/Motorrad nicht mehr zu landwirtschaftlichen Zwecken stattfand.

2.6 Es muss allerdings ein Wille ersichtlich sein, dass ein Recht ausgeübt wird und nicht eine bloß sich aus einem gut nachbarlichen Verhältnis ergebende Gestattung in Anspruch genommen wird. In letzterem Fall liegt kein zur Ersitzung führender Rechtsbesitz vor (RIS‑Justiz RS0010135 [T2]; 10 Ob 14/15d). Nach der Rechtsprechung können familiäre Verbindungen dagegen sprechen, dass das Begehen oder Befahren einer Liegenschaft für dessen Eigentümer erkennbar in Ausübung eines Rechts geschieht (vgl 8 Ob 38/14t; vgl 10 Ob 14/15d). In diesem Sinn lässt es sich durchaus vertretbar nicht als erkennbare Ausübung eines Rechtsbesitzes (Geh‑ und Fahrrecht) für den Eigentümer des angeblich herrschenden Grundstücks ansehen, wenn sein Sohn seinen Schulweg über das Grundstück eines nahen Angehörigen nimmt oder es später auch mit dem Moped befährt.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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